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Sigmund Ernst to August Wilhelm von Schlegel

[1] Hannover den 13.ten May 1794.
Liebster Freund
Für Ihre Teilnahme an meinen Hofnungen danke ich Ihnen recht sehr, und ich freue mich, Ihnen nun meld. zu können, daß sie größtentheils erfüllt sind. Da mein Brief von Jettchens Briefe begleitet wird, so brauche ich von den nähern Umständen nichts weiter zu schreiben. Vieles, und manches darunter, woran uns viel gelegen ist, wissen wir selbst noch nicht Aber bald – denn zu Johannis werde ich wahrscheinlich schon anziehen – bald wird sich alles aufklären. Meine Wünsche giengen mehr auf eine Landstelle: aber ich bin mit dieser auch zufrieden, u ich vielleicht finde ich sie in der Folge vorzüglicher. Das ist doch schon ein erheblicher Vorzug, daß wir dort am Orte selbst angenehmen Umgang finden, und wegen der Nähe von Nordheim, Einbek, Hardegsen u s.w. ihn auch auswärts find. können. Genug ich hoffe mit meinem lieben Jettchen dort glüklich zu seyn, und nun wünschte ich nur daß sich für Carl und Moritz auch bald glükliche Aussichten öffneten.
Ihre Bemerkungen sind mir sehr schätzbar. Ich wünschte über die Geschichte unsrer Litteratur einmal etwas vollständiges zu lesen; wissen Sie wohl ein Buch worinnen man das find. könte? – Auf Zinkgrefs Apophtegmen hätten Sie wohl einen hohen Preis setzen müssen, der junge Arenswald hat es erstanden, und mehrere von der Art, und auf alle hatte er gewaltig hohe Commißion gegeben. Was Sie von der Vernachläßigung unsrer ältern gut. Schriftsteller sagen, hat mich oft geärgert. Wir fangen schon an, selbst vor unsern neuern viele zu vergessen. Von Leßings dramatischen Verdiensten z B. weiß man auf unserm Theater nicht mehr. Man spielt elende Stüke um die guten nicht wiederbringen zu dürfen, doch vielleicht geschieht es nur aus der sehr weisen Ursache, daß man sie nicht gern verhunzen will. Gelegentlich, weil ich nun einmal im [2] Zuge bin, Sie als meinen litterarischen Consulanten zu behandeln, erlauben Sie mir noch die Frage: Wie hoch wohl Weisens Verdienste im Trauerspiele anzusetzen sind. Ich erinnre mich wohl daß kurz nach ihrer Erscheinung das Publikum Ihnxxx ihnen grose Complimente machte, aber mich deucht jezt macht man ihnen desto weniger. Ich habe sie als Knabe geles. und damals war ich wohl einer ihrer eifrigsten Verehrer Jezt habe ich keine Gelegenheit gehabt, sie zu lesen, und auch zu wenig Zeit, um etwas zu lesen, daß wovon ich nicht weiß daß es mir die Zeit nicht bezahlt.
Glauben Sie nicht auch daß wir Deutschen nicht nur gegen ältre Schriftsteller, sondern überhaupt bey allen Schriftstellern geg. die Mühe die sie sich gab. unsern Geschmak zu befriedigen, gar nicht eben übertrieb. dankbar sind?
Mir komt es immer vor als wenn Aesthetik, wenn ich den Begriff aus dem Worte schöpfe, oder eine Anweisung das Gute vom Mittelmäsig. durch Gefühl zu unterscheid., oder eine Bildung dieses Gefühls, womit die Natur ihre Lieblinge beschenkt, als wenn, sage ich dieses sich nicht auf die erst. Grundsätze der Vernunft zurückführ. liese. Ich weiß nicht genau ob das Kant gethan hat, denn ich habe seine Kritik der Urtheilskraft nicht gelesen, aber ich vermuthe es von seinem tief eindringend. Geiste. Es giebt unbändige Genies, (ich brauche dieß Wort hier nicht um zu sie tadeln) die alle Regeln der Aesthetik eine nach die andre, für d. Kopf stossen, ohne daß man ihn. desweg. gram werd. könte; und das begegnet gerade d. größt. Genies, die auf d. Platz wo sie die Regeln weggeräumt hab., ihre schönsten Blumen hinstreun Und oft schleicht sich der Philosoph hinter dem Genie her, und nimt selbst seine Regeln wieder, weg, u sezt dafür andre hin, die er der Begeisterung des Dichters abgelauscht hatte. – Ich urtheile wie ein Laye darüber, das weis ich, aber ich stelle mir auch vor daß ichs Ihnen im Beichtstuhl anvertraue, u um meine Beichte zu vollend., lass. Sie mich das Ge[3]ständniß hinzusetzen, das mir eb. nicht viel Ehre macht: ich urtheile so um mein Gewissen darüber zu beruhigen daß ich Kants Kritik der Urtheilskraft nicht gelesen habe, und auch noch nicht Lust habe, zu lesen. – aber das sage ich Ihnen ganz heimlich ins Ohr, daß es kein Kantianer hört – Schiller selbst in einer Abhandlung (wo ich nicht irre, über Anmuth und Würde) die ich nur flüchtig lesen konte, u gern noch ein paarmal läse, Schiller bringt allerhand Ketzereyen vor, worüber ein orthodoxer Kantianer ihn zum wenigstens inʼs Fegefeuer wünschen muß. – aber darüber möchte ich lieber Sie hören, als mich selbst. Wenn Sie Lust hab., mein Beichtvater zu werd. so erwarte ich in dem nächst. Briefe Ihre Absolution. Ich werde sie mit grosem Dank annehmen, wenn es auch mehr eine Bußvermahnung ist. Aber Sie sind doch nicht böse, daß ich Ihre Gedult misbrauche? Leben Sie recht wohl, theuerster Freund; u bleib. Sie stets der meinige.
Ihr
aufrichtiger Freund
Ernst.
[4] [leer]
  • Ernst, Sigmund  Einlagebrief  ankündigen  Ernst, Henriette
  • Arnswaldt, Karl Friedrich Alexander von  Bücherkauf  Zincgref, Julius Wilhelm: Teutsche Apophtegmata
  • Ernst, Sigmund  Urteil  erfragen  Weise, Christian
  • Ernst, Sigmund  Urteil  erfragen  Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft
  • Ernst, Sigmund  Urteil  erfragen  Schiller, Friedrich: Über Anmut und Würde
Metadata Concerning Header
  • Date: Dienstag, 13. Mai 1794
  • Sender: Sigmund Ernst ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Hannover · ·
  • Place of Destination: Amsterdam · ·
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-33449
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.7,Nr.43
  • Number of Pages: 3S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 17,3 x 12,3 cm
Language
  • German
Editors
  • Bamberg, Claudia

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