[1] Dreßden, den 23ten December 95.
Macte virtutis! d. h. schreibe nur immer so weiter an Amalia, oder ich habe endlich zwey Deiner Briefe gelesen, und bin sehr erfreut und für das entsetzlich lange Warten belohnt. Es ist darin die Reinheit, Weichheit und Klarheit vollkommen erreicht, nach der ich so oft umsonst strebe. Eben so untadelhaft ist die Anordnung. Ganz was sie seyn soll, gesetzlich frey – so daß Du selbst wagen durftest, sie dithyrambisch zu nennen. Und die Anordnung ist doch eigentlich das große Wesentliche – die Zeichnung des Schriftstellers. Im Einzelnen hat mir die ‚Werkstätte des Dichtersʻ im Eingang am schönsten geschienen. Karoline hatte sehr Recht zu sagen, daß Dissonanzen Dir unmöglich wären. [2] Du giebst dem Kritiker wenig Anlaß sich in Thätigkeit zu setzen, und ich habe vergeblich (versteht sich, nicht in den ersten Tagen der Bekanntschaft) nach einem Flecken in Rücksicht der Form gesucht. Der Stoff ist so reichhaltig, daß darüber sich unendlich viel reden ließe. Wenn wir nur einmal beysammen seyn könnten! – Ich wünschte, daß Du bey Deinen Untersuchungen über Sprache pp. eine Abhandlung darüber von Fichte in Niethammers philosophischen Journal lesen möchtest. Du darfst hier nicht Schillersche Scholastik fürchten: denn dieser Denker, der wenn es seyn muß, Kant und Spinosa zurückläßt, kann auch, sobald er reden will, Rousseau übertreffen. Ich bin auch darüber mit Dir sehr einig, daß der Antheil der Empfindung an der Sprache weit [3] grösser ist, als gemeine Denker wißen und lehren. Wie natürlich ist auch dieß! Alle diese Gelehrte, Forscher, Denker und Vernünftler haben mehr oder weniger doch einigen Sinn für das Intellektuelle und Charakteristische. Aber unter hunderten dieses Geschlechts hat kaum einer auch nur ein Organ für die musikalische Seite des Universums. – Ich nehme mir die Freyheit, Dir aus meinem musikalischen Kollektaneen einige Gedanken über dasjenige herzusetzen, was noch ausser dem Rythmischen und Melodischen in der Sprache musikalisch ist. Ich gehe gleichfalls von dem Satze aus daß die Sprache aus musikalischen Bestandtheilen (Aeußerungen innrer Zustände) und charakteristischen (Nachahmung äusserer Gegenstände) zusammengesetzt ist. – Aller Schall ist [4] von zwiefacher Art α) Der bewegte Gegenstand enthält nicht den Grund der schallenden Bewegung; er ist physisch. β) er enthält ihn. Die Wirkung entspricht dem Wirkenden. Der organische Laut ist beseelt und ein Abdruck des innern Zustandes der organischen Kraft. In dem organischen Laut unterscheiden wir 1) seine Qualität 2) seine Quantität α) die intensive Höhe und Tiefe (τονος, Stimme). β) die extensive (Dauer, Takt, Tempo) – α) Melodie und β) Rythmus 3) Relazion. – Harmonie. Ich rede hier nur von der 1). Bis ietzt fehlt es an einer aesthetischen Theorie der musikalischen Qualität – nicht zum Vortheil der Philosophie der Sprache! Denn hier glaube ich den gewiß sehr tief liegenden Grund des Reims entdeckt zu haben. – Sie ist gleichsam die musikalische Masse, [5] welche der Form freylich untergeordnet werden muß. Mit andern Worten; nur durch die höchste Homogenität wird die musikal.[ische] Qualität kommensurabel, und also musikal.[ische] Quantität d. h. Rythmus und Melodie möglich. Ihre unendliche Wichtigkeit auch hier wirst Du leicht zugeben, wenn ich Dich erinnre, daß alle die Modifikazionen und Nüanzen des Vortrags als piano, forte, dolce, espress.[ivo], lento u.s.w. pp ihr angehören, d. h. alles dasjenige was bey gleichem Tempo einen richtigen und einen seelenvollen musikal.