[1] Hannover d. 9 Sept. 1792.
Lieber, ehrwürdiger Herre!
Ich bekenne hiemit, daß ich mich leider an ihn oft, mannigfaltig und schwer versündigt habe, wenn schon nicht im Herzen, und mit Gedancken Worten und Werken, doch mit äußerlichen Gebehrden, oder vielmehr durch die Unterlassung des Guten, was ich ihm hätte thun könne, das ist, durch den Nichtgebrauch von Feder Dinte und Papier. Fern sey es auch von mir, daß ich suchen sollte, daß dieses mein Vergehen auf irgend eine Art zu beschönigen und zu verkleiden, und mich auf die Art selbst zu bethören; sondern wie solches in seiner Blöße sich mir vor Augen stellet, so erkenne und bekenne ich auch, daß in mir von Natur nichts gutes wohne, und daß der Satan mich bis daher lediglich in seinen Stricken gehabt, dergestalt, daß ich der mir angebohrnen Trägheit nicht kräftiglich und mit gehörigem Fleiße widerstrebet habe, und so zu Falle gekommen bin sey. Wie ich mir nun diese Sünden leid seyn lasse, so beklage ich zugleich, daß ich dieselben, wenn ich sie gleich erkenne, mir nicht so leid seyn lasse, wie ich billig sollte. Jedoch hoffe ich, er wolle mir, um dieses demüthigen Bekenntnißes willen verzeihen, auch mit nächstem eine schriftliche Absolution deshalb zugehen lassen.
Da ich nun solche gewiß erwarte, so darf ich auch wohl mich nun wieder mit Dir unterhalten. Auch muß ich die Zeit wahrnehmen so lange ich noch auf dem Lande wohne, wenn es dazu kommen soll. Ich verstehe darunter den Dir wohl bekann[2]ten ehemals Fischerschen Garten, den ich seit einigen Wochen bezogen; jedoch wohne ich eine Etage höher als Du vormals; wo ich eine sehr angenehme Aussicht habe (sie ist erst seitdem angelegt, wie denn das ganze Gebäude und der Garten so verändert sind, daß Du sie nicht wieder erkennen würdest. Dieser Aufenthalt hat mir viel Vergnügen gemacht, und scheint mir auch so wie das Bad, was ich hier gebraucht, recht gut zu bekommen. vorzüglich müssige ich mich hier mehr zur angenehmen Lectüre ab, als ich es in der Stadt, wenn ich die Arbeit immer vor Augen sehe, kann. – Dieser ungestöhrte Genuß ist mir wieder ganz neu, da ich bis her in der Stadt (die Zeitungen abgerechnet) mich nur immer auf das eingeschränkt, was ich mit Papen gemeinschaftlich gelesen. Du siehst auch hieraus, daß ich meine Zeit wenigstens nicht muthwillig vertändelt habe. – Ganz einsam bin ich hier jedoch nicht. Außer mir ist noch die älteste Lehzen, ein schönes, und liebenswürdiges Mädchen, die sehr krank ist, zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit hier; für die ich mich intressire, und in deren und ihrer Familie Gesellschaft ich zuweilen bin. – Fast von einem ganzen Jahre habe ich Dir wohl noch meinen Lebenslauf nachzuholen; denn so lange ist es nun bald, daß Du keine Nachricht von mir erhalten hast. – Meine Zeit ist nicht ungenutzt und ungenoßen hingegangen, doch mir selbst so unvermerckt, und mit so wenigen äußern Veränderungen, daß sich nicht viel darüber sagen läßt.– Gereiset habe ich in diesem Jahre nicht, da die Reisen im vorigen Jahre gar zu häufig kamen. Die merkwürdigste Begebenheit, die dazwischen vorgefallen, ist Papens Heirath, die kürzlich gewesen ist. Sie sind auch schon wieder hier angekommen, doch kenne ich die junge Frau nur noch wenig, da ich sie nur in Ge[3]sellschaft, und auf kurze Zeit gesehen. Ihr Ansehen verspricht Empfindung, und hat etwas einnehmendes; auch glaube ich gewiß, daß sie das Glük seines Lebens sehr vermehren wird. – Du stehst bey ihm in sehr gutem Andenken; noch kürzlich hatte er sich vorgesetzt Dir zu schreiben, doch zweifle ich, daß es, wenn