[1] Kopenhagen den 15 Okt. 1790
Du hast ein Recht auf mich böse zu seyn, daß ich Deinen lieben Brief so lange unbeantwortet gelassen, obgleich ich es mir so ernstlich vorgenommen hatte ein fleissiger Correspondent zu seyn werden. Einigermassen kann indeßen vieleicht mich das bey Dir entschuldigen, daß anfänglich die Ankunft einer vielgeliebten Tante und ihrer liebenswürdigen Töchter nach einer Abwesenheit von 13 Jahren mich in der Zeit die mir von Amtsgeschäften übrig blieb zu sehr beschäftigte als daß ich an Briefschreiben hätte denken können, und daß nachher die Verpflichtung welche mir oblag eine Juristische Dissertation auszuarbeiten, um bey Gelegenheit des feyerlichen Einzuges unserer neuen Kronprinzessin Docktor der Rechte zu werden es mir unmöglich machte einige Zeit zum hierzu zu erübrigen.
Du hast so viel Freundschaft für mich, daß Du es nicht übel nehmen wirst, daß ich beyfolgende vier Exemplare meiner Dissertation an Dich sende um sie an Pütter, Böhmer, und dem an Prof. Hugo zu überreichen und eines für Deinen Bruder den Sekretair zurück zu behalten [2] Dir selbst und Deinem würdigen Vater schicke ich keines da ich weis, daß dergleichen Sachen Euch gar nicht interessiren. Versichere besonders den Prof. Hugo meiner besonderen Hochachtung für seine Bemühungen das Studium des reinen Römischen Rechts, welches leider heut zu Tage so sehr vernachlässigt wird, in Deutschland zu verbreiten und bitte ihn meine Abhandlung in den Göttingischen Anzeigen zu rezensiren. Bey zu mehrerer Musse kann ich ihm vieleicht Beyträge zu seinem Civilistischen Magazin schicken, wenn ihm anders diese meine erste Arbeit im Römischen Recht gefallen sollte.
Es freut mich sehr daß Du mit Deiner Lage zufrieden bist, und daß Du mit einem so grossen Eifer Dich den Wissenschaften widmest. Deine Gedichte in den Bürgerschen Musen-Allmanachen habe ich mit grossem Vergnügen gelesen; sie zeugen von einem seltenen Talent zur Dichtkunst. Ich wünschte sehr daß Du dieses Talent zur Übersetzung der alten Dichter anwenden wolltest und ein zweyter Voss zu werden strebtetest. Es ist etwas gantz anderes die Alten als dürrer Critiker und sie als Mann von Genie zu studieren. Jenen [3] ist es blos um ihre Worte, diesem um ihren Geist zu thun.
Ich für meine Person lebe sehr glücklich. Anfänglich hätte ich es vieleicht vorgezogen Professor in der Geschichte zu werden, aber itzt da ich in die Geheimnisse der positiven Jurisprudentz durch unablässiges Studium tiefer hineingedrungen bin, fange ich an diese Wissenschaft lieb zu gewinnen – das Naturrecht habe ich, wie Du weißt, immer sehr geliebt. Diese Professur hat auch bey uns den Vorzug, daß sie zu einer viel glänzerenden Laufbahn die Aussicht eröfnet. Was dem geselschaftlichen Umgang betrift bin ich auch gegenwärtig so glücklich als möglich. Ich bringe Die angenehmsten Stunden sind mir die, welche ich in dem Hause meines Onkels des Conferenzrath v. Hellfried zubringe. Seine Frau, die nicht aufgehört hat zu schön zu seyn, hat so viel Geist, so viel Lebhaftigkeit in der Unterhaltung, so viel Güte, so viel wahre Grösse in ihrem Charakter, daß man sie nicht genug lieben und bewundern kann. Mein Onkel ist gleichfalls ein Mann von den größten Verdiensten, von sehr vielem Geiste u. sehr ausgebreiteten [4] Kenntnissen; wird aber von denen, die ihn nicht genau kennen mehr geschätzt als geliebt. Ihre drey Töchter würde man die drey Grazien nennen, wenn die jüngste schöner wäre. Die beyden ältesten anderen sind es um desto mehr; die älteste eine reizende Blondine sanft und gut, die jüngere eine feurige Brünette. Die älteste hat mehr Überlegung, die zweyte mehr schnelle Fassungskraft; die älteste hat ihre Talente mehr ausgebildet, die zweyte übertrift sie an natürlichen Anlagen; beyde haben sie einen vortreflichen Charakter, sind sanft u. wohlwollend. Der Verstand entscheidet nicht wem der Vorzug gebührt, nur das Herz das sich mehr durch nach dunklen Empfindungen bestimmt, kann es. Die Schönheit abgerechnet, theilt die jüngste Schwester die übrigen Vorzüge mit den beyden älteren.
