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Friedrich Schleiermacher to Lotte Schleiermacher

Berlin, Montag den 17ten Mai.
Gestern habe ich endlich Deinen Brief bekommen, von dem Du glaubtest, ich würde ihn schon den 12ten oder 13ten haben; er kam mir sehr gelegen des Mittags zur Erholung zwischen meiner zweiten und dritten Predigt. Du kannst denken, daß ich Anfangs einen Schreck hatte beim Anblick der fremden Hand, aber sobald ich nur an’s Lesen kam, beruhigte mich schon der Ton, vielleicht nur zu sehr, denn es muß Dir doch hart angegangen sein, Du Arme, daß Du ganz ordentlich das Bett gehütet hast. Die Charmante ist aber wirklich ganz charmant und ich weiß nicht, wie ich ihr genug danken soll, daß sie sich Deiner und also auch meiner so angenommen hat. Ich erkenne indeß darin nur die Fortsezung aller der lieblichen Aufmerksamkeiten, die sie uns bei meinem Dortsein erwies, und wenn Du von ihrer lezten Güte den Grund zum Theil in meinem Zutrauen seztest, so gründet sich dies Zutrauen wieder nur auf ihre erste Güte. Sage ihr doch, wie dankbar ich ihr bin, wie herzlich erfreut über ihre schwesterliche Zuneigung zu Dir und wie werth ich es halte, so viel von ihrer Hand zu besizen, und nicht nur von ihrer Hand sondern auch von ihrem Styl, der, wie natürlich, diese Hand nicht ganz hat verlassen können. Und ist nicht in der Hand und dem Styl eines Menschen recht viel von seinem Wesen? und besonders in dem eines Frauenzimmers. Also – Du kannst ihr auch sagen, ich stellte mir recht lebhaft vor, wie sie mit ihren Augen und ihren göttlichen Augenwimpern, die ihres Gleichen suchen, dazu aussehn wird, wenn Du ihr das sagst. Gern möchte ich noch eine Weile so durch die dritte Hand mit ihr fortplaudern, et comme elle est plus femme et moins prude que son nom – zu meiner großen Freude – so würde sie es mir hoffentlich verzeihen; aber ich muß mich doch von ihr trennen, um noch geschwind einiges aus Deinem Briefe abzumachen, denn ich kann nur in sehr abgerissenen Viertelstunden schreiben. Ich bin in einer beständigen Bewegung und zwar nicht, wie Du, in der eines Perpendikels, sondern in der eines gehezten Hasen. [...]
Mittwoch, den 19ten Mai. [...] Daß Du mich in den Monologen so verstehst, freut mich recht innig. Ich denke, Du wirst auch Da bei aller Verschiedenheit die Uebereinstimmung finden, und inne werden, daß, wenn ich auch für mein Denken und Sein eine eigne Form und besondre Art habe, das Streben doch im Wesentlichen dasselbe und auf das Innere und Höhere gerichtet ist. Was Dich manchmal unangenehm ergreifen wird, glaube ich, ist der Stolz; allein wer so stolz ist, kann auch wieder recht demüthig sein, und ich denke, das wirst Du fühlen, wenn es gleich da drin nicht steht. Aber sagt mir nur, was soll ich denn mit dem Beinamen der Erhabene machen? ich fürchte, er kommt aus den Monologen; aber er ist mir auf alle Weise lächerlich und ihr müßt mir einen andern geben, wenn ich nicht glauben soll, daß sich la Charmante aus Stolz neben diesem Erhabenen la soumise nennt. – Den Gaspari schicke ich Dir ungebunden, um ihn nicht aufzuhalten und um Bruder Petri nicht Eintrag zu thun. Laß Dir nun nur von Schneider Gaspari’s Abhandlung über den Unterricht in der Geographie geben, um Dich recht hinein zu studiren; ich habe leider vergessen, sie mitkommen zu lassen. Lebe wohl, liebe Lotte, ich muß aufhören. Laß mich recht bald von Dir hören und ja recht gute Nachrichten von Deiner Gesundheit, bessere als diese, wenn es der Himmel irgend will. Laß mich auch wissen, ob Carl mit den Büchersendungen hübsch fleißig fortfährt. Denn habe ich auch noch nicht [...]
Weiterhin enthielt der Brief Mitteilungen über einen Abschiedsbesuch des Ehepaars Grunow sowie über die Vorbereitungen zu seiner Übersiedlung nach Stolp.
Metadata Concerning Header
  • Date: 17. bis 19. Mai 1802
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Lotte Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Gnadenfrei ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 421‒422.

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