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Friedrich von Schlegel an August Wilhelm von Schlegel

[1] Leipzig den 21ten Nov. 92.
Diese Antwort kömmt so spät, wegen einer Unpäßlichkeit von einigen Wochen, die mich zu angreifenden Geschäften unfähig machte, und einiger nöthiger Briefe nach Haus und an Papen. Itzt erst fühle ich mich stark genung, einen Brief zu beantworten, der mir das Herz durchbohrte. Ich klage Dich bey Dir selbst an, nicht über den zum Theil gerechten Tadel; aber über den Scherz. Konnte es Dir so gleichgültig seyn mich tadeln zu müssen? Ich will Dir verschweigen, in welcher Lage ich Deinen Brief empfieng; da ich in Verzweiflung lange sehnlichst dem letzten Troste entgegengesehen, und mich nun verspottet sahe. Dieß konnte ich nur einen Augenblick der heftigsten Kränkung glauben, und ich sehe itzt Deinen Brief als einen wahren Beweis Deiner Liebe und Deiner frohen Lage an; doch wünschte ich [2] das frohe Gefühl Deines Glücks hinderte Dich nicht, Dich in mich zu versetzen. Ihr Glücklichen vergeßt so leicht, wie leicht wir zu verlezen sind, und daß wir Unglücklichen heilig sind.
Ich werde nun fast ängstlich suchen, das Rauhe meinen Mittheilungen zu benehmen – und über dem Abwägen verschwindet vielleicht das Gefühl. Dein Vorwurf trifft mich sehr tief, weil er so wahr ist, und mehr sagt, als es scheint. Mein Gespräch ist noch weit rauher, als meine Briefe, und es ist nicht bloß äusseres, es ist wirklich Ausdruck meines Geistes. Ich fühle selbst in mir beständigen Mißklang, und ich muß mir selbst gestehen, daß ich nicht liebenswürdig bin, welches mich oft zur höchsten Verzweiflung treibt. Es fehlt mir die Zufriedenheit mit mir und andern Menschen, die Sanft[3]muth, die Grazie, welche Liebe erwerben kann. Ich wünschte so auf die Menschen zu wirken daß von meiner Rechtschaffenheit immer mit Achtung, von meiner Liebenswürdigkeit <allgemein> oft und viel mit Wärme geredet würde. Von meinem Geiste brauchte gar nicht die Rede zu seyn, oder höchstens sollte man mich verständig finden. Jedermann sollte mich gut nennen, wo ich hinträte, sollte sich alles erheitern, jeder sich nach seiner Art an mich schmiegen, und die sich was dünken, mich gnädig anlächeln. – Aber längst habe ich bemerkt welchen Eindruck ich fast immer mache. Man findet mich interessant und geht mir aus dem Wege. Wo ich hinkomme, flieht die gute Laune, und meine Nähe drückt. Am liebsten besieht man mich aus der Ferne, wie eine gefährliche Rarität. Gewiß manchem flöße ich bittern Wiederwillen ein. Und der Geist? – Den meisten heiße ich doch ein Sonderling, das ist ein [4] Narr mit Geist. – Meine tägliche Anstrengung ist vergeblich, und Du hast nur meinen Schmerz vermehrt. Aber dann haben Dich auch die Weiber verzärtelt und der weibische Foelkersohm. Ich bewundre Sophiens Sanftheit, aber verlerne nur nicht auch rauhen Werth zu schätzen. – Wenn ich geliebt würde, so würde ich liebenswürdiger werden. Aber fast fürchte ich, es ist auch bey Dir mehr Interesse als Liebe. Es ist seltsam zu bitten, daß das vorangehen soll, was nur folgen kann. Aber ich kann weiter nichts hinzusetzen, als das, was so ganz hiehergehört, obgleich ich es zuerst gestern an Papen schrieb.
