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Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

[1] Pillnitz. Den 27ten May.
Mit Verlangen, Sehnsucht und Ungeduld sah ich Deinem Brief entgegen, liebster Freund! Bis ietzt ist meine Begierde nur noch sehr unvollkommen befriedigt. Karoline hat mir noch keine Nachrichten von Dir geschickt, an die mich Dein Brief vom 17ten May verweißt.
Einen Brief von der Stock habe ich erhalten: aber er enthielt nichts Unterhaltendes, als einiges über Göthens jetzige Fettigkeit.
Ich kann Dir die Sehnsucht, mit der ich den umständlichern Nachrichten entgegensehe, gar nicht beschreiben. Mach, daß ich bald erfahre. Ueber Deine professoralen Aussichten und [2] kollegialischen Plane laß mich recht bald etwas wissen. Auch darüber, ob Du gut findest, daß ich eher komme, als Charlotte, die Dich herzlich grüßt, nach der Stadt zieht. – Ich habe noch viel daran gedacht, und finde es äusserst rathsam, daß Du den Winter nur ein Kollegium ließt. Fängst Du zwey an, so mußt Du sie auch ausführen, es gehe wie es wolle, und dann gewiß Deine Schriftstellerey darüber hintansetzen. Für diese ist alles schon organisirt, was dort erst organisirt werden muß. Der Ertrag ist groß und sicher. – Dich bey Deinen vielen andern Arbeiten <diesen Sommer> auf ein Kollegium über den Homer vorzubereiten, halte ich für ganz unmöglich. Ueberlege es ja recht. Eine falsche [3] Maaßregel könnte Dir unersetzlich schaden.
Dein Brief hat mir anfangs viel Sorge gemacht. Indessen finde ich bey reiflicher Ueberlegung, daß ich ganz ruhig seyn kann. Meine Unterredung mit Michaelis ist sehr zu meiner Zufriedenheit ausgefallen. Ich danke Dir sehr für Deine pünktlichen Nachrichten von Leipzig aus. Ich erhielt Deine beyden Briefe eben früh genung, um meine Sachen einzupacken für Pillnitz und mich des andern Tags an einem schönen regnichten Morgen zu Fuß auf den Weg zu machen. In Hubertsburg hatte ich das Vergnügen, 24 Stunden zu warten. Zu gutem Glück hatte ich Fichteʼs Naturrecht und das dritte [4] Stück von Deutschland mit Wolfʼs 2tem Antiheynischem Briefe bey mir. Das erste Werk ist ganz unendlich reichhaltig für mich, wiewohl er auch anfängt zu aristotelisiren, und steht wie Du gleich hören wirst, in sehr naher Beziehung zu meinen nächsten Arbeiten. – Ich bin sehr zufrieden mit Mich.[aelis] Bekanntschaft. Viel Bildung und Geist. Männlichkeit scheint er wohl nicht übrig zu haben. – Er hat mir auch sogleich nach seiner Zurückkunft nach L.[eipzig] geschrieben, auch in Berlin bey der Durchreise, wie ich aus des Druckers Briefe sehe, meine Angelegenheit sehr eifrig betrieben. – Was er mir gesagt, übergehe ich, weil Du leicht denken kannst, daß er mich darin völlig befriedigt hat. –
[5] Gezahlt hat er mit den überschickten 6 Ldrs., diese Messe für mich, wie ich aus den zurückgesandten Obligazionen sehe: 254 Thl. Da er nun erst circa 25 Bogen Manuscript in Händen hat, so siehst Du wie sehr ich im Vorschuß bin. Versprochen hat er zu Michaelis 250 und 80 Thl.; und zwar nicht blos an mich, sondern an die Cred.[itoren] selbst auf eine Art, daß er, wenn er nicht vorher fallirt, zu Mich.[aelis] schlechterdings, um seines Credits willen, zahlen muß. Ausserdem hat er sich zu dem, was ich zur Reise und zur neuen Einrichtung in Jena brauchen möchte, von selbst erboten. – Was die Summe von 250 betrifft, so war er noch nicht zum Abschluß darüber gekommen. Er versicherte mich, sich erboten zu haben, erforderlichen Falls durch eine Assignazion an Lähr sogleich zu zahlen, und [6] er sey auch noch erbötig dazu. Soviel ist gewiß, daß er X. auf irgend eine Weise mündlich oder schriftlich befriedigt haben muß. Ich hatte diesem sehr bestimmt geschrieben, M.[ichaelis] sey nun sein Schuldner, und hatte ihm zu einem Wechsel <von diesem> Hoffnung gemacht, wenn das Ganze nicht baar bezahlt werden könne. Gewiß hätte ich seit den 14 Tagen, da Mich.[aelis] aus L.[eipzig] ist, schon längst einen Brief von X. wenn er ihn nicht vollkommen befriedigt hätte. Wahrscheinlich hat er ihm eine schriftliche Versicherung gegeben, wie ich es wünschte und bat, und wie er auch geneigt war. Ich mußte zufrieden seyn, daß er sich überall der Sache unterzog, und bey meinem grossen Zutrauen zu ihm, war es mir vollkommen hinreichend, daß er mich im allgemeinen versi[7]cherte, die Sache als völlig abgethan anzusehen. Hätte ich Deine Nachrichten eher gehabt, so würde ich es ihm mit der schriftlichen Versicherung sehr nahe gelegt haben. Indessen ist es sehr möglich, daß er dergl.[eichen] wirklich ausgestellt. Ausserdem ist mirs sehr unwahrscheinlich, daß X. sich ruhig verhalten würde.