[ischen] Vortrag unterscheidet. Sie giebt der Musik das Individuelle welches allerdings jetzt sehr gemißbraucht wird, indem man sogar eine Kunst, deren Zweck durchaus nur das Schöne seyn kann, zum Interessanten erniedrigt, und durch sie charakterisiren will [6] (Vogler ist zum Gelächter geworden, weil er in der Narrheit konsequent war, aber vielleicht ist kein Musiker unseres Zeitalters von allen Voglerismen frey) ohne welches aber das Trefliche in der Kunst nicht wohl möglich ist. – Jedes organische Wesen hat seinen eignen organischen Laut, und wo auch die Aeußerung nicht wirklich vor sich geht, ist doch die Tendenz da. Jeder organische Laut, so sehr er zum allgemeinen erhöht seyn mag, hat doch etwas Individuelles, welches wie alle Individualität unerschöpflich und im eigentlichen Sinn unendlich ist. – Von dem Menschen kann man nicht sagen, daß er ein eignes thierisches Geschrey habe; denn unbestimmte Bestimmbarkeit ist <eben> der Unterschied s.[einer] Thierheit von der <der> andren Thiere, welche eine bestimmte Richtung haben. Allein man kann dem Men[7]schen, weil er die Macht hat zu schreyen wie er will, doch nicht das Vermögen thierischer Laute absprechen. Beschreiben nicht alle Reisenden die Mittheilung der Wilden mehr als ein thierisches Geschrey als eine Sprache, und ich glaube immer das Kollern der Hottentotten, Heulen der Pescherähs u.s.w. würden s.[ich] immer mehr aus dem Klima und den Nahrungsmitteln, die sie zu sich nehmen, als aus den Thieren, die sie nachahmen könnten erklären lassen. Diese thierischen Laute scheinen mir die Grundlage der Sprache, Bezeichnung und menschliche Stimme Frucht langer Uebung und späterer Bildung. Würde es eine Sprache geben, wenn es keine Neigung zum sprechen – keine organische Tendenz thierischer Laute gäbe? Was erwacht eher, Empfindung [8] oder Verstand? Ehe man das Zischen Kappen u.s.w. <durch ähnliche Laute> bezeichnen konnte, mußte man schon diese Laute bis zur Fertigkeit geübt haben. Woher endlich die so auffallende und so grosse Verschiedenheit der Grundgesetze der Sprachbildung in verschiednen Sprachen in Mischung der Konsonanten u.s.w. wenn sie nicht aus der Organisazion herrühren? Doch ich bin für ietzt zu erschöpft, um diesen Gegenstand noch weiter zu verfolgen. Ueber den Reim wirst Du etwas in meiner Schrift finden, welches Du aber nicht misverstehen mußt. In der schönen Kunst kann ich ihn freylich nicht gelten lassen, aber wenn der Zweck der charakteristischen Poesie das Interessante ist, erkenne ich seinen großen Werth und s.[eine] volle Gültigkeit vollkommen an.
Wie bald Du meine Schrift erhalten [9] wirst, kann ich durchaus nicht sagen. Michaelis ist vermuthlich ganz mit dem Allmanach beschäftigt, und hat mir lange nicht geschrieben. Ich habe ihm die Eintheilung ganz überlassen. Ich vermuthe aber nicht daß er für den ersten Band, zu der ersten Abhandlung vom Studium der Griechischen Poesie, <deren Ende vor 2½ Wochen abgeschickt,> welche nach dem gewöhnlichen Format 18–20 Bogen betragen muß, noch die zweyte von den Zeitaltern, Schulen und Dichtarten hinzunehmen wird; sonst würde er leicht über 30 Bogen stark werden. Wahrscheinlich wird also diese nebst der Abhandlung von den Verhältnissen der Griechischen Poesie den zweyten Band ausmachen. Ich hoffe beyde in 14 Tagen etwa absenden zu können. Die Geschichte der Attischen Tragödie würde dann den dritten Band ausmachen. Er kann auch nach Ostern erscheinen: denn der größte [10] Theil war schon vor einem Jahr fertig. Die Forderungen des Gelehrten <Kenners der Griechen> denke ich in der zweyten befriedigt zu haben. Es sind aber doch allesammt nur unvollendete Werke, besonders die erste Schrift. Dein Anerbieten in Betreff Schützens nehme ich mit Dank an. Auch was Heyne betrift. Nur wird dem letzten mit der ersten Abh.[andlung] nichts gedient seyn. Ich habe Mich.