‚Ich wünschte, ich könnte was bessers mit Dir theilen, als meine Existenz. Verschmähe es aber nicht, und theile auch Du wieder mit mir. Laß mich in Dir glücklich seyn, da ich es in mir nicht bin. Ist das aber nicht, sey es das schlimmste, ich will es [5] gern mit Dir theilen.ʻ
Die Lügen hoffe ich vertheidigen zu können. Stoße Dich nur nicht an der Ecke des Worts, so wirst Du eins mit mir seyn. Erwäge alle Eigenschaften des Menschen und der Welt, und Du wirst finden daß sie mit größter Kunst den Schmerz des Menschen beabsichtigen, die Lüge und die Selbstverachtung. Die Lüge ist der Menschheit so nothwendig, als schwach zu seyn, und das Schreckliche zu fliehen. Was ist aber schrecklicher als die Wahrheit, im allgemeinen und im einzelnen? Es ist unsern Kenntnissen von der Seele ganz analogisch, wenn ich vermuthe, daß viele die sich stets selbst belügen, der Schmerz in dem Augenblicke tödten würde, da sie der Wahrheit <ganz> theilhaftig würden. Die Freuden, denen sie am meisten nachlaufen, sind kurze Irrthümer – und die schönsten Freuden sind so vergänglich, weil [6] die Wahrheit sehr bald ihr furchtbares Recht geltend macht. Ohne Irrthum würde alle Thätigkeit erlahmen, denn nur wenn ein Gedanke den Schein eines unendlichen Werths erlügt, erhält die Neigung volle Kraft ihn wirklich zu machen. – Diese Lüge <der Natur> gibt der Jugend ihre Energie, bis eine kurze oder lange Erfahrung gelehrt <hat>, daß alles nichtswürdig sey. Wie groß muß der Mann seyn, in dessen Brust die reine Wahrheit ruhen kann, ohne das irdische Gefäß zu zermalmen? Wofern es nicht alle menschliche Kraft übersteigt. Dieses kann mir wohl so scheinen, da die wenige Wahrheit, die ich erkannt habe, mich unglücklich gemacht; und weswegen flieht man mich, als weil ich wahrer bin, als man seyn darf? – Noch ein Grund wirkt vielleicht bey Dir, der glaubt, daß der äußere Körper die Modificationen des Geistes ausdrückt. In gewöhnlichen, selbst schönen Köpfen [7] verräth nun jeder Zug, jede Bewegung das lügenhafte Herz. Aber zeige mir auch nur ein Gesicht ganz wahr, rein von allen Spuren der verborgensten Lüge und List, ein Gesicht das nicht lügen kann. – Die höchste Begeistrung kann kaum ein Bild der Wahrheit erschwingen; denn unter den sehr vielen Gemählden, die in Dreßden vorhanden sind, sind nur einige Köpfe des Raphael der Art, und vielleicht einige des Mengs. Die Menschen des Correggio sind allesamt Lügner, obwohl sie mit Grazie lügen. – In der Wirklichkeit sah ich nie ein ganz wahres Gesicht. – Jeder absichtliche Irrthum heißt mir Lüge, und wenn ich hinzusetze daß es nicht nöthig ist, sich der Absicht deutlich bewußt zu seyn, so ist es nicht übertrieben, wenn ich zweifle, ob in vieler Leben ein einziger Moment ohne Lüge war. – Es ist trivial, daß wir uns stets selbst belügen, und keinem Zeichen trauen dürfen. – Lügen – das klingt beynahe so schlimm als Ermorden. Die esoterische Philosophie könnte [8] aber wohl beyde in Schutz nehmen. Viele besonders Schulweise halten das Lügen für an sich schlecht. Aber niemand von ihnen hat mir noch meine Frage beantworten können; ‚warum wir aufrichtig seyn sollten?ʻ* Ich sollte dieß nun auf Umgang und Freundschaft besonders anwenden. Ich kann über einen unerschöpflichen Gegenstand nur wenige flüchtige Gedanken hinwerfen. – Um nur geduldet zu werden, die gesellschaftliche Ehre zu erhalten, begünstigt zu werden, braucht es zahlloser Unwahrheiten. Ebenfalls aber auch um andre zu erforschen, sie zu erfreuen, und ihnen zu nützen, gegenseitige Liebe und Achtung zu erregen und zu empfangen. Zwar ist der Grad der Wahrheit der Maßstab der Erhabenheit einer Freundschaft, aber <vielleicht> nicht ihrer Freuden. – Und [9] in keiner Erdenfreundschaft kann die Wahrheit ganz erreicht werden. Du erinnerst Dich an eine Stelle in B.ʼs [Caroline Böhmers] Briefen, die dasselbe sagte. – Wenn die eherne Hand der Wahrheit alle Schleyer zerrisse, so würdest Du auch in unsrer Freundschaft feine Lügen wahrnehmen. – Ich sage dieß sicherlich nicht um das Kleinod meines Lebens zu schänden. – Nun noch die unzähligen äussern Verhältnisse, die es nothwendig machen, und die nie so sehr als beym Verhältnisse mit Weibern und mit eigner Familie statt finden. Es ist gut, daß ich gegen meinen Vater Religion und gegen meine Familie Achtung <heuchle>, die ich nicht habe. – Das wenige, was in menschlichen Verhältnissen Kunst ist, ist mit Geschick lügen können, und dieß läßt sich lernen. Mit Weißheit lügen will unendlich viel sagen, und ist mehr als Kunst.
