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August Wilhelm von Schlegel to Friedrich Schiller

[1] Braunschweig d. 1 März 96 [Dienstag]
Hier nehme ich mir die Freyheit, Ihnen die Proben meiner Übersetzung des Romeo zu senden, die ich letzthin meinem Briefe nicht mehr beyfügen könnte. Ich habe dazu die drey ersten Szenen des zweyten Aufzugs gewählt, weil Sie mir am geschicktesten schienen, Ihnen einen vollständigen Begriff zu geben. In der ersten entwickelt sich Mercutioʼs Laune, in der zweyten die Leidenschaft der Liebenden; die dritte ist wieder nach Form und Inhalt ganz einzig in ihrer Art. Sie würden mich außerordentlich verbinden, wenn Sie diesen Versuchen einige Aufmerksamkeit schenken, und mir Ihr Urtheil darüber wollten wissen lassen, ehe ich die letzte Hand an meine Arbeit lege und sie dem Druck übergebe. Es liegt mir ungemein viel daran, zu wissen, wie Ihnen meine Gedanken über eine Übersetzung Shakespeareʼs gefallen, und in wie weit Sie finden, daß meine Probe ihnen entspricht. Die Schwierigkeiten sind erstaunlich [2] groß, das brauche ich Ihnen nicht erst zu entwickeln. Kleinigkeiten können einen dabey necken, zB. Nahmen, die für den Versbau unbequem sind und doch alle Augenblicke wiederkommen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß ich zuweilen auf einen einzigen Vers Stundenlang gesonnen, und doch zuweilen habe ablassen müssen, ohne mich selbst befriedigt zu haben. Auf den Bau der reimlosen Jamben habe ich vielen Fleiß verwandt; wie finden Sie ihn? Die weiblichen Endungen sind unentbehrlich, und ohne sie würden die Jamben auch zu steif werden; aber mich däucht, man muß sich hüten ihrer zu viele auf einander folgen zu lassen, wenigstens alsdann männliche Abschnitte in die Mitte bringen, sonst wird der Vers schleppend. Sagen Sie mir doch auch, wie sich die Alexandriner in der Dritten Szene ausnehmen? Im Romeo ist es die einzige ganz gereimte; aber es ist mir wichtig wegen des Sommernachtstraumes, wo es ihrer viele giebt. Viele Couplets würden sich ohne großen Schaden in fünffüßige verkürzen lassen, bey andern hingegen würde es wahre Verstümmelung des Sinnes nothwendig machen. [3] Die eingestreuten gereimten Stellen habe ich so viel möglich in fünffüßige zu bringen gesucht, weil sonst der Abstich zu stark ist, und die Alexandriner neben jenen doppelt so lang scheinen. In ganz gereimten Szenen fällt dieser Grund, zugleich mit der Vergleichung, weg, und ich glaubte Ihnen also dort eher eine Stelle einräumen zu können.
Ich hätte das Bedürfniß einer neuen Übersetzung als noch viel dringender zeigen können, wenn ich mit aller Strenge von der vorhandnen hätte reden wollen. In der That, wer das Original selbst kennt, kann sie nicht ohne Ekel ansehn: der beste Dienst, den sie verrichten kann, ist, daß der Anfänger im Englischen sie als einen fortlaufenden Kommentar benutzt. Ich stehe indessen in Verbindung mit Eschenburg und mochte einem sonst verdienten Manne, er mag nun errathen, daß ich den Aufsatz geschrieben, oder nicht, unnöthiger Weise keinen Verdruß verursachen. Angenehm wird ihm diese Ankündigung doch so schon nicht seyn. Aus eben dem Grunde überging ich es mit Stillschweigen, daß der Sommernachtstraum und Richard poëtisch übersetzt sind; ich hätte sonst hinzufügen [4] müssen, daß sie keinesweges meinen Foderungen gemäß sind. Überdieß sind beyde im Original großentheils in Reimen, und in dieser Übersetzung reimlos. Nur die Burleske von Pyramus und Thisbe im Sommernachtstraum, die sich noch von Wieland herschreibt, ist unübertrefflich.
Daß ich der prosaischen Übersetzung nicht zu nahe gethan, davon werden Sie sich durch einige Blicke der Vergleichung überzeugen können. Wie albern etwas, wörtlich in Prosa übertragen, klingen kann, das im Original zwar den Charakter einer überspannten Fantasie trägt, und im Romeo dramatisch richtig ihn tragen darf, aber doch große poëtische Reize hat, davon habe ich zum Scherz ein paar Beyspiele auf das beyliegende Blatt geschrieben, wo ich die beyden Übersetzungen neben einander gestellt.
Doch verzeihen Sie, daß ich Sie so weitläuftig mit meinem poëtischen Anliegen behellige. Mir liegt viel daran, weil ich es leicht mit mehreren Stücken Sh – s versuchen könnte, [5] wenn Richter wie Sie finden, daß es mir nicht mislingt. Könnte ich doch auch Göthens und Herders Urtheil erfahren!
Für die weitere Ausarbeitung der Briefe über Poësie p muß ich mir nun wohl einige Frist aus bitten. Etwa vier Wochen bleibe ich noch hier, die mir unter andern dringenden Beschäftigungen hingehen werden. Alsdann reise ich auf einen Monat nach Dresden, ein Besuch, den ich erst thun muß, um nachher mit vollkommner Muße in Jena zu bleiben. Die Briefe werden nicht dabey verlieren, wenn ich sie in Ihrer Nähe vollende.
Gern hätte ich Ihnen eigne Gedichte geliefert; bis jetzt bin ich noch nicht mit der Stimmung dazu begünstigt worden. Ihr Almanach wird doch fortgesetzt? Es sind von Ihren dichterischen Beschäftigungen Gerüchte zu mir gekommen, die meine Begierde auf das lebhafteste spannen.
Behalten Sie mich in gewognem Andenken mein verehrter Freund, und leben Sie [6] recht wohl. Sollten Sie mich noch in diesem Monat mit einer Zuschrift erfreuen, so bleibt meine Addresse dieselbe. Nachher wird es mich am schnellsten erreichen, wenn Sie addressiren beym H. Hofsecretär Ernst in Dresden.
Aug. Wilh. Schlegel
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Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 1. März 1796
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schiller ·
  • Place of Dispatch: Braunschweig · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Friedrich Schiller ‒ August Wilhelm Schlegel. Der Briefwechsel. Hg. v. Norbert Oellers. Köln 2005, S. 71‒73.
Manuscript
  • Provider: Weimar, Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 83/428
Language
  • German

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