[1] Harburg d. 1 Jul. 1796.
Bester Bruder,
Uns beiden stehen wichtige Veränderungen bevor, und so ist es wohl billig, daß wir einmal einen Augenblick der Musse dem gegenseitigen Andenken an einander widmen. Ich brauche Dir nicht erst zu versichern, daß ich mit größtem Interesse von Deiner vorhabenden Verbindung gehört habe, und mit den wärmsten brüderlichsten Wünschen für Dein dauerndes Wohl. Ich bitte Dich mich Deiner künftigen Gattinn auf’s angelegentlichste zu empfehlen. Mit ihrem Bruder unterrede ich mich oft von ihr und von Dir; und es thut mir sehr leid, daß ich keine nahe Aussicht habe sie persönlich kennen zu lernen. Aus Göttingen kann ich mich ihrer nur dunkel erinnern. Erinnre Sie doch einmal an den Hamburgischen Licentiat Crohne und an dessen niedliche Frau, die noch viel von ihr sprechen. Neulich hat meine Schwiegerinn mit der Hofräthinn Ebert einen Tag auf einem Hamburgischen Garten zugebracht, welche mit vielem Interesse sehr zu ihrem Lobe geredet hat. Meine bevorstehende Veränderung, mit der es sich denn doch gewältig in die Länge zieht, gewährt mir die Hoffnung, Dich gewiß einmal in einiger Zeit wieder zu sehen. Da meine dortige Wohnung so geräumig seyn wird, so bedarf es keiner Erinnerung, daß Du nebst Deiner lieben Gattinn bey niemand anders als bey mir Dein Logis nimmst.
Mit vielem Vergnügen habe ich wieder einige Deiner neuen Arbeiten in den Horen gelesen. Das Fragment aus dem Shakespeare ist, ohne Schmeicheley, meisterhaft ausgefallen; und es würde gewiß eine wichtige Bereicherung für unsre Litteratur seyn, wenn wir einige auserwählte Stücke des S. auf solche Art auf Deutschen Boden verpflanzt erhielten. Michaelis sagt mir aber, daß es Dein Plan sey, den ganzen S. so zu übersetzen; und das billige ich nicht, da es Dich zu sehr von Originalarbeiten abhalten wird. Deine Briefe über Poesie und Metrum sind ein schöner Beweis, mit welcher Annehmlichkeit Du die trockensten Gegenstände behandeln kannst; und ich habe darin treffende Bemerkungen gefunden, ob ich gleich nicht durchgängig mit Dir übereinstimmend denken kann. Du suchst den eigentlichen Ursprung des Rhytmus in gewissen Beschaffenheiten der menschlichen Organisation, die uns zur Abmessung gleicher Zeittheile geschickt und geneigt machen. Aber der Rhytmus besteht nicht bloß in der Abmessung gleicher Zeittheile, sondern in gewissen in diesen Zeittheilen eingeschloßnen Verhältnissen, welche zu schaffen und zu beurtheilen unstreitig dem Verstande in Verbindung mit der Sinnlichkeit zukömmt, wie z.B. bey dem Dactylus 1 : ½ + ½, bey dem Jamben ½ : 1, und eben so bey der Musik.
Du befindest Dich jetzt in Jena fast im Mittelpunkte der schönen, deutschen Litteratur, und Du bist daher im Stande, wenn Du mir bisweilen einen Augenblick der Muße gönnen willst, mir viel Interessantes zu schreiben. Von der Litteraturzeitung glaube ich erstaunlich unbillig behandelt zu seyn. Nachdem ich auf die Rec. des ersten Theils meiner populären Betrachtungen so geantwortet habe, daß der Recensent gewiß nichts darauf erwiedern wird, hat man den zweyten gewiß noch bessern und wichtigern Theil bloß dem Titel nach angezeigt. Das heißt mit Gewalt ein Werk unterdrücken wollen, um sich nur wegen eines einmal gefällten voreiligen Urtheils kein Dementi geben zu wollen. Viel Gewicht wird denn doch auf das Urtheil dieser Herren nicht mehr gelegt. An Fichte habe ich mich wegen der Recension des andern Theils gewandt; ich habe aber keine Antwort von ihm erhalten. Tausend Glück zu Deiner Verbindung und tausend Lebewohl.
Der Deinige
Moriz Schlegel.
[2] Herrn Rath Schlegel
in
Jena.
d. E.