[10] Nach einer Mittheilung, die (ich gestehe es) gar nichts werth war, hast Du schnell über meine Leidenschaft abgeurtheilt; Du hast nicht erwogen was sie für mich, wie ich nun einmal bin, seyn könnte. – Du vergleichst sie mit einem willkürlichen Bilde, wie es bey mir hätte seyn sollen. Ich erstaune, daß Du nicht alles so erwartetest. Habe ich mich etwa verwandelt, oder kennt man sich niemals? Wußtest Du nicht, daß ich Mangel an innerer Kraft immer durch Plane ersetze? – Wenn Dich das Geständniß meiner Wünsche beleidigt hat, so muß ich Dir sagen, daß die Wollust so tief in meiner Seele liegt, daß sie bey jeder Liebe seyn wird, obwohl mein Enthusiasmus für Männer, Dir beweisen könnte, daß ich die Wollust für bessre Freuden lange vergessen könnte. Eine Liebe unter steter Entsagung <aber> wäre mir Qual. Was wäre eine Liebe ohne volle Vertraulichkeit, und Enthusiasmus? – Das erste [11] folgt nur aus der letzten Gunst, und das andre führt dazu. – Könnte ich sie Dir nur zeigen, Du würdest anders urtheilen, meine Wahl billigen. Es wäre leicht, ein reizendes Bild von einer verführerisch liebenswürdigen Frau zu machen. Und noch immer glaube ich, daß sie wirklich lieben könnte. Jugendliches Feuer – eine blitzschnell entzündbare Phantasie – ein Verstand, der mit Feinheit schätzt und unterscheidet (unsre Wahl trifft meist zusammen, nur sind ihre Urtheile nicht so schneidend, und gehn etwas mehr auf äussern Schein) eine wahre, prunklose Anhänglichkeit an ihre Freunde (diese zeigt sich besonders gegen eine Schwester und Schwager, die liebenswürdig und <sehr> verständig schienen) Leichtsinn – List – etwas Eitelkeit, mit aller Liebenswürdigkeit einer jugendlichen Fröhlichkeit geschmückt – und dann besonders manches, was mich ahnden läßt, ihre Neigung könnte wohl inniger und feiner seyn, als sie bis itzt <selbst> erfahren hat. Was könnte das vereinigt nicht [12] hervorbringen. Gewiß! sie muß lieben können. – Dabey ist unbegreiflich, (vielleicht die Heftigkeit des Temperaments) daß nur ihr selbst verächtliche Menschen scheinen bisher ihre Gunst genoßen zu haben. Dieß ist es, was mich von ihr zurückstieß – und dann ein gewisser Mangel <an Güte>, da sie beleidigt fast hämisch ist – und endlich die entfernte Ahndung, daß Heftigkeit ihr wohl nicht erlaubt, ihre Gunst mit Grazie zu geben. – Ueber zwey Intriguen gaben mir wahrscheinlich Gerüchte den ersten Argwohn, ihre Wendungen, diesen Argwohn zu ersticken, und ihr Benehmen bey meinen Anspielungen fast gewisse Ueberzeugung. Einen kenne ich genau. Nimm ihm so viel Aeußeres als nothwendig ist, um zu brilliren und es bleibt ein ganz nichtswürdiger – ein Debauche wie ein Friseur. Sie verachtet ihn, also waren seine Verdienste wohl Verderbtheit, Schlauigkeit, Discretion. An Kitzel der Eitelkeit und Nahrung der Phantasie ist bey dieser Intrigue nicht zu denken. [13] Nimm zusammen – ihr Leichtsinn – ihr Temperament – die Sittenlosigkeit der hiesigen Damen – völlige Freiheit von Seiten des schwachen Mannes. – Es begreift sich wohin sie zielte und wie weit sie gieng. – Möchten doch der Begünstigten zahllose seyn, nur Männer lieber als ein Nichtswürdiger. – Die Ungewißheit machte mich launenhaft, und unentschlossen, und dieß verdarb meinen Plan. – Anfangs nur erst etwas gereizt, urtheilte ich über sie fast wie itzt, doch