Noch ausserdem hat er mich im allgemeinen gefragt, ob ich sonst noch etwas bedürfe, und mich aufgefordert meine Wünsche zu äussern. Da ich für die 100 Thl., welche ich Dir zu Mich[aelis] zahlen muß, nur im Nothfalle Mich.[aelis] anzugehn Willens war, so habe ich für ietzt nichts darauf erwiedert.
Göschens Urtheil über M.[ichaelis] gilt bey mir sehr viel, Sch[iller]s etwas, und N[iethammer]s gar nichts. – Das Wesentliche ist, daß G.[öschen] sich für ihn interessirt, Dir zu ihm ge[8]rathen hat u.s.w. Aber G.[öschen] ist ein ängstlicher Mann, der sich immer gefährlich ausdrückt. Daß M.[ichaelis] auf der Kippe stehe, konnten wir allenfalls ohnehin wissen. Jeder Anfänger, der so unternehmend ist, steht auf der Kippe. Göschen selbst hat unzähligemal, und noch zuletzt beym Wieland auf der Kippe gestanden. – Sch[iller]s Aussagen traue ich; nur seinem Urtheil nicht. Er hat wohl viel Erfahrung in Buchhändlergeschäften, aber er ist immer über oder unter der Wahrheit. Er sieht alles gefärbt, verzerrt und ungeheuer. Daß M.[ichaelis] verwirrt sey, wußten wir längst. Wer ist wohl ein ärgerer Brouillon, als Göschen? Und doch in welchen Flor ist er gekommen! Ueberhaupt scheinen mir beyde viel Aehnlichkeit zu haben. Nur, denke ich, übertrifft Mich.[aelis] jenen an Bildung, Geist, und auch an Thätigkeit sehr weit. – N.[iethammer] glaube ja kein Wort, [9] als was er durch Briefe von M.[ichaelis] belegt. Er ist nach seinen Briefen zu urtheilen, ein unendlich dürftiger Mensch, und unter allen Sterblichen zur Herausgabe eines Journals leicht der ungeschickteste. – Schreibe mir aber ja recht umständlich über diesen Punkt, was Du erfährst.
Für die Besorgung meiner Aufträge danke ich Dir recht sehr. – Ich hätte zu wissen gewünscht, ob der Republikanismus noch abgedruckt wird. Wo nicht, so lasse ihn Dir wieder geben. Die Rec.[ension] der Horen würde N.[iethammer], dem ich mich empfehle, nun wohl für jetzt nicht gebrauchen können? – Der Schlingel könnte mir eigentlich wohl antworten. – Auch wäre ich begierig gewesen, von Deiner Bekanntschaft mit Reichard zu hören. Wie er Dir gefällt; ob Du mir räthst, an Deutschland mehr Antheil zu nehmen; wie er [10] sich über mich geäussert (denn Mich.[aelis] drückte sich in dieser Hinsicht so stark aus, daß ichs für Uebertreibung hielt); ob Du glaubst, daß er einiges Honorar giebt. Giebt er das letzte, so möchte ich wohl einige Kleinigkeiten einrücken lassen. Außerdem nur die Rez.[ension] des Allm.[anachs] als Brief mit meinem Nahmen. Dieß zur Nachricht. Ich habe noch eine sehr starke Stelle über die Unwürde der Frauen eingerückt, und die Bemerkungen, die Du mir hier erlaubtest, einzuschalten, über die Verwechselung der Strophen, und das Rückwärtslesen des Ganzen, aufgenommen. Hüte Dich also, sie zu äussern. Man könnte sonst argwöhnen, Du habest <noch> mehr Theil an dem Frevel.