[aelis] vorgeschlagen den zweiten Band unter dem Titel: Grundriß einer Geschichte der Griech.[ischen] Poesie besonders zu verkaufen. <Diesen können wir denn an H.[eyne] schicken.> Ich zweifle doch daß er mir die Philosophie und die Kritik verzeiht. Sonst halte ichʼs gar sehr der Mühe werth, mich ihm zu empfehlen. – Wolfen, Herdern, Voßen, und Böttichern denke ich selbst Exemplare zu schicken. Mit dem letztern bin ich durch die von Dir so sehr mißverstandenen und verunglimpften Gränzen [11] in Konnexion gekommen. Er hat mir schon ehedem viel Artiges sagen und ietzt eine Anfrage an mich ergehen lassen, (die ich wenigstens nicht von der Hand weisen werde) ob ich wohl für ein Attisches Museum von Wieland, (dessen erster Band bald erscheinen und den übersetzten Panegyrikus des Isokrates und den Anfang des Agathodemos eines Romans in Griech.[ischem] Kostüm von Wiel.[and] enthalten wird) aus Griechischen Rednern übersetzen wolle? – Für die Horen habe ich sehr viel Kleines und Grosses in Bereitschaft liegen. Ich erwarte nur erst ein Kopfnicken des Gnädigsten, vorzüglich aber daß die Zeitalter und die Verhältnisse fort sind. Eher kann ich nicht recht Frey und ganz arbeiten. –
Der Tempel zu Sais ist allerdings von Sch[iller]. Der Fehler ist Dein und nicht mein. Ich hatte [12] sehr bestimmt geschrieben, alle Gedichte in dem St.[ück] ausser einige die ich nahmhaft machte, wären von Sch[iller]. – Das Billet an B[ecker] ist besorgt. Er freut sich sehr über den Aufsatz, und ist überhaupt immer voller Süssigkeit. Du möchtest auch das Taschenbuch nicht vergessen, und die Poesie nicht verabsäumen. Es wäre in der That Schade. Ein guter Gedanke ist es, daß er einzelne Stücke, Fragmente aus Sh.[akespeare] in die Quartalschrift wünschte. Auf diese Weise kriegst Du sie doppelt bezahlt. Er sagte mir nach dem Format der Horen gerechnet, gäbe er für den Bogen doch 16 Thaler. Das Einliegende ist für Kar.[olines] Brief, der aber noch nicht hier, und von mir also nicht gelesen ist. – Für einen αμουσος, in whose soul is Erebus and eternal darkneß ist Dein amüsanter [13] Zorn über die Nicht-Naumannsche Komposition Deines amorous song sehr heftig. Närrischer Mensch, laß Dich den Nahmen nicht blenden, N.[aumann] giebt sich bey einem Liede fast nie Mühe <und macht sie oft sehr schlecht>, wie das vorige, und der Schmidt ist gar nicht unbekannt. Dich zu beschweren hast Du keine Ursache: denn es ist Dir gleich gesagt [worden], daß es viel zu spät sey, um eine Komposizion von N.[aumann] zu haben. Reichardt ist wohl ietzt einer der besten in diesem Fache. Er kann aber auch mittelmäßig komponiren, wie die Lieder im Meister beweisen. – Auf Deine Recension der Horen bin ich sehr begierig. Es scheint man will den gemachten Schnitzer wieder gut machen. – Schiller hat schon vor vielen Wochen von einer Tragödie geschrieben, die er machen will, aber nicht der grosse [14] Pappenstiel, der im dreyssigjährigen Kriege so berühmt ist, soll der Held seyn, sondern der ganze Orden der Maltheser-Ritter. Es soll eine schöne Tragödie werden d.i. eine Griechische d.i. eine mit Schicksal und mit Chor. Er fragte Körner nach dem Chor. Ich dachte erst, einige Sibyllinische Blätter Aphorismen über den Chor an ihn gelangen zu lassen durch K.[örner], fand es aber doch nachher unnöthig. Ich schmeichle mir zu wissen, was der Griechische Chor ist, welches von denen die geschrieben haben, niemand gewußt hat. Eine Kenntniß die über die Tragödie und die Poesie überhaupt unendliche Aussicht giebt, und die schwersten Knoten löset. –