hoffte ich <fast>, sie sei der Liebe fähig, und ich beschloß zu versuchen, sie auf mich zu lenken. – Auf Figur sieht sie nicht, auf Rang auch sehr wenig, und ich hatte Vermuthungen, daß ein Character wie der meinige sie reizen könne. Fürs erste wollte ich nur ihre Einbildung beschäftigen – war ich nur erst dahin, daß ich mich ihr ganz zeigen durfte, so wird es nicht eitel seyn, daß ich hoffte ächte Liebe einer Frau verdienen zu können, da ich die Deinige verdient. – Ich stellte mich so heftig, als ich bald wurde, stolzer und sonderbarer als ich bin; meine [14] Bewundrung sollte einen hohen Preiß bekommen. Denn diese Dinge sind mehr für die Eitelkeit, als ein richtiger einfacher Verstand. Abwechslung that das übrige und ich erreichte meine Absicht ganz. Zugleich sollte mich der Schein der Sonderbarkeit für manches privilegiren. Unentschlossenheit in den günstigsten Momenten, da die Heftigkeit mir einige Zeit alle Besonnenheit raubte, fand sie unbegreiflich, und nichts beleidigt Weiber so sehr, als Nichterwiedrung auch der kleinsten Avancen. Immer mehr stieg mein Argwohn, und ich äußerte einigemal Verachtung. Vielleicht that Furcht vor meiner Unvorsichtigkeit das übrige, und ich glaube der Schein des Intriguanten hätte mir nützlich seyn können. – Ich habe gewiß nicht wenig verlohren, denn hätte sie mir auch gar nichts neues gegeben, so würde sich doch sehr viel aus mir selbst entwickelt haben: obwohl unsre große Verschiedenheit für mich viel Schmerz zur Folge hätte haben müssen. – [15] Mistrauen und Eitelkeit machen mein Unheil über meinen Eindruck auf sie gleich sehr unsicher. – Es ist dem Weibe natürlich, mit einem heftigen Manne ihr Spiel zu treiben; es kitzelt ihre Eitelkeit um so mehr, je mehr männlichen Verstand sie selbst ihm zutraut. Aber verächtlich bin ich ihr nicht, wie ich weiß; und wenn dieß nicht ist macht heftige Leidenschaft allemal einigen Eindruck, sehr tiefen aber ein stolzes Zurückziehen. Seit ich aus jugendlichem Unsinn der R. [Caroline Rehberg] gutgemeyntes Wohlwollen zurückstieß, hatte ich merklich Einfluß, wenn nicht auf ihre Zufriedenheit, doch auf ihre Heiterkeit. Zwar macht sie, als hätte sie mitleidig mit meiner Einfalt, mich aufgegeben. – Doch die besten Gründe liegen in kleinen Zügen – die ich vermeide, weil Du sie letzthin alle ganz mißverstanden: und Verständlichkeit würde einen langweiligen Roman erfordern. Damit Du nicht denkst, daß Eitelkeit [16] oder Hoffnung mich verführt – noch dieß: ich habe nicht die kleinste Spur von ächter Liebe, aber ihre Eitelkeit und ihre Phantasie glaube ich gereitzt zu haben, und auf kurze Zeit hat sie günstige Absichten für mich gehabt.
Meine Schmerzen habe ich mir selbst zu danken. Es war verwegen, Liebe in Lüge und Lust erzeugen, die feinste Verstellung mit meiner unverberglichen Heftigkeit, <Launen,> Mangel an gesellschaftlicher Erfahrung, Geld und Zuversicht gegen ein Weib durchführen zu wollen. Doch waren sie nicht fruchtloß – sie gaben meiner Seele einen gewaltigen Stoß. –
Mein Wille ist sie zu vergeßen, durch bessre Mittel als bisher – angestrengte Thätigkeit. Das beste wäre wohl häufiger Umgang mit liebenswürdigen Weibern, wenn es nur statt fände. – Hätte ich doch nur 50 Thl. übrig! – und morgen wäre ich bey Schweinitz. Acht Tage bey ihm könnten mich verwandeln.
