[1] Jena d. 22 Jan 98
Ihr Brief würde mir eine ganz reine Freude gemacht haben, wenn er mir nicht sehr lebhaft die Besorgniß erregt hätte, daß Sie meinen Bruder ungebührlich verwöhnen. Wie könnte es ihm sonst einfallen, eine weit geistreichere Feder wie die seinige sich auf diese Art dienstbar zu machen? Wenn er Sie noch aufgefodert hätte, bloß schriftlich mit mir Bekanntschaft zu stiften, und nicht einem bestimmten Geschäfte zu fröhnen, sondern mit absoluter Zweckmäßigkeit ohne Zweck zu schreiben. Der Gewinn ist immer auf meiner Seite, wenn Sie auch die Correspondenz nur als Geschäftsträger führen sollten; ich habe gleich dießmal 1) das Datum, 2) die zierlichere Hand, 3) den Brief selbst profitirt. Die Randglossen meines Bruders rechne ich auch zu dem Gewinn – denn sie gelingen ihm weit besser als ganze Briefe, sowie Fragmente besser als Abhandlungen, und selbstgeprägte Wörter besser als Fragmente. Am Ende beschränkt sich sein ganzes Genie auf mystische Terminologie. Ist es nicht wahrer [2] Mysticismus, wenn er behauptet Kritisch und Fragmente wäre tautologisch? Wer giebt meinem Herrn Bruder das Recht, das Wort Fragment dazu zu stempeln. Sie sollen also kritische Fragmente [heißen], wenn er sie nicht etwa lieber Randglossen nennen will, nämlich Glossen an den Rand des Zeitalters geschrieben, ob wir uns gleich nicht wie Schlosser hinter dem Rücken desselben gebildet haben.
Daß er Sie Fragmente suchen läßt, ist ebenfalls die verkehrte Welt – Sie könnten gewiß mit weit geringrer Mühe und Zeitverlust unsre Anfangs-Symphonie von Fragmenten durch weit schönere bereichern. Aber diese Anmuthung ist ganz im Charakter eines Menschen der unaufhörlich seine innern Reichthümer in allerley Ungestalten von sich giebt, und doch einen auf der Treppe verlohrnen Gedanken mit unsäglichem Kummer wie eine Stecknadel suchte. Mit den Reichthümern ist es auch so so; erst hatte er ihrer ganz unendlich viele; 6, 7, 8 Bogen voll konnte er geben. Nun da ich doch wenigstens einen Bogen voll geliefert, hofft er mit Mühe und Noth 4 bis 5 [3] Bogen zu Stande zu bringen, und ich fürchte da wird noch viel herunter gedungen werden. – Daß der junge Mann doch gemerkt, daß das mystificiren gegen ihn gerichtet ist, das nenne ich wirklich ungemein gescheidt von ihm. Er ist überhaupt, was der alte Nicolai von mir rühmt „ein Jüngling von herrlichen Anlagen“, und wenn Sie sich mit seiner Erziehung bemühen wollen kann noch etwas aus ihm werden. Die Art, wie Sie mir seine Arbeit am Wilhelm Meister schildern, überzeugt mich, daß er noch ganz der alte geblieben ist. – Walten Sie ja ein wenig über der Chronologie seiner Arbeiten – erschöpfen und ergründen läßt sich ja doch in der Welt einmal nichts, und wenn man ihn sich selbst überläßt, so wühlt er sich wie ein Maulwurf immer tiefer ein – man kann nicht wissen, wann er etwas zu Tage fördern wird, ja er kommt vielleicht einmal unvermuthet bey den Antipoden wieder zum Vorschein.
Sagen Sie ihm, meine Arbeit über die Grammatischen Gespräche könne nicht abgebrochen werden, und es frage sich also, ob sie mit dem Wilhelm Meister und den Fragmenten das erste Stück nicht zu sehr anschwellen würde – freylich werde ich sie so kurz und sprightly [4] einrichten, wie möglich. Ich glaube immer daß Wilhelm Meister und Fragmente für das 1te Stück hinreichen werden; und für das 2te 1) Grammatische Gespräche 2) Briefe über Shakespeare 3) Lessing und 4) Litterarische Ansichten. – Er soll aber ja auf seine philosophischen Ansichten denken. Noch besser wenn Sie selbst mit daran denken wollen
Wegen Dresden schreibe ich ihm nächstens ausführlicher – heute wird mir die Zeit sogar zu dem Briefe an Sie zu kurz, ich will es aber auch nachhohlen. Ich kann mich nicht überwinden, seinem Eigensinne zu lieb, meinen Plan aufzugeben, besonders weil ein Sommer in Dresden für meine Frau sehr wohlthätig seyn würde. Will der junge Mensch durchaus nicht – das Zusammenwohnen ließe sich wohl einrichten – so muß ich den Sommer ohne ihn fertig zu werden suchen. Ich will dichten und in der Dresdener Gallerie meine Abhandlung über Styl und Manier schreiben. Wenn ich ein Stück aus einem Tragiker für das Journal übersetzte, dazu brauchten wir auch wohl nicht bey einander zu seyn – freylich wäre es besser. Aber das ist denn nun seine Schuld, und er mag alsdann desto eifriger allein für das Journal sorgen.