Ein kleiner Aufsatz, über dem ich schon lange brüte, wird von Homers Styl und dessen Aechtheit handeln, und sich auf Wolfs berühmte Prolego[15]mena beziehen. Diese, die so grosse Sensation gemacht haben, zu lesen, hast Du wohl noch nicht Zeit gehabt? Mit dem Skeptischen, und Kritischen bin ich völlig einverstanden. Du würdest Dich freuen hier, was Du sonst so scharfsinnig vermuthtet hast, wiederzufinden. – Aber er hat einige chimärische Hypothesen beygemischt, wie Skeptiker überhaupt das Dogmatisiren, zu dem sie kein Talent haben, am Ende doch nicht lassen können. Es ist wirklich etwas Genialisches in ihm. Aber an Philosophie, an Geschmack, und vielleicht an Kenntniß der ganzen Masse der Griechischen Poesie fehlt es gar sehr. Der kleffende Ton in Voßens mythologischen Briefen ist unangenehm: aber es ist reicher Stoff <darin> zu fruchtbaren Untersuchungen, und Einiges was [16] als grosser Gewinn des ganzen Studiums angesehn werden kann.
Ich behalte mir vor Dir über die Improvisatoren noch einmal das Deinige zu geben.
Friedrich.
Was eine Ankündigung helfen soll wenn man keinen Verleger hat, begreife ich nicht. Auch nicht was eine nahmenlose schaden soll. Kar.[oline] danke nochmals für Ihre fortgesetzte Vermittlung. Wie ich von Euch Nachricht erhielt, war es lange zu spät.
Ihr seyd so wunderlich, daß Ihr mich dahin bringen könntet, eine Satire wieder Göthe zu schreiben.
Du nun schimpfst, wenn ich die Briefe zusiegle, die andre schmählt, wenn ich sie nicht zusiegle. Der Henker mag mit Euch auskommen.
Mit der Reue sag nur hätte es seine Richtigkeit.
Macte virtutis! d. h. schreibe nur immer so weiter an Amalia, oder ich habe endlich zwey Deiner Briefe gelesen, und bin sehr erfreut und für das entsetzlich lange Warten belohnt. Es ist darin die Reinheit, Weichheit und Klarheit vollkommen erreicht, nach der ich so oft umsonst strebe. Eben so untadelhaft ist die Anordnung. Ganz was sie seyn soll, gesetzlich frey – so daß Du selbst wagen durftest, sie dithyrambisch zu nennen. Und die Anordnung ist doch eigentlich das große Wesentliche – die Zeichnung des Schriftstellers. Im Einzelnen hat mir die ‚Werkstätte des Dichtersʻ im Eingang am schönsten geschienen. Karoline hatte sehr Recht zu sagen, daß Dissonanzen Dir unmöglich wären. [2] Du giebst dem Kritiker wenig Anlaß sich in Thätigkeit zu setzen, und ich habe vergeblich (versteht sich, nicht in den ersten Tagen der Bekanntschaft) nach einem Flecken in Rücksicht der Form gesucht. Der Stoff ist so reichhaltig, daß darüber sich unendlich viel reden ließe. Wenn wir nur einmal beysammen seyn könnten! – Ich wünschte, daß Du bey Deinen Untersuchungen über Sprache pp. eine Abhandlung darüber von Fichte in Niethammers philosophischen Journal lesen möchtest. Du darfst hier nicht Schillersche Scholastik fürchten: denn dieser Denker, der wenn es seyn muß, Kant und Spinosa zurückläßt, kann auch, sobald er reden will, Rousseau übertreffen. Ich bin auch darüber mit Dir sehr einig, daß der Antheil der Empfindung an der Sprache weit [3] grösser ist, als gemeine Denker wißen und lehren. Wie natürlich ist auch dieß! Alle diese Gelehrte, Forscher, Denker und Vernünftler haben mehr oder weniger doch einigen Sinn für das Intellektuelle und Charakteristische. Aber unter hunderten dieses Geschlechts hat kaum einer auch nur ein Organ für die musikalische Seite des Universums. – Ich nehme mir die Freyheit, Dir aus meinem musikalischen Kollektaneen einige Gedanken über dasjenige herzusetzen, was noch ausser dem Rythmischen und Melodischen in der Sprache musikalisch ist. Ich gehe gleichfalls von dem Satze aus daß die Sprache aus musikalischen Bestandtheilen (Aeußerungen innrer Zustände) und charakteristischen (Nachahmung äusserer Gegenstände) zusammengesetzt ist. – Aller Schall ist [4] von zwiefacher Art α) Der bewegte Gegenstand enthält nicht den Grund der schallenden Bewegung; er ist physisch. β) er enthält ihn. Die Wirkung entspricht dem