es noch nicht geschehen, zur Ausführung kömmt. – Alles übrige, was uns gemeinschaftlich angeht, als daß Ernst bey uns ist, daß Cruse, und hernachmals auch Eberts uns besucht haben, wird Dir gewiß schon von meiner Schwester und Mutter ausführlich geschrieben seyn, worauf ich mich immer verlasse. – Ganz zufrieden sollen, wie ich höre, Eberts mit Hannover nicht seyn, obgleich sehr mit der Aufnahme in unserm Hause. Sie kannten in Hannover zu wenige, außer uns und Rehbergs fast keinen, und verlangen zu ihrem amusement zu viel, um auf so lange Zeit hier ihre Rechnung finden zu können. Ein paarmal haben wir recht angenehme Parthien mit ihnen gehabt, auch hat mir sein Vorlesen, was er öfters that, viel Vergnügen gemacht. Ich weiß nicht, ob Du ihn in Braunschweig hast lesen hören, er laß hier mehrentheils Erzählungen des Petersburgers Nicolai, und einige ungedruckte Gedichte von Stollberg, mit wahrem und natürlichem Ausdruck der Empfindung, und vorzüglich einige muntere und launigte von erstern, mit unnachahmlicher Leichtigkeit Naivität, und Laune.
Mit Ernsten geht alles recht gut, wie Dir schon gemeldet seyn wird. Er hat kürzlich für meinen Vater gepredigt, und wie wir schon verschiedentlich gehört, mit vielem Beyfall. Er wird nun oft predigen, und wenn es ihm gelingt, sich dadurch allgemeiner zu seinem Vor[4]theil bekannt zu machen; so ist auch dadurch schon viel für seine und meiner Eltern Wünsche gewonnen; wie ich nicht zweifle, daß solche wenigstens in einiger Zeit glücken werden. – Auch die Unterhaltung in unserm häuslichen Zirckel hat dadurch gewonnen, da ein Mann von seiner Bescheidenheit und Gefälligkeit nie leicht zur Last fallen kann und er außerdem mit mancherley Kenntnißen viel Güte vereinigt. Auch mir ist sein Umgang angenehm, so verschieden wir auch in unsern Eigenthhümlichkeiten von einander seyn mögen. – Crusens Besuch hat mir viel Vergnügen gemacht. Es geht ihm dort jezt recht nach Wunsche, und darf er sich für die Zukunft immer sichrere Hoffnungen machen. Er war hier sehr munter, zuweilen ordentlich ausgelassen lustig; wie er sich denn überall in Braunschweig seine gesellschaftlichen Eigenschaften mehr entwickelt worden haben, und bey beson und er nicht bey seiner stets gleichen Heiterkeit auch durch seine Geselligkeit, und aufgeweckten Scherz gefällt.
Auch Du lieber Freund, scheinst ja nach und nach verstummen zu wollen, wenigstens immer laconischer und einsylbiger zu werden; ich meine in Briefen an unser Haus, die ich stillschweigend immer mit genoßen, denn von denen an mich darf ich, wie ich mich wohl bescheide, nicht viel reden. Herrlich wäre es, wenn der Einfall in Deinem letzten Briefe zur Ausführung käme, daß Du mit Deinem Eleven nach Braunschweig giengest. Wie wollte ich mich freuen, daß wir wenigstens wieder so nahe zusammen kämen, daß wir uns im Jahre abwechselnd dann und wann besuchen könnten. Bringe es doch ja zu Stande, wenn es angeht. – Göthens Werke u. Deine Abhandlung über die alte Geographie haben hier schon lange bereit gelegen, und warte ich nur auf die versprochene Addresse, und Anweisung. – Hast Du Rehbergs Buch schon gelesen, und wie hat es Dir gefallen. Ich glaube, daß es vielen [3] Beyfall erhalten wird; auch verkenne ich nicht das viele Gute darinnen; doch hat er mir manches mit zu harter Hand angegriffen, und kann ich unmöglich, ihn ganz bey[2]stimmen. Auch meinem Vater hat es gefallen. Schreibe mir doch Dein Urtheil darüber. Er hat jezt eine sehr ansehnliche Vermehrung seiner Einnahme zu erwarten; Lebe [1] recht wohl Karl Schlegel
Lieber, ehrwürdiger Herre!