[17] Meine Leidenschaft ist noch sehr stark. Ich hatte sie <fast> fünf Wochen mit Fleiß nicht gesehen: in diese Zeit fiel meine Krankheit, tiefeindringende Bewegungen ganz andrer Art, und angestrengte Thätigkeit mit interessanten Gegenständen. Vor acht Tagen sprach ich sie wieder – und seitdem hat sie mich Tag und Nacht fast nicht verlassen. Ja mich mit ihr in einem Saale zu wissen, setzt mich in die heftigste Unruhe, wie vom Fieber. Ich bin, scheint es, auch noch nicht aus ihrem Gedächtnisse ausgestrichen: bey ihrem Leichtsinn ein starker Beweis für mich. Wenige Stunden allein könnten mir Aufschlüße geben, die <vielleicht> eine Willensänderung möglich machten. Denn könnte nicht alles Einbildungen seyn? Und dann hätte ich schlecht gegen sie gehandelt. Ich habe mich wenigstens über der Wahrheit zersonnen – aber so ist es, nothwendig flieht sie uns, immer bereit uns unnütz zu quälen. – Nun endlich genung von ihr und vielleicht zuviel. Nur noch die Versichrung, daß ich die Besonnenheit nicht wieder verlieren werde. – Du hast nun reichen Stoff zu Vermuthungen, [18] welchen Gang ich überhaupt immer in der Liebe nehmen werde. – Du wirst von den besten Weibern geliebt seyn, und ich bey den schlechtesten nicht reussiren. Sie können Dich als einen edlen Mann schätzen, und Du verführst sie so gut wie der liebenswürdigste Bösewicht; das wollen <selbst> die besten doch auch haben. – Mich werden nur wenige Weiber bemerken. Den eitelsten werde ich interessant seyn, durch Hoffnung schwärmerischer Bewundrung. Vielleicht bin ich reiner Liebe nur gegen Männer fähig. Die W.[eiber] sind seit einiger Zeit ein Lieblingsgegenstand meines Nachdenkens – aber ich denke gering von ihnen. Liebe, List, Divination Andrer sind häufiger unter ihnen, aber in größrer Vollkommenheit bey wenigen Männern.
Meine erste Liebe war die R. [Caroline Rehberg] und sie hatte sehr viele fast alle von den Kennzeichen, die Du mit so viel Wahrheit ihr beylegst. War gleich der Anfang linkisch, das Ganze sehr jugendlich, so verdanke ich ihr doch unvergeßliche Augenblicke in stiller Empfindung zu Hannover oder in zügelloser Ausgelassenheit in Dreßden. [19] Und endlich stürtzte größtentheils sie mich in die tiefste Melancholie, in der ich ein Jahr in Gött.[ingen] immer tiefer sank, und aus der ich nur langsam und mit Mühe auferstand. – Das dürfte nicht Liebe heißen? – Du treibst eine kleine Pedanterey mit diesem Worte, die man Dir als Virtuoso zu gute halten muß. Bedenke doch welche verschiedene Wesen Mensch heißen! – Deine Leidenschaft zur F. war glaube ich, noch weniger werth als meine zur R. [Caroline Rehberg] und ietzt muß ich diese Vergleichung ganz abwenden.
Sage mir, liebst Du S[ophie]? Ich glaube nicht – Du bist zu glücklich. Und C.[aroline] auch nicht mehr. Beneidenswürdiger! Für die schönste aller Eigenschaften, Liebenswürdigkeit, trägst Du den schönsten Lohn davon, das Glück geliebt zu seyn. – Theile doch endlich Deine Freuden ganz mit mir, und überwinde Trägheit, oder Geheimnißsucht. – Die Erzählung ist noch immer halb, und S.ʼs [Sophies] Bild ist nicht gekommen. [20] Noch immer ist die Stelle aus Cʼs [Carolines] Briefe in meinem Gedächtniß ‚Du zähltest den Mann unter Deine Freunde?ʻ – Ueber die ängstliche letzte Äußerung verlange ich mehr zu wissen. Ich könnte im schlimmsten Fall Dir vielleicht nützlich seyn, und hoffe, wenn Du nach Deutschland zurückkehrst, den Vorzug vor Maynz. Laß mir diese Eifersucht – ich weiß, sie that unendlich mehr für Dich, als ich je konnte. Aber war es nicht auch Glück, blos Verdienst? An Willen glaube ich gleich zu seyn. Und dann wärst Du ihr nur ein Freund – mir aber Alles. Auch hoffe ich künftig Dir mehr zu seyn. – Mit größtem Interesse hörte ich letzthin viel Nachrichten von ihr. – Aber, der Augenblicke, wo sie Buhlerin war, sind doch wohl nicht wenige gewesen? Und sollte sie wohl, wenn die Guten fehlen, mit den Schlechten sich begnügen? Vielleicht müßte man ihr selbst darüber ein Privilegium geben. – Bey kleinen Briefen lege mir immer etwas von ihr bey. Ist es doch fast, als ob ich sie kennte! Gewiß wir müßten harmoniren durch Wahrheitsliebe, Freundschaftsenthusiasmus, und Stolz! Was würde sie wohl von mir denken? [21] Hast Du ihr je von mir gesprochen? – Ist Deine Correspondenz mit ihr gestört? Fast fürchte ich unsre ist es auch; da ich seit einem Monat noch nichts bekommen.
