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August Wilhelm von Schlegel to Friedrich Schleiermacher

[1] Jena d. 7 Sept. 1801.
Verzeihen Sie, theuerster Freund, daß ich Sie seit meiner Abreise von Berlin erst jetzt wieder begrüße: es ist eigentlich die Hoffnung sehr bald wieder mit meinen dortigen Freunden zu leben, was mich nachläßig im Schreiben macht. Meine Ankündigung der Vorlesungen ist schon hinübergeschickt, ich empfehle sie hiemit Ihrer Protektion und Beförderung bestens; Sie können mich immer schon mit gutem Gewissen ein wenig herausstreichen. Diese Vorlesungen, in denen ich alles vernünftige und gemäßigte anbringen will, müssen mir das Mittel werden, zur Erhohlung mit meinen Freunden recht viel tolles und ungemäßigtes zu schwatzen, und ich denke dabey sind Sie interessirt, wenn auch nicht bey jenen.
Die Beurtheilung des Schillerschen Macbeth hat uns viel Freude gemacht, sie ist wahrlich eine sehr respektable Probe Ihrer Philologie. Ich möchte sagen, um eine starke Sensation zu machen, ist sie zu gründlich und philologisch; allein das haben Sie auch nicht bezweckt, indem Sie grade das härteste so gesagt, daß es nur Schiller und die Kundigen ganz verstehen können, in welchem Falle der ehrliche Erlanger sich wahrscheinlich nicht befunden hat. Indessen finde ich diese Schonung bey der Strenge sehr angebracht. Ich ließe es mir [2] gern gefallen, meinen Shakespeare so von Ihnen beurtheilt zu sehen, wenn auch viel Tadel darin vorkommen sollte.
Auf die Beurtheilung der Charakteristiken – dieses seltne und wunderbare Ereigniß, etwas gescheidtes über unsre Sachen zu hören, freue ich mich recht sehr. Machen Sie nur, daß es bald kommt.
Friedrichen muß ich das Zeugniß geben, daß er einen sehr erbaulichen und fleißigen Lebenswandel führt und eigentlich beständig arbeitet. Er behauptet beym Plato hätten Sie ihm seine allgemeinen Studien nicht genug angerechnet. Wir sehen uns täglich, gehen viel mit einander spazieren und unser beständiges Gespräch ist die Kunst, und jetzt vorzüglich die dramatische. Da muß doch endlich auf eine oder die andre Art wieder etwas zu Stande kommen.
Was machen denn die poetischen Übersetzer-Studien? der Sophokles und die Trimeter? Nehmen Sie sich in Acht, daß ich Ihnen nicht zuvorkomme. Besonders von Trimetern wird gewaltig viel die Rede seyn, und Friedrich der sich einmal dagegen zu erklären schien, ist nicht der letzte daran, welche zu machen. Goethe äußerte auch, er wünsche diese Materie einmal mit mir durchzugehn überhaupt die in den antiken Tragödien vorkommenden Sylbenmaße. Er scheint noch nicht im reinen zu seyn, was er in seiner Arbeit den chorischen Sylbenmaßen substituiren soll. Wir [3] waren jetzt zu lebhaft mit andern Dingen beschäftigt als daß wir näher hätten darauf kommen sollen.
Von Schelling wird nächstens ein neues Stück des Journals erscheinen. Mit dem prächtigen Exemplar Ihrer Reden habe ich ihm eine große Freude gemacht, er hat sie wie ein wahrhaft geistliches Buch in schwarzen Corduan mit goldnem Schnitt binden lassen. Wegen Ihrer Predigten habe ich schon an Bernhardi’s geschrieben, was Ihnen wohl wird ausgerichtet seyn. Da ich die Freunde hier so lebhaft mit der Lesung derselben beschäftigt fand, wollt’ ich es, wie Eulenspiegel, doch auch selbst probiren. Allein es ist mir dabey natürlich ergangen wie einem Profanen; zu großem Ärgerniß der andern habe ich geäußert es müßten wohl romantische Predigten seyn, weil so viel Ironie darin wäre; besonders in der, wo der Tod Christi als ein wünschenswerthes Muster aufgestellt wird. Hernach die vortreffliche Predigt über den Text: Der Faule stirbt über seinen Wünschen, denn seine Hände wollen nichts thun, scheint mir eine offenbare Personalität gegen Tieck, dem ich sie wohl vorlesen möchte.
Friedrich hat mir eine kleine Sammlung von Epigrammen und dergleichen unter dem Titel Saturnalien vorgelegt, worin deliciöse Sachen sind. Das hätten Sie nun auch genießen [4] können, wenn Sie mich mit her begleitet hätten. Ich habe in dieser Art noch eben nichts neues wieder gemacht, es wird schon einmal kommen. Jetzt wird fleißig am Almanach gedruckt, wovon ich bis jetzt etwa den 4ten Theil zur Correktur gehabt. Schade, daß Sie nicht mit darin sind[,] für das nächste Jahr rechne ich ganz gewiß darauf.
Um Ihnen meinen Brief doch einigermaßen interessant zu machen, schicke ich Ihnen hier die erste Rede aus dem Oedipus in Colonos. Sie werden sehen, daß die Trimeter ganz glimpflich gehalten, und der Kothurn noch nicht eine halbe Elle hoch ist.
Leben Sie recht wohl, und lassen Sie bald wieder schriftlich und gedruckt etwas von sich lesen.
Ganz Ihr
AW Schlegel
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Metadata Concerning Header
  • Date: Montag, 7. September 1801
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich: Kritische Gesamtausgabe. Hg. v. Hans-Joachim Birkner u. Hermann Fischer. Berlin u.a. 1980ff. Abt. 5, Bd. 5. Briefwechsel 1801‒1802 (Briefe 1005‒1245). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1999, S. 191‒195.
  • Weitere Drucke: Aus Schleiermacherʼs Leben. In Briefen. Hg. v. Ludwig Jonas u. Wilhelm Dilthey. Bd. 3: Schleiermachers Briefwechsel mit Freunden bis zu seiner Übersiedlung nach Halle, namentlich der mit Friedrich und August Wilhelm Schlegel. Berlin 1861, S. 289‒292.
Manuscript
  • Provider: Berlin, Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
  • Classification Number: NL F. D. E. Schleiermacher, Nr. 372.2. Bl.52–53r
  • Number of Pages: 2 S., hs. m. U.
Language
  • German

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