Single collated printed full text with registry labelling
TEI-Logo

August Wilhelm von Schlegel to Novalis

Jena, den 12. Januar 1799. [Sonnabend]
Ich habe mich, seit wir uns zuletzt in Dr[esden] sahen, stumm gehalten wie ein Stock – aber da heute der schöne und freundliche Herder, der aus Ihrer Nähe kommt und in Ihre Nähe geht, uns besucht, so kann ich es nicht unterlassen, Sie wenigstens mit einigen Zeilen zu begrüßen. Dieser Winter geht mir unter vielen Beschäftigungen hin, das ist auch die Ursache meines Stillschweigens, meine Frau wird Ihnen schon davon gemeldet haben. Meine Vorlesungen haben mir noch keine lange Weile gemacht – ich wünschte, daß Sie einmal einer von denen über Aesth[etik] beiwohnen könnten, um mir Ihr Urtheil zu sagen. Das öffent[liche] Collegium über Gesch[ichte] der deutschen Poesie hat mich zur Lektüre unsrer alten und zum Theil uralten Dichter geführt, und dies hat den langgehegten Plan, ein Rittergedicht zu unternehmen, lebhaft in mir rege gemacht – nächsten Sommer geh ich gewiß an die Ausführung. – Sonst bin ich jetzt fleißig am Sh[akespeare] und habe den Kaufmann von Venedig beinahe fertig – er wird Sie hoffentlich sehr freuen.
Ferner – daß ich die wichtigste Neuigkeit nicht vergesse – so ist das Athen[aeum] glücklich seines lumpigen Verlegers genesen; ein andrer Buchhändler, Fröhlich, der Viewegs Berlinische Handlung gekauft, hat es in Verlag genommen, auch den Vorrath der ersten Stücke an sich gekauft. In etwa sechs Wochen haben Sie nun schon das dritte Stück. – Sie werden also auch wieder in Requisition zu Beiträgen gesetzt, Hülsen ist in Berlin gewesen, hat mit meinem Bruder fraternisirt und ihm verschiednes versprochen. Wir denken mit der sthenischen Diät fortzufahren, das heißt die gepfefferten Kritiken nicht zu sparen. – Vermuthlich kommen die sämmtlichen Wielandischen Werke in den nächsten 4 Stükken, auf die sich der Buchhändler verpflichtet, noch daran.
Ich habe eine große Elegie an Göthe von der antiken Kunst angefangen – schon mehr als angefangen. Aeußerst begierig, wie Sie davon urtheilen werden. Doch sollen Sie das Werk nicht eher sehen als es fertig und gedruckt ist (im 4. Stück des Athen[aeum]). Sie müßten denn persönlich hierherkommen, welches uns unendlich freuen würde.
Friedrich ist die Zeit her durch die bei seiner Freundin Mad. Veit herrschende häusliche Zerrüttung sehr abgehalten, womit Sie auch sein Stillschweigen entschuldigen. Jetzt ist sie von ihrem Manne geschieden, und wie er versichert, fängt eine neue Periode in seinem Lebensplan an. – Er hat, wenn man seinen Briefen trauen darf, wirklich und effectivement einen Roman, Namens Lucinde, angefangen und verspricht, sobald ein hinreichendes Stück fertig, es uns zur Beurtheilung zu schicken.
Von litteraerischen Neuigkeiten will ich Sie nun auf eine Schrift aufmerksam machen, die soeben erst erschienen ist: Tiecks Phantasien über die Kunst. Es enthält Wackenroders (des Klosterbruders) Nachlaß, mit eignen Aufsätzen von T. vermehrt. –
Von Fichtes Händeln über den lieben Gott werden Sie aus dem Intelligenzblatt der Litteraturzeitung unterrichtet werden. Der wackere Fichte streitet eigentlich für uns alle, und wenn er unterliegt, so sind die Scheiterhaufen wieder ganz nahe herbeigekommen.
Leben Sie wohl, werthester Freund. Wenn Caroline nichts hinzufügt, so grüßt sie doch herzlichst und wird nächstens schreiben. Ganz Ihr
AW. Schlegel.
  • Schlegel, August Wilhelm von  Briefaushändigung  beauftragen  Herder, Johann Gottfried von
  • Schlegel, August Wilhelm von  einladen  Schlegel, August Wilhelm von: Vorlesungen über philosophische Kunstlehre (Jena WS 1798/99)
  • Schlegel, August Wilhelm von  Werkplan  Schlegel, August Wilhelm von: Tristan
  • Schlegel, August Wilhelm von  Übersetzungspraxis  Shakespeare, William: Der Kaufmann von Venedig [Ü: August Wilhelm von Schlegel]
  • Schlegel, August Wilhelm von  Publikation  ankündigen  Athenaeum
  • Schlegel, August Wilhelm von  Mitarbeit  auffordern  Novalis
  • Schlegel, August Wilhelm von  Literarische Konkurrenz  Wieland, Christoph Martin
  • Schlegel, August Wilhelm von  Bewertung  erbitten  Schlegel, August Wilhelm von: Die Kunst der Griechen
  • Schlegel, August Wilhelm von  ankündigen  Schlegel, Friedrich von: Lucinde
  • Schlegel, August Wilhelm von  Lektüre  empfehlen  Tieck, Ludwig; Wackenroder, Wilhelm Heinrich: Phantasien über die Kunst
  • Schlegel, August Wilhelm von  zustimmen  Fichte, Johann Gottlieb
  • Schelling, Caroline von  grüßen lassen  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schelling, Caroline von  grüßen  Novalis
Metadata Concerning Header
  • Date: Samstag, 12. Januar 1799
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Recipient: Novalis ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Freiberg · ·
Printed Text
  • Bibliography: Novalis: Schriften. Tagebücher, Briefwechsel, Zeitgenössische Zeugnisse. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Bd. 4. Stuttgart u.a. 1998, S. 513‒514.
Language
  • German

Basics · Zitieren