[1] Liebster Bruder,
Du hast mir durch Deinen ausführlichen und freundschaftlichen Brief, den Du mir durch den Herrn Doctor Michaelis zugeschickt, eine große Freude verursacht. Das Bewußtseyn ist sehr angenehm, daß man von denen, die man liebt und schätzt, nicht vergessen wird, wenn auch eine weite Entfernung uns von ihnen trennt, und die Lage der Umstände nur einen seltenen Briefwechsel gestattet. Wir sind seit dem mit dem Ueberbringer des Briefes ziemlich bekannt geworden, und ich schätze ihn als einen Mann von Geist und von Kenntnissen, mit dem ich in litterärischen und ästhetischen Angelegenheiten mehr harmoniren kann, als mit den mehresten meiner hiesigen Bekannten. Er scheint unsern Umgang aufzusuchen, und durch einen guten ungenirten Ton ist er zu einem freundschaftlichen Umgange geschickt. Wir würden gewiß, wenn wir länger hier blieben, näher mit ihm zusammengekommen. Du hast nun aber auch durch meine Mutter die Nachricht von der mir bevorstehenden glücklichen Veränderung erhalten, und hast gewiß den brüderlichsten Antheil daran genommen. Du wirst es Dir ganz denken können, wie groß meine Freude darüber war, um so mehr, da ich dieses Glück gar nicht erwarten konnte und schon jeden Gedanken daran hatte fahren lassen. Außer einem eingegebenen kleinen Memorial von mir ist nichts dafür gethan worden, und das ist mir nun um so lieber und beruhigender. Mein Geist ist nun schon fast ganz mit dem werthen Göttingen und den angenehmen und lehrreichen Connectionen, welche sich dort mir darbieten, beschäfftigt; ich bilde mir kleine gelehrte Plane, zu deren Ausführung ich Hand anlegen will, so bald ich mich in den Geschäfften meines Amtes etwas orientirt habe. Freylich, die Musse, die ich hier genossen habe, werde ich nie wieder erhalten; aber dafür giebtʼs dort der Hülfsmittel und Aufmunterungen zu gelehrten Arbeiten desto mehr. Nun rechne ich auch mit Vergnügen darauf, Dich gewiß eher wieder zu sehen, als ich mir hier dazu hätte Hoffnung machen können. Denn Göttingen muß für Dich in Deiner jetzigen Laufbahn immer Reiz behalten. So lange Du auch in Braun[2]schweig bleibst, bist Du in keiner so sehr beträchtlichen Entfernung von da. Kurz, ich invitire Dich förmlich, uns recht bald dort besuchen, und mir nach einer so langen Entfernung die Freude des Wiedersehens zu gönnen. Wenn wir nur erst an Ort und Stelle in völliger Ruhe wären. Was uns bis dahin noch für Unruhen und Beschwerden bevorstehen, davon will ich Dich nicht unterhalten. Der Himmel helfe uns alles glücklich überstehen, schenke uns Gesundheit bey dieser unruhvollen Zeit, und lasse uns alsdann recht vergnügte Jahre dort erleben. Minchen, die mir gestern ausdrücklich auftrug, Dir ihren herzlichen Gruß zu melden, hat diesen Winter wieder viel gekränkelt, und ist eben jetzt wieder ziemlich unbaß. Dabey wird denn die Mutter ihres Lebens gar nicht froh.
Daß Du der Verfasser der Briefe über Poesie und Metrum in den Horen seyst, habe ich gleich gerathen, und freute mich, aus dem Register in dem letzten Stücke zu sehen, daß ich mich nicht geirrt hatte. Daß ich alle Stücke über den Dante mit größtem Beyfall gelesen habe, das brauche ich Dir nicht ausdrücklich zu versichern. Jetzt hast Du einen Aufsatz über den Hamlet einrücken lassen, wie mir Dr. Michaelis sagt. Da wir aber die Horen von diesem Jahre nicht mehr halten, werde ich es für’s erste nicht lesen können, bis ich erst nach Göttingen komme, wo ich mir alle versäumte Stücke nachgeben lassen kann. Auch höre ich, daß die Recension über die Horen in der Litt. Z. größtentheils von Dir herrührt. In vielen Stücken denke ich mit Dir übereinstimmend und habe Göthens Elegien gleich Anfangs für Meisterwerke anerkannt. Es freut mich außerordentlich, daß Du Dich in Deiner jetzigen Carriere vergnügt fühlst. Hast Du noch nicht Gelegenheit gesucht, Dich dem Herzoge bekannt zu machen? Denn ich glaube noch immer, daß eine Professur bey’m Carolino Dir vorzüglich convenabel wäre.
Lebe wohl, bester Bruder. Herrlich wäre es doch, wenn Du während meines Aufenthalts in Hannover, der ein 10 bis 12 Tage dauern wird, auch einmal dahin kommen könntest. Meine Frau und meine Schwiegerinn lassen sich Dir auf’s freundschaftlichste empfehlen. Letztere ist über unsre Ab[3]reise sehr niedergeschlagen, da sie sich so lange an unser Haus gewöhnt gehabt hat.
Der Deinige
K. A. M. Schlegel.
Harburg
d. 9 May 1796.
[4] An Herr A. W. Schlegel
in
Braunschweig.
d. E.