Die gestandnen Ausschweifungen haben mir wohl einige Zeit und Gesundheit gekostet – und sind sehr schlechte Mittel um weise zu werden. Doch war ich nie, die ganze Zeit über, lange unthätig, und noch nie so thätig als itzt. Die Mittheilung unterbleibt, da der Brief oder das Buch doch endlich fort muß. Zudem ist meine Zeit getheilt unter jurist.[ische] Studien und Collegien in Metaphysik; die Nebenstunden sind der medicinischen Lectüre gewidmet. Von dem Neuen der letzten Messe ist nicht viel zu reden. Ich denke seit etwa einem halben Jahre über die Dinge, die mit meinem Leben und meinen Handlungen am innigsten verknüpft sind, sehr viel, und besonders über den Umgang. Ich finde ihn der Anstrengung aller willkürlichen Kräfte würdig, nicht blos als Erwerbung von Connexionen und gesellschaftlicher Klugheit, sondern an sich selbst. Es ist falsch nur Arbeit für die [22] Zukunft verdienstlich zu finden. Aber die meisten leben in Hoffnung und Einbildung, ich will aber in der Gegenwart und in der Wahrheit leben. – Hier hast Du einige Bruchstücke. Für den etwanigen Plan zum Hofmeisterleben habe ich mir Plattner zum Gönner gemacht, dem ich zuwieder war. Ich wußte seinem trivialen Garven zu gefallen, und man darf nur seine kleine Weisheit und unendliche Eitelkeit geduldig anhören, und dann und wann eine Laune nicht bemerken; auf seine Eitelkeit hatte es besonders Einfluß, daß ich ihm Anlaß gegeben, mich für einen bekehrten Kantianer zu nehmen.
Sonst ist es mit allem Umgang, der noch etwas werth war, aus. Des Besten nicht zu gedenken, so ist die kleine Freude mit Hardenberg geendigt. Um bey ihm so wahr sein zu dürfen, als ich war (ich kann Dolche reden) hätte ich mehr Schmeicheleyen lügen müssen. Eitelkeit wegen meiner Meynung von seinen Talenten, und manche gleiche Interesse zog ihn nach häufigen kurzen Entfernungen immer wieder an mich, [23] aber endlich beredete ihn doch beleidigte Eitelkeit, mein Benehmen sey hämische Tadelsucht, und unsinniger Stolz; er hielt mich für gefühlloß und fieng an mir nicht zu trauen. Auch sah ich immer deutlicher, daß er der Freundschaft nicht fähig, und in seiner Seele nichts als Eigennutz und Phantasterey sey.* Dazu kam – er hatte in pöbelhafter Lustigkeit schon einigemal meine Empfindlichkeit auf eine gewisse Art gereitzt; endlich einmal brach ich trocken ab, mit Hindeutung auf ein Duell, obgleich er nichts gesagt, was einer Sottise entfernt ähnlich gewesen. Obgleich ich damals wirklich – das erstemal in meinem Leben – im Zorn war, so würde ich doch noch itzt eben so handeln. Von da erlosch sein Zutrauen, und meine Neigung für immer. Er war mir doch etwas werth – ich wollte ihm so gern nützen, und auch gegen seinen Willen ist es doch wohl geschehen – er hatte Intereße für mich und meine Eigenthümlichkeiten – Verstand und Witz hatte er wirklich nicht wenig. Du hast [24] gewiß nach den Versen und meiner Schilderung ihn Dir zu kindisch denken müssen. Vergebens hoffte ich die Schwäche seines Herzens so zu erklären. Sie wird ewig bleiben und ewig mit schönen Talenten spielen, wie ein Kind mit Karten. Ich sagte ihm noch zuletzt; ‚Sie sehen die Welt doppelt; einmal wie ein guter Mensch von funfzehn, und dann wie ein nichtswürdiger von dreyssig Jahrenʻ.
