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Dorothea von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

[1] J[ena] den 25ten August 1800
Lieber Wilhelm was trauen Sie mir nicht alles für grundböse Ursachen zu daß ich Ihnen noch nicht eigenhändig geschrieben! Und doch ist dem allem nicht so, nicht einen Schatten von Eigensin[n] sondern bloß die bescheidene Ueberzeugung daß F[riedrich] Ihnen alles weit besser schreiben kann als ich. Und etwas anders als er? wo sollte ich das wohl hernehmen? Mein nichtschreiben war so grund absichtslos, daß ich ganz von selbst schon entschlossen war Sie heute in F[riedrichs] Namen über manches zu benachrichtigen, weil F[riedrich] wirklich arbeitet, da kamen aber Ihre beyden Briefe auf einmal; er findet es für nöthig selbst zu antworten, aber ich werde mich, da Sie mich so auffordern doch nicht von meinen Vorsatz abbringen lassen. Die Wahrheit zu sagen, es ging mir nicht immer so ganz gut, daß ich es hätte wagen dürfen Ihnen über unser Leben zu schreiben, es wäre vielleicht gar sehr ins maulhenkolische gefallen; jetzt geht es wieder etwas besser; Dorenburg war mir gut, und Sie sollen mir nicht darüber spotten! In der That lieber Wilhelm mein Aufenthalt in der lieblichen Gegend hat mich recht erfrischt, ich war zwölf Tage draußen, Friedrich aber einmal einen Tag, und dann einmal fünf Tage. Ritter war mit uns so lange Friedrich draußen war. Wir waren freylich auf der Rudolphsburg und in Kösen, dann auch auf der Tautenburg. Diese liegt mitten in einen wunderschönen Wald desgleichen man sonst in der Gegend hier herum [2] nicht zu sehen bekömt, ich habe auch sonst nirgend einen solchen Wald angetroffen. Von der Rudolphsburg waren wir alle bezaubert nur konnten wir es nicht so ganz genießen wie es sich gehörte, die Hitze war den Tag so drückend. Der vollständig erhaltene Eingang hat mich ordentlich gerührt; wie ich einge Schritte davon war, glaubte ich immer es müßte der Thürner nun oben das Zeichen geben, und als würde nun irgend eine der hohen Gestalten mir entgegen treten. Waren Sie denn auch in der Kammer die noch so ganz wohlbehalten da ist? wir hielten uns lange darin auf, mit mancherley Conjekturen wer sie wohl bewohnt haben mechte? ich fürchtete immer es würde eine Stimme sich vernehmen lassen die uns unsern Fürwitz verwiese. Und diese Aussicht rings herum! was sich dem erfreuten, weitdringenden Blick nicht alles auf einmal für Gegenstände zeigen, welch ein entzükendes immer wechselndes Gemählde; regendes bewegendes Leben wo man sich hinwendet! Wodurch ist wohl jetzt der Menschen Geist so sehr beschränkt? warum darf es jetzt niemand mit kindlichem Uebermuth einfallen „hier ist es schön, hier wollen wir bleiben“ und dann mit Riesenkraft ein Werk vollenden, das Jahrhunderte überlebt! – Sie sehen Lieber Freund ich bin noch jetzt ganz voll von jenen Gegenständen; lachen Sie nicht daß ich nur eine einzige Meile von Jena so viel fand, es ist so schön dort, daß man wohl dreyßig Meilen drum reisen möchte, [3] mir wenigstens war so wohl draußen, als wäre ich 30 Meilen weit von allem guten Geschmack, und feiner Gesellschaft entfernt; ich darf mich nur umwenden so sind diese Dinge für mich wie nicht vorhanden, und ich lebe ganz der Natur und meinem Herzen. Auch die Familien Feste sollen Sie mir nicht so sehr verspotten Sie böser Mensch! glauben Sie nur einer wohlerfahrnen Freundin, sie sind am Ende doch eins der schönsten Sachen die Gott gemacht hat; aber freylich, die Familie muß darnach seyn, sonst wird aus dem Familien Fest leicht ein Fourmillen Nest, in dem es nicht rathsam ist sich nieder zu lassen.
Ihre beyden Gedichte sind herrlich lieber Wilhelm[.] Ich kann keins im Herzen den Vorzug geben, obgleich der Schmerz darin von ganz verschiedenem Charakter ist; darum gehören sie ganz zusammen, die sanfte wehmüthige sehnsuchtsvolle Trauer im Liede, und der fast bittre stechende Schmerz im Sonett, beydes ist vortreflich ausgedrückt. Das Lied hat mich bis zu Thränen gerührt, ich möchte Componiren können, aber die Musik könnte nur eine Begleitung der musikalischen Worte seyn.
Wäre der Anlaß nicht so gar grausam, so wäre es mir ordentlich ein wenig lieb, daß Sie sich so etwas schwach fühlen; nun werden Sie es einem andern Menschen doch auch ein andermal glauben, daß man Stärkung bedarf und Erhohlung. Nicht wahr lieber Wilhelm man kann sich recht recht müde fühlen?
