[1] Ich hörte in meinem lezten Briefe bei dem auf, was die Griechen so ganz von allen andern Völkern absondert, sie so unendlich hoch über sie erhebt, was weder Kunstsinn, noch hohe Bildung, noch Erhabenheit, noch Verstand ist; was aber alles dieses in sich faßt. Etwas, was ich an modernen Helden durchaus vermiße, selbst an Friedrich, dessen Größe doch der Römischen Erhabenheit ähnlich ist. Ich vermiße es an Shakespear; und Göthe scheint es nur zu besitzen. – Das einzige Werk von Raphael, welches ich kenne, scheint mir von diesem antiken Geiste beseelt. –
Die poetische Sittlichkeit in des Pfarrers Tochter von Taubenhain scheint mir nur äußerlich und zufällig; sie kann zur Lehre und Warnung dienen, zu Gott aber zu erheben, weiß sie nicht, sie wird, wer nur Nerven hat, mit jämmerlichem Eckel erfüllen? – Deine Rührung über den braven Mann theile ich ganz; ich gestehe Dir aber in meiner Einfalt, daß ich nur ihm selbst dafür gedankt habe, dem Dichter nicht mehr, als daß er nichts verdorben hat. Die poe[2]tische Sittlichkeit muß Werk und Verdienst des Künstlers seyn, wie sie denn auch Forderung der Kunst ist, nicht Gabe der Natur, die den Stoff giebt. – Im Tasso rechtfertigt wohl eigentlich den Dichter die feste Ruhe der Darstellung, die ich beym Schluß des Werthers vermiße, und die G.[oethe] wenn er den W. [erther] später gedichtet, vielleicht nur mit Flachheit erkauft hätte, wie es sich hie und da in seinen spätern Werken zeigt. Diese Ruhe soll blos in dem Künstler liegen; denn stürbe Werther wie ein Held, so wäre er ganz etwas anders, so wäre er zu groß für sein Jahrhundert, nicht zu klein für sein Herz, wie er es wirklich ist. – Sie ist das Verhältniß einer erhabenen Seele zum Schicksal und allen seinen Schrecken und Verwirrungen. Aber so wie die Standhaftigkeit nur in großen Leiden geprüft wird, so ist sie nur bey mächtiger Erschütterung ein Verdienst, nehmlich in Verbindung mit Pathos. Das größte Muster ist hier ohne Zweifel Aeschylus.
In der Absicht, Dir deutlicher zu machen, wie ich von der poetischen Sittlichkeit den[3]ke, und wie wenig ich sie in etwas Zufälliges setzen kann, füge ich hinzu, daß ich mir zutraue, den Aristophanes als Muster der Sittlichkeit der komischen Poesie darzustellen. – Ich kann unmöglich den Fernando unsittlich finden, wenn er auch liebenswürdig, und nicht blos geliebt wäre. Den Schluß der Stella aber finde ich in Rücksicht der Sittlichkeit vortreflich.
Ueber die Onomapoietica bin ich gegen Schiller ganz Deiner Meinung. Du hättest auch noch die Auktorität der Griechen für Dich anführen können, besonders den Aristophanes. Doch muß ich Dich erinnern, daß die Beyspiele aus Göthe eigentlich Ausbrüche einer Laune sind, nicht Nachahmungen eines physischen Klanges, die ich mir nicht ganz rechtfertigen kann. –
Deinen Unterschied unter dramatischen und lyrischen Dichtern erkenne ich an. Aber vergißt und verliert der bildende Künstler nicht auch sich selbst, wie der dramatische Dichter? Versinkt der Musiker nicht in sich selbst, wie der leztere? Kann man nicht beydes vom Denker sagen? – Ich würde sa[4]gen, das Wesen des Dichters sey Harmonie innrer Fülle. Das wesentliche Attribut, Trieb nach diesem Bewußtseyn <innrer Fülle in Harmonie>; die äußre Erscheinung dieses Attributs Trieb zur Darstellung (nicht bloß zur dramatischen, sondern auch zur lyrischen). – Ist aber nicht diese Bemühung überhaupt vergeblich, den Charakter einer Classe von Menschen, durch eine Definition bestimmen zu wollen? – Dein Unterschied hat mich noch daran erinnert, daß die modernen Dichter sich in zwey Classen zu theilen scheinen, die musikalischen und die bildenden. Göthe neigt sich mehr zu den lezten. Bürger, Klopstock und selbst Schiller sind ganz lyrisch. Shakespear möchte ich μουσικοτατον των ποιητων nennen: und wieder ist er dramatischer wie irgend ein neuerer Dichter. Doch bekenne ich Dir scheinen diese beyden Elemente seines Genies abgerißen zu wirken, nicht so schön vereinigt, wie bey allen griechischen Dichtern. –
Den 15ten December.
