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Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

Leipzig, den 4ten Juni 91.
Fast bin ich besorgt, da ich noch immer nichts von Dir höre. – Ich kann mir denken, daß alles neue Dir wenige Zeit übrig läßt für freundschaftlichen Genuß. Denn ich weiß daß Du im Getriebe kleiner Sorgen so viel Schönes auf dem Fluge entwendest, wie Du kannst. – So eben diesen Morgen laß ich eins Deiner Lieblingsbücher. Herders Plastik – ich glaube seinen Charakter itzt mehr zu verstehen wie in Göttingen – es hat mich vergnügt mich in sein Wesen zu versetzen – und gewiß ist es das seineste seiner Werke um mich eines Ausdrucks von ihm zu bedienen. Sehr zart und fein ist sein Sinn, aber auch empfindlich und verletzbar durch das kleinste. Seine Sprache ist wie eine blumenreiche Wiese und wenn sie sich erhebt wie der Regenbogen. In der Plastik ist sie sehr bilderreich und ich glaube orientalisch; es fügt sich in einander wie ein Blumenstrauß. – Es fehlt ihm ganz an Kraft zum Wiederstande; seine Klagen quälen mich noch widerlicher wie die des Rousseau. Aechte Schönheit muß sich als Siegerin über das Schicksal zeigen. – Aber für das Schöne ist Herder zu zärtlich und das Erhabene gar das würde ihn niederdrücken. – Eine kleine Stelle für Dich wegen Herabsetzung der Landschaften „die Tafel der Schöpfung schildern ist Ihnen unedel; als ob nicht Himmel und Erde besser wäre und mehr auf sich hätte, als ein Krüppel, der zwischen ihnen schleicht, und dessen Konterfeyung mit Gewalt einzige würdige Mahlerey sein soll.“ Einige seiner Klaglieder sind Dir zu nahe geworden; sie zerstören die Ruhe und lähmen den Muth. Einige Lieder von Göthe, unter andern die Worte, an die wir uns bey der Farth aus Hannover erinnerten, haben die entgegengesetzte Wirkung. Sie tönen mir oft noch vor, und haben eine Zauberkraft. An ein solches Wort heftet sich so viel Erinnerung ehemaligen Entschlusses und Genußes, – so daß es plötzliches Licht in die Finsterniß bringt.

den 8ten Juni.
Vor einigen Tagen brachte ich einen Nachmittag bey Oesern zu. Ich wünschte Du könntest ihn sehen; es war mir wirklich als ob ich Winkelmann als Greiß reden höre. – Er kann nichts als erzählen, zu raisonniren ist er nicht fähig: erzählen – oder mahlen hätte ich sagen sollen. Sein Gespräch ist so bestimmt so energisch so fest und so anmaßungsloß wie Winckelmanns Styl. Er hat Genie. In Verhältnißen mag er wohl plump und selbstisch handeln können. – Aber wie seine Worte treffen und tief eindringen, kann ich Dir nicht sagen; ich hange an seinem Munde. –
Ich wünsche ein Bild, Zeichnung, oder zum wenigsten Silhouette von Dir zu haben. Suche das einzurichten, so bald Du Muße dazu gewinnst.
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  • Schlegel, Friedrich von  Lektüre  mitteilen  Herder, Johann Gottfried von: Plastik
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  • Schlegel, Friedrich von  Gemälde  erbitten  Schlegel, August Wilhelm von
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 4. Juni 1791 bis Mittwoch, 8. Juni 1791
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Leipzig · ·
  • Place of Destination: Amsterdam · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 12.
Language
  • German

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