Ich bekenne hiemit, daß ich mich leider an ihn oft, mannigfaltig und schwer versündigt habe, wenn schon nicht im Herzen, und mit Gedancken Worten und Werken, doch mit äußerlichen Gebehrden, oder vielmehr durch die Unterlassung des Guten, was ich ihm hätte thun könne, das ist, durch den Nichtgebrauch von Feder Dinte und Papier. Fern sey es auch von mir, daß ich suchen sollte, daß dieses mein Vergehen auf irgend eine Art zu beschönigen und zu verkleiden, und mich auf die Art selbst zu bethören; sondern wie solches in seiner Blöße sich mir vor Augen stellet, so erkenne und bekenne ich auch, daß in mir von Natur nichts gutes wohne, und daß der Satan mich bis daher lediglich in seinen Stricken gehabt, dergestalt, daß ich der mir angebohrnen Trägheit nicht kräftiglich und mit gehörigem Fleiße widerstrebet habe, und so zu Falle gekommen bin sey. Wie ich mir nun diese Sünden leid seyn lasse, so beklage ich zugleich, daß ich dieselben, wenn ich sie gleich erkenne, mir nicht so leid seyn lasse, wie ich billig sollte. Jedoch hoffe ich, er wolle mir, um dieses demüthigen Bekenntnißes willen verzeihen, auch mit nächstem eine schriftliche Absolution deshalb zugehen lassen.
Da ich nun solche gewiß erwarte, so darf ich auch wohl mich nun wieder mit Dir unterhalten. Auch muß ich die Zeit wahrnehmen so lange ich noch auf dem Lande wohne, wenn es dazu kommen soll. Ich verstehe darunter den Dir wohl bekann[2]ten ehemals Fischerschen Garten, den ich seit einigen Wochen bezogen; jedoch wohne ich eine Etage höher als Du vormals; wo ich eine sehr angenehme Aussicht habe (sie ist erst seitdem angelegt, wie denn das ganze Gebäude und der Garten so verändert sind, daß Du sie nicht wieder erkennen würdest. Dieser Aufenthalt hat mir viel Vergnügen gemacht, und scheint mir auch so wie das Bad, was ich hier gebraucht, recht gut zu bekommen. vorzüglich müssige ich mich hier mehr zur angenehmen Lectüre ab, als ich es in der Stadt, wenn ich die Arbeit immer vor Augen sehe, kann. – Dieser ungestöhrte Genuß ist mir wieder ganz neu, da ich bis her in der Stadt (die Zeitungen abgerechnet) mich nur immer auf das eingeschränkt, was ich mit Papen gemeinschaftlich gelesen. Du siehst auch hieraus, daß ich meine Zeit wenigstens nicht muthwillig vertändelt habe. – Ganz einsam bin ich hier jedoch nicht. Außer mir ist noch die älteste Lehzen, ein schönes, und liebenswürdiges Mädchen, die sehr krank ist, zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit hier; für die ich mich intressire, und in deren und ihrer Familie Gesellschaft ich zuweilen bin. – Fast von einem ganzen Jahre habe ich Dir wohl noch meinen Lebenslauf nachzuholen; denn so lange ist es nun bald, daß Du keine Nachricht von mir erhalten hast. – Meine Zeit ist nicht ungenutzt und ungenoßen hingegangen, doch mir selbst so unvermerckt, und mit so wenigen äußern Veränderungen, daß sich nicht viel darüber sagen läßt.– Gereiset habe ich in diesem Jahre nicht, da die Reisen im vorigen Jahre gar zu häufig kamen. Die merkwürdigste Begebenheit, die dazwischen vorgefallen, ist Papens Heirath, die kürzlich gewesen ist. Sie sind auch schon wieder hier angekommen, doch kenne ich die junge Frau nur noch wenig, da ich sie nur in Ge[3]sellschaft, und auf kurze Zeit gesehen. Ihr Ansehen verspricht Empfindung, und hat etwas einnehmendes; auch glaube ich gewiß, daß sie das Glük seines Lebens sehr vermehren wird. – Du stehst bey ihm in sehr gutem Andenken; noch kürzlich hatte er sich vorgesetzt Dir zu schreiben, doch zweifle ich, daß es, wenn es noch