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Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

[1] Dreßden, den 17ten August 1795.
Ich danke Dir herzlich für Deine Nachrichten von Hannover und von Michaelis. Es ist mir ungemein werth zu wissen, daß der letzte so liberal denkt und über den Aufschub nicht ungehalten ist. Ich hatte unvorsichtigerweise mein Wort gegeben. Ich habe die Zeit damit verdorben, große Abhandlungen für Biester auszuarbeiten, die nicht nach seinem Geschmack sind.
Daß ich Dreßden nicht verlassen kann, wird Dir Karoline schon nebst den Ursachen gesagt haben. Könnte ich es auch verlassen, so dürfte ich auch nicht nach H.[annover] gehn, wegen der Mutter. Denn in diesem Stück bin ich nicht Deiner Meynung. Es würde mir durchaus unmöglich seyn, ihr die geringste Sorge zu erregen, oder ihr gutes Herz in Gefahr zu brin[2]gen, sich selbst zu vergessen. Ich werde also nie nach H.[annover] gehen, bis ich mit der völligsten Sicherheit leben kann.
Du hast Recht, ich habe Michaelis etwas weiß gemacht, ich hätte Dir das M[anu]scr[ipt] geschickt. – Ich weiß nicht, wie es kam: ich hätte es überdem wirklich sehr gern gethan, weil es mir an brauchbarer Critik fehlt. So geht es wenn man lügen will und verstehts nicht. Ueberhaupt ist meine Ungeschicklichkeit in Verbrechen aller Art vollkommen. Ich verstehe nur die Ehrlichkeit. Die Ursache ist der Mangel an Routine.
Hier ist Dein Dante, den Schiller geschickt hat. Ich wollte er hätte das Ganze beysammen gelassen. Solche Dinge ließt man ungern zerschnitten. Die Teufeltheorie hat meinen ganzen Beyfall: die beyden Stücke sind höchst merkwürdig, die Schlangenverwandlung erinnerte ich mich, aber das zweyte schöne Stück war [3] mir ganz neu. So weit ich beurtheilen kann, ist die Behandlung ganz untadelich. Aber vielleicht ists die Schuld von dem Zerschneiden, daß die zweyte Lektüre einen größern und wohlthätigern Eindruck macht als die erste. Ich sage Dir dieß nur, um anzudeuten daß ich wünsche, Du möchtest fernerhin so oft Du Neigung fühlst, über die Gedichte zu reden, Dir ja freyen Lauf lassen. Vielleicht hätte dieß selbst hier noch mehr geschehen können. Bey dem sehr bedeutenden Sarkasm wieder Florenz muß man das ganze politische Verhältniß des Dichters kennen, um den Sinn zu fühlen. Ich erinnere mich was Du mir mitgetheilt hast, was zum Theil auch in Bürgers Ak.[ademie] gedruckt ist: ich habe den Dichter mehr als einmal ganz gelesen. Aber wie die andern Leser? – Bey der Schlangenverwandlung gibst Du einen bedeutenden Wink [4] über die Mysterien der Hölle – schweigst aber, da man Dich gern noch länger hörte. Kurz man wünschte noch hie und da ein Licht, ein Druckerchen: <Lottchens Mahler nennt das die Delikatessen, die er zuletzt auf die Zeichnung setzt.> Denke Dir immer einen Menschen, den Du mit der Nase drein stossen müsstest. Denn so ein Mensch ist das Publikum: ein Mensch den man übrigens <noch obendrein> da er in den eiligsten Marktgeschäfften sich umhertreibt, geschickt beym Ermel fassen und festhalten muß, ohne daß er es für eine Grobheit aufnimmt. –
Darf ich fragen ob Du ausser dem Dante schon eine bestimmte Arbeit unter den Händen hast? – Vor einigen Jahren glaube ich schrieb ich Dir nach Amsterdam: ‚Concentrire Dichʻ. Damals hatte das keine Bedeutung. Jetzt ist es ein Wort zu seiner Zeit. Zerstreue Dich nicht in Lektüre, in litterarischen Kleinigkeiten. Thue Dir Gewalt an. Wer immer warten wollte, bis die Begeisterung vom Himmel käme, würde endlich [5] in Bürgersche Trägheit versinken. Schiller muß nach Körners Ausdruck die Gedanken mit der größten Anstrengung heraufpumpen. Auch Göthens Leichtigkeit ist oft die Frucht von unsäglichem Fleiß und großer Anstrengung, ohne solche wüthende Art wie Sch.[iller,] der sich durch Weintrinken begeistert.
Crusen danke herzlich von mir. Ich werde ihm nächstens schreiben. Mit wahrer Beklemmung habe ich von Eurem wiedrigen Verhältniß zur Mutter in Ka.[rolines] Brief gelesen.
Ich habe Dir nichts schicken können was ich nicht habe, und nichts sagen was ich nicht weiß. Die Diotima steht im Julius der Berl.[iner] M.[onats-] Schr[ift]: das Ende wird im August erscheinen. Den Sophokles hat er mir zurückgeschickt. Der Aufsatz über das Studium pp. kommt in die Berl.[iner] M.[onats-]Schr[ift] oder in die Horen, oder in die Beyträge. Der Aufsatz über [6] die Schulen (aber genau wie Du ihn gelesen hast) und über die Komödie in November und December Berl.[iner] M[onats-]S[chrift] 94. – Ueber weibl.[iche] Charaktere pp. September und Oktober 94 des Damenj[ournals]. – Geraume Zeit vor Ostern schrieb Böttiger in Weimar, Wieland würde den Aufsatz über die Grenzen des Schönen mit Vergnügen unter der gemachten Bedingung (6 Thl. Hon[orar]) einrücken. Ist er noch nicht gedruckt, so wird er es schwerlich. Karoline wird ihn Dir vorlesen. Ich bin sehr begierig Dein Urtheil über diesen und die Diotima zu erfahren. – In dem Aufsatz sind ganz schreckliche Druckfehler in nicht geringer Anzahl.
