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August Wilhelm von Schlegel to Christian Gottfried Schütz

[1] Jena, 10. Dec. 1797.
Werthester Herr Hofrath! Es muß mich freilich auf eine unangenehme Art befremden, meine Anzeige der Terpsichore von Herder in einer Hauptstelle, die, weil sie den Eingang ausmacht, doppelt in die Augen fällt, wesentlich verändert abgedruckt zu finden, da Sie mir mündlich und schriftlich Ihre völlige Zufriedenheit mit derselben bezeugt, auch mir eine Einwendung gegen eine andere Stelle mitgetheilt hatten, der zufolge ich noch etwas daran veränderte. Ich habe bei der Klage, die ich hierüber gegen Herrn Justizr. Hufeland geführt, mir nicht schlechthin alle Aenderungen in meinen Recensionen verbeten, sondern nur gesagt, ich fände es billig, daß man sich mit mir vorher darüber bespreche, da ich hier am Orte lebe. Diese Erwartung geht so natürlich aus einem freundschaftlichen Verhältnisse hervor, daß mir gar nicht einfallen konnte, sie würde bei der Recension der Terpsichore, deren mühsame Ausarbeitung Sie selbst mehrmals für eine Gefälligkeit von meiner Seite erklärt hatten, getäuscht werden. Da Sie in der Hauptsache meinem gegen Herrn J. Hufeland geäußerten Verlangen nachgegeben (denn, wenn mir die in meiner Recension gemachten Aenderungen mitgetheilt werden, und die Abkürzung derselben, wo sie nöthig sein sollte, mir selbst überlaßen wird, so bleibt mir dann immer noch die Wahl, ob ich sie ganz zurücknehmen will), so erlauben Sie mir einige Mißverständnisse in Ihrem Briefe aufzuklären.
Zuerst kann ich keinesweges eingestehen, daß die Aenderung bloß ein Paar Phrasen betreffe. Ich pflege zwar nicht in so bedeutungslosen [2] Phrasen zu schreiben, daß man viel daran verändern könnte, ohne daß der Sinn darunter litte. Auch das ἀνακόλουθον: „an Herder bewundern wir nicht allein ‒ und noch unnachahmlicher ist er u.s.w.“ war mir gewiß nicht aus Versehen entschlüpft. Die Lebhaftigkeit der Schreibart gewinnt dabei, wenn man da, wo keine Zweideutigkeit zu fürchten ist, dergleichen mechanische Regeln vernachläßigt. Ich glaube das durch das Beispiel der besten alten und neuern Schriftsteller bestätigen zu können. Auf Leser, die nicht im Stande sind, hinzuzudenken, wenn gesagt wird, gewisse Eigenschaften seien noch unnachahmlicher, als die vorgenannten, daß jene auch noch mehr bewundert werden müßen, verlohnt es kaum der Mühe, Rücksicht zu nehmen. Doch dieß ist die unbedeutendste unter den vorgenommenen Veränderungen, über die allein ich nie ein Wort verloren hätte, wie Sie auch daraus sehen können, daß ich die Weglaßung dessen, was ich zur Einleitung der zuletzt angeführten Stelle von Balde gesagt, gar nicht einmal erwähnt habe. Ich gebe es Ihnen selbst anheim, ob durch folgende Veränderungen nichts als ,die Politur des Stilsʻ befördert worden. 1) Ist der ganze Satz weggelaßen: ,Nicht was sich lehren und lernen läßt, die ächte oder angebliche Wißenschaft der Kunst, macht den seelenvollen Kenner. Wie der Künstler selbst, wird er das, was er ist, nur durch die freiste Ausbildung seltner und selten vereinigter Naturgaben.ʻ Dieß war ja eben das Wesentlichste, was ich durch die ganze Einleitung ausführen wollte. In den erworbenen Fertigkeiten eines Kenners der Poesie kann mancher Andere Herdern übertreffen; aber er hat ,Genie zum Kennerʻ, wie er durch die kritischen Wälder und viele andere Schriften beweist.