Die poetische Sittlichkeit in des Pfarrers Tochter von Taubenhain scheint mir nur äußerlich und zufällig; sie kann zur Lehre und Warnung dienen, zu Gott aber zu erheben, weiß sie nicht, sie wird, wer nur Nerven hat, mit jämmerlichem Eckel erfüllen? – Deine Rührung über den braven Mann theile ich ganz; ich gestehe Dir aber in meiner Einfalt, daß ich nur ihm selbst dafür gedankt habe, dem Dichter nicht mehr, als daß er nichts verdorben hat. Die poe[2]tische Sittlichkeit muß Werk und Verdienst des Künstlers seyn, wie sie denn auch Forderung der Kunst ist, nicht Gabe der Natur, die den Stoff giebt. – Im Tasso rechtfertigt wohl eigentlich den Dichter die feste Ruhe der Darstellung, die ich beym Schluß des Werthers vermiße, und die G.[oethe] wenn er den W. [erther] später gedichtet, vielleicht nur mit Flachheit erkauft hätte, wie es sich hie und da in seinen spätern Werken zeigt. Diese Ruhe soll blos in dem Künstler liegen; denn stürbe Werther wie ein Held, so wäre er ganz etwas anders, so wäre er zu groß für sein Jahrhundert, nicht zu klein für sein Herz, wie er es wirklich ist. – Sie ist das Verhältniß einer erhabenen Seele zum Schicksal und allen seinen Schrecken und Verwirrungen. Aber so wie die Standhaftigkeit nur in großen Leiden geprüft wird, so ist sie nur bey mächtiger Erschütterung ein Verdienst, nehmlich in Verbindung mit Pathos. Das größte Muster ist hier ohne Zweifel Aeschylus.
In der Absicht, Dir deutlicher zu machen, wie ich von der poetischen Sittlichkeit den[3]ke, und wie wenig ich sie in etwas Zufälliges setzen kann, füge ich hinzu, daß ich mir zutraue, den Aristophanes als Muster der Sittlichkeit der komischen Poesie darzustellen. – Ich kann unmöglich den Fernando unsittlich finden, wenn er auch liebenswürdig, und nicht blos geliebt wäre. Den Schluß der Stella aber finde ich in Rücksicht der Sittlichkeit vortreflich.
Ueber die Onomapoietica bin ich gegen Schiller ganz Deiner Meinung. Du hättest auch noch die Auktorität der Griechen für Dich anführen können, besonders den Aristophanes. Doch muß ich Dich erinnern, daß die Beyspiele aus Göthe eigentlich Ausbrüche einer Laune sind, nicht Nachahmungen eines physischen Klanges, die ich mir nicht ganz rechtfertigen kann. –
Deinen Unterschied unter dramatischen und lyrischen Dichtern erkenne ich an. Aber vergißt und verliert der bildende Künstler nicht auch sich selbst, wie der dramatische Dichter? Versinkt der Musiker nicht in sich selbst, wie der leztere? Kann man nicht beydes vom Denker sagen? – Ich würde sa[4]gen, das Wesen des Dichters sey Harmonie innrer Fülle. Das wesentliche Attribut, Trieb nach diesem Bewußtseyn <innrer Fülle in Harmonie>; die äußre Erscheinung dieses Attributs Trieb zur Darstellung (nicht bloß zur dramatischen, sondern auch zur lyrischen). – Ist aber nicht diese Bemühung überhaupt vergeblich, den Charakter einer Classe von Menschen, durch eine Definition bestimmen zu wollen? – Dein Unterschied hat mich noch daran erinnert, daß die modernen Dichter sich in zwey Classen zu theilen scheinen, die musikalischen und die bildenden. Göthe neigt sich mehr zu den lezten. Bürger, Klopstock und selbst Schiller sind ganz lyrisch. Shakespear möchte ich μουσικοτατον των ποιητων nennen: und wieder ist er dramatischer wie irgend ein neuerer Dichter. Doch bekenne ich Dir scheinen diese beyden Elemente seines Genies abgerißen zu wirken, nicht so schön vereinigt, wie bey allen griechischen Dichtern. –
Den 15ten December.