Auch Berger, von dem ich so wenig geschrieben, weil er mich so wenig angieng, den ich aber täglich sah, seit ich hier bin, ist fort. Wie schätzbar sind doch Rechtschaffenheit, Ehrgefühl, und treue Anhänglichkeit! Ich vermisse ihn – ohngeachtet seines beschränkten Verstandes, seines schwersinnigen Trübsinnes (erregt durch die Forderungen seiner Eitelkeit an sich selbst, und das dunkle Gefühl seiner Schwäche) seiner unzähligen Vorurtheile. Er hatte den tiefsten Respect für Professoren, Bücher und Worte, den größten Eifer, anhaltenden Fleiß, und doch so gar keine Einsicht in das [25] Wesen irgend einer Wissenschaft. Auch seine guten Eigenschaften gehörten nicht ihm zu, es war alles an ihm Gewohnheit und Temperament. Und so ganz ohne innere Bildungskraft die verschiedensten Einwirkungen zu verknüpfen. Die Stücke lagen gleichsam roh nebeneinander. Hier ein großes von der Berlepsch – dort Bruchstücke aus Rousseau – da etwas aus der Caserne und hart daneben etwas von alten adlichen Weibern – hier Hefte von nicht verstandnen Collegien und dann die Empfindungen empfindsamer Schwestern und Mütter, und drunter einige Grundsätze aus Assembleen, und Büreaux dʼEsprits. – Ein rechter Bilderkasten, wie man auf Messen um einen Dreyer sieht – und doch – denke Dir meine unendliche Armuth – vermisse ich ihn. –
Wäre Schweinitz hier, er könnte meinen dreyfachen oder zwiefachen Verlust wohl ersetzen. Ich mäßige meinen Ausdruck mit Bedacht. Denn nach augenblicklichem Gefühl, würde ich sagen; ‚ich hoffe ihn einst neben [26] Dir stellen zu könnenʻ. Aber ich habe mich schon so oft selbst betrogen. Ich werde einen bessern Halt in seiner Seele haben, als Eitelkeit. Ich glaube einige Zärtlichkeit zu bemerken, und ist das, so lasse ich nicht ab, bis er in meiner Gewalt ist. – Meine Kräfte sind weit grösser, als meine Thätigkeit, denn noch immer kämpfe ich mit dem Gedanken; ‚Es ist doch alles umsonstʻ. Fürchterlicher Abgrund! Zu stolz das ‚Etwas besserʻ der Mühe werth zu achten, sich danach zu bücken, sinken wir von der höchsten Einsicht, mit den schwächsten Menschen, immer tiefer in Trägheit und Selbstverachtung. Wir sollen steigen, oder schnell endigen. – Gieb mir den Glauben der Jugend wieder, und das größte wird mir nicht zu schwer seyn. Aber alles ist mir unbefriedigend, leer und eckelhaft – Du selbst, – ich selbst. Mich dünkt oft, als wäre es mir gleich viel, gut oder schlecht, glück[27]lich oder unglücklich zu seyn. Nach diesem Glück und dieser Vollkommenheit lüstet mich nicht; und endliches Unglück hoffe ich wohl ertragen zu können. Ich könnte nun noch viele Bogen anfüllen in Antwort auf den kränkenden Vorwurf der aufbrausenden Ankündigung des Selbstmordes, und des feigherzigen Zögerns. Habe ich ohne Bewußtseyn geschrieben, oder wie konnte das Mißverständniß entstehen, daß ein Weib, ein Weib mich zu dieser Unwürdigkeit treiben könnte? – Der Werth meines Lebens hängt nicht von einem Weib ab. Seit fast drey Jahren ist der Selbstmord täglicher Gedanke bey mir: ich verschob ihn, weil ich einsah, daß ich unvollendet und es also zu früh sey, welches ich sehr weit ausführen könnte: und ich verachte das Unglück zu sehr, um einige Jahre sehr unerträglich zu finden. Doch es giebt Fälle, wo kein Abwägen des Werthes des Lebens gilt, die ich nicht überleben will, und [28] in die meine Dir bekannte Lage mich sehr leicht setzen könnte. Ein Mann muß sterben, ehe er eine Unwürdigkeit thut; aber es giebt auch Unwürdigkeiten des Leidens. –
Nun habe ich mit Dir gerechtet, nun tritt die Liebe, die bisher schwieg, in ihr Recht. Nimm meinen heissesten Dank für Deinen Tadel, und laß es nicht den letzten seyn. – Denke über mich von neuem nach – wir sahen uns lange nicht – und es ist schwer mich zu kennen – die am längsten mit mir lebten, und am schärfsten urtheilten, gaben es ganz auf, wie ich selbst; und theile mir Lob und Tadel zu, wie Dir gutdünkt. Ich reiche Dir den Dolch selbst dar; schone nicht und durchbohre mir das Herz, wenn es nothwendig. Von der Hand eines Bruders kann es nicht schmerzen, und schmerzt es [29] auch, so will ich unsre Freundschaft gern auch mit meinem Blute versiegeln. – Ich glaube an Dich – wenn Du auch einen wahren Dolch gegen mich brauchtest, so würde ich Dir <sterbend> danken, in Gewißheit Deiner weisen Absicht.
