[1] Braunschweig d. 6 Aug 1795. [Donnerstag]
Ihre gütige Zuschrift vom 12ten Junius habe ich erst vor ein Paar Wochen bey meiner Ankunft in Hanover empfangen, weil man sie mir, bey der Ungewißheit, ob sie mich in Holland noch erreichen würde, nicht dorthin hat schicken wollen. Nur der Wunsch, durch einen kleinen Beytrag zu Ihrem Musenalmanach wenigstens meinen guten Willen zu beweisen, hat mich abgehalten Ihnen unverzüglich zu antworten. Ich konnte unter den Zerstreuungen, die mich bey dem Besuch in meiner Vaterstadt und Familie umgaben, keinen Augenblick finden, meine Papiere durch[2]zusehen, und was sich etwa fände, für den Druck auszubessern. Gleich in den ersten Tagen meines hiesigen Aufenthalts habe ich geeilt, dieß zu thun. Die für die Annahme der Beyträge bestimmte Zeit ist zwar schon verflossen; allein der Buchhändler Michaelis, dessen angenehme Bekanntschaft ich zufällig in Hanover gemacht, hat mir geschmeichelt, daß sie wohl noch einige Tage später angenommen werden könnten, besonders wenn ich ihm zugleich eine Abschrift zuschickte.
Ich bitte Sie, sich in Ansehung der Aufnahme dieser Gedichte allein durch Ihr Urtheil darüber, ohne Rücksicht auf mich, bestimmen zu lassen. Sie werden leicht [3] einen sehr jugendlichen Charakter darin erkennen. Mancher Zug gefiel mir nicht mehr, aber ich mußte vorsichtig im Abändern seyn: denn nur zu oft, wenn man Überspannung wegnehmen will, bleibt Schwäche zurück. Die beyden Stücke müßten wohl nicht getrennt werden; die individuelle Bestimmtheit der Gemüthslagen, welche sie ausdrücken, machte es mir unmöglich eine andre Überschrift, als die gemeinschaftliche die ich gewählt, für sie zu finden. Bey der Beurtheilung eines Gedichtes dieser Art scheint mir viel auf die Frage anzukommen: wie weit dem lyrischen Dichter die Rechte des dramatischen in der Wahl [4] der darzustellenden Charaktere und Leidenschaften zustehen? Eine Frage, deren Erörterung vielleicht zu manchen interessanten Betrachtungen Stoff und Gelegenheit gäbe.
Ihre Auffoderung, ferner zu den Horen beyzutragen, ist mir in hohem Grade schmeichelhaft und ermunternd. Da ich jetzt fürs erste einer ganz unabhängigen Muße genieße, so werde ich mit ungetheiltem Eifer Ihnen Genüge zu leisten suchen, und ich hoffe Ihnen gegen Michaelis einen Aufsatz von einigen Bogen für das Journal schicken zu können. Hoffentlich werden Sie den Beschluß der Hölle Danteʼs, den ich Ihnen vor etwa anderthalb Monaten [5] noch aus Holland zugesandt, richtig erhalten haben; wo nicht, so haben Sie nur die Güte es mir zu melden, und ich werde Ihnen unverzüglich eine andre Abschrift überschicken. Da die Einrückung dieses letzten Theils der Hölle Danteʼs doch wohl nöthig ist, um das Vorhergehende nicht fragmentarisch dastehen zu lassen, so wünsche ich recht sehr, daß er Ihren Beyfall erlangt und Ihnen nicht zu lang geschienen haben möge.
Ich danke Ihnen für die beygelegte Ankündigung, woraus ich zuerst den Zweck und die Einrichtung der Horen näher kennen lerne. Das Gesetz, die eingerückten Aufsätze erst nach drey Jahren abdrucken lassen zu dürfen, ist sehr [6] billig und selbst für das Ansehen des Journals wichtig. Sie werden beurtheilen, ob mir nicht eine Abkürzung dieses Termins in Ansehung meiner Schrift über Danteʼs Leben und Werke zugestanden werden kann, da ich zur Zeit der Einrückung jenes Fragments nicht um diese Bedingung wußte, und vielmehr die Absicht hatte, gleich nach Vollendung der Arbeit das Ganze, vorher aber nichts erscheinen zu lassen. Freylich wird noch eine beträchtliche Zeit verfließen, ehe das Werk für den Druck fertig ist.
Ich habe bemerkt, daß in den Horen die Druckfehler der vorhergehenden Stücke berichtigt werden, und daher unter der Menge, welche vermuthlich durch [7] die Flüchtigkeit meiner nicht für den Druck bestimmten Handschrift verursacht worden, die den Sinn am meisten entstellenden ausgezeichnet. Doch vielleicht kömmt die Anzeige nun zu spät. Bey dem Beschluß der Hölle hoffe ich durch meine Sorgfalt im Abschreiben vorgebeugt zu haben.
Leben Sie wohl und glücklich, und möge es mir gelingen, mich Ihres Beyfalles und Ihrer Achtung immer werther zu machen.
A. W. Schlegel
Meine Addresse ist: in Braunschweig, beym H. Professor Neyron.
