Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
TEI-Logo

Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher

G d 24t Merz 1802
Wäre Dein Brief gestern hier angekomen – so hätte die wehmütig frohe Bestürzung und Gefühle der Dankbarkeit – einen sehr zwekwidrigen Eindruk gemacht – denn die große Schwäche mit brenenden Durst begleitet, war auf einen solchen Grad gestiegen – daß ich mich mitten am Tage zu Bette legen muste – und 1 Schule absagen – welches ich gewiß nur in der äußersten Kraftlosigkeit thue – es war mir selbst recht bange – jedoch es folgte eine erquikende Nacht – wahrscheinlich hatten meine Lebensgeister durch die fürchterlich ermattende Crisis eine ganz neue Schwingung erhalten – so daß ich heute mich weit beßer als seit 14 Tagen befinde – ich war eben im Begrif das geliehne Buch mit meinen jungen Leuten zu lesen – als Dein lieber Brief anlangte – schon mehrmals habe ich eine Epistel einige Stunden liegen laßen – aber dismahl – trieb ein unbekanter Drang ihn vorher zu überlesen – Äußerst merkwürdig ist das Zusamentreffen alles deßen[:] Dein, und Alexanders Ruf – die glükliche Wendung in Sacks Gesinungen oder Benehmen gegen Dich – und die beiderseitigen zwar nothwendigen – aber nicht imer so völlig edlen Gesinungen und Verläugnungen – der Freunde – die meinem Herzen durch Simpathie gleich theuer sind – so geht es – wo die Zuschauer am gespantesten der zu erwartenden Dinge sind – und mancher Unedle gern eine Falle legte | da ereignet sich auf einmahl etwas ganz neues entscheidendes da die Langhälse und Spizohren – die Neider und sonstige interressanten hie und da zusammentreten – und Siehe! sie lauschen sperren das Maul auf, und, müßen ehrfurchtsvoll schweigend gar bewundernd abtreten – – Glük zu Ihr Lieben und nun gute Nacht! Der Rath des Herrn ist wunderbar aber – er führt ihn herlich hinaus.
Den 1ten Aprill. Eine der grösten Merkwürdigkeiten und Erhöhung meiner Freuden, am gestrigen Tage – waren die Briefe meiner lieben Brüder, welche ich in einer Minute erhielt – d. h. doch meiner innigsten Wünsche Gewährung! Also von meinem innern Wohlbefinden – war mein lezter Brief Dir Beweis? Seit seiner Abreise hat mein Cörper viel gelitten – besonders seit dem 18ten Merz – es war ein ordentliches NervenFieber – welches ich die erstenmahle nicht achtete – aber endlich mich zu vest pakte – so daß ich zu meinem Arzt eilte – und dieser mir auf 3 Tage den Schuldienst ganz verbot – seit dem lezten Freitag habe ich keine gehalten – und nur heute wieder mit 2 Stunden angefangen – sehr behutsam und freundtschaftlich hat er und sein Weib mich behandelt – mir stärkende Fleischbrühe und erquikende Aepfel geschikt – auch die gütigen Barons haben gestern und heute für Stärkung gesorgt – Gott vergelte es Allen |
den 4ten Aprill Meine Kräfte schwinden ohngeachtet aller Arzneymittel sehr – und ich fürchte bald ein ganz unthätiges Wesen zu werden – erfordert dis einmahl meine Kränklichkeit auf länger als einige Tage – dann wird es mit meiner gänzlichen Vollendung eilen – doch hoffe ich noch Dich ordentlich sprechen zu könen – solte ich ja noch betlägerig werden – dann bekomst Du vor Deiner Abreise Meldung davon damit Du nicht auf eine Deinem zärtlichen Herzen traurige Art überrascht werdest – sehr lieb wäre mirs wohl – Dich noch zu meinen kleinen – als auch zu meinen großen Lieben zu bringen – Pritwizes die eben zum AbendMahl hier waren als ich Deinen Brief kaum erhalten hatte, freuen sich gar herzlich auf Deinen Besuch.
Leonorens Gruß hat mich recht herzlich gefreut – und noch mehr Dein Vielleicht bring ich Dir einen Brief von ihr – dis Wort ermuntert mich noch mehr einen längst gefaßten Vorsaz auszuführen – worann mich meine Schwachheit nicht hindern soll – ich zweifele nicht daß Du ihr das inliegende Blätchen gern überreichen und mir, Brief, oder Blätchen – auch beides wenn Du wilst erbitten werdest – bei Deinen Aussichten wäre es wohl möglich Leonoren nach Jahr und Tag kennen zu lernen – aber Lotte wird wohl keine Schwägerin in ihre Arme schließen – –
Inliegenden Brief wirst Du wohl zum leztenmahl den guten Graffs gerne besorgen – und ihm den Tage Deiner Abreise – doch das kann seine Schwester durch mich bestimmen – damit Du denen Schwestern einen Brief mitbringen kanst – die jüngste von ihnen wohnt auf meiner Stube – und hoffentlich wirst Du meine Mitschwestern mit einer Visite beehren |
Dieses ist also das leztemahl für die Zeit vielleicht wohl auf immer daß ich nach Berlin schreibe es ist ein ganz eignes abschiedsmäßiges Gefühl in mir! wie muß Dir zu Muthe sein mein Lieber! mündlich davon – auch dis ist mir bei aller Freude noch rätselhaft Dich hier zu sehn – erhält mir Gott nur noch so lange meine Kräfte so wandle ich an Deiner oder auch mit an Charles Seite zum erstenmahl auf dem Glazhof – welche süße Vorstellung! Wir haben heute vortrefliches Wetter – vielleicht haben wir einen schönen Frühling! nach der Schule mehr.
Deiner gütigen Freundin Herz mache meine Empfehlung mit dem innigsten Dank vereint für alle Güte, und Genuß aller Art der Dir in ihrem Hause und ihrem Umgange zu Theil wurde – ich bedaure sie wegen dem Abruf ihrer beiden Freunde recht herzlich.
Wenn Du mir etwas von Schlegel und von Dir selbst faßliches an lecture mitbringen wilst – oder auch sonst was von Jean Paul weil ich von diesem noch nichts gelesen habe, wird es mich sehr freuen – aber ganz vorzüglich wirst Du mir mit solchen bewusten Papier klein und groß viel Freude machen. – – Gott weis wie mir mein Dich liebendes Herz beim herannahen dieses Wiedersehns schlägt – daß ich aber bei alle dem doch auch die nötigsten Schulen halten werde – kanst Du mir nicht verdenken – – Also das lezte mahl nach Berlin
Das inliegende Briefchen und Blätchen, darfst Du, wenn Du wilst mit einem Kuß Leonoren bringen von
Lotten.

Metadata Concerning Header
  • Date: 24. März bis 4. April 1802
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 355‒357.

Basics · Zitieren