[3] 2) Wenn Ihnen der Satz: ,Er hat uns sowohl die rauhesten, einfältigsten Weisen des Volksgesanges, als die Vollendung fremder Meisterwerke näher gebracht, die lieblichsten Blüten eines griechischen Frühlings und die kostbaren Blumenteppiche des Morgenlandes mit gleichem Glück auf deutschen Boden gepflanztʻ, zu pretiös für eine Recension vorkommt, so beweist es nur, daß unsere Begriffe vom Pretiösen und von der Schreibart einer Recension von einander abweichen. Ich kann mich unmöglich überreden, daß die Art, wie leider so viele Recensionen geschrieben sind, nämlich dürftig und trocken, ein allgemeines Gesetz für sie abgeben könne, und glaube, man müße überall, wo der Gegenstand es fordert, kräftig, blühend und mit Wärme schreiben. ,Pretiösʻ nennt man nur eine leere Pracht mit überflüßigen Bildern; durch die von mir gebrauchten wird aber die verschiedene Eigenthümlichkeit der morgenländischen und griechischen Poesien, welche Herder übertragen, auf das Kürzeste bezeichnet. Gesetzt aber auch, diese Bilder hätten durchaus weggestrichen werden müßen, was war gegen die erste Hälfte des Satzes bis ,gebrachtʻ einzuwenden? Wenn eine ,schonendeʻ Hand die Ausbeßerung unternommen hätte, würde sie auch gewiß stehen geblieben sein. ‒ Sie sagen, ,der Leser konnte und mußte sich das hinzudenkenʻ, und wenn alles Uebrige unverändert geblieben wäre, so hätte dieß noch einigen Grund gehabt, denn der in meiner Handschrift vorangehende Satz bereitete die näheren Bestimmungen vor. Aber jetzt soll sich der Leser hinzu denken, was nicht auf die entfernteste Weise angedeutet ist? Er könnte sich eben so gut die ganze Recension hinzu denken.
[4] 3) Wenn der scheinbare Mangel an Folge in der oben angeführten Wortfügung die Veränderung: ,sondern auchʻ u.s.w. nöthig machte, so hätte doch alles Folgende mit Ausschließung dessen, was Sie für gut hielten, wegzulaßen, unverändert stehen bleiben können, wenn nur ein einziges ,undʻ weggestrichen worden wäre. ,An ihm bewundern u.s.w. ‒ sondern auch die Biegsamkeit, womit sich seine Einbildungskraft aller Formen bemächtigt. Wie unverkennbar auch das Gepräge selbständiger Bestimmtheit in allem dem ist, was er ursprünglich gedichtet hat, so ist doch seine Muse gern eine gesellige Dolmetscherin der Zeiten und Völker, die allen Zungen nachzusingen und jeden Ton zu treffen weiß.ʻ Statt dessen haben Sie einen himmelweit von diesem verschiedenen Satz eingeschoben, der, wie ich sogleich zeigen werde, gar nicht auf Herdern paßt: ,dennoch auch die Kunstgebilde anderer Meister, aus den verschiedensten Zeiten und Völkern in treffenden Kopien darzustellen versteht.ʻ
a) ,Kunstgebildeʻ ist ein unpaßender Ausdruck, weil die meisten von Herder übertragenen Gedichte, die Volkslieder, das hohe Lied u.s.w. gar nicht zur eigentlichen Kunst zu rechnen sind, sondern nur als Naturpoesie interessant werden.
b) Wenn ,Kunstgebildeʻ gesetzt werden sollte, so dürfte nicht hinzugefügt werden ,aus den verschiedensten Zeiten und Völkernʻ. Die eigentliche Kunstpoesie beschränkt sich auf sehr wenige Zeitalter und sehr wenige Völker. Herder hat wenigstens gewiß nicht ,Kunstgebilde aus den verschiedensten Zeiten und Völkernʻ übertragen.