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Ihre gütige Zuschrift vom 12ten Junius habe ich erst vor ein Paar Wochen bey meiner Ankunft in Hanover empfangen, weil man sie mir, bey der Ungewißheit, ob sie mich in Holland noch erreichen würde, nicht dorthin hat schicken wollen. Nur der Wunsch, durch einen kleinen Beytrag zu Ihrem Musenalmanach wenigstens meinen guten Willen zu beweisen, hat mich abgehalten Ihnen unverzüglich zu antworten. Ich konnte unter den Zerstreuungen, die mich bey dem Besuch in meiner Vaterstadt und Familie umgaben, keinen Augenblick finden, meine Papiere durch[2]zusehen, und was sich etwa fände, für den Druck auszubessern. Gleich in den ersten Tagen meines hiesigen Aufenthalts habe ich geeilt, dieß zu thun. Die für die Annahme der Beyträge bestimmte Zeit ist zwar schon verflossen; allein der Buchhändler Michaelis, dessen angenehme Bekanntschaft ich zufällig in Hanover gemacht, hat mir geschmeichelt, daß sie wohl noch einige Tage später angenommen werden könnten, besonders wenn ich ihm zugleich eine Abschrift zuschickte.
Ich bitte Sie, sich in Ansehung der Aufnahme dieser Gedichte allein durch Ihr Urtheil darüber, ohne Rücksicht auf mich, bestimmen zu lassen. Sie werden leicht [3] einen sehr jugendlichen Charakter darin erkennen. Mancher Zug gefiel mir nicht mehr, aber ich mußte vorsichtig im Abändern seyn: denn nur zu oft, wenn man Überspannung wegnehmen will, bleibt Schwäche zurück. Die beyden Stücke müßten wohl nicht getrennt werden; die individuelle Bestimmtheit der Gemüthslagen, welche sie ausdrücken, machte es mir unmöglich eine andre Überschrift, als die gemeinschaftliche die ich gewählt, für sie zu finden. Bey der Beurtheilung eines Gedichtes dieser Art scheint mir viel auf die Frage anzukommen: wie weit dem lyrischen Dichter die Rechte des dramatischen in der Wahl [4] der darzustellenden Charaktere und Leidenschaften zustehen? Eine Frage, deren Erörterung vielleicht zu manchen interessanten Betrachtungen Stoff und Gelegenheit gäbe.
Ihre Auffoderung, ferner zu den Horen beyzutragen, ist mir in hohem Grade schmeichelhaft und ermunternd. Da ich jetzt fürs erste einer ganz unabhängigen Muße genieße, so werde ich mit ungetheiltem Eifer Ihnen Genüge zu leisten suchen, und ich hoffe Ihnen gegen Michaelis einen Aufsatz von einigen Bogen für das Journal schicken zu können. Hoffentlich werden Sie den Beschluß der Hölle Danteʼs, den ich Ihnen vor etwa anderthalb Monaten [5] noch aus Holland zugesandt, richtig erhalten haben; wo nicht, so haben Sie nur die Güte es mir zu melden, und ich werde Ihnen unverzüglich eine andre Abschrift überschicken. Da die Einrückung dieses letzten Theils der Hölle Danteʼs doch wohl nöthig ist, um das Vorhergehende nicht fragmentarisch dastehen zu lassen, so wünsche ich recht sehr, daß er Ihren Beyfall erlangt und Ihnen nicht zu lang geschienen haben möge.
Ich danke Ihnen für die beygelegte Ankündigung, woraus ich zuerst den Zweck und die Einrichtung der Horen näher kennen lerne. Das Gesetz, die eingerückten Aufsätze erst nach drey Jahren abdrucken lassen zu dürfen, ist sehr [6] billig und selbst für das Ansehen des Journals wichtig. Sie werden beurtheilen, ob mir nicht eine Abkürzung dieses Termins in Ansehung meiner Schrift über Danteʼs Leben und Werke zugestanden werden kann, da ich zur Zeit der Einrückung jenes Fragments nicht um diese Bedingung wußte, und vielmehr die Absicht hatte, gleich nach Vollendung der Arbeit das Ganze, vorher aber nichts erscheinen zu lassen. Freylich wird noch eine beträchtliche Zeit verfließen, ehe das Werk für den Druck fertig ist.
Ich habe bemerkt, daß in den Horen die Druckfehler der vorhergehenden Stücke berichtigt werden, und daher unter der Menge, welche vermuthlich durch [7] die Flüchtigkeit meiner nicht für den Druck bestimmten Handschrift verursacht worden, die den Sinn am meisten entstellenden ausgezeichnet. Doch vielleicht kömmt die Anzeige nun zu spät. Bey dem Beschluß der Hölle hoffe ich durch meine Sorgfalt im Abschreiben vorgebeugt zu haben.
Leben Sie wohl und glücklich, und möge es mir gelingen, mich Ihres Beyfalles und Ihrer Achtung immer werther zu machen.
A. W. Schlegel
Meine Addresse ist: in Braunschweig, beym H. Professor Neyron.
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