Ich kann Ihnen meinen Verdacht nicht [5] bergen, daß Sie an der Abgeneigtheit meines Bruders Berlin zu verlassen, große Schuld haben. Ich freue mich von ganzem Herzen darauf Rache an Ihnen zu nehmen, wenn ich hinkomme. Auch habe ich darüber ein Hihnchen mit Ihnen zu pflücken, daß Sie meinen Bruder schlechthin Schlegel nennen, und mich dadurch für null und nichtig erklären so viel an Ihnen ist. Wenn einer von uns Schlegel ist, so bin ich es doch wohl, und er ist Fr. Schlegel – ich will mir aber auch allenfalls das A. W. gefallen lassen. Der ältere bin ich zwar ursprünglich nicht, aber der rauhe Esau hat mir, dem sanftren Jakob, die Erstgeburt für ein Linsengericht verkauft.
Lassen Sie ihn seine Einfälle über Agnes von Lilien mir nur mittheilen, aber gedruckt sollen sie nicht werden – das wäre tölpisch.
Das Gleichniß mit der Windmühle kann ich Ihnen nicht ganz durchgehen lassen. Vielmehr kommt mir Eschen als eine Stampf und Walkmühle vor, die Voß als Müller in Bewegung gesetzt hat. Unchristlich handeln wir aber doch an ihm. [6]
Verzeihen Sie dieß Geschmier – alles wäre entschuldigt wenn ich den ganzen Brief für ein Fragment ausgeben könnte. – Die Glocke zum Abgang der Post schlägt – ich empfehle mich also, nicht durch die That, aber durch Wünsche und Bitten Ihrer gütigen Korrespondenz. – Leben Sie recht wohl.
A W Schlegel oder Schlegel tout court.
Ihr Brief würde mir eine ganz reine Freude gemacht haben, wenn er mir nicht sehr lebhaft die Besorgniß erregt hätte, daß Sie meinen Bruder ungebührlich verwöhnen. Wie könnte es ihm sonst einfallen, eine weit geistreichere Feder wie die seinige sich auf diese Art dienstbar zu machen? Wenn er Sie noch aufgefodert hätte, bloß schriftlich mit mir Bekanntschaft zu stiften, und nicht einem bestimmten Geschäfte zu fröhnen, sondern mit absoluter Zweckmäßigkeit ohne Zweck zu schreiben. Der Gewinn ist immer auf meiner Seite, wenn Sie auch die Correspondenz nur als Geschäftsträger führen sollten; ich habe gleich dießmal 1) das Datum, 2) die zierlichere Hand, 3) den Brief selbst profitirt. Die Randglossen meines Bruders rechne ich auch zu dem Gewinn – denn sie gelingen ihm weit besser als ganze Briefe, sowie Fragmente besser als Abhandlungen, und selbstgeprägte Wörter besser als Fragmente. Am Ende beschränkt sich sein ganzes Genie auf mystische Terminologie. Ist es nicht wahrer [2] Mysticismus, wenn er behauptet Kritisch und Fragmente wäre tautologisch? Wer giebt meinem Herrn Bruder das Recht, das Wort Fragment dazu zu stempeln. Sie sollen also kritische Fragmente [heißen], wenn er sie nicht etwa lieber Randglossen nennen will, nämlich Glossen an den Rand des Zeitalters geschrieben, ob wir uns gleich nicht wie Schlosser hinter dem Rücken desselben gebildet haben.