[5] c) Der Ausdruck ,fremder Meisterʻ ist ebenfalls unpassend. Wenn auch Herder einige ,fremde Meisterwerkeʻ übertragen hat, wie man z. B. einige Stücke in der Anthologie wohl so nennen kann, so hat er doch, so viel ich mich erinnern kann, von keinem einzigen fremden Dichter die Werke übersetzt, dessen Ansehen groß genug wäre, um ihn einen ,Meister in der Poesieʻ zu nennen.
d) Das Wort ,Kopienʻ deutet auf anhaltenden, auch wohl kleinlichen Fleiß; aber in Rücksicht solcher Vorzüge, die dadurch erreicht werden, sind Herders Uebertragungen gar oft mangelhaft. Ihre Vortrefflichkeit beruht auf der erstaunlichen Zartheit des Gefühls, womit er jede dichterische Eigenthümlichkeit auffaßt, und in der glücklichen Leichtigkeit, womit er sie in seiner Sprache wieder ausdrückt. Für einen poetischen Uebersetzer, der sich mit sorgfältigem Fleiße auf das kleinste Detail einläßt, wie etwa Voß, würden diese Ausdrücke angemeßen sein; Herders Art zu übersetzen charakterisieren sie durchaus nicht. Und doch gieng mein ganzes Bestreben in der Einleitung dahin, zu zeigen, daß das, was Herdern als Kenner, und was ihn als poetischen Uebersetzer auszeichnet, aufs genaueste zusammenhängt und in seiner Quelle eins ist. In der That, ich muß mich sehr schlecht ausgedrückt haben, wenn es mir nicht gelungen ist, dieß deutlich zu machen.
e) Endlich, was noch das Allerschlimmste ist, so ist es nach der Wortfügung, wie sie jetzt gedruckt steht, nicht Herder selbst, der die Kunstgebilde fremder Meister in treffenden Kopien darzustellen [6] versteht, sondern nur seine Einbildungskraft. Es ist gewiß erlaubt, diejenige Seelenkraft statt der ganzen Person zu nennen, welche bei einem gewissen Geschäfte vorzüglich thätig ist; aber wer hat jemals mit der bloßen Einbildungskraft übersetzt?
Es thut mir sehr leid, werthester Herr Hofrath, durch Ihren und meinen Brief Ihnen so viel Zeit über Eine Stelle rauben zu müßen, worüber wir uns mündlich vor dem Druck in fünf Minuten hätten verständigen können. Indessen weiß ich nur mit Gründen zu streiten, und diese bedürfen Raum zu ihrer Entwickelung. Wenn die meinigen Sie noch nicht befriedigt haben, so bin ich sehr bereit, es auf den Ausspruch jedes Kenners, den Sie wählen werden, ankommen zu laßen, ob meine Recension durch obige Veränderung an ,Politur des Stils gewonnenʻ hat, oder ob nicht vielmehr in die Charakteristik von Herders Geiste etwas Unzusammenhängendes, ja völlig Verfehltes hinein gekommen, und ob nicht der eingeschobne Schluß gegen den Anfang seltsam absticht?
Ungern sehe ich in Ihrem Briefe in dieser Verbindung den Kontrakt und die Generalnorm erwähnt, da meine Klage sich gar nicht auf die mir diesen zufolge zustehenden Rechte, sondern auf das Verhältniß einer näheren Bekanntschaft bezog. Jetzt werden Sie mir aber erlauben, zu sagen, daß ich auch nach dem Kontrakt und der Generalnorm Ursache habe, mich zu beschweren. Das Recht, den Stil zu verbeßern und abzukürzen, haben sich die Herren Redaktoren vorbehalten. Von Abkürzung [7] konnte hier nicht die Rede sein, da so wenige Zeilen bei einer Recension von dieser Länge gar nichts austragen. ‒ Ich finde nirgends in der Generalnorm erwähnt, daß ein Recensent es sich muß gefallen laßen, wenn seine Handschrift durch zwecklose und willkürliche Auslaßungen, Versetzungen und Einschiebsel (Sie werden es nicht übel deuten, daß ich Ihre Offenherzigkeit erwidere) unheilbar verdorben wird.