Ich habe es gewagt Dir die Schilderung einer Familie zu machen, die ich über alles liebe. Sie ist kalt und schwach, aber Deiner eignen feurigen Phantasie überlasse ich es ihr Leben und Wärme zu ertheilen.
Erzähle mir in Deinem nächsten Briefe, den Du ja bald schreiben mußt, recht ausführlich wie es Dir geht, und was Du Dir itzt vornimmst und [5] wie es mit Deinen Aussichten in die Zukunft steht. Beschreibe mir auch die gegenwärtige Lage Göttingens, denn ich bin allda itzt gantz fremd geworden und doch interessirt es mich so sehr mich wieder dort zu orientiren. Was macht Bürger? hat er wieder geheirathet? die Frau Braun hat mir wenigstens erzählt, er habe eine Reise ich glaube nach Schwaben unternommen um sich ein junges Mädchen Weib, das sich ihm selbst angeboten, zu hohlen. Ist Cruse noch in Göttingen? was machen Oelrichs?
Erzähle mir recht viel von Deiner Schwester Charlotte und von Deiner ganzen lieben Familie. Es ist doch recht grausam von Charlotten, daß sie auch nicht den mindesten Laut von sich hören läßt. Wenn sie wüßte welche grosse Freude mir ihre Briefe machen, sie würde weniger grausam seyn.
Empfiel mich allen Göttinger Bekannten, die mir wohl wollen, besonders Schiklern, der mir über alles lieb ist. Ich umarme Dich mein Bester! in Gedanken mit wahrem Brudersinn und Brudertreue. Komm hieher wenn Du kannst. Du sollst mit offenen Armen empfangen werden. Meine Mutter u. Schwester sind Dir unbekannter Weise sehr gut. Hellfrieds bedauern daß sie Dich auf ihrer Durch[6]reise durch Göttingen nicht gesehen haben; sie haben sich aber gar nicht dort aufgehalten, da sie so sehr eilten. Mein Onkel der viel später nachgekommen ist hat sich eine Nacht dort aufgehalten
Abermahls lebe wohl!
Der Deinige
J. F. W. Schlegel
Entschuldige die Flüchtigkeit womit dieser Brief geschrieben worden ist. Die Zeit war mir so kurz u. ich hatte Dir doch so viel zu sagen.
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Du hast ein Recht auf mich böse zu seyn, daß ich Deinen lieben Brief so lange unbeantwortet gelassen, obgleich ich es mir so ernstlich vorgenommen hatte ein fleissiger Correspondent zu seyn werden. Einigermassen kann indeßen vieleicht mich das bey Dir entschuldigen, daß anfänglich die Ankunft einer vielgeliebten Tante und ihrer liebenswürdigen Töchter nach einer Abwesenheit von 13 Jahren mich in der Zeit die mir von Amtsgeschäften übrig blieb zu sehr beschäftigte als daß ich an Briefschreiben hätte denken können, und daß nachher die Verpflichtung welche mir oblag eine Juristische Dissertation auszuarbeiten, um bey Gelegenheit des feyerlichen Einzuges unserer neuen Kronprinzessin Docktor der Rechte zu werden es mir unmöglich machte einige Zeit zum hierzu zu erübrigen.
Du hast so viel Freundschaft für mich, daß Du es nicht übel nehmen wirst, daß ich beyfolgende vier Exemplare meiner Dissertation an Dich sende um sie an Pütter, Böhmer, und dem an Prof. Hugo zu überreichen und eines für Deinen Bruder den Sekretair zurück zu behalten [2] Dir selbst und Deinem würdigen Vater schicke ich keines da ich weis, daß dergleichen Sachen Euch gar nicht interessiren. Versichere besonders den Prof. Hugo meiner besonderen Hochachtung für seine Bemühungen das Studium des reinen Römischen Rechts, welches leider heut zu Tage so sehr vernachlässigt wird, in Deutschland zu verbreiten und bitte ihn meine Abhandlung in den Göttingischen Anzeigen zu rezensiren. Bey zu mehrerer Musse kann ich ihm vieleicht Beyträge zu seinem Civilistischen Magazin schicken, wenn ihm anders diese meine erste Arbeit im Römischen Recht gefallen sollte.
Es freut mich sehr daß Du mit Deiner Lage zufrieden bist, und daß Du mit einem so grossen Eifer Dich den Wissenschaften widmest. Deine Gedichte in den Bürgerschen Musen-Allmanachen habe ich mit grossem Vergnügen gelesen; sie zeugen von einem seltenen Talent zur Dichtkunst. Ich wünschte sehr daß Du dieses Talent zur Übersetzung der alten Dichter anwenden wolltest und ein zweyter Voss zu werden strebtetest. Es ist etwas gantz anderes die Alten als dürrer Critiker und sie als Mann von Genie zu studieren. Jenen [3] ist es blos um ihre Worte, diesem um ihren Geist zu thun.
