Amsterdam, den 11. Jun. 91.
Gott grüße dich, edler Volker! Wie besteht die deutsche Dichterrepublik ohne mich? Ach ich weiß Ihr seyd in der Noth und im Elende, aber ich kann Euch nicht helfen. Siehe ich habe nun die Welt gesehn, und weiß vermittelst der Anschauung, wie die Amsterdamer Kanäle stinken. Du begreifst leicht, daß dieß einen vortheilhaften Einfluß auf meine Poëterey haben muß, wenn ich erst wieder dazu kommen kann, zu dichten. Vor jetzt aber ist es mein dringendstes Geschäft, das Holländische, dieß süße Geflister der kaufmännischen Musen und Grazien, zu erlernen. – Bürger, bildet euch nicht zu viel ein auf Euren Dichterruhm. Schon vier Wochen bin ich hier und noch habʼ ich Euren Namen nicht nennen hören. Dein Ruhm mag sich von einem Pole zum andern erstrecken, aber gewiß nicht über den Meridian von Amsterdam. Im vollen Ernst, so gut ich mich hier befinde, so ärgerts mich doch von unserm kleinen dichterischen Zirkel so ganz abgerissen zu sein. Meine Theilnahme an der Akademie wird dadurch auch gehemmt werden, ob ich sie gleich keinesweges aufgebe.
A propos, ich habe, da ich noch in Deutschland war, das dritte und vierte Stück der Akademie in einer Zeitung angekündigt gesehen. Mit dem vierten Stück, das ist ja wohl wieder einer von des Herrn Riem belletristisch buchhändlerischen Witzen, den[n] von euch hat er doch kein Manuscript dazu bekommen? – Mir scheints eine entsetzliche Impertinenz von ihm, sich auf diese Art in die Herausgabe eigenmächtig hinein zu drängen, und wenn er es wirklich gethan hat, so würde ich ihn an Eurer Stelle ganz grimmig panzerfegen. – Auf jeden Fall muß ich die neu herausgekommnen Stücke nebst dem zweyten, das ich noch nicht eigen besitze hier haben. Sollten also Exemplare ankommen, so bitte ich an Mad. Böhmer das 3te und 4te Stück (auf Schweizerpapier) zu schicken. ‒ Ihr könnt sie ja, wenn es euch zu weitläuftig ist, sie selbst zu besorgen, nur in Michaelis Hause abgeben. Ein andres Exemplar vom 2ten, 3ten, und 4ten Stück wünschte ich, gäbet ihr an Fiorillo ‒ und das übrige schicktet ihr nach Hanover, mit einer Adresse an meinen Bruder, den Secretär Schlegel.
Theilt mir denn auch gewogentlichst mit, was ihr etwan von Urtheilen über meinen Aufsatz vom Dante erfahrt. Ich lasse mich dadurch zwar eben nicht in meinen eignen einmahl gefällten Urtheilen irre machen, aber kann es doch ganz gern anhören.
Zu Eurem diesjährigen Allmanach schicke ich euch gewiß meinen Beytrag, wenn Ihr gleich für dieß mahl meine Leitung bey der Herausgabe entbehren müßt. Wollt ihr die aus dem Spanischen übersetzten Volkslieder, so stehen sie euch zu Dienste. Dann könnt ihr auch eine Canzone und ein Paar von den Sonetten nach dem Petrarka die noch unter meinen Papieren liegen, haben, wenn Ihr sie begehrt. – Außerdem denk ich euch noch eins und das andre von eignen Sachen zu liefern. – Habt Ihr schon viel Zeugs beysammen?