Wirkenden. Der organische Laut ist beseelt und ein Abdruck des innern Zustandes der organischen Kraft. In dem organischen Laut unterscheiden wir 1) seine Qualität 2) seine Quantität α) die intensive Höhe und Tiefe (τονος, Stimme). β) die extensive (Dauer, Takt, Tempo) – α) Melodie und β) Rythmus 3) Relazion. – Harmonie. Ich rede hier nur von der 1). Bis ietzt fehlt es an einer aesthetischen Theorie der musikalischen Qualität – nicht zum Vortheil der Philosophie der Sprache! Denn hier glaube ich den gewiß sehr tief liegenden Grund des Reims entdeckt zu haben. – Sie ist gleichsam die musikalische Masse, [5] welche der Form freylich untergeordnet werden muß. Mit andern Worten; nur durch die höchste Homogenität wird die musikal.[ische] Qualität kommensurabel, und also musikal.[ische] Quantität d. h. Rythmus und Melodie möglich. Ihre unendliche Wichtigkeit auch hier wirst Du leicht zugeben, wenn ich Dich erinnre, daß alle die Modifikazionen und Nüanzen des Vortrags als piano, forte, dolce, espress.[ivo], lento u.s.w. pp ihr angehören, d. h. alles dasjenige was bey gleichem Tempo einen richtigen und einen seelenvollen musikal.[ischen] Vortrag unterscheidet. Sie giebt der Musik das Individuelle welches allerdings jetzt sehr gemißbraucht wird, indem man sogar eine Kunst, deren Zweck durchaus nur das Schöne seyn kann, zum Interessanten erniedrigt, und durch sie charakterisiren will [6] (Vogler ist zum Gelächter geworden, weil er in der Narrheit konsequent war, aber vielleicht ist kein Musiker unseres Zeitalters von allen Voglerismen frey) ohne welches aber das Trefliche in der Kunst nicht wohl möglich ist. – Jedes organische Wesen hat seinen eignen organischen Laut, und wo auch die Aeußerung nicht wirklich vor sich geht, ist doch die Tendenz da. Jeder organische Laut, so sehr er zum allgemeinen erhöht seyn mag, hat doch etwas Individuelles, welches wie alle Individualität unerschöpflich und im eigentlichen Sinn unendlich ist. – Von dem Menschen kann man nicht sagen, daß er ein eignes thierisches Geschrey habe; denn unbestimmte Bestimmbarkeit ist <eben> der Unterschied s.[einer] Thierheit von der <der> andren Thiere, welche eine bestimmte Richtung haben. Allein man kann dem Men[7]schen, weil er die Macht hat zu schreyen wie er will, doch nicht das Vermögen thierischer Laute absprechen. Beschreiben nicht alle Reisenden die Mittheilung der Wilden mehr als ein thierisches Geschrey als eine Sprache, und ich glaube immer das Kollern der Hottentotten, Heulen der Pescherähs u.s.w. würden s.[ich] immer mehr aus dem Klima und den Nahrungsmitteln, die sie zu sich nehmen, als aus den Thieren, die sie nachahmen könnten erklären lassen. Diese thierischen Laute scheinen mir die Grundlage der Sprache, Bezeichnung und menschliche Stimme Frucht langer Uebung und späterer Bildung. Würde es eine Sprache geben, wenn es keine Neigung zum sprechen – keine organische Tendenz thierischer Laute gäbe? Was erwacht eher, Empfindung [8] oder Verstand? Ehe man das Zischen Kappen u.s.w. <durch ähnliche Laute> bezeichnen konnte, mußte man schon diese Laute bis zur Fertigkeit geübt haben. Woher endlich die so auffallende und so grosse Verschiedenheit der Grundgesetze der Sprachbildung in verschiednen Sprachen in Mischung der Konsonanten u.s.w. wenn sie nicht aus der Organisazion herrühren? Doch ich bin für ietzt zu erschöpft, um diesen Gegenstand noch weiter zu verfolgen. Ueber den Reim wirst Du etwas in meiner Schrift finden, welches Du aber nicht misverstehen mußt. In der schönen Kunst kann ich ihn freylich nicht gelten lassen, aber wenn der Zweck der charakteristischen Poesie das Interessante ist, erkenne ich seinen großen Werth und s.[eine] volle Gültigkeit vollkommen an.