Ich für meine Person lebe sehr glücklich. Anfänglich hätte ich es vieleicht vorgezogen Professor in der Geschichte zu werden, aber itzt da ich in die Geheimnisse der positiven Jurisprudentz durch unablässiges Studium tiefer hineingedrungen bin, fange ich an diese Wissenschaft lieb zu gewinnen – das Naturrecht habe ich, wie Du weißt, immer sehr geliebt. Diese Professur hat auch bey uns den Vorzug, daß sie zu einer viel glänzerenden Laufbahn die Aussicht eröfnet. Was dem geselschaftlichen Umgang betrift bin ich auch gegenwärtig so glücklich als möglich. Ich bringe Die angenehmsten Stunden sind mir die, welche ich in dem Hause meines Onkels des Conferenzrath v. Hellfried zubringe. Seine Frau, die nicht aufgehört hat zu schön zu seyn, hat so viel Geist, so viel Lebhaftigkeit in der Unterhaltung, so viel Güte, so viel wahre Grösse in ihrem Charakter, daß man sie nicht genug lieben und bewundern kann. Mein Onkel ist gleichfalls ein Mann von den größten Verdiensten, von sehr vielem Geiste u. sehr ausgebreiteten [4] Kenntnissen; wird aber von denen, die ihn nicht genau kennen mehr geschätzt als geliebt. Ihre drey Töchter würde man die drey Grazien nennen, wenn die jüngste schöner wäre. Die beyden ältesten anderen sind es um desto mehr; die älteste eine reizende Blondine sanft und gut, die jüngere eine feurige Brünette. Die älteste hat mehr Überlegung, die zweyte mehr schnelle Fassungskraft; die älteste hat ihre Talente mehr ausgebildet, die zweyte übertrift sie an natürlichen Anlagen; beyde haben sie einen vortreflichen Charakter, sind sanft u. wohlwollend. Der Verstand entscheidet nicht wem der Vorzug gebührt, nur das Herz das sich mehr durch nach dunklen Empfindungen bestimmt, kann es. Die Schönheit abgerechnet, theilt die jüngste Schwester die übrigen Vorzüge mit den beyden älteren.
Ich habe es gewagt Dir die Schilderung einer Familie zu machen, die ich über alles liebe. Sie ist kalt und schwach, aber Deiner eignen feurigen Phantasie überlasse ich es ihr Leben und Wärme zu ertheilen.
Erzähle mir in Deinem nächsten Briefe, den Du ja bald schreiben mußt, recht ausführlich wie es Dir geht, und was Du Dir itzt vornimmst und [5] wie es mit Deinen Aussichten in die Zukunft steht. Beschreibe mir auch die gegenwärtige Lage Göttingens, denn ich bin allda itzt gantz fremd geworden und doch interessirt es mich so sehr mich wieder dort zu orientiren. Was macht Bürger? hat er wieder geheirathet? die Frau Braun hat mir wenigstens erzählt, er habe eine Reise ich glaube nach Schwaben unternommen um sich ein junges Mädchen Weib, das sich ihm selbst angeboten, zu hohlen. Ist Cruse noch in Göttingen? was machen Oelrichs?
Erzähle mir recht viel von Deiner Schwester Charlotte und von Deiner ganzen lieben Familie. Es ist doch recht grausam von Charlotten, daß sie auch nicht den mindesten Laut von sich hören läßt. Wenn sie wüßte welche grosse Freude mir ihre Briefe machen, sie würde weniger grausam seyn.
Empfiel mich allen Göttinger Bekannten, die mir wohl wollen, besonders Schiklern, der mir über alles lieb ist. Ich umarme Dich mein Bester! in Gedanken mit wahrem Brudersinn und Brudertreue. Komm hieher wenn Du kannst. Du sollst mit offenen Armen empfangen werden. Meine Mutter u. Schwester sind Dir unbekannter Weise sehr gut. Hellfrieds bedauern daß sie Dich auf ihrer Durch[6]reise durch Göttingen nicht gesehen haben; sie haben sich aber gar nicht dort aufgehalten, da sie so sehr eilten. Mein Onkel der viel später nachgekommen ist hat sich eine Nacht dort aufgehalten
Abermahls lebe wohl!
Der Deinige
J. F. W. Schlegel
Entschuldige die Flüchtigkeit womit dieser Brief geschrieben worden ist. Die Zeit war mir so kurz u. ich hatte Dir doch so viel zu sagen.
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