Wenn ich Herdern eine Abschrift der veränderten Stelle meines Brouillons zuschickte, so würde dieß eine nothgedrungene Rechtfertigung meiner selbst, die mich gewiß weder in Herders, noch in irgend eines andern mit Einsicht in die Sache urtheilenden Mannes Achtung herabsetzen könnte. Ich sehe auch nicht, daß mir der Kontrakt oder die Generalnorm beliebige Privat-Mittheilungen meines Brouillons verwehrte. Da Ihnen die Ausführung meines Vorsatzes unangenehm zu sein scheint, so will ich es gerne dabei bewenden laßen, den Fall ausgenommen, daß ich erführe, Herder habe die Stelle als verfehlt getadelt, und sich über die kalte Abfertigung seiner Verdienste in den letzten Zeilen beklagt.
Ich bin weit entfernt, mir einzubilden, ich schreibe unverbeßerlich. Allein wenn dieß von Niemand gerühmt werden kann, so wird auch wohl Niemand unverbeßerlich zu verbeßern verstehen. Da ich mit vielem Bedacht schreibe, so scheint mir die Forderung billig, daß man mich auch mit Bedacht verbeßere. Und wie kann dieß kürzer und sicherer geschehen, als wenn man mit mir darüber spricht, und auch die Gründe anhört, wodurch ich das, wobei man Anstoß nimmt, vielleicht vertheidigen kann?
[8] Wenn der Recensent, der keine Verbeßerungen in seinen Arbeiten leiden konnte, derjenige ist, auf dem meine Vermuthung fällt, nämlich der Appellationsrath Körner in Dresden, so hat die A. L. Z. in der That einen vortrefflichen Kunstrichter an ihm verloren. Es wäre zu wünschen, daß wir oft so meisterhafte Beurtheilungen zu lesen bekämen, wie die des Wilh. Meister im 13. St. der Horen 1796., selbst nach Schillers und Goethes Einsichten, ist.
Da der viele Platz Sie dauert, welchen die Recension der Terpsichore eingenommen, so muß ich beklagen, daß Sie die Länge derselben nicht eher bemerkt; ich hätte sie ganz zurück genommen, und es wäre Raum für Recensionen, wie die ,der Kunst zu liebenʻ, ,des Schillerschen Almanachs von 1796.ʻ, ,der Kratterschen Schauspieleʻ u.s.w. erübrigt worden. Ich werde, wenn ich künftig für die Lit.-Zeit. arbeite, mich, wie bisher, so kurz zu faßen suchen, als die Gründlichkeit es mir zu erlauben scheint. Sollten Sie aber glauben, von andern Beurtheilern in diesem wesentlichsten Punkte der Kürze beßer bedient werden zu können, so achte ich meine Arbeit zu sehr, als daß ich sie auf irgend eine Art aufdringen möchte. Ich werde die mir aufgetragenen und noch nicht gelieferten Recensionen mit der grösten Bereitwilligkeit abtreten. Falls sich kein Verzeichniß davon auf der Expedition fände, bin ich bereit, Ihnen unverzüglich eins zu schicken. Eine ziemlich starke Unpäßlichkeit muß mich entschuldigen, daß ich nicht früher antwortete. Ich habe die Ehre u.s.w.
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  • Date: Sonntag, 10. Dezember 1797
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Recipient: Christian Gottfried Schütz ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Jena · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schlegel, August Wilhelm von: Sämmtliche Werke. Hg. v. Eduard Böcking. Bd. 10. Hildesheim 1971, S. 408‒413 [Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1846].
  • Verlag: Georg Olms Verlag
Manuscript
  • Provider: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek
  • Classification Number: M I 142
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
Language
  • German

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