Über Schillers Replik, die ich noch in Deutschland gelesen, habʼ ich mich nicht wenig geärgert. Sie ist in einem dummen Tone geschrieben. Das beste ist, daß er mit den kläglichen Ausflüchten in dieser Replik seine Sache selbst verschlimmert, und was in der Recension noch nicht in Confusion war, hier zur vollkommensten Confusion durch einander rüttelt. Verwechselt er nicht offenbar Dramatisirung mit Idealisirung? – Und wie kann er sich unterstehen, statt seiner noch nie in der wirklichen Welt erschienenen Ideen von Vollendung, Kerls wie Denis über euch hinauszusetzen? Kerls, die wenn man sie in einem Mörser zerstieße nicht genug Saft und Mark hergeben würden zu einem einzigen solchen Liede, wie Ihr viele gemacht habt? Mich wundert, daß er nicht noch den seligen Gottsched angeführt hat. In dessen Oden ist gewiß nichts individuelles.
Wilt du ihm nun thun nach seinen Werken? Vermuthlich habt ihr schon einen Entschluß hierüber gefaßt, oder gar schon ausgeführt. Aber wie er auch ausgefallen seyn mag, lieber Bürger, so laßt mich Euch offenherzig bekennen, daß ich es eigentlich Eurer Würde entgegen halte, nochmahls gradezu gegen Schiller zu schreiben. Eine vortreffliche aesthetische Abhandlung seiner glänzenden phantasirenden Sophistik entgegenzustellen, das geziemt euch wohl, und dadurch würdet ihr mir und allen Euren Freunden große Freude machen. Seyd doch so gut, und laßt die Recension, Eure Antwort und Schillers Replik auf meine Kosten kopiren und schicktʼs mir gradezu oder nur nach Hanover. Die ganze Dispüte interessirt mich, und wenn ich Zeit und gute Gedanken habe, möchte ich wohl das eine und das andre in Rücksicht auf dieselbe schreiben. Freylich werde ich alles aus meinem eignen Kopfe nehmen müssen, da ich hier keine Aesthetische Schriften zum Nachschlagen, und nicht einmahl Dichter um Beyspiele daraus anzuführen, habe. Wenn ich am Dante fortarbeiten will, werde ich mir selbst verschiedne Bücher dazu anschaffen müssen.
So viel für heute, liebster Bürger. Wollen Sie wohl die Güte haben, die inliegenden Briefe zu besorgen? – Nächstens schreibʼ ich Ihnen mehr und ordentlicher. Grüßen Sie doch vielmahls Ihre liebe Frau, und wer sich sonst noch meiner im guten erinnert, dem sagen Sie in meinem Nahmen Gottslohn dafür. – Sehen Sie HE. Hofr[ath] Heyne, so machen Sie ihm meine gehorsamste Empfehlungen und sagen Sie ihm er könnte wenn er anders Lust hätte, das polemische Fach der Bibliothek vermehren durch eine Spaltung, die hier in der Lutherischen Gemeine vorgefallen. Man hat nehmlich über das Daseyn des Teufels disputirt – eine Parthey hat sich ihn nicht wollen nehmen lassen, hat sich separirt, und sammelt Geld zur Erbauung einer neuen Kirche, wo sie ihn allein für sich behalten werden. ‒ Es erscheinen viele Brochüren von beyden Seiten. Fulminant hat „der uitmuntende vermaarde Hoogleerar der Lutherschen Kerk, Johannes Heshusius“, ein Schüler Luthers und Melanchthons, wie er sich selbst titulirt, gegen die unsaubere neue Lehr geschrieben. – Was meynen Sie dazu, wenn man sich an die Übersetzung dieser Schriften für unser liebes deutsches Publikum machte?
An Fiorillo schickt doch diesen Brief, und wenn HE. Riem etwan das Honorarium gesandt hat, so laßt euch meinen Antheil von Bouterweck (den ich auch herzlich grüßen lasse und ihm nächstens schreiben werde) geben, und überliefert ihn an Fiorillo, weil ich dem noch schuldig bin, und dieß so auf die bequemste Weise bezahlen kann. –
Daß ich guter Laune bin und mich vollkommen wohl befinde, werdet Ihr meinem Briefe schon angesehen haben. Ein Andermahl kann ich euch von dem Lande und den Leuten hier erzählen so viel ihr davon hören wollt, und soviel ich weiß. – Ja, mein