Hast Du nicht absehn können, warum Mich.[aelis] eigentlich sich so bestrebt, mich mit Deutschland in Verbindung zu setzen? – Er schickt mir die drey ersten [11] Stücke von D.[eutschland], die andern würde mir Reichardt schicken. R.[eichardt] würde mir schreiben; er hätte mich nach Giebichenst.[ein] eingeladen; er hätte ihm die 10 ersten Bogen meines M[anu-]sc[ripts] im eigentlichen Sinn gestohlen, und sie Wolf in H.[alle] gegeben pp., sey entzückt von meiner Rezension pp.
Der Stelle über Dich habe ich eine Wendung gegeben, mit der Du hoffentlich nicht unzufrieden seyn wirst.
Mich.[aelis] wirbt mich mit Gewalt für die Opposizionsblätter. Er hat mir die Rezensenten der Horen geschickt, die ich nun bald expediren muß. Der Bibliothekar muß Garven seyn. – Ich habe grosse Lust, ein paar Blätter über die harmonische Ausbildung und Göthe und Politik hineinzugeben. Es versteht sich, daß dieß geheim bleibt.
Dein Urtheil über meine Schrift hat mich sehr gefreut, und ist von un[12]schätzbarem Werth für mich. Du weißt was mir Dein Urtheil gilt. – Fandest Du <meinen Styl> in Rücksicht der Deutlichkeit und Klarheit etwas fehlerfreyer? – Wie Du die Ordnung findest, kann ich Dich erst fragen, wenn Du das Ganze vor Dir hast. – Hier ist noch ein Bogen, den ich eben heute Morgen erhalten habe. – Mit der Schönheit des Drucks bin ich sehr zufrieden. Ich habe aber bis ietzt nicht weniger als fünf grosse Druckfehler entdeckt.
Du wirst verzeihen, daß ich Dir meine Waare unfrankirt schicke. Die Reise hat mir etwas mehr gekostet, als ich gerechnet hatte, und nach Bezahlung aller Schulden, und Anschaffung einiger Nothwendigkeiten und Kleidungsstücke sind mir nur 2 Thl. übrig geblieben. Seit ich in P.[illnitz] bin, habe ich schon beynahe 1 Thl. für [13] Porto zahlen müssen. Diese Ausgabe ist unvermeidlich. Ausserdem muß ich auch meine Wäsche wöchentlich bezahlen. Es würde mir daher sehr lieb seyn, wenn Du mir in 3 bis 4 Wochen, den ½ Ldr. welchen Du mir für Johnsonʼs Dictionary geben wolltest, schicken könntest. Wenn ichs aber mit gutem Gewissen nehmen soll, so mußt Du noch ein Buch dazu nehmen, von dem Dir das dominium plenum mehr werth ist, als der blosse ususfructus. Etwa eine Iliade, deren ich zwey habe, oder Kl.[opstocks] Gram.[matische] Gespr.[äche]. Nimm mir diese Bitte nicht übel. Es würde mich unsäglich peinigen, wenn Charlotte noch für mich auslegen müßte, möchte es auch noch so wenig seyn.
Die klass.[ischen] Schriften die ich habe sind: Homer Wolf, die vier Dramatiker vollständig ausser dem Aeschylus von Schütz II. tom., die besten Ausgaben; Herodotus, Thucydides, Arria[14]nus, Appianus, Xenoph[on] Opera omnia, Pausanias (nicht vollständig), Vegetius, Frontin, Sallust, Polyaenus, Dionysius Criticus. – Eigentlich sind mir für den Winter noch ganz unentbehrlich: Die Oratores Graeci Reisk., Plutarch, Isocrates. Den Diodor und Dio Cassius kann man ohnehin nicht im Laden bekommen. Was könnte ich in Jena wohl von diesen geliehn bekommen? Die röm.[ischen] Geschichtschreiber werden doch wohl alle ohne Ausnahme zu haben seyn? Antworte mir darauf recht genau. Hast Du keinen Historiker ausser Flor.[us] und Tacitus? – Die Politik des Aristoteles wird doch in Jena auch zu haben seyn? Denkst Du Dir etwan einige Gr.[iechische] oder R.[ömische] Historiker anzuschaffen, so schreib es mir damit ich mich darnach richten kann.
