[1] Liebster Freund, Du bist ein äusserst drollichter Mensch. Diesen Morgen hatte ich Lust Dir some terrible lashes über Deinen Muthwillen, und gelegentlich noch über Deine schöne Geschichte von der alten Elegie zu geben. Diesen Nachmittag habe ich Deinen Takt gelesen und bin in der Stimmung, Dir zu verzeihen. Ich finde nicht nur noch mehr Klarheit, Rundung und Festivität (wenn Du mir diesen Ausdruck vergönnen willst) in der Sprache, als im vorigen, sondern ich bin auch durch Deine Erklärung völlig befriedigt, und ich bekenne mit Dank, daß ich mich belehrt, und meine Gedanken dadurch erweitert finde. Wundre Dich nicht, wenn Du in den Zeitaltern etwas von dem Deinigen wiederfindest. Ich finde eine Stelle, wo ich das sehr gut einschieben, oder vielmehr meine Genesis des Hexameters nach Deinen Gedanken berichtigen und er[2]weitern kann. Du hast mich auch auf eine übersehene Stelle im Homer aufmerksam gemacht, die sehr wichtig ist. – Ich bin völlig mit Dir einverstanden, daß nicht das Wohlgefallen an Einheit und Gesetzmässigkeit den ältesten Rythmus hervorgebracht, und daß es eines sinnlichen Eindrucks zum Maaßstabe der Gleichzeitigkeit bedurfte, aber darum möchte ich doch die dem Menschen so ganz eigne Anlage zum Takt so wenig körperlich nennen, als die Anlage zur Sprache. Die gleichzeitigen Einschnitte der Bewegung scheinen auch mir ein Ergebniß des Bedürfnißes, nicht ein Kunstwerk des Verstandes. Aber warum sollte der Takt in der Freude älter seyn als im Schmerz, im Tanz älter als in der Rede? Könnte man nicht gegen Dein ,unvermerktʻ einwenden, was Du gegen Moritzens ‚zufälligerweiseʻ so [3] artig geltend zu machen weißt.
Wenn Du mir die Sprache als schon vorhanden giebst, so kann ich den Ursprung des Takts für alle Empfindungen, und alle Aeußerungen derselben leicht zeigen. Giebt es Sprache, so giebt es auch schon ein Bedürfniß der Mittheilung – ein dunkles Streben, den Punkt auszudehnen, den Augenblick festzuhalten, die Empfindung zu wiederhohlen, ihr Dauer zu geben, sie allgemeiner zu machen. Denn auch in der Einsamkeit wird der Natursohn, in dem der Funken der Menschheit schon erwacht ist, sich eben dadurch von dem Thiere unterscheiden, daß er wie Regner, wie jene Neuseeländischen Knaben mit s.[einem] Schmerz sich selbst unterhält. Eben darin liegt das Menschliche, welches jeden Menschen rührt. Es [4] ist nicht blos Leiden, <welches nicht rührt und interessirt,> sondern Wehmuth, deren das Thier nicht fähig ist, mit Thätigkeit und Genuß gemischter Schmerz. – So bald nun aber ein leidenschaftl[icher] Zustand und dessen Aeusserung daurend gemacht werden soll, so ist zuförderst nöthig daß die ganze Masse der Empfindung sinnlich begränzt wird, und da sie zu groß ist, um zugleich gefaßt oder gegeben zu werden, durch gleiche (aber nicht durch den Verstand sondern durch die Sinne an einem gegebenen Eindruck ohngefähr gemeßne) Einschnitte wieder in kleinere Massen sinnlich getheilt wird. Bey dem Mangel kräftiger Hülfsmittel würde das Gedächtnis ohne diese natürliche Erleichterung durchaus unfähig seyn, sie aufzubewahren.
