[1] Amsterdam d. 4 Jun 95 [Donnerstag]
An Herrn
Hofrath Schiller
Schon vor einigen Jahren war mir Ihre Einladung, zur Thalia beyzutragen, die durch Herrn von Pape an mich gelangte, eine sehr werthe Aufmunterung. Nur empfand ich Verdruß über das Unvermögen, ihr Genüge zu leisten, worein mich meine Lage und der gänzliche Mangel an litterarischen Hülfsmitteln versetzte. Diese Besorgniß erneuerte sich, als mich Ihre Ankündigung einer neuen Zeitschrift zur Theilnahme daran aufgefodert hatte, bis ich erfuhr, daß Sie ein Fragment meiner Schrift über Danteʼs Leben und Werke genug mit Ihrem Zwecke übereinstimmend fänden, um es aufzunehmen. Ihre zuvorkommende Güte und Herders Beyfall belebten meinen Eifer. Ich hätte Ihnen das Übrige bis zum Schlusse des Inferno weit früher geschickt, wenn ich nicht während der letzten Hälfte des Winters weniger wie je Herr über meine Zeit [2] gewesen wäre. Nach einigen Monaten, die mir noch mit Reisen und andern Zerstreuungen hingehen werden, hoffe ich in meinem Vaterlande freyere Muße für meine Lieblingsbeschäftigungen zu gewinnen. Meine Versuche können nirgends vortheilhafter noch in einer gewählteren Gesellschaft erscheinen als in den Horen, die ich bey meiner Entfernung von der Teutschen Litteratur und unsrer gänzlichen Absonderung von Teutschland während einiger Monate noch nicht gesehen habe, auf die ich aber äußerst begierig gemacht worden bin. –
Ich habe diesem Theile meiner Arbeit nicht weniger Sorgfalt gewidmet als dem vorigen, doch bin ich über den Grad von Interesse, den sie erregen kann, sehr ungewiß, da ich hier in dieser Hinsicht völlig einsam bin, und sie noch niemanden habe mittheilen können. Sie sind in der That mein erster Leser. Ihre nähere Beurtheilung würde mir bey der Fortsetzung von großem Nutzen seyn: allein ich wage es nicht, Sie mit der Bitte darum zu [3] belästigen. Bey der Geschichte Ugolinoʼs habe ich mich mit meinen vor langer Zeit zu Göttingen gemachten Auszügen begnügen müssen, da ich gern noch mehrere Bücher zu Rath gezogen hätte. Überhaupt hat mir nur ein günstiger Zufall die zu meiner Absicht unentbehrlichsten Bücher verschafft. Über das Purgatorio werde ich weniger zu sagen haben; doch enthalten die letzten Gesänge fast die schönsten und lieblichsten Stellen des ganzen Gedichtes, es kömmt nur darauf an, wieviel davon meine Übersetzungen nachzubilden vermögen. Das Paradiso ist der schwerste, tiefsinnigste, erhabenste, glänzendste Theil der göttlichen Komödie: möchte ich nur dem Gegenstande gewachsen seyn! Alsdann muß ich noch zu der vor langer Zeit in Bürgers Akademie eingerückten Einleitung zurückkehren und sie umarbeiten, damit sie nicht zu sehr gegen das Übrige absteche. Das Ganze kann vielleicht meine Vorübung zu einer Geschichte der Italiänischen Sprache und Poësie seyn. Meinhard [4] sagt darüber doch nur die gemeinsten Gedanken in einem schleppenden, jetzt völlig ungenießbaren Style; sein Buch ist selbst von Seiten der litterarischen Gelehrsamkeit höchst armselig: ich gestehe, daß ich nicht begreife, wie Lessing und andre Männer von Verdienst es haben preisen können. Obgleich ein Rezensent gemeynt hat, ich hätte beym Dante Meinhard ja vor allen Dingen nennen sollen, so bleibe ich dabey, daß hier Danteʼs Spruch von den ihrer Mittelmäßigkeit wegen Verdammten gilt:
Non ragioniam di lor, ma guarda e passa!