Ihr seyd wunderliche Menschen, daß Ihr von einer philosophischen Abhandlung die Art von Klarheit verlangt, die man in einer historischen Darstellung wünscht. Ich strebe [7] im Philosophischen nach der höchsten Bestimmtheit, ohne selbst Trockenheit zu fürchten. Ich bin mit dem Aufsatz über das Stud.[ium] in dieser Hinsicht schon sehr zufrieden, und Biester weiß nicht was er will. Im Soph[okles] war der Ausdruck wirklich verfehlt, und das Kolorit trug das Gepräge der hypochondrischen Winterluft.
Ich will aber sehr gern versprechen recht viel historische Versuche auszuarbeiten, um meiner Sprache frisches Leben und klare Anschaulichkeit zu erhalten.
Deine heftige Anti-Kantik erinnert mich an unsre Verwandtschaft. Laß Dich umarmen! Du bist ein Schlegel – Schlegeliκωτατος.
Eben wenn ich durch bin, so wird mein Styl klar werden. Und ich bin auf dem Punkt, wo ich weiß, daß [8] ich durch eine Anstrengung, die nur angenehm seyn kann, mein Ziel erreichen kann. Auch muß ich früher oder später durch. Schiller und Humb[oldt] pfuschen viel in der Metaph[ysik], aber sie haben den Kant nicht verdaut, und leiden nun an Indigestion und Kolik. Der größte metaphysische Denker, der jetzt lebt, ist ein sehr populärer Schriftsteller. Das kannst Du aus den berühmten Beyträgen sehn, in welchen Rehberg gespießt wird. Vergleiche die hinreißende Beredsamkeit dieses Mannes in den Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten mit Schill.[ers] stylisirten Deklamationsübungen. Er ist ein solcher, nach dem Hamlet vergebens seufzte: jeder Zug seines öffentlichen Lebens scheint zu sagen: dieß ist ein [9] Mann.
Humbold grämt sich, weil Kant geschrieben hat, sein Aufsatz über die Geschlechter, welchen man nun wirklich nicht wohl verstehen kann, möge wohl von einem sehr scharfsinnigen Kopf seyn, es sey ihm auch wohl dergl.[eichen] durch den Sinn gefahren, aber es lasse sich nichts damit machen. Das wurmt ihn.
Doch habe ich für jetzt mit den Beyträgen zu thun. Ich werde Mich.[aelis] vorschlagen drey drucken zu lassen, und die Diotima damit zu vereinigen. Die übrige Zeit des Winters brauche ich um den politischen Vorrath auszuarbeiten, so weit es hier geschehen kann – etwa zwey kleine Bände. Es ist Hoffnung, daß die Bibliothek wieder geöffnet werde. Künftiger Sommer ist für den [10] Kant bestimmt.
Du liebst die wissenschaftliche Form nicht und empfiehlst mir Hemsterhuys Gespräche. Wenn Du mir erlauben willst, ohne mich des Rothwelsch zu beschuldigen, daß ich alle die, welche sich der Ausbildung in sich und der Mittheilung gegen andre desjenigen ausschließlich widmen, was eigentl.[ich] für jeden Menschen höchster Zweck des Lebens ist, Künstler zu nennen: so giebt es drey Arten Künstler. Ihr Ziel ist das Wahre, das Schöne, das Gute. Bey den Griechen war die Mittheilung des Wahren und des Guten vereinigt: die Philosophie der Weisen lag nicht weniger in ihrem Leben als in ihren Lehren. Einige theilten die Tugend im [11] Umgang mit wie Sokrates, andre in Schrifften wie Plato. Die Vereinigung der beyden verschiedenen Zwecke war nicht selten beyden sehr schädlich wie auch Roußeauʼs Beyspiel Dir beweisen kann.
Den Werth der Wahrheit und der Wissenschaft wirst Du vermuthlich nicht läugnen.
Ueber den Sokrates magst Du die Diotima fragen. – Ich glaube daß der grosse Zweck des Sok.[rates] auch in unsrer Schriftstellerey auf doppelte Art erreicht werden kann. In der einen ist der überschickte Aufsatz mein erster Versuch. Mehrere wie die andre Art müssen für eine glücklichere Zeit aufgeschoben bleiben. – Eine solche Rede muß ganz frey seyn von den Dornen der Methode, [12] von den Fesseln des Systems. Das ist die Philosophie, deren Aehnlichkeit mit den Dithyramben so auffallend ist. – Hemst.[erhuis] könnte vielleicht noch freyer seyn. An der Form hängt es nicht. Seine ist nur für Dillettanten des Plato, wie er wohl wußte, da er sie nicht für die Welt bestimmte.
Lebe wohl.
Friedr.

Mit den Deutschen Annalen ist die Sache noch nicht so richtig: denn Göschen ist veränderlich und K.[örner] ist unbiegsam.
Was sagst Du vom Meister und von den Elegien?
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Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 17. August 1795
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Dresden · ·
  • Place of Destination: Braunschweig · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 246‒249.
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34222
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.b,Nr.69
  • Number of Pages: 12 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,9 x 11,6 cm
Language
  • German

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