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Friedrich Schleiermacher an August Wilhelm von Schlegel

[1] Berlin d 6t. Merz 98.
Gewüthet hat er nun eben nicht; aber freilich hat die plözliche Entdekung, daß Sie über die Fragmente eine der seinigen ganz entgegengesezte Ansicht haben, ihn im höchsten Grade verstimmt. Denn so scheint es mir wenigstens zu seyn, da es nicht die Form allein ist, sondern größtentheils der Inhalt was Ihnen mißfällt. Sie mögen diese Theorien und diese eingestampften Abhandlungen nicht, weil ihnen das schäumende und leichte fehlt welches Sie Sich als den Hauptcharakter der Gattung gedacht haben mögen, da Sie Friedrichs Vorschlag Fragmente ins Athenäum zu geben so bereitwillig annahmen. Aber hätten Ihnen nicht die im Lyceo schon sagen können daß Sie außer jenen noch ganz andere Dinge zu erwarten hätten? Und in der That glaube ich daß sich das Athenäum auch bei den diken und schweren gar nicht übel stehen wird. Verstanden werden Sie freilich wenig werden, aber gelesen doch wol sehr viel. Wenn auch das erfreuliche und reizende nicht in jedem einzelnen so innig mit dem tiefen verschmolzen werden kann wie Sie es in Ihrem Klopstock durchaus gethan [2] haben, so ist deßen doch im Ganzen genug darin vorhanden. Ich bin fest überzeugt daß er seine Philosophie vor der Hand nicht anders von sich geben kann, und daß wenn er es könnte, es nichts frommen würde, da sie hingegen so eine sehr große Wirkung thun kann. Wo sollte er also mit seiner Philosophie bleiben und wo sollte das Athenäum Philosophie herbekommen? Fichte wird freilich manches Fragment nicht gleich verstehen, aber rühmen und verehren wird er sie gewiß genug. Daß sie ein großes Publikum haben werden ist mir sehr gewiß. Wer piquirt sich denn jezt nicht über die tiefste Philosophie wenigstens schwazen zu können, und ist es nicht bei diesem ganzen Publiko das Kennzeichen eines Philosophen en gros daß er seine Sprache selbst fabriciren und sie nicht von Andern einhandeln muß? Das Lächerliche wäre nur dann zu fürchten, wenn sich der Fälle fänden, daß sich unter dem Geklirr schwerer Geisterworte wie bei Gespenstergeschichten ein ganz gemeiner Gedanke verborgen hätte, den die ganze Hausgenoßenschaft schon längst gekannt hat. Wäre die Kunstwörterei unnüz so würde sie an niemanden einen heftigem Gegner haben als an mir, dem es obliegt überall auf das erbauliche zu sehn. Sie haben zwar [3] die Mühe genommen einige Rubriken aus seinen [IdeenBibeln] zu übersezen, aber gerade wo bei der Uebersezung am wenigsten verloren gegangen ist nur durch ein neues Wort. Ueberall geht das aber gewiß nicht, und wenn dann neben den neuen deutschen Worten doch noch ausländische stehn müßten, würde der Ausdruk noch bunter werden, und es wäre so zwekwidrig als wenn einer der mit fremden Thieren herumgeht, einige davon ausdrüklich in einländische Felle nähen wollte.
Als Herausgeber können Sie also, dächte ich ganz beruhigt seyn, und als Bruder brauchen Sie auch keinen üblen Einfluß dieser Fragmentenschöpfung auf seinen schriftstellerischen Charakter zu fürchten. Er scheint wie Leibnizens Gott alle mögliche Welten im Kopf zu haben, aber da er mehreren zur Existenz verhelfen wird, ist er gar nicht einmal der Versuchung ausgesezt in eine etwas hineinzubringen was in ihr nicht das beste wäre. Er ist mit dem großen KünstlerStudio den Charakter einer jeden Gattung immer genauer zu construieren und alles fremdartige so daraus zu entfernen so unabläßig beschäftigt, und damit schon so weit auf dem klaren daß er die Eigenheiten der Fragmente gewiß in kein Werk von einer andern Form hinübernimt. So dürfen Sie also auch des Lessings halber nicht bange seyn. Nehmen sie deshalb, weil ich seine Fragmentensprache in Schuz nehme, Ihr Commissorium nicht [4] zurük; ich will mich deßen zu Ihrer Zufriedenheit bedienen. – Der erste Bogen des Athenäums wird Ihnen gewiß Freude machen und vielleicht söhnen die gedrukten Fragmente Sie mit den geschriebenen wieder aus. Es hat einen ganz andern Schik so, und die Stellung thut in der That sehr viel. Er schikt diesen Bogen ausdrüklich als Mitte, und ich hoffe er wird seine Schuldigkeit thun.
Welch eine herrliche Wirkung Ihr Brief an mich unter den gegebnen Umständen auf Ihren Bruder gemacht hat, das läßt sich gar nicht beschreiben. Er war eine unentbehrliche Arzenei gegen seine Verstimmung, deren Paroxysmus wenigstens durch jeden Zauberspruch darin augenbliklich gebrochen wurde. Auch ist er schon drüber her den Eierstok und das fatigante Manoeuvre zu fragmentiren: so etwas darf er nur wittern, er erklärt es für gute Prise, wo er es auch finde. Meine Symbiotik hat bei Ihnen gewaltig gehakt, und ich wundere mich nicht, daß Sie die fremden Worte nicht einlaßen wollen, wenn sich die Race zum großen Nachtheil der einländischen Zucht so fruchtbar vermehrt. Machen Sie nur daß Sie bald an den angewandten Theil der Itineraristik kommen und nehmen Sie in diesen auch gynäkognostische und andrapodistische Lehrsäze auf damit ich nicht um die Freude komme Ihre Frau Gemahlin meine Verehrung selbst zu bezeigen welches, wie Madame Unger schreibt noch immer ungewiß ist.
Schl.
  • Schlegel, Friedrich von  verärgert sein  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schleiermacher, Friedrich  Kritik  vermitteln  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schleiermacher, Friedrich  positiv bewerten  Schlegel, August Wilhelm von: Die Sprachen
  • Schleiermacher, Friedrich  charakterisieren  Schlegel, Friedrich von
  • Schleiermacher, Friedrich  charakterisieren  Fichte, Johann Gottlieb
  • Schleiermacher, Friedrich  wertschätzen  Schlegel, Friedrich von
  • Schlegel, Friedrich von  Druck  senden  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schlegel, Friedrich von  Druck  senden lassen  Schleiermacher, Friedrich
  • Schleiermacher, Friedrich  Brief  vermitteln  Schlegel, Friedrich von
  • Schleiermacher, Friedrich  grüßen lassen  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schleiermacher, Friedrich  grüßen  Schelling, Caroline von
Briefkopfdaten
  • Datum: Dienstag, 6. März 1798
  • Absender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Empfänger: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Absendeort: Berlin · ·
  • Empfangsort: Jena · ·
Druck
  • Bibliographische Angabe: Schleiermacher, Friedrich: Kritische Gesamtausgabe. Hg. v. Hans-Joachim Birkner u. Hermann Fischer. Berlin u.a. 1980ff. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 289‒292.
Handschrift
  • Datengeber: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-34477
  • Signatur: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.25,Nr.4
  • Blatt-/Seitenzahl: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,7 x 11,3 cm
Sprache
  • Deutsch

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