Verzeihen Sie die Erwähnung: es kann mir nicht einfallen, durch den Vergleich für die Mängel meines Versuches Schonung erlangen zu wollen. Was Sie und wenige Andre seit einigen Jahren im Fache der Theorie und Beurtheilung des Schönen gethan, hat Epoche gemacht und die Foderungen an den Kunstrichter so erhöht, daß ein Teutscher Schrift[5]steller sich nicht ohne viel zu wagen in diese Laufbahn drängen kann. Stände nur auch die Bildung der Leser im Ganzen und unser Reichthum an Meisterwerken mit der Tiefe der über sie angestellten filosofischen Untersuchungen im Verhältnisse! Manche Bewunderer des Dichters und Geschichtschreibers Schiller fangen an auf den Kunstrichter eifersüchtig zu werden; ich für mein Theil folge gern jeder Wendung eines Geistes, der in allen seinen Schöpfungen, nur nach verschiednen Perioden der Wirksamkeit, gleich unverkennbar lebt. Ich ergreife diese Gelegenheit, Ihnen für das Viele, was mir Ihre Werke an Genuß und Belehrung gewährten, den wärmsten und gefühltesten Dank zu sagen.
Wenn Wilhelm von Humbold bey Ihnen ist, so bitte ich Sie um meine freundschaftlichsten Grüße an ihn. Ich weiß nicht ob es Parteylichkeit ist, daß ich noch lieber Allwills Papieren als dem Woldemar den Vorzug [6] gegönnt hätte, so lichthell und tief eindringend von ihm beurtheilt zu werden. Irrte ich, als ich in der Beurtheilung der Gedichte Matthissons Ihre Hand zu erkennen glaubte? Es hat mir leid gethan, daß Ihre Rezension über Bürger keine freye Untersuchung über Volkspoësie, Lyrik, ihre Beziehung auf das jetzige Zeitalter und andre Gegenstände, die sie auf eine so anziehende Weise berührte, zu Wege gebracht hat, weil Bürgers Antwort die Lust für ihn, oder wenigstens gegen Ihre Lehre zu sprechen, nothwendig dämpfen mußte. Das Gewicht Ihres Ansehens hat vielleicht manchen Lesern diesen Dichter verleidet, deren eignes Gefühl so weit entfernt war ihn zu verwerfen, daß es vielmehr aus ihm noch vieles zu seiner Veredlung gewinnen konnte. –
Möge Ihnen alles was Sie für den Genuß des Schönen, für die Verbreitung des Wahren, und für den Ruhm unsrer Litteratur [7] unternehmen bey guter Gesundheit und frohem Muthe auf das erwünschteste gelingen. Erhalten Sie mir Ihre gütigen Gesinnungen: es wird immer mein Bestreben seyn, Ihren Beyfall zu verdienen.
A. W. Schlegel
Mein Bruder in Dresden hat mir geschrieben, daß Sie die Güte gehabt, ihm das Honorarium für die abgedruckten Bogen und die Hefte von den Horen, worin sie enthalten sind, zuzuschicken. Sollten Sie mich mit Ihrer Zuschrift beehren wollen, oder sonst etwas an mich zu bestellen haben, so bitte ich Sie, es gleichfalls nur an ihn zu addressiren. Ich ersuche Sie die Auslage für das Postgeld, auf das Honorarium abzurechnen, da das Packet hier nicht ganz frankirt werden kann.
Ich weiß nicht genau, wie weit der Abdruck [8] schon geschehen ist; ich habe also lieber einige Seiten zu viel abgeschrieben. Entschuldigen Sie mich, wenn sich etwa, ungeachtet meiner Aufmerksamkeit, Sprachfehler eingeschlichen haben sollten. Ich bin seit einigen Jahren meiner Muttersprache fast fremde geworden.