Du hast mir durch Deinen ausführlichen und freundschaftlichen Brief, den Du mir durch den Herrn Doctor Michaelis zugeschickt, eine große Freude verursacht. Das Bewußtseyn ist sehr angenehm, daß man von denen, die man liebt und schätzt, nicht vergessen wird, wenn auch eine weite Entfernung uns von ihnen trennt, und die Lage der Umstände nur einen seltenen Briefwechsel gestattet. Wir sind seit dem mit dem Ueberbringer des Briefes ziemlich bekannt geworden, und ich schätze ihn als einen Mann von Geist und von Kenntnissen, mit dem ich in litterärischen und ästhetischen Angelegenheiten mehr harmoniren kann, als mit den mehresten meiner hiesigen Bekannten. Er scheint unsern Umgang aufzusuchen, und durch einen guten ungenirten Ton ist er zu einem freundschaftlichen Umgange geschickt. Wir würden gewiß, wenn wir länger hier blieben, näher mit ihm zusammengekommen. Du hast nun aber auch durch meine Mutter die Nachricht von der mir bevorstehenden glücklichen Veränderung erhalten, und hast gewiß den brüderlichsten Antheil daran genommen. Du wirst es Dir ganz denken können, wie groß meine Freude darüber war, um so mehr, da ich dieses Glück gar nicht erwarten konnte und schon jeden Gedanken daran hatte fahren lassen. Außer einem eingegebenen kleinen Memorial von mir ist nichts dafür gethan worden, und das ist mir nun um so lieber und beruhigender. Mein Geist ist nun schon fast ganz mit dem werthen Göttingen und den angenehmen und lehrreichen Connectionen, welche sich dort mir darbieten, beschäfftigt; ich bilde mir kleine gelehrte Plane, zu deren Ausführung ich Hand anlegen will, so bald ich mich in den Geschäfften meines Amtes etwas orientirt habe. Freylich, die Musse, die ich hier genossen habe, werde ich nie wieder erhalten; aber dafür giebtʼs dort der Hülfsmittel und Aufmunterungen zu gelehrten Arbeiten desto mehr. Nun rechne ich auch mit Vergnügen darauf, Dich gewiß eher wieder zu sehen, als ich mir hier dazu hätte Hoffnung machen können. Denn Göttingen muß für Dich in Deiner jetzigen Laufbahn immer Reiz behalten. So lange Du auch in Braun[2]schweig bleibst, bist Du in keiner so sehr beträchtlichen Entfernung von da. Kurz, ich invitire Dich förmlich, uns recht bald dort besuchen, und mir nach einer so langen Entfernung die Freude des Wiedersehens zu gönnen. Wenn wir nur erst an Ort und Stelle in völliger Ruhe wären. Was uns bis dahin noch für Unruhen und Beschwerden bevorstehen, davon will ich Dich nicht unterhalten. Der Himmel helfe uns alles glücklich überstehen, schenke uns Gesundheit bey dieser unruhvollen Zeit, und lasse uns alsdann recht vergnügte Jahre dort erleben. Minchen, die mir gestern ausdrücklich auftrug, Dir ihren herzlichen Gruß zu melden, hat diesen Winter wieder viel gekränkelt, und ist eben jetzt wieder ziemlich unbaß. Dabey wird denn die Mutter ihres Lebens gar nicht froh.
Daß Du der Verfasser der Briefe über Poesie und Metrum in den Horen seyst, habe ich gleich gerathen, und freute mich, aus dem Register in dem letzten Stücke zu sehen, daß ich mich nicht geirrt hatte. Daß ich alle Stücke über den Dante mit größtem Beyfall gelesen habe, das brauche ich Dir nicht ausdrücklich zu versichern. Jetzt hast Du einen Aufsatz über den Hamlet einrücken lassen, wie mir Dr. Michaelis sagt. Da wir aber die Horen von diesem Jahre nicht mehr halten, werde ich es für’s erste nicht lesen können, bis ich erst nach Göttingen komme, wo ich mir alle versäumte Stücke nachgeben lassen kann. Auch höre ich, daß die Recension über die Horen in der Litt. Z. größtentheils von Dir herrührt. In vielen Stücken denke ich mit Dir übereinstimmend und habe Göthens Elegien gleich Anfangs für Meisterwerke anerkannt. Es freut mich außerordentlich, daß Du Dich in Deiner jetzigen Carriere vergnügt fühlst. Hast Du noch nicht Gelegenheit gesucht, Dich dem Herzoge bekannt zu machen? Denn ich glaube noch immer, daß eine Professur bey’m Carolino Dir vorzüglich convenabel wäre.
Lebe wohl, bester Bruder. Herrlich wäre es doch, wenn Du während meines Aufenthalts in Hannover, der ein 10 bis 12 Tage dauern wird, auch einmal dahin kommen könntest. Meine Frau und meine Schwiegerinn lassen sich Dir auf’s freundschaftlichste empfehlen. Letztere ist über unsre Ab[3]reise sehr niedergeschlagen, da sie sich so lange an unser Haus gewöhnt gehabt hat.
Der Deinige
K. A. M. Schlegel.
Harburg
d. 9 May 1796.
[4] An Herr A. W. Schlegel
in
Braunschweig.
d. E.