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Sophie Bernhardi to August Wilhelm von Schlegel

[1] [Berlin, 14. Oktober 1801]
Bernhardi ist zu Fröhlig nach Spandau geritten und so will ich diesen Tag der Freiheit anwenden um mit Dir zu reden mein geliebter theurer Freund. Vergib mir nur meinen Brief und sei mir nicht mehr böse. Ach währst Du hier daß ich in Deine Arme eilen an Deinen Busen alle meine Schmerzen und Klagen aussprechen könte. Der Gedanke an Dich erhebt mich über die Gegenwart und läßt mich in der Zukunft Trost für das Leiden hoffen das mich jezt zerstöhrt. Die Liebe zu Dir giebt mir Kraft und Willen ein Leben zu ertragen daß ich sonst selbst zu zerstöhren eilen wirde.
Ich fühle daß man über manche Dienge gar nicht klagen solle und doch wen[n] sie so gewaltsam alle Ruhe des Lebens vernichten, zwingt uns das volle Herz wieder unsern Willen. Ich ertrage gewiß mit mehr Standhaftigkeit als irgend ein Mensch die Sorge für das äusserliche Leben und schone Bernhardi dessen weichliches Gemüht ich kenne so viel als möglich. Du hast schon bei Deinem hiersein bemerkt welcher unedlen Trägheit er sich hingiebt. Es war nun endlig unvermeidlig nohtwendig mit ihm zu sprechen und ihm vorzustellen daß er sein Betragen ändern oder irgend ein anderes Mittel anwenden müste um mich der täglichen Sorge die meine Gesundheit zerstöhrt zu überheben. Ich erschrack über die thörichte Verzweifelung der er sich hingab und als ich meinen Zorn über dies kindische Benehmen nicht unterdrüken konte gerieht er in eine so gemeine Wuht vor der mein Herz erbebte. Ich fühlte mich ganz verlohren es kam mir wie ein furchtbarer Traum [vor] [2] daß ich unwiederruflig unabänderlig an ein Wesen gefesselt bin daß mir so durchaus fremd erschien. Er war so roh mir vorzuwerfen daß wir doch eigentlig durch meinen Bruder in eine so drükende Lage wären, meine Augen fülten sich mit Tränen, ich sahe in meinen Tränen Dein Bild und mein Herz wurde von einer so heftigen Wehmuht ergriffen daß es mir war als wirde mein ganzes Wesen zerfliessen, mir schien es als müßt ich in Luft verschweben und mich so den gemeinen irdischen Augen entziehen. Kom mein Geliebter und tröste mich ich fühle es daß diese Stunde lange in meinem Herzen nachzittert. Bernhardi bat mich nachher um Verzeihung ich konte kein Wort reden ich ließ mich küssen wie er wolte ohne mich zu regen und nun erst nun er mich verlassen hat wünsche ich daß ich mein Leben mit meinen Tränen hinströmen könte. Nun erst ringe ich meine Hände voll Verzweifelung daß ich die Bande worin ich mich leichtsinnig fügte nicht zerreissen kan. Ich betrachte meine Kinder und auch ihr Anblick kan mich nicht trösten, es sind auch die seinigen und selbst die Natur hat uns noch enger verknüpft. Du bist auf weiter Erde der einzige Mensch der mir Trost gewähren kan, von Dir fodere ich Ersatz für mein verlohrnes Leben. Kom zurik eile in meine Arme laß mich Dich an meine Brust drüken ach und könte ich dan mit dem ersten Kusse womit ich Dich begrüße mein Leben hinweg hauchen. Laß mich Trost in Deinen [3] Augen lesen laß durch Deine sanften Worte die Ruhe meines Herzens zurik kehren aber laß Dich nicht durch meinen Brief verleiten mir zu gewaltsamen Masregeln zu rahten. Schilt mich nicht ich kan nichts thun ich kan ihm nicht wortbrüchig werden der in seinem Sin das Glück seines Lebens auf mich niederlegte. Er weiß es daß ich ihn nie geliebt habe aber er glaubt daß wir ewig vereinigt von einer zärtlichen Freundschaft begleitet das Leben beschliessen müssen. Zürne mir nicht daß ich bei der heissen Liebe zu Dir nicht aufhören kan für ihn bekümmert zu sein. Er glaubt solche Stunden womit er mein Herz zerreißt müssen vorübergehen, er hält es für kleine Streitigkeiten. Mein Herz gehört Dir ganz und ungetheilt aber fodere nicht daß ich weil ich meinen reichsten Edelstein Dir zuwende ihm auch daß entziehe wodurch er sich schon beglückt hält und womit er sich begnügt. Mitleid und Liebe kämpfen in meiner Brust.
Du sagst die Liebe solle alle Bande lösen und binden aber es giebt doch noch eine Liebe die über alle Bande erhaben ist, diese kan kein Verhältniß zerstöhren weil sie zu rein und zu gütlig ist um eins zu machen. Mit dieser Liebe liebe ich Dich. Ich möchte mit aller Kraft der Seele alle Deine Gedanken alle Deine Blicke zu mir herziehen, sie neidisch vor der Welt in meiner Brust ver[4]schliessen. In Deinen Küssen finde ich die höchste Wonne sie sind für mich der einzige der höchste Genuß der Liebe. Kom nur o kom und wen[n] uns auch Zwang umgiebt so fühle ich doch Deine Blicke die mich leise und freundlig berühren und wie ich auch schmerzenvolle Tage verlebe so weiß ich Dich doch in meiner Nähe so lohnt doch endlich am Abend Deine Gegenwart all mein Leiden.