An Herrn
Hofrath Schiller
Schon vor einigen Jahren war mir Ihre Einladung, zur Thalia beyzutragen, die durch Herrn von Pape an mich gelangte, eine sehr werthe Aufmunterung. Nur empfand ich Verdruß über das Unvermögen, ihr Genüge zu leisten, worein mich meine Lage und der gänzliche Mangel an litterarischen Hülfsmitteln versetzte. Diese Besorgniß erneuerte sich, als mich Ihre Ankündigung einer neuen Zeitschrift zur Theilnahme daran aufgefodert hatte, bis ich erfuhr, daß Sie ein Fragment meiner Schrift über Danteʼs Leben und Werke genug mit Ihrem Zwecke übereinstimmend fänden, um es aufzunehmen. Ihre zuvorkommende Güte und Herders Beyfall belebten meinen Eifer. Ich hätte Ihnen das Übrige bis zum Schlusse des Inferno weit früher geschickt, wenn ich nicht während der letzten Hälfte des Winters weniger wie je Herr über meine Zeit [2] gewesen wäre. Nach einigen Monaten, die mir noch mit Reisen und andern Zerstreuungen hingehen werden, hoffe ich in meinem Vaterlande freyere Muße für meine Lieblingsbeschäftigungen zu gewinnen. Meine Versuche können nirgends vortheilhafter noch in einer gewählteren Gesellschaft erscheinen als in den Horen, die ich bey meiner Entfernung von der Teutschen Litteratur und unsrer gänzlichen Absonderung von Teutschland während einiger Monate noch nicht gesehen habe, auf die ich aber äußerst begierig gemacht worden bin. –
Ich habe diesem Theile meiner Arbeit nicht weniger Sorgfalt gewidmet als dem vorigen, doch bin ich über den Grad von Interesse, den sie erregen kann, sehr ungewiß, da ich hier in dieser Hinsicht völlig einsam bin, und sie noch niemanden habe mittheilen können. Sie sind in der That mein erster Leser. Ihre nähere Beurtheilung würde mir bey der Fortsetzung von großem Nutzen seyn: allein ich wage es nicht, Sie mit der Bitte darum zu [3] belästigen. Bey der Geschichte Ugolinoʼs habe ich mich mit meinen vor langer Zeit zu Göttingen gemachten Auszügen begnügen müssen, da ich gern noch mehrere Bücher zu Rath gezogen hätte. Überhaupt hat mir nur ein günstiger Zufall die zu meiner Absicht unentbehrlichsten Bücher verschafft. Über das Purgatorio werde ich weniger zu sagen haben; doch enthalten die letzten Gesänge fast die schönsten und lieblichsten Stellen des ganzen Gedichtes, es kömmt nur darauf an, wieviel davon meine Übersetzungen nachzubilden vermögen. Das Paradiso ist der schwerste, tiefsinnigste, erhabenste, glänzendste Theil der göttlichen Komödie: möchte ich nur dem Gegenstande gewachsen seyn! Alsdann muß ich noch zu der vor langer Zeit in Bürgers Akademie eingerückten Einleitung zurückkehren und sie umarbeiten, damit sie nicht zu sehr gegen das Übrige absteche. Das Ganze kann vielleicht meine Vorübung zu einer Geschichte der Italiänischen Sprache und Poësie seyn. Meinhard [4] sagt darüber doch nur die gemeinsten Gedanken in einem schleppenden, jetzt völlig ungenießbaren Style; sein Buch ist selbst von Seiten der litterarischen Gelehrsamkeit höchst armselig: ich gestehe, daß ich nicht begreife, wie Lessing und andre Männer von Verdienst es haben preisen können. Obgleich ein Rezensent gemeynt hat, ich hätte beym Dante Meinhard ja vor allen Dingen nennen sollen, so bleibe ich dabey, daß hier Danteʼs Spruch von den ihrer Mittelmäßigkeit wegen Verdammten gilt:
Non ragioniam di lor, ma guarda e passa!