Daß Sch.[iller] bereit ist, meinen Aufsatz in die Horen aufzunehmen, ist mir sehr lieb. [15] Gefällt er ihm, so kann ich einen längern der mir nicht viel Mühe machen wird, vielleicht schon mitbringen, und auf Michaelis verdienen.
Das Stück Künstlerroman welches man Deinem Shakespear zugesellt hat, gefällt mir köstlich. G.[oethe] muß die Hände im Spiel gehabt haben. Es gefällt mir Millionenmahl besser, als Märchen und Ausgewanderte.
Deinen Aufsatz habe ich mit Musse noch einmal gelesen. Der Abschnitt vom Dialog ist das Beste, was ich darüber weiß, voll neuer und reicher Gedanken, sehr artig gesagt. Wenn man vom Gesichtspunkte der Wahrheit ausgeht, so läßt sich auch, glaube ich, nichts Richtigeres und Befriedigenderes darüber sagen.
Es wird noch einige Zeit vergehn ehe ich den Cäsar schicken kann. Ich muß erst den Lysias fortschaffen. [16] Es ist mir äusserst verdrießlich, daß ich doch wahrscheinlich acht Tage später damit in W.[eimar] ankommen werde, als ich versprach. Es macht mistrauisch, wenn man gleich das erstemal sein Wort nicht genau hält. Siehst Du während dessen zufälligerweise Böttiger, so sage ihm doch etwas darüber. Die Reise hat mir Zeit gekostet. Ich habe viel Nothwendiges gelesen, aber sehr wenig geschrieben, seit Du fort bist. Ich war sehr verdrießlich darüber, aber ich konnte es nicht ändern. Ich stehe um halb fünf auf, und doch ist weniger geschehn, als ich wollte, wenigstens nicht grade das.
Was ich Mich.[aelis] sehr hoch anrechne, ist daß er mich auf einen sehr glücklichen Gedanken in Rücksicht der Eintheilung meiner Schrift gebracht hat. Die Bände werden nun <etwas> kleiner, und die beyden ersten erscheinen zugleich. Die aesthet.[ischen] Auf[17]sätze, von denen ich Dir sagte, daß sie für N[iethammer]s Journal bestimmt seyn, werden nun als ein Anhang über Schönheit und Dichtkunst der ersten Abhandlung beygefügt, <und machen mit derselben den ersten Band aus.> Dann der zweyte – die Geschichte der Griechischen Poesie – der dritte, künftigen Winter, gleich die politischen Revoluzionen der Gr.[iechen] und R[ömer]. – Die Geschichte der Tragödie bleibt also für ietzt zurück. Das ist sehr gut, und mir lieb. Das Beste aus dem Vorräthigen, <Historischen,> nehme ich noch in den zweyten Band; das Theoretische in den Anhang. Spezielle Gesch.[ichte] einzelner Dichtarten und Perioden, ohne eingeschaltete Uebersetzungen ist nicht interessant genung. – Das werde ich ernstlich anfangen. Vielleicht mache ich noch hier mit dem Pindar Versuche. Was ich sonst noch vorräthig habe über Attische Tragödie kann ich vielleicht [18] fürs A.[ttische] Museum brauchen.
Ich bin der Kritik herzlich satt, und werde mit unglaublichem Enthusiasmus an den Revoluzionen arbeiten. Ich werde zu gleicher Zeit etwas Populäres über den Republikanismus schreiben. Ich werde glücklich seyn wenn ich erst in der Politik schwelgen kann.
Dann werde ich auch mit Euch leben, und nicht mehr schreiben, was sich nicht sagt, sondern wieder reden lernen. Es wird eine glückliche, seelige, herrliche Zeit seyn.
Ich will Dirs nicht läugnen, daß mir der Republikanismus noch ein wenig näher am Herzen liegt, als die göttliche Kritik, und die allergöttliche Poesie.
Becker hat mir den ersten Band der Erhohlungen für Dich gegeben. [19] Charlotte ist sehr wohl, und macht sich auch keine Grillen mehr. Ernst grüßt Dich.