Bester Bruder,
Uns beiden stehen wichtige Veränderungen bevor, und so ist es wohl billig, daß wir einmal einen Augenblick der Musse dem gegenseitigen Andenken an einander widmen. Ich brauche Dir nicht erst zu versichern, daß ich mit größtem Interesse von Deiner vorhabenden Verbindung gehört habe, und mit den wärmsten brüderlichsten Wünschen für Dein dauerndes Wohl. Ich bitte Dich mich Deiner künftigen Gattinn auf’s angelegentlichste zu empfehlen. Mit ihrem Bruder unterrede ich mich oft von ihr und von Dir; und es thut mir sehr leid, daß ich keine nahe Aussicht habe sie persönlich kennen zu lernen. Aus Göttingen kann ich mich ihrer nur dunkel erinnern. Erinnre Sie doch einmal an den Hamburgischen Licentiat Crohne und an dessen niedliche Frau, die noch viel von ihr sprechen. Neulich hat meine Schwiegerinn mit der Hofräthinn Ebert einen Tag auf einem Hamburgischen Garten zugebracht, welche mit vielem Interesse sehr zu ihrem Lobe geredet hat. Meine bevorstehende Veränderung, mit der es sich denn doch gewältig in die Länge zieht, gewährt mir die Hoffnung, Dich gewiß einmal in einiger Zeit wieder zu sehen. Da meine dortige Wohnung so geräumig seyn wird, so bedarf es keiner Erinnerung, daß Du nebst Deiner lieben Gattinn bey niemand anders als bey mir Dein Logis nimmst.
Mit vielem Vergnügen habe ich wieder einige Deiner neuen Arbeiten in den Horen gelesen. Das Fragment aus dem Shakespeare ist, ohne Schmeicheley, meisterhaft ausgefallen; und es würde gewiß eine wichtige Bereicherung für unsre Litteratur seyn, wenn wir einige auserwählte Stücke des S. auf solche Art auf Deutschen Boden verpflanzt erhielten. Michaelis sagt mir aber, daß es Dein Plan sey, den ganzen S. so zu übersetzen; und das billige ich nicht, da es Dich zu sehr von Originalarbeiten abhalten wird. Deine Briefe über Poesie und Metrum sind ein schöner Beweis, mit welcher Annehmlichkeit Du die trockensten Gegenstände behandeln kannst; und ich habe darin treffende Bemerkungen gefunden, ob ich gleich nicht durchgängig mit Dir übereinstimmend denken kann. Du suchst den eigentlichen Ursprung des Rhytmus in gewissen Beschaffenheiten der menschlichen Organisation, die uns zur Abmessung gleicher Zeittheile geschickt und geneigt machen. Aber der Rhytmus besteht nicht bloß in der Abmessung gleicher Zeittheile, sondern in gewissen in diesen Zeittheilen eingeschloßnen Verhältnissen, welche zu schaffen und zu beurtheilen unstreitig dem Verstande in Verbindung mit der Sinnlichkeit zukömmt, wie z.B. bey dem Dactylus 1 : ½ + ½, bey dem Jamben ½ : 1, und eben so bey der Musik.
Du befindest Dich jetzt in Jena fast im Mittelpunkte der schönen, deutschen Litteratur, und Du bist daher im Stande, wenn Du mir bisweilen einen Augenblick der Muße gönnen willst, mir viel Interessantes zu schreiben. Von der Litteraturzeitung glaube ich erstaunlich unbillig behandelt zu seyn. Nachdem ich auf die Rec. des ersten Theils meiner populären Betrachtungen so geantwortet habe, daß der Recensent gewiß nichts darauf erwiedern wird, hat man den zweyten gewiß noch bessern und wichtigern Theil bloß dem Titel nach angezeigt. Das heißt mit Gewalt ein Werk unterdrücken wollen, um sich nur wegen eines einmal gefällten voreiligen Urtheils kein Dementi geben zu wollen. Viel Gewicht wird denn doch auf das Urtheil dieser Herren nicht mehr gelegt. An Fichte habe ich mich wegen der Recension des andern Theils gewandt; ich habe aber keine Antwort von ihm erhalten. Tausend Glück zu Deiner Verbindung und tausend Lebewohl.
Der Deinige
Moriz Schlegel.
[2] Herrn Rath Schlegel
in
Jena.
d. E.