Wie bald Du meine Schrift erhalten [9] wirst, kann ich durchaus nicht sagen. Michaelis ist vermuthlich ganz mit dem Allmanach beschäftigt, und hat mir lange nicht geschrieben. Ich habe ihm die Eintheilung ganz überlassen. Ich vermuthe aber nicht daß er für den ersten Band, zu der ersten Abhandlung vom Studium der Griechischen Poesie, <deren Ende vor 2½ Wochen abgeschickt,> welche nach dem gewöhnlichen Format 18–20 Bogen betragen muß, noch die zweyte von den Zeitaltern, Schulen und Dichtarten hinzunehmen wird; sonst würde er leicht über 30 Bogen stark werden. Wahrscheinlich wird also diese nebst der Abhandlung von den Verhältnissen der Griechischen Poesie den zweyten Band ausmachen. Ich hoffe beyde in 14 Tagen etwa absenden zu können. Die Geschichte der Attischen Tragödie würde dann den dritten Band ausmachen. Er kann auch nach Ostern erscheinen: denn der größte [10] Theil war schon vor einem Jahr fertig. Die Forderungen des Gelehrten <Kenners der Griechen> denke ich in der zweyten befriedigt zu haben. Es sind aber doch allesammt nur unvollendete Werke, besonders die erste Schrift. Dein Anerbieten in Betreff Schützens nehme ich mit Dank an. Auch was Heyne betrift. Nur wird dem letzten mit der ersten Abh.[andlung] nichts gedient seyn. Ich habe Mich.[aelis] vorgeschlagen den zweiten Band unter dem Titel: Grundriß einer Geschichte der Griech.[ischen] Poesie besonders zu verkaufen. <Diesen können wir denn an H.[eyne] schicken.> Ich zweifle doch daß er mir die Philosophie und die Kritik verzeiht. Sonst halte ichʼs gar sehr der Mühe werth, mich ihm zu empfehlen. – Wolfen, Herdern, Voßen, und Böttichern denke ich selbst Exemplare zu schicken. Mit dem letztern bin ich durch die von Dir so sehr mißverstandenen und verunglimpften Gränzen [11] in Konnexion gekommen. Er hat mir schon ehedem viel Artiges sagen und ietzt eine Anfrage an mich ergehen lassen, (die ich wenigstens nicht von der Hand weisen werde) ob ich wohl für ein Attisches Museum von Wieland, (dessen erster Band bald erscheinen und den übersetzten Panegyrikus des Isokrates und den Anfang des Agathodemos eines Romans in Griech.[ischem] Kostüm von Wiel.[and] enthalten wird) aus Griechischen Rednern übersetzen wolle? – Für die Horen habe ich sehr viel Kleines und Grosses in Bereitschaft liegen. Ich erwarte nur erst ein Kopfnicken des Gnädigsten, vorzüglich aber daß die Zeitalter und die Verhältnisse fort sind. Eher kann ich nicht recht Frey und ganz arbeiten. –
Der Tempel zu Sais ist allerdings von Sch[iller]. Der Fehler ist Dein und nicht mein. Ich hatte [12] sehr bestimmt geschrieben, alle Gedichte in dem St.[ück] ausser einige die ich nahmhaft machte, wären von Sch[iller]. – Das Billet an B[ecker] ist besorgt. Er freut sich sehr über den Aufsatz, und ist überhaupt immer voller Süssigkeit. Du möchtest auch das Taschenbuch nicht vergessen, und die Poesie nicht verabsäumen. Es wäre in der That Schade. Ein guter Gedanke ist es, daß er einzelne Stücke, Fragmente aus Sh.[akespeare] in die Quartalschrift wünschte. Auf diese Weise kriegst Du sie doppelt bezahlt. Er sagte mir nach dem Format der Horen gerechnet, gäbe er für den Bogen doch 16 Thaler. Das Einliegende ist für Kar.[olines] Brief, der aber noch nicht hier, und von mir also nicht gelesen ist. – Für einen αμουσος, in whose soul is Erebus and eternal darkneß ist Dein amüsanter [13] Zorn über die Nicht-Naumannsche Komposition Deines amorous song sehr heftig. Närrischer Mensch, laß Dich den Nahmen nicht blenden, N.[aumann] giebt sich bey einem Liede fast nie Mühe <und macht sie oft sehr schlecht>, wie das vorige, und der Schmidt ist gar nicht unbekannt. Dich zu beschweren hast Du keine Ursache: denn es ist Dir gleich gesagt [worden], daß es viel zu spät sey, um eine Komposizion von N.[aumann] zu haben. Reichardt ist wohl ietzt einer der besten in diesem Fache. Er kann aber auch mittelmäßig komponiren, wie die Lieder im Meister beweisen. – Auf Deine Recension der Horen bin ich sehr begierig. Es scheint man will den gemachten Schnitzer wieder gut machen. – Schiller hat schon vor vielen Wochen von einer Tragödie geschrieben, die er machen will, aber nicht der grosse [14] Pappenstiel, der im dreyssigjährigen Kriege so berühmt ist, soll der Held seyn, sondern der ganze Orden der Maltheser-Ritter. Es soll eine schöne Tragödie werden d.i. eine Griechische d.i. eine mit Schicksal und mit Chor. Er fragte Körner nach dem Chor. Ich dachte erst, einige Sibyllinische Blätter Aphorismen über den Chor an ihn gelangen zu lassen durch K.[örner], fand es aber doch nachher unnöthig. Ich schmeichle mir zu wissen, was der Griechische Chor ist, welches von denen die geschrieben haben, niemand gewußt hat. Eine Kenntniß die über die Tragödie und die Poesie überhaupt unendliche Aussicht giebt, und die schwersten Knoten löset. –
Ein kleiner Aufsatz, über dem ich schon lange brüte, wird von Homers Styl und dessen Aechtheit handeln, und sich auf Wolfs berühmte Prolego[15]mena beziehen. Diese, die so grosse Sensation gemacht haben, zu lesen, hast Du wohl noch nicht Zeit gehabt? Mit dem Skeptischen, und Kritischen bin ich völlig einverstanden. Du würdest Dich freuen hier, was Du sonst so scharfsinnig vermuthtet hast, wiederzufinden. – Aber er hat einige chimärische Hypothesen beygemischt, wie Skeptiker überhaupt das Dogmatisiren, zu dem sie kein Talent haben, am Ende doch nicht lassen können. Es ist wirklich etwas Genialisches in ihm. Aber an Philosophie, an Geschmack, und vielleicht an Kenntniß der ganzen Masse der Griechischen Poesie fehlt es gar sehr. Der kleffende Ton in Voßens mythologischen Briefen ist unangenehm: aber es ist reicher Stoff <darin> zu fruchtbaren Untersuchungen, und Einiges was [16] als grosser Gewinn des ganzen Studiums angesehn werden kann.
Ich behalte mir vor Dir über die Improvisatoren noch einmal das Deinige zu geben.
Friedrich.
Was eine Ankündigung helfen soll wenn man keinen Verleger hat, begreife ich nicht. Auch nicht was eine nahmenlose schaden soll. Kar.[oline] danke nochmals für Ihre fortgesetzte Vermittlung. Wie ich von Euch Nachricht erhielt, war es lange zu spät.
Ihr seyd so wunderlich, daß Ihr mich dahin bringen könntet, eine Satire wieder Göthe zu schreiben.
Du nun schimpfst, wenn ich die Briefe zusiegle, die andre schmählt, wenn ich sie nicht zusiegle. Der Henker mag mit Euch auskommen.
Mit der Reue sag nur hätte es seine Richtigkeit.