Mein Verhältniß mit Michaelis muß auf Dich keinen Einfluß haben. Du siehst wohl, daß ich seinen Handlungen mehr trauen muß, als den Urtheilen andrer. Daß Du die Vorsicht gebraucht hast, Dir <die Zahlung des> Honorars sogleich auszubedingen, finde ich sehr rathsam. Ich wüßte doch auch nicht, wie Du den Kontrakt könntest rückgängig machen. Auf jeden Fall aber handle so, als ob ich nicht mit ihm in Verbindung wäre, denn man kann nicht der Seele eines andern trauen.
Pölchau hat uns einigemal besucht, in den letzten Tagen, wo wir nie zu Hause waren. Es that ihm sehr leid, Dich nicht noch gesehn zu haben. Er grüßte Dich angelegentlichst. Er hat mich ver[20]schiedenemal besucht, und mir immer besser gefallen. Er scheint alle Frauen in Jena durchgenossen zu haben, wie wohl er gar nicht prahlt. Von der Sophie Mereau sagte er: O sie ist eine Kanaille. Er drückte sich sonst nicht stark, sondern schonend aus. Auf meine Frage: Aber sie ist doch eine reizende Kanaille? sagte er: O sie ist eine bezaubernde Beyschläferin. Die Schützen nahm er sehr in Schutz. Hufeland verdanke ihr Alles. Von diesem dachte er nicht günstig.
Ich habe neulich in der Sophie M.[ereau] Blüthenalter geblättert. Das ist sehr spaßhaft. Die Sache ist die. Viere lieben sich; zwey sehn zu, helfen und hindern. Einer erschießt sich, einer verzehrt sich; die beyden Blüthenmenschen gehn nach Amerika; der Bösewicht bleibt zu Hause, und die [21] hülfreiche Tante wird vergessen. – Anfangs tritt ein junges Wesen auf, in dem alle möglichen Gefühle Purpurisch durcheinanderfluthen. Es sizt dabey ganz gelassen im Grase. Ich sage es, weil ich gewiß glaubte, es sey ein Mädchen; es sollte aber ein Junge seyn. Es sey ihm unaussprechlich wohl gewesen, sagt es untern andern; doch habe es gewünscht, daß Einer kommen möchte, dem es die geheimen Seeligkeiten allʼ aufschließen könnte! – Sie mag diese geheimen Seeligkeiten wohl schon manchem ehrlichen Mann aufgeschlossen haben. Wenn sie darstellen könnte, so würde sie es thun wie Angelika Kaufmann, der die Busen und Hüften, auch immer wie von selbst aus den Fingern quellen.
Seit Du weg bist, ist eine grosse [22] Leere bey mir gewesen. Ich hatte schon ganz gewöhnt mit Dir zu seyn, wie wohl wir eigentlich kein recht vernünftiges Leben geführt haben. Bey Euch wird das ganz anders seyn.
Du siehst meinen guten Willen an der Menge des Geschreibsels. Ich hoffe Du wirst alles lesen können. Ordentlich zu schreiben, war nicht möglich. – Ich umarme Dich herzlich.
Friedrich Schlegel.

[23] Nachschrift.
Obgleich mein Brief so unendlich lang ist, so habe ich doch noch eins und das andre vergessen.
Sey überzeugt, daß ich alles thun werde, um Dir die Dißertat[io] Grab. zu verschaffen. Ich habe von Daßdorf noch keine Antwort erhalten können. So bald Körner wieder hier ist, soll es gewiß gleich besorgt werden. Eher rechne aber nicht darauf. Wenigstens ehe ich den Lysias fortgeschafft, kann ich unmöglich nach der Stadt gehn.
Charlotte wünscht sehr, die Englische Dinte recht bald zu bekommen. Sie muß jetzt die Kindersachen zeichnen. Nachher ist es zu spät.
Ueber das Spezielle Eures (Deines und M.[ichaelis]) Kontrakts und Eurer Zusammenkunft in L.[eipzig] weiß ich nichts. Von [24] dem ersten wünschte ich doch einiges zu wissen.
Wie gefällt Dir Fichte?
Ueber alles bin ich auf Deine Bekanntschaft mit Göthe begierig.
Lebe recht wohl.
Fr. S.

Soll ich die Diss[ertationen] gleich an Eschenb.[urg] oder erst an Dich schicken.
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  • Date: Freitag, 27. Mai 1796
  • Sender: Friedrich von Schlegel ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Pillnitz · ·
  • Place of Destination: Unknown
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 300‒306.
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34222
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.b,Nr.82
  • Number of Pages: 24 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19 x 11,5 cm
Language
  • German

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