Deine Sorgfalt für meine Geldsachen ist sich immer gleich. Ich nehme alles gerne so an, wie Du bestimmt hast, mit der Bedingung, daß Du vorsichtig genung bist, Dich selbst nicht in Verlegenheit zu stürtzen. Die 6 D[ucaten] erwarte ich schon seit einigen Posttagen; wenn sie nur nicht verloren, oder Dich gar Unannehmlichkeiten gehindert. Ich habe indessen nöthig befunden, bey noch jemand Hülfe zu suchen, ohne welche ich itzt nicht mehr seyn würde – und dieser ist Pape. Er verdiente, daß ich ihn Dir in dieser Rücksicht gleichsetzte. Ich erhielt sogleich, was ich verlangt 100 Thl. und nun bin ich noch 200 Thl. schuldig. – Billigst Du mich? Es [30] war nicht Feigheit – denn ich hätte den Todt vorgezogen, lieber als einen kriechenden Brief an meine Eltern. – Wenn man weiß, daß man geben würde, so darf man fordern, auch besteht die Freundschaft nicht in Geschwätz, sondern im Thun. Und ich weiß – unsre Freundschaft wird gewinnen. ‚Aber seine Sonderbarkeiten? Ist es nicht gefährlich?ʻ Auf jeden Fall ist etwas in meiner Brust, welches bey jeder Gefahr ganz sicher ist. –
Schl.
den 25ten abgeschickt.

[8] * Daß die Erkenntniß der Wahrheit ein nothwendiger Zweck der Menschheit sey, dadurch gestört werde, ist unzureichend.
[23] * Ich sagte ihm einmal; ‚Sie sind mir bald liebenswürdig, bald verächtlich.ʻ
  • Schlegel, Friedrich von  Zeitverzug  sich entschuldigen  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schlegel, Friedrich von  Brief  senden  Schlegel, Johann Adolf
  • Schlegel, Friedrich von  Brief  senden  Schlegel, Johanna Christiane Erdmuthe
  • Schlegel, Friedrich von  Brief  senden  Pape, Georg Wilhelm August von
  • Schlegel, Friedrich von  Anteilnahme  tadeln  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schlegel, Friedrich von  Begegnung  Limburger, Laura
  • Schlegel, Friedrich von  Liebe  erinnern  Rehberg, Caroline
  • Schlegel, Friedrich von  Liebe  erinnern  Huber, Therese
  • Schlegel, Friedrich von  Porträt  empfangen  (Sophie)
  • Schlegel, Friedrich von  Zeitverzug  beklagen  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schlegel, Friedrich von  Bücherkauf  Leipziger Buchmesse
  • Garve, Christian  wertschätzen  Schlegel, Friedrich von
  • Platner, Ernst   wertschätzen  Schlegel, Friedrich von
  • Schlegel, Friedrich von  Kontaktabbruch  Novalis
  • Schlegel, Friedrich von  Freundschaft  planen  Schweinitz, Hans Julius von
  • Schlegel, Friedrich von  Geldsendung  erwarten  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schlegel, Friedrich von  Geld  erbitten  Pape, Georg Wilhelm August von
  • Schlegel, Friedrich von  Geld  erbitten  Schlegel, Johann Adolf
  • Schlegel, Friedrich von  Geld  erbitten  Schlegel, Johanna Christiane Erdmuthe
Briefkopfdaten
  • Datum: Mittwoch, 21. November 1792 bis Sonntag, 25. November 1792
  • Absender: Friedrich von Schlegel ·
  • Empfänger: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Absendeort: Leipzig · ·
  • Empfangsort: Unbekannt
Druck
  • Bibliographische Angabe: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 69‒79.
Handschrift
  • Datengeber: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Signatur: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.17
  • Blatt-/Seitenzahl: 30 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 16 x 10,2 cm
Sprache
  • Deutsch

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