[5] Alle Beyspiele, die Du anführst, sind vorzügl.[ich] interessant. Die Stelle von der Leidenschaftlichkeit der Wilden ist treflich, kraftvoll ohne die Bescheidenheit der Natur zu verletzen. Noch wollte ich gegen das höhere Alter des Takts in freudigen Aeußerungen anführen, ob nicht jene ausschweifende Freude sich nach Lukrez und den meisten Alten erst nach dem <Ursprung des> Ackerbauʼs bey Erndtefesten und Weinlesen eigentlich entwickelte. Der eigentliche Wilde scheint mir von ernstem Charakter, und weit mehr zum Schmerz geneigt, als zur Freude. –
Sch.[iller] ist sehr tief gesunken in dem ersten Stück, und in dem er die Plattheit durch alle Kategorien verfolgt, geräth er selbst in nicht geringe Gefahr. –
Du bist ein wunderlicher Mensch mit Deinem Kapiteln. Wo sollte ich denn [6] Deine Rez.[ension] zu sehn bekommen? – Ernst bekommt die A[llgemeine] L[itteratur-]Zeitung erst ein halb Jahr nachdem sie niemand mehr ließt, und K.[örner] mag sie nicht, weil er es für eine Schwäche hält mit dem Zeitalter fort zu gehn. – Was mischtest Du Dich in unsre Angelegenheiten? – Um eine Uebersetzung zu beurtheilen, ist es ja durchaus nothwendig, daß man das Original nicht kenne: denn sonst ist der Eindruck nicht rein. Ueberdem gehört ein revoluzionäres Genie dazu, um den politischen Geist der Alten zu verstehen. Ein Neumodischer, Moderner – Ein Konterrevolutionär wie Du nennt unsre (ich meyne mich und Kar[oline]) Mitbürger – Triste. Du magst wohl selbst ein Trister seyn. Was bist Du denn am Ende, Mensch? Ein Poet, nehmlich ein moderner. – Wenn Herodot wie ein alt Weib geschrieben hat, so wünsche ich Dir, daß Du am Ende Deiner Tage auch wie ein alt Weib schreiben mögest. [7] Ich weiß von alten Zeiten, wie Du ihn nach Herderscher Art travestirst, und lasse das Wahre in jener Ansicht gelten. Aber ich versichre Dich, wer den Herod.[ot] nicht erhaben findet, der kennt ihn nicht ganz. Du wirst zugeben, daß ihm an Klarheit und Süssigkeit wenige gleich kommen. Beydes scheinen mir für einen Erzähler grosse Tugenden. – Wirst Du nicht den Meister recensiren? – Solche Rec.[ensionen] wie die über die H.[oren] sind trefliche Vorübungen zu unsern Gesprächen über die Deutsche Poesie. – αγχινοια ist schon viel in Deinem Urtheil, und auch Festivität: doch kann von beyden nie zu viel seyn. Nur wünsche ich daß Du noch mehr δεινως recensiren möchtest: mehr sententiae vibrantes, fulminis instar, die wie Römische Schwerdter zuschlagen; schärfer und beitzender. Eine Recension muß um es Lukrezisch zu sagen [8] tota merum sal – seyn.
Doch nun im Ernste. Wenn Ihr mir einen Verleger <zur Ostermesse 97> zu einer Uebersetzung von Aristoteles Politik; oder Platoʼs Gesetzen schafft, so werde ich Euch herzlich danken. Ihr thut ja immer so groß, als hättet Ihr alle Buchhändler am Leinchen.
K.[ruse] hat mir mein Verlangen gewährt. Sobald Du ihn siehst, danke ihm in meinem Namen herzlich und sage ihm, ich würde seinen Auftrag besorgen und ihm zugleich Nachricht geben. – Ich habe 200 zu Ostern 97. 100 zu Johannis 97. versprochen; die Zinsen zu Michaelis 96.
Wenn Du einige Zeit und einiges Geld in L.[eipzig] verschwenden willst, statt hier zu leben und zu geniessen, so habe ich nichts dabey zu sagen. [1] Grüsse Karoline bestens. Ich habe nicht Zeit zu schreiben.
Wenn Du mir die Sprache als schon vorhanden giebst, so kann ich den Ursprung des Takts für alle Empfindungen, und alle Aeußerungen derselben leicht zeigen. Giebt es Sprache, so giebt es auch schon ein Bedürfniß der Mittheilung – ein dunkles Streben, den Punkt auszudehnen, den Augenblick festzuhalten, die Empfindung zu wiederhohlen, ihr Dauer zu geben, sie allgemeiner zu machen. Denn auch in der Einsamkeit wird der Natursohn, in dem der Funken der Menschheit schon erwacht ist, sich eben dadurch von dem Thiere unterscheiden, daß er wie Regner, wie jene Neuseeländischen Knaben mit s.[einem] Schmerz sich selbst unterhält. Eben darin liegt das Menschliche, welches jeden Menschen rührt. Es [4] ist nicht blos Leiden, <welches nicht rührt und interessirt,> sondern Wehmuth, deren das Thier nicht fähig ist, mit Thätigkeit und Genuß gemischter Schmerz. – So bald nun aber ein leidenschaftl[icher] Zustand und dessen Aeusserung daurend gemacht werden soll, so ist zuförderst nöthig daß die ganze Masse der Empfindung sinnlich begränzt wird, und da sie zu groß ist, um zugleich gefaßt oder gegeben zu werden, durch gleiche (aber nicht durch den Verstand sondern durch die Sinne an einem gegebenen Eindruck ohngefähr gemeßne) Einschnitte wieder in kleinere Massen sinnlich getheilt wird. Bey dem Mangel kräftiger Hülfsmittel würde das Gedächtnis ohne diese natürliche Erleichterung durchaus unfähig seyn, sie aufzubewahren.