O daß Du es ertragen kanst von mir entfernt zu leben daß die heisseste Sehnsucht die mich durchglüt durchzittert nicht die Kraft hat Dich zu mir her zu ziehen. Es komt ja nur auf Dich an bei mir zu sein, warum eilst Du nicht und läßt dahinten waß Dich nicht halten solte.
Ach köntest Du mich nur sehen wie ich meine Hände nach Dir ausstreke wie ich Deinen Nahmen mir immer leise wiederhole wie ich die süssesten Schmeichelworte verschwende um Dich herbei zu ziehen. O so kom den[n] auch endlig und stille das Verlangen und ende den Kumer.
Sei aus meinem Brief nicht auf Bernhardi böse sonst gereut es mich ihn geschrieben zu haben. Da ich alle meine Klagen an Dich gerichtet habe steht Dein Bild so lebhaft vor mir und sieht mich mit treuen Augen an und läßst den Zorn in meiner Brust und wirft es mir vor daß noch etwaß [5] anders als ganz allein die Liebe zu Dir in meinem Herzen Raum gewinne. Wie will ich glücklich sein wen[n] Du und mein Bruder erst hier bist. Mich hat es halb gefreut daß er warscheinlich nach Weimar zurik geht ich kan doch dan recht ernstlig darauf bestehen hinzureisen. Und bin ich nur erst dort so wird es sich schon machen lassen daß ich recht lange dort bleibe doch muß man darüber noch nichts bestimmen, daß macht sich dan von selbst. Deine Vorlesung komt nun ohne Frage zustande kom Du nur selbst und so haben wir doch die Hofnung ein ganzes Jahr miteinander zu verleben.
Wie mich oft ganz fremde Menschen kränken wen[n] sie von Dir sprechen. Catell war hier und sprach von Dir und der Unzelmann wie sie Dich so ganz beschäftige und von Deinem Verhältniß und Deiner Liebe zu ihr als ob es sich so von selbst verstände und gar keinem Zweifel unterworfen sei daß Du eine recht heftige Leidenschaft für sie hättest; ich konte nichts antworten und meine Bewegung kaum unterdrüken. Waß ist es den[n] daß mich so unwiederstehlig zwingt Dir mit allen meinen Lebenskräften anzugehören und zu fodern daß Du eben so mein eigen sein solst.
Ich lebe in einer seltsamen Spanung, wen[n] die Thür geöffnet wird so meine ich Du must hinein [6] treten und kann niemand der zu mir komt freundlich begrüßen. Ich glaube wen[n] es möglig wäre daß Dein Bild meinem Herzen wieder entrissen würde ich müste an der Leere die dan in mir entstehen wirde sterben.
O kom nur mein geliebter Freund Du Stern der mein Schicksall und mein Leben beherscht. Ist wohl möglich, kanst Du wohl jemals meinen Nahmen gleichgültig hören, solte wohl einmal die Zeit kommen daß Dein Herz nicht von Freude erregt wird wen[n] Du an meine Liebe denkst, solte Dein Blut aufhören schneller zu fliessen we[n] meine Augen meine Hände meine Lippen Dich berühren?
Verzeih verzeih daß immer das alte Mistrauen wiederkomt, so wenig bin ich glücklich in der Welt gewesen und hat das Glück mich berührt solte es mir wohl bleibend seine Gunst schenken und nicht blos flüchtig an mir vorüberstreichen? O lebe wohl ach dürfte ich nicht mehr Abschied von Dir nehmen. Ich sehe Deine Briefe an, neben die meinigen wie kalt und vernünftig. Ach muß ich den[n] scheiden und Du fühlst die Küsse nicht die ich diesen Blättern aufdrüke weil ich sie Dir sende. Nein ich kan es nicht ertragen, wen[n] ich nun aufstehe vom Schreiben so füh[7]le ich es zu schmerzlig daß Du nicht da bist. Alles waß Deine Gegenwart scheut waß mich quält und kümmert trit dan wieder nahe zu mir und nimt mein armes Herz gefangen und Dein Bild dazwischen halb von mir abgewendet.
Lebe wohl, am ende liest Du nicht einmal alles waß ich so schlecht schreibe. Ach solten Dich meine Worte nicht erfreuen, nicht die Flamme der Liebe in Deinem Herzen entzünden?
Erwähne diesen Brief nicht wen[n] Du im algemeinen antwortest ich schike ihn natürlig ohne daß es B.[ernhardi] weiß. Nun lebe wohl ich will kein Wort mehr schreiben.
S[ophie] B[ernhardi]
[8]
  • Bernhardi, Sophie  sich entschuldigen  Schlegel, August Wilhelm von
  • Bernhardi, Sophie  Liebe  Schlegel, August Wilhelm von
  • Bernhardi, Sophie  charakterisieren  Bernhardi, August Ferdinand
  • Bernhardi, Sophie  Konflikt  Bernhardi, August Ferdinand
  • Bernhardi, Sophie  Ankunft  sich freuen  Schlegel, August Wilhelm von
  • Bernhardi, Sophie  Ankunft  sich freuen  Tieck, Christian Friedrich
  • Bernhardi, Sophie  prognostizieren  Schlegel, August Wilhelm von: Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst (Berlin 1801–1804)
  • Bernhardi, Sophie  Eifersucht  Catel, Louis
  • Bernhardi, Sophie  Eifersucht  Bethmann-Unzelmann, Friederike
Metadata Concerning Header
  • Date: [14. Oktober 1801]
  • Sender: Sophie Bernhardi ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 30‒33.
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-4
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,15,16
  • Number of Pages: 7 S. auf Doppelbl., hs. m. Paraphe
  • Format: 18,9 x 11,6 cm
Language
  • German

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