Verzeihen Sie die Erwähnung: es kann mir nicht einfallen, durch den Vergleich für die Mängel meines Versuches Schonung erlangen zu wollen. Was Sie und wenige Andre seit einigen Jahren im Fache der Theorie und Beurtheilung des Schönen gethan, hat Epoche gemacht und die Foderungen an den Kunstrichter so erhöht, daß ein Teutscher Schrift[5]steller sich nicht ohne viel zu wagen in diese Laufbahn drängen kann. Stände nur auch die Bildung der Leser im Ganzen und unser Reichthum an Meisterwerken mit der Tiefe der über sie angestellten filosofischen Untersuchungen im Verhältnisse! Manche Bewunderer des Dichters und Geschichtschreibers Schiller fangen an auf den Kunstrichter eifersüchtig zu werden; ich für mein Theil folge gern jeder Wendung eines Geistes, der in allen seinen Schöpfungen, nur nach verschiednen Perioden der Wirksamkeit, gleich unverkennbar lebt. Ich ergreife diese Gelegenheit, Ihnen für das Viele, was mir Ihre Werke an Genuß und Belehrung gewährten, den wärmsten und gefühltesten Dank zu sagen.
Wenn Wilhelm von Humbold bey Ihnen ist, so bitte ich Sie um meine freundschaftlichsten Grüße an ihn. Ich weiß nicht ob es Parteylichkeit ist, daß ich noch lieber Allwills Papieren als dem Woldemar den Vorzug [6] gegönnt hätte, so lichthell und tief eindringend von ihm beurtheilt zu werden. Irrte ich, als ich in der Beurtheilung der Gedichte Matthissons Ihre Hand zu erkennen glaubte? Es hat mir leid gethan, daß Ihre Rezension über Bürger keine freye Untersuchung über Volkspoësie, Lyrik, ihre Beziehung auf das jetzige Zeitalter und andre Gegenstände, die sie auf eine so anziehende Weise berührte, zu Wege gebracht hat, weil Bürgers Antwort die Lust für ihn, oder wenigstens gegen Ihre Lehre zu sprechen, nothwendig dämpfen mußte. Das Gewicht Ihres Ansehens hat vielleicht manchen Lesern diesen Dichter verleidet, deren eignes Gefühl so weit entfernt war ihn zu verwerfen, daß es vielmehr aus ihm noch vieles zu seiner Veredlung gewinnen konnte. –
Möge Ihnen alles was Sie für den Genuß des Schönen, für die Verbreitung des Wahren, und für den Ruhm unsrer Litteratur [7] unternehmen bey guter Gesundheit und frohem Muthe auf das erwünschteste gelingen. Erhalten Sie mir Ihre gütigen Gesinnungen: es wird immer mein Bestreben seyn, Ihren Beyfall zu verdienen.
A. W. Schlegel
Mein Bruder in Dresden hat mir geschrieben, daß Sie die Güte gehabt, ihm das Honorarium für die abgedruckten Bogen und die Hefte von den Horen, worin sie enthalten sind, zuzuschicken. Sollten Sie mich mit Ihrer Zuschrift beehren wollen, oder sonst etwas an mich zu bestellen haben, so bitte ich Sie, es gleichfalls nur an ihn zu addressiren. Ich ersuche Sie die Auslage für das Postgeld, auf das Honorarium abzurechnen, da das Packet hier nicht ganz frankirt werden kann.
Ich weiß nicht genau, wie weit der Abdruck [8] schon geschehen ist; ich habe also lieber einige Seiten zu viel abgeschrieben. Entschuldigen Sie mich, wenn sich etwa, ungeachtet meiner Aufmerksamkeit, Sprachfehler eingeschlichen haben sollten. Ich bin seit einigen Jahren meiner Muttersprache fast fremde geworden.