Daß er Sie Fragmente suchen läßt, ist ebenfalls die verkehrte Welt – Sie könnten gewiß mit weit geringrer Mühe und Zeitverlust unsre Anfangs-Symphonie von Fragmenten durch weit schönere bereichern. Aber diese Anmuthung ist ganz im Charakter eines Menschen der unaufhörlich seine innern Reichthümer in allerley Ungestalten von sich giebt, und doch einen auf der Treppe verlohrnen Gedanken mit unsäglichem Kummer wie eine Stecknadel suchte. Mit den Reichthümern ist es auch so so; erst hatte er ihrer ganz unendlich viele; 6, 7, 8 Bogen voll konnte er geben. Nun da ich doch wenigstens einen Bogen voll geliefert, hofft er mit Mühe und Noth 4 bis 5 [3] Bogen zu Stande zu bringen, und ich fürchte da wird noch viel herunter gedungen werden. – Daß der junge Mann doch gemerkt, daß das mystificiren gegen ihn gerichtet ist, das nenne ich wirklich ungemein gescheidt von ihm. Er ist überhaupt, was der alte Nicolai von mir rühmt „ein Jüngling von herrlichen Anlagen“, und wenn Sie sich mit seiner Erziehung bemühen wollen kann noch etwas aus ihm werden. Die Art, wie Sie mir seine Arbeit am Wilhelm Meister schildern, überzeugt mich, daß er noch ganz der alte geblieben ist. – Walten Sie ja ein wenig über der Chronologie seiner Arbeiten – erschöpfen und ergründen läßt sich ja doch in der Welt einmal nichts, und wenn man ihn sich selbst überläßt, so wühlt er sich wie ein Maulwurf immer tiefer ein – man kann nicht wissen, wann er etwas zu Tage fördern wird, ja er kommt vielleicht einmal unvermuthet bey den Antipoden wieder zum Vorschein.
Sagen Sie ihm, meine Arbeit über die Grammatischen Gespräche könne nicht abgebrochen werden, und es frage sich also, ob sie mit dem Wilhelm Meister und den Fragmenten das erste Stück nicht zu sehr anschwellen würde – freylich werde ich sie so kurz und sprightly [4] einrichten, wie möglich. Ich glaube immer daß Wilhelm Meister und Fragmente für das 1te Stück hinreichen werden; und für das 2te 1) Grammatische Gespräche 2) Briefe über Shakespeare 3) Lessing und 4) Litterarische Ansichten. – Er soll aber ja auf seine philosophischen Ansichten denken. Noch besser wenn Sie selbst mit daran denken wollen
Wegen Dresden schreibe ich ihm nächstens ausführlicher – heute wird mir die Zeit sogar zu dem Briefe an Sie zu kurz, ich will es aber auch nachhohlen. Ich kann mich nicht überwinden, seinem Eigensinne zu lieb, meinen Plan aufzugeben, besonders weil ein Sommer in Dresden für meine Frau sehr wohlthätig seyn würde. Will der junge Mensch durchaus nicht – das Zusammenwohnen ließe sich wohl einrichten – so muß ich den Sommer ohne ihn fertig zu werden suchen. Ich will dichten und in der Dresdener Gallerie meine Abhandlung über Styl und Manier schreiben. Wenn ich ein Stück aus einem Tragiker für das Journal übersetzte, dazu brauchten wir auch wohl nicht bey einander zu seyn – freylich wäre es besser. Aber das ist denn nun seine Schuld, und er mag alsdann desto eifriger allein für das Journal sorgen.
Ich kann Ihnen meinen Verdacht nicht [5] bergen, daß Sie an der Abgeneigtheit meines Bruders Berlin zu verlassen, große Schuld haben. Ich freue mich von ganzem Herzen darauf Rache an Ihnen zu nehmen, wenn ich hinkomme. Auch habe ich darüber ein Hihnchen mit Ihnen zu pflücken, daß Sie meinen Bruder schlechthin Schlegel nennen, und mich dadurch für null und nichtig erklären so viel an Ihnen ist. Wenn einer von uns Schlegel ist, so bin ich es doch wohl, und er ist Fr. Schlegel – ich will mir aber auch allenfalls das A. W. gefallen lassen. Der ältere bin ich zwar ursprünglich nicht, aber der rauhe Esau hat mir, dem sanftren Jakob, die Erstgeburt für ein Linsengericht verkauft.
Lassen Sie ihn seine Einfälle über Agnes von Lilien mir nur mittheilen, aber gedruckt sollen sie nicht werden – das wäre tölpisch.
Das Gleichniß mit der Windmühle kann ich Ihnen nicht ganz durchgehen lassen. Vielmehr kommt mir Eschen als eine Stampf und Walkmühle vor, die Voß als Müller in Bewegung gesetzt hat. Unchristlich handeln wir aber doch an ihm. [6]
Verzeihen Sie dieß Geschmier – alles wäre entschuldigt wenn ich den ganzen Brief für ein Fragment ausgeben könnte. – Die Glocke zum Abgang der Post schlägt – ich empfehle mich also, nicht durch die That, aber durch Wünsche und Bitten Ihrer gütigen Korrespondenz. – Leben Sie recht wohl.
A W Schlegel oder Schlegel tout court.