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Samuel Ernst Stubenrauch to Friedrich Schleiermacher

den 16ten Febr.
Mein lieber theuerster Neveu
Ich hätte gewiß schon früher Ihren vorigen Brief den ich am 28ten vorigen Monats mit den Besoldungen erhielt, beantwortet haben, wenn Sie mir nicht selbst geschrieben, daß Sie mir nächstens von der Stelle in Stolpe und von ihrer mündlichen Unterredung darüber mit Herrn Hofprediger Sack Nachricht geben würden. Daher sah ich denn mit jedem Posttag sehnsuchtsvoll einem Briefe von Ihnen entgegen und freue mich herzlich, aus Ihrem gestern erhaltenen zu sehen daß Sie diese Stelle, wo vormals ihr Großvater gestanden, angenommen haben. So empfangen Sie denn, theuerster Herr Hofprediger unsere herzlichen Glückwünsche. Freylich geht es uns allen sehr nahe, daß Sie so weit von uns sich entfernen; aber durch Ihre Aussichten auf Königsberg waren wir ja schon einigermaaßen darauf vorbereitet, und nun dürfte auch, wie es mir scheint, Ihre weitere Beförderung nach Königsberg durch die in Stolpe erhaltene Stelle, gar sehr erleichtert nnd beschleuniget werden können. Uebrigens ist auch der angegebene Ertrag dieser Stelle allerdings viel beträchtlicher, als meine jetzige nnd vorige in Drossen und mehrere andre mir näher bekannte – und gewiß weit vorzüglicher, als wenn Sie in Berlin am Werder oder auf der Friedrichsstadt die 2te Stelle erhalten hätten. Auch ist mir noch neuerlich von jemandem der kürzlich in jenen Gegenden gewesen, die Lage der Stadt als sehr anmuthig, und die dortigen Einwohner als sehr biedere Menschen geschildert worden. Doch bin ich sehr begierig Ihre Bedenklichkeiten, und endliche Bestimmungsgründe zu erfahren. |
Von hier habe ich Ihnen eine Nachricht mitzutheilen, die für viele in unserer Stadt sehr schmerzhaft, daß nemlich gestern Abend um 6 unsere gute Kersten entschlafen ist. Als ich Ihren vorigen Brief erhielt war sie schon in einiger Beßerung, ich brachte ihr einen Gruß von Ihnen und sagte, daß Sie mit sehr vieler Theilnehmung sich nach Ihrem Befinden erkundigt hätten –, und sie sagte mir mit vieler Rührung, wie sie bey ihrer Krankheit es recht erfahren, wie viele theilnehmende Freunde sie habe; und als ich vor 14 Tagen bey ihr war, sprach sie schon davon, daß sie nun wohl bald wieder würde ausgehn können. Allein vorgestern vor 8 Tagen erfolgte ein Recidiv, und nun zweifelte jedermann an ihrem Aufkommen. Frau Tiemann konnte mir nicht ohne Thränen sagen, wie sanft sie entschlummert sey, nachdem sie kurz vorher noch eine Tasse Habersuppe getrunken, wodurch sie sich sehr erquickt gefühlt. Ich war Willens Sie zu ersuchen, diesen Todesfall in den Zeitungen anzeigen zu laßen, aber Frau Tiemann sagte mir der Herr Bürgermeister habe das alles zu besorgen versprochen, und mit dem habe ich noch nicht sprechen können. Ich ging zwar heute zur Benike um zu ihrem Geburtstage zu gratuliren – er aber war schon auf dem Rathause
den 20ten Am Donerstag NachMittag haben wir die Leiche ganz in der Stille und nur mit einem kleinen Gefolge nach ihrer Ruhestätte in dem Gewölbe unserer Concordienkirche gebracht I
Sie werden sich gewiß über diesen zerfetzten Brief wundern. Es hatte sich ein besonderer Unfall ereignet; ich wollte an Herrn Vetter Reinhard schreiben, hatte mir schon einen Bogen zurecht gelegt, that aber denn einen Mißgriff und fing auf der 3ten Seite des an Sie geschriebenen den an Herrn Reinhard an – Hinc illae
Nun eine Frage: Sie erinnern sich wohl, daß bey Ihrer letzten Abreise von hier, ich Ihnen einen Brief an Herrn Hofprediger Michaelis mitgab, da ich darauf gar keine Antwort erhalten, so muß ich vermuthen daß er verloren gegangen. Es wäre kein großes Unglück, nur wünschte ich doch meiner Sache gewiß zu seyn, dann würde ich jenes Briefes weiter an ihn gar nicht erwähnen
Einlage an Herrn Reinhard werden Sie, daran zweifle ich gar nicht, richtig besorgen. Nun aber geben Sie mir guten Rath, durch wen ich nun inskünftige unsere Besoldungen werde erhalten können. Ich war gesonnen, mich deshalb an Herrn Prediger Wilmsen zu wenden, möchte aber von Ihnen erst wissen, ob Herr Koehne (oder wie heißt der jetzige Rendant der [Cassa] Montis pietatis) nicht zu weit entfernt wohne
Wegen ihrer schriftstellerischen Arbeiten komen Sie freilich in ein nicht geringes Gedränge, indeß wird Ihnen doch gewiß die Reise zu ihrer guten Schwester das wichtigere seyn – aber vor Ihrer Reise nach Schlesien | erhalte ich doch gewiß noch erst weitere ausführliche Nachrichten von Ihrer Entschließung, die Sie in ihrem letzten versprochen
Viele Grüße von unserm Sohn, dem ich nun auch schreiben werde, daß Sie Hofprediger sind – er wird uns mit seiner Frau diese Ostern besuchen Auch von Mama viele Glückwünsche sie hofft, daß Sie uns nun auch in Ihrem nächsten von Ihrer bevorstehenden Verheyrathung Nachricht geben werden; denn daß Sie nun gewiß und noch in Berlin sich verheirathen werden, will sie sich gar nicht ausreden laßen
Und nun leben Sie recht wohl, munter und gesund. Mit großem Verlangen sieht einem baldigen Schreiben von Ihnen entgegen
Ihr aufrichtig treuer Oheim
Stubenrauch
Landsb a. d W. den 20ten Merz 1802
Auch vom Cantor Doniges viele gehorsamste Glückwünsche
Metadata Concerning Header
  • Date: 16. bis 20. März 1802
  • Sender: Samuel Ernst Stubenrauch ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Landsberg (Warthe) · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 346‒348.

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