[4] Ritter ist recht oft bey uns, und ich habe ihn lieb bekommen; glauben Sie es nur, er ist eine der seltnen Erscheinungen dieser Erde, ein recht tugendhafter Jüngling! Er soll auch noch liebenswürdig werden, geben Sie nur Acht, und lassen Sie ihm Zeit; den Anfang damit hat er schon gemacht, indem er mir den halben Laubthaler den er Ihnen schuldig war, für Sie eingehändigt. Geld Sachen wird F[riedrich] Ihnen weitläuftig schreiben. Noch haben wir Nichts bekommen, als zum Theil das, was für den Verkauf der Möbles in Berlin eingelaufen ist, dieses gehet aber auch alles sehr al[l]mählich. Die Doctorwürde hat beynah an 50 R[eichsthaler] gekostet; doch diese Ausgabe ist blos Auslage; zur Michaelis Messe bekommen wir von allen Seiten Geld dann sollen Sie unfehlbar bezahlt werden, ich schicke Ihnen die Berechnung wie Sie wünschten. Rechnungen habe ich bis jetzt noch nicht bezahlen können. Seyn Sie aber ruhig und verlassen Sie sich darauf, daß es möglichst bald geschehen soll. Lene will mit tausend Freuden zu Weihnachten wieder zu Carolinen ziehen, seyn Sie so gut mir mit umgehender Post so gleich zu schreiben, ob ich sie miethen soll, und wie viel Miethgeld ich ihr geben soll? Sie dringt sehr auf Entscheidung, weil sie sich auf den Fall daß Caroline sie nicht will, anders wohin vermiethen will. – Rose steht ganz und gar zu Ihren Diensten, in Braunschweig, in Rom wenn es seyn muß; sie heyrathet nicht, und ist [5] voller Freuden daß sie bleiben kann. Rose ist ein recht liebes liebenswürdiges Geschöpf es wäre recht sündlich wenn sie etwa unter Lene leiden müßte, ich hätte sie für mein Leben gern für mich behalten, aber freylich, Sie gehen vor, und ich habe mir nun eine andre gemiethet, ich lasse die Rose ordentlich ungern; ich bin ihr herzlich gut.
Ja ja, Meeräffchen hat dem Angebrennten eclatanten Abschied gegeben, so daß er nicht angebrennt, sondern ganz abgebrennt ist; Rose hat ihren epouseur in aversion genommen und behauptet „sie müße noch gar vieles lernen eh sie ans heyrathen denken darf.“ – Nun beklagt euch noch, daß ihr nicht auf euer Zeitalter wirkt! und zwar nach Art der ächten Propheten, durch die Weiber! –
Paulus sind glücklich zurückgekommen, sie ist noch immer sehr schwach, aber doch ganz auf dem Weg der Besserung. Sie so wohl als er bezeigen sich ungemein freundlich gegen uns. – Schleyermacher wird wahrscheinlich im November auf einen Besuch hier seyn er bittet Sie, es doch möglichst so einzurichten daß er Sie hier findet.
Nun leben Sie wohl mein Freund! Gott gebe Ihnen Trost und Freuden. –
Dorothea
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  • Schlegel, Dorothea von  Nicht-Briefsendung  bereuen  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schlegel, Friedrich von  Brief  senden lassen  Schlegel, Dorothea von
  • Schlegel, Dorothea von  positiv bewerten  Schlegel, August Wilhelm von: Auf der Reise (Nr. II in „Todten-Opfer“)
  • Schlegel, Dorothea von  positiv bewerten  Schlegel, August Wilhelm von: Sinnesänderung (Nr. I in „Todten-Opfer“)
  • Schlegel, Dorothea von  betrauern  Böhmer, Auguste
  • Ritter, Johann Wilhelm   Begegnung  Schlegel, Dorothea von
  • Ritter, Johann Wilhelm   Begegnung  Schlegel, Friedrich von
  • Schlegel, Dorothea von  charakterisieren  Ritter, Johann Wilhelm
  • Schlegel, Friedrich von  Gelderstattung  ankündigen lassen  Schlegel, Dorothea von
  • Schlegel, Friedrich von  Gelderstattung  ankündigen  Schlegel, August Wilhelm von
  • Mereau, Sophie   beenden  Brentano, Clemens
  • Schleiermacher, Friedrich  Begegnung  ankündigen  Schlegel, Dorothea von
  • Schleiermacher, Friedrich  Begegnung  erbitten  Schlegel, August Wilhelm von
Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 25. August 1800
  • Sender: Dorothea von Schlegel ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Bamberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 25. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Höhepunkt und Zerfall der romantischen Schule (1799 ‒ 1802). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hermann Patsch. Paderborn 2009, S. 167‒169.
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34097
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.23,Nr.31
  • Number of Pages: 5S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19 x 11,5 cm
Language
  • German

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