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Friedrich Schiller to August Wilhelm von Schlegel

[1] Jena 9. Jenn. 96 [Samstag]
Gestern endlich, mein vortreflicher Freund bekam ich Ihre Recension zu Gesichte, und ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß sie mich, insofern entweder ich selbst oder mein Journal dabey interessiert sind, mehr als befriedigt hat. Aber auch ohne alle diese Privatrücksichten erfreute mich die schöne Verbindung poetischer Wärme mit kritischer Kälte, welche darinn herrscht, und ohne welche ich keinen Kunstrichter anerkennen kann. Es ist zu umständlich und ich bin heute auch zu sehr überhäufft, um in ein ordentliches Detail davon einzugehen; selbst die zwey Fragen, welche Sie in Beziehung auf mich anregten

1. Ob eine poetische Unternehmung wie das Reich der Schatten überhaupt zu vertheidigen sey?
und
2. Ob der dichterische Geist den ganzen Weg strenger Wißenschaft gehen müsse und dürfe?

muss ich für heute dahingestellt seyn lassen. Vielleicht antwortet Ihnen die hier folgende Abhandlung über sentimentalische Dichter auf die zweyte dieser Fragen. Was meine eigne Erfahrung anbetrifft, so fehlt zwar sehr viel daran, daß ich den Weg der Wißenschaft völlig zurückgelegt hätte; aber was ich davon zurücklegte, hat mich auf dem poetischen Wege eher gefördert als von demselben entfernt: wenigstens muss ich dasjenige, was ich nach dieser Epoche der Speculation und während derselben gedichtet habe, auch in poetischer [2] Rücksicht für beßer halten, als was ich vor derselben ausgeführt habe. Alle poetischen Stücke aber, die Sie in dem Almanach und in den Horen von mir lesen, sind spätere Produkte und alle erst vom Junius des vorigen Jahrs biß zum September entstanden.
Ihre Erinnerungen, die Metrik in meinen und Göthens Gedichten betreffend finde ich, in den mehresten Punkten, sehr richtig; nur in wenigen Kleinigkeiten sind wir verschiedener Meinung. So ist der halbe Pentameter:

Die zwischen mir und dir

freilich kein guter Vers, aber Die als relativum muß offenbar lang seyn. Das Zeitwort in dem halben Pentameter:

Dir gilt es nicht

wird dadurch entschieden kurz, daß auf Dir ein doppelter Accent liegt. Es wäre ganz unmöglich, jenes gilt, bey gehöriger Declamation nicht merklich zu verkürzen. Ich bin darinn völlig von Moritz Meinung, daß in unserer Sprache der Verstandes Gehalt die Länge und Kürze bestimmt.
Sonst bin ich übrigens weit davon entfernt, mich meines Hexameters gegen Ihre Critik sehr anzunehmen; denn ich selbst habe es von jeher [3] mit der Rigoristischen Parthey gehalten, und wenn ich dagegen excipiere, so ist es nicht, weil ich dem Dichter das Spiel leichter sondern weil ich es dem Critiker schwerer machen will; denn offenbar ist noch zuviel willkührliches in unsern prosodischen Gesetzen. Leider habe ich noch keine Muße gehabt, durch eigene Praxis zu zeigen, wie ich den deutschen Hexameter behandelt wünsche, denn alles was Sie in dieser Versart von mir gelesen ist bloß der erste Wurf, an dem ich, der Kürze der Zeit wegen, die Feile gar nicht versuchen konnte. Seitdem z. B. die Elegie gedruckt ist, habe ich schon über 40 corrigenda darinn entdeckt, den bloßen Versbau betreffend. Zu meiner Entschuldigung muss ich jedoch anführen, daß dieses die ersten Hexameter sind, die ich in meinem Leben gemacht, einige jugendliche Versuche in meinem sechzehnten Jahre abgerechnet.
Göthe, der eben hier ist, war mit Ihrer Recension so wie überhaupt mit Ihrer Art zu urtheilen, sehr zufrieden, nur daß auch Er sowohl gegen Ihre, als gegen die Voßische Prosodie noch manches einzuwenden hat. Er glaubt, und muß seiner Natur nach diese Meinung haben, daß in Rücksicht auf den Versbau den Foderungen des Moments und der Convenienz des individuellen [4] Falles weit mehr als einem allgemeinen Gesetz müsse nachgegeben werden.
Die Hofnung, welche Sie mir machen, Sie diesen Sommer nicht nur zu sehen, sondern hier zu behalten war mir der willkommenste Theil Ihres Briefes. Ich freue mich höchlich darauf, und da ich für eine ziemlich lange Zeit der Speculation entsagt habe um wieder ganz in der Poesie zu leben, so werden auch unsre Beschäftigungen einander näher berühren.
Mit gewöhnlichen Docenten macht die philosophische Facultät seit einiger Zeit Schwierigkeiten aber bey Ihnen ist von Remonstrationen nichts zu besorgen. Ich hoffe auch, es wird sich machen lassen, Sie auf eine noch honorablere Art hier zu fixieren, besonders da man auf Schützens Gesundheit gar nicht mehr zählen kann. Wenn Sie nur erst hier sind, so wird sich alles geben.
Darf ich mir bald wieder einen Beytrag von Ihnen versprechen? Wenn Sie ihn noch in das 2te Stück zu bringen wünschten, so müßte ich ihn in spätestens 14 Tagen erhalten. In dem Ersten Stück war kein Platz mehr übrig, darum schrieb ich Ihnen auf Ihre Anfrage nichts zurück. Leben Sie recht wohl. Ihr aufrichtiger
Freund
Schiller

Von Michaelis habe ich dato noch keinen Almanach erhalten.
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Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 9. Januar 1796
  • Sender: Friedrich Schiller ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Braunschweig · ·
Printed Text
  • Bibliography: Friedrich Schiller ‒ August Wilhelm Schlegel. Der Briefwechsel. Hg. v. Norbert Oellers. Köln 2005, S. 61‒63.
Manuscript
  • Provider: Bonn, Universitäts- und Landesbibliothek
  • OAI Id: 1715216
  • Classification Number: S 506 : I : 6
  • Number of Pages: 1 Doppelbl., davon 4 S. e. beschrieben
  • Format: 23,5 x 18,4 cm
  • Particularities: Der Brief befindet sich als Brief Nr. 6 in einem 1983 angefertigten Aufbewahrungskasten (Kasten I = Kasten "Schiller").
Language
  • German

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