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Friedrich Schleiermacher to Ehrenfried von Willich

Berlin d 27t. März 2.
Schon vorigen Posttag, lieber Freund, habe ich inliegenden Brief von Leonore an Dich gehabt, es war mir aber unmöglich an diesem Tage zu schreiben und so ganz ohne ein Wörtchen von mir wollte ich ihn doch nicht absenden. Die Arme ist seit sie ihn geschrieben hat einige Tage recht krank gewesen und hat viel Schmerzen ausgestanden; nun hat sie sich wieder so ziemlich erholt. Der Muth zu dem was sie zu thun und zu überstehen hat wächst ihr und wird immer fester; auch sie ist wie Jette Deiner Meinung, daß es im Grunde besser ist daß ich bei der Katastrophe nicht hier bin. In weltlicher Rüksicht habt Ihr auch recht; aber – nie wird die Arme es aushalten wenn sie grade in diesen schweren Tagen Niemanden hat an den sie sich anschließen kann. Sie treibt es so weit, daß sie auch Jette nicht eher öffentlich und öfter sehen will damit nicht diese auf irgend eine Art mit hineingezogen werde. Also hat sie eigentlich Niemand; denn das mußt Du ihrem Briefe nicht glauben daß Karoline mehr und größer wäre als sie und ihr irgend eine Stütze sein könnte. Wie mir während dieser | Zeit in Stolpe zu Muthe sein wird, das weiß ich am Besten. Zum Glük habe ich schon die Erfahrung gemacht, daß Briefe von dorther nur drittehalb Tage unterwegens sind, aber doch denke ich mit Schauder daran daß ich immer Alles erst hintennach erfahren werde, und nie wissen wie es in diesem Augenblik steht. Ach wären die Ketten erst gesprengt! Viel kürzer als anderthalb Jahr wird es übrigens wol nicht dauern ehe Leonore mein wird. Ihre Mutter will den Sommer bei ihr wohnen, und ob sie Dir gleich von wenigen Wochen schreibt, so rechne ich doch nicht darauf daß sie eher als im Herbst Grunow verlassen wird; einige Wochen gehn auch wohl über den Rechtsverhandlungen hin, dann die leidigen Dreivierteljahre[;] so wird leicht der künftige Herbst herankommen. Mit meiner Reise ist es auch sehr fatal. Ich werde wohl zu Pfingsten in Stolpe sein und also Ende Mai abreisen müssen. Wolff und Lea werde ich also auf keinen Fall sehen und ich denke ich werde es mir überhaupt versagen müssen über Prenzlow zu reisen da ich mich dann auch wieder in Stettin und in Stargard aufhalten müßte, und so gar keine Zeit übrig habe. Ich müßte hier verhältnißmäßig weit mehr abbrechen als ich mit Dir genießen | könnte, und das kann ich Jetten nicht thun. Neulich habe ich einmal in fröhlichem Muthe bei Reimer das Projekt gemacht schon diesen Sommer nach Rügen zu kommen, und das würde dann freilich sein wenn Du auch da bist: allein das liegt doch auch noch sehr im Schooße der Götter. Also werden wir uns wohl bis übers Jahr getrosten müssen.
Wolf grüße mir herzlich und sage ihm wie leid es mir thut, daß ich nicht bald ein Augenzeuge seines neuen Glükes sein kann. An Lea habe ich kürzlich selbst ein Paar Worte geschrieben. Die hat doch nun auch endlich Alles überstanden und ich zweifle nun gar nicht mehr.
Das Presbyterium meiner künftigen Gemeine, welches meinen Namen doch schon gekannt zu haben scheint, hat mir einen sehr verbindlichen und achtungsvollen Brief geschrieben, welches doch auch eine gute Vorbedeutung ist. Ueberhaupt freue ich mich allerdings auf meine Amtsverhältnisse, besonders darauf daß es doch nie ganz an Kindern fehlen wird, welche zu unterrichten sind, und daß ich die Aufsicht auf eine Schule habe die freilich in schlechtem Zustande sein soll, um die ich mir aber eben deshalb Verdienste erwerben kann. Zum erstenmal werde ich doch eigentlich in allen diesen wichtigen und schönen Verhältnissen ganz | unabhängig sein: denn in Landsberg waren mir die Hände durch den alten Emeritus gebunden mit dem nichts anzufangen war.
Schlegels Trauerspiel Alarcos ist jezt gedrukt. Gieb Dir doch Mühe es bald zu bekommen und sage mir was für einen Eindruk es auf Dich gemacht hat. Ich kann Dir mein Exemplar nicht schiken, weil ich es zum Behuf der Kritik fleißig studieren muß.
Jette grüßt sie glaubt nicht daß sie Dir diesen Posttag schreiben kann. Mit ihrer Brust ist sie noch immer nicht ganz in Richtigkeit, und leidet jezt noch zu Allem andern durch Herz hypochondrische Anfälle. Ich wollte ich sähe erst besseren Zeiten für sie entgegen. Ist es der Mühe werth etwas Näheres von dem was zwischen Johanna und Herz vorgefallen ist zu wissen, so wirst Du es ihr wohl schreiben. Bestelle mir doch an die arme Johanna einen brüderlichen Gruß, empfiel mich der Gräfin und grüße Deinen Sohn. Dein
Schleiermacher
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 27. März 1802
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Ehrenfried von Willich ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Prenzlau ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 361‒363.

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