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Friedrich Schleiermacher to Lotte Schleiermacher

Berlin, den 17ten März 1802.
Ich will nur gleich mit dem wichtigsten anfangen, liebe Lotte, welches Dir zugleich mein bisheriges Schweigen erklären kann, weil ich theils die Entscheidung abwarten wollte, theils auch vorher in einem zu unruhigen Zustande war, um ordentlich schreiben zu können. Ich habe nämlich einen Ruf nach Stolpe in Pommern bekommen und ihn auch wirklich angenommen; und um gleich alles, was Dich am nächsten interessirt, zusammenzufassen: ich muß schon am ersten Junius dorthin abgehn und will deshalb so bald nach Ostern als möglich, vielleicht schon den zweiten Feiertag, und wenn sich das nicht thun läßt, den 23sten April mich auf den Weg machen, um Dich noch in der Geschwindigkeit zu besuchen. Leider siehst Du, daß wir uns mit der Zeit sehr werden einschränken müssen, und es wird mir nicht möglich sein, länger als reine acht Tage bei Dir zu bleiben; aus unsrer Reise nach Fürstenstein wird wohl also nichts werden, Carl’n aber habe ich bereits vorigen Posttag entboten, er soll sich so einrichten, daß er alsdann auch in Gnadenfrei sein kann. Das schöne Project, ein Jahr lang zu reisen bei Gelegenheit einer solchen Veränderung, ist also zu Wasser geworden; gewissermaßen tröste ich mich darüber, daß die Amtsverhältnisse es nicht leiden, weil ich doch jezt weniger als je Geld dazu gehabt hätte. Die Ge | meine hat von dorther sehr dringend um baldige Besezung gebeten, weil mehrere junge Leute zu confirmiren sind und die verwittwete Hofpredigerin (ein Titel, den ich leider auch annehmen und mit 20 Reichsthalern bezahlen muß), welche eigentlich noch ein ganzes Jahr die Einkünfte zu genießen hat, ist selbst willig gewesen, mich bis zum Ablauf dieses Jahres für alles, was ich hier verliere, vollkommen zu entschädigen, und ich habe also auch nicht einmal etwas äußerliches einwenden können. Verbessern werde ich mich nicht bedeutend; die Stellung ist, Wohnung und alles miteingerechnet, auf 630 Reichsthaler angeschlagen, und ich werde dort wie hier nur mit Hülfe andrer Arbeiten so eben auskommen können. Warum ich diesen Entschluß gefaßt habe, das weiß sich hier außer meinen vertrautesten Freunden niemand zu erklären, da ich nicht nur für die Annehmlichkeiten des Lebens, sondern auch für meine Studien so viel bei dem Tausche verliere. [...]
Ich sehe mich jezt schon als nicht mehr hier an. In diesen vier Wochen bis Ostern bin ich so entsezlich mit Arbeit beladen, daß mir wenig Besinnung übrig bleibt, und die vierzehn Tage nach meiner Rückkunft werden dem Einpacken und Abschiednehmen gewidmet sein. Durch meine Studien macht mir diese Abreise einen entsezlichen Querstrich. Ich habe ein Buch bereits als im Herbst erscheinend angekündigt, wozu ich aber eine Menge von alten Werken brauche, die ich aus hiesigen Bibliotheken mit großer Leichtigkeit haben konnte, die ich in Stolpe aber gewiß nicht finde, und auch selbst, wenn ich das Geld dazu hätte, nicht anschaffen könnte, weil sie nicht so immer zu haben sind. Da werde ich also wortbrüchig werden müssen und das ist sehr unangenehm. Eben so unangenehm ist es, daß ich nothwendig werde Schulden machen müssen. Wenn ich die Kosten meiner Vocation, die Reise und erste Einrichtung zusammenrechne, brauche ich gewiß 500 Reichsthaler, die ich geradezu borgen muß, und ich weiß wirklich noch nicht wo; auch sehe ich nicht ab, daß ich sie in den ersten drei Jahren werde wiederbezahlen können, wenn ich auch noch so fleißig und in meinen Geschäften noch so glücklich bin. – Noch eine Merkwürdigkeit ist diese, daß ich mit | Sack wieder ganz auf dem alten Fuß stehe. Bei unsern schriftlichen Communicationen über diese Sache schien es mir, als ob es manches darin gäbe, worüber er sich schriftlich nicht äußern wollte, und in einem Falle dieser Art glaubte ich mir nichts zu vergeben, wenn ich den ersten Schritt thäte. Ich schrieb ihm also, wenn es etwas gäbe, was er mir nur mündlich mittheilen zu können glaubte, so möchte er mir nur eine Stunde bestimmen, wo ich ihn sprechen könnte; worauf er mich denn gleich einlud, mir, wie ehedem, ein freundschaftliches Abendbrod gefallen zu lassen. Es war mir bei dem ersten Besuch zu Muthe, als wäre ich solange verreist gewesen; er sagte, indem er unter vier Augen mit mir von Stolpe redete, von dem, was sonst zwischen uns verhandelt worden, würde vielleicht ein ander mal Zeit sein zu reden; er führte mich in dem Hause herum, welches ihm der König seit unsrer Entzweiung hatte bauen lassen, und auch seine Frau und die Mädchen, die mich immer sehr lieb gehabt haben, waren ganz so wie sonst. Ich bin seitdem schon ein paar mal wieder dagewesen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Mittwoch, 17. März 1802
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Lotte Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Gnadenfrei ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 349‒351.

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