nicht geschehen, zur Ausführung kömmt. – Alles übrige, was uns gemeinschaftlich angeht, als daß Ernst bey uns ist, daß Cruse, und hernachmals auch Eberts uns besucht haben, wird Dir gewiß schon von meiner Schwester und Mutter ausführlich geschrieben seyn, worauf ich mich immer verlasse. – Ganz zufrieden sollen, wie ich höre, Eberts mit Hannover nicht seyn, obgleich sehr mit der Aufnahme in unserm Hause. Sie kannten in Hannover zu wenige, außer uns und Rehbergs fast keinen, und verlangen zu ihrem amusement zu viel, um auf so lange Zeit hier ihre Rechnung finden zu können. Ein paarmal haben wir recht angenehme Parthien mit ihnen gehabt, auch hat mir sein Vorlesen, was er öfters that, viel Vergnügen gemacht. Ich weiß nicht, ob Du ihn in Braunschweig hast lesen hören, er laß hier mehrentheils Erzählungen des Petersburgers Nicolai, und einige ungedruckte Gedichte von Stollberg, mit wahrem und natürlichem Ausdruck der Empfindung, und vorzüglich einige muntere und launigte von erstern, mit unnachahmlicher Leichtigkeit Naivität, und Laune.
Mit Ernsten geht alles recht gut, wie Dir schon gemeldet seyn wird. Er hat kürzlich für meinen Vater gepredigt, und wie wir schon verschiedentlich gehört, mit vielem Beyfall. Er wird nun oft predigen, und wenn es ihm gelingt, sich dadurch allgemeiner zu seinem Vor[4]theil bekannt zu machen; so ist auch dadurch schon viel für seine und meiner Eltern Wünsche gewonnen; wie ich nicht zweifle, daß solche wenigstens in einiger Zeit glücken werden. – Auch die Unterhaltung in unserm häuslichen Zirckel hat dadurch gewonnen, da ein Mann von seiner Bescheidenheit und Gefälligkeit nie leicht zur Last fallen kann und er außerdem mit mancherley Kenntnißen viel Güte vereinigt. Auch mir ist sein Umgang angenehm, so verschieden wir auch in unsern Eigenthhümlichkeiten von einander seyn mögen. – Crusens Besuch hat mir viel Vergnügen gemacht. Es geht ihm dort jezt recht nach Wunsche, und darf er sich für die Zukunft immer sichrere Hoffnungen machen. Er war hier sehr munter, zuweilen ordentlich ausgelassen lustig; wie er sich denn überall in Braunschweig seine gesellschaftlichen Eigenschaften mehr entwickelt worden haben, und bey beson und er nicht bey seiner stets gleichen Heiterkeit auch durch seine Geselligkeit, und aufgeweckten Scherz gefällt.
Auch Du lieber Freund, scheinst ja nach und nach verstummen zu wollen, wenigstens immer laconischer und einsylbiger zu werden; ich meine in Briefen an unser Haus, die ich stillschweigend immer mit genoßen, denn von denen an mich darf ich, wie ich mich wohl bescheide, nicht viel reden. Herrlich wäre es, wenn der Einfall in Deinem letzten Briefe zur Ausführung käme, daß Du mit Deinem Eleven nach Braunschweig giengest. Wie wollte ich mich freuen, daß wir wenigstens wieder so nahe zusammen kämen, daß wir uns im Jahre abwechselnd dann und wann besuchen könnten. Bringe es doch ja zu Stande, wenn es angeht. – Göthens Werke u. Deine Abhandlung über die alte Geographie haben hier schon lange bereit gelegen, und warte ich nur auf die versprochene Addresse, und Anweisung. – Hast Du Rehbergs Buch schon gelesen, und wie hat es Dir gefallen. Ich glaube, daß es vielen [3] Beyfall erhalten wird; auch verkenne ich nicht das viele Gute darinnen; doch hat er mir manches mit zu harter Hand angegriffen, und kann ich unmöglich, ihn ganz bey[2]stimmen. Auch meinem Vater hat es gefallen. Schreibe mir doch Dein Urtheil darüber. Er hat jezt eine sehr ansehnliche Vermehrung seiner Einnahme zu erwarten; Lebe [1] recht wohl Karl Schlegel