[5] Alle Beyspiele, die Du anführst, sind vorzügl.[ich] interessant. Die Stelle von der Leidenschaftlichkeit der Wilden ist treflich, kraftvoll ohne die Bescheidenheit der Natur zu verletzen. Noch wollte ich gegen das höhere Alter des Takts in freudigen Aeußerungen anführen, ob nicht jene ausschweifende Freude sich nach Lukrez und den meisten Alten erst nach dem <Ursprung des> Ackerbauʼs bey Erndtefesten und Weinlesen eigentlich entwickelte. Der eigentliche Wilde scheint mir von ernstem Charakter, und weit mehr zum Schmerz geneigt, als zur Freude. –
Sch.[iller] ist sehr tief gesunken in dem ersten Stück, und in dem er die Plattheit durch alle Kategorien verfolgt, geräth er selbst in nicht geringe Gefahr. –
Du bist ein wunderlicher Mensch mit Deinem Kapiteln. Wo sollte ich denn [6] Deine Rez.[ension] zu sehn bekommen? – Ernst bekommt die A[llgemeine] L[itteratur-]Zeitung erst ein halb Jahr nachdem sie niemand mehr ließt, und K.[örner] mag sie nicht, weil er es für eine Schwäche hält mit dem Zeitalter fort zu gehn. – Was mischtest Du Dich in unsre Angelegenheiten? – Um eine Uebersetzung zu beurtheilen, ist es ja durchaus nothwendig, daß man das Original nicht kenne: denn sonst ist der Eindruck nicht rein. Ueberdem gehört ein revoluzionäres Genie dazu, um den politischen Geist der Alten zu verstehen. Ein Neumodischer, Moderner – Ein Konterrevolutionär wie Du nennt unsre (ich meyne mich und Kar[oline]) Mitbürger – Triste. Du magst wohl selbst ein Trister seyn. Was bist Du denn am Ende, Mensch? Ein Poet, nehmlich ein moderner. – Wenn Herodot wie ein alt Weib geschrieben hat, so wünsche ich Dir, daß Du am Ende Deiner Tage auch wie ein alt Weib schreiben mögest. [7] Ich weiß von alten Zeiten, wie Du ihn nach Herderscher Art travestirst, und lasse das Wahre in jener Ansicht gelten. Aber ich versichre Dich, wer den Herod.[ot] nicht erhaben findet, der kennt ihn nicht ganz. Du wirst zugeben, daß ihm an Klarheit und Süssigkeit wenige gleich kommen. Beydes scheinen mir für einen Erzähler grosse Tugenden. – Wirst Du nicht den Meister recensiren? – Solche Rec.[ensionen] wie die über die H.[oren] sind trefliche Vorübungen zu unsern Gesprächen über die Deutsche Poesie. – αγχινοια ist schon viel in Deinem Urtheil, und auch Festivität: doch kann von beyden nie zu viel seyn. Nur wünsche ich daß Du noch mehr δεινως recensiren möchtest: mehr sententiae vibrantes, fulminis instar, die wie Römische Schwerdter zuschlagen; schärfer und beitzender. Eine Recension muß um es Lukrezisch zu sagen [8] tota merum sal – seyn.
Doch nun im Ernste. Wenn Ihr mir einen Verleger <zur Ostermesse 97> zu einer Uebersetzung von Aristoteles Politik; oder Platoʼs Gesetzen schafft, so werde ich Euch herzlich danken. Ihr thut ja immer so groß, als hättet Ihr alle Buchhändler am Leinchen.
K.[ruse] hat mir mein Verlangen gewährt. Sobald Du ihn siehst, danke ihm in meinem Namen herzlich und sage ihm, ich würde seinen Auftrag besorgen und ihm zugleich Nachricht geben. – Ich habe 200 zu Ostern 97. 100 zu Johannis 97. versprochen; die Zinsen zu Michaelis 96.
Wenn Du einige Zeit und einiges Geld in L.[eipzig] verschwenden willst, statt hier zu leben und zu geniessen, so habe ich nichts dabey zu sagen. [1] Grüsse Karoline bestens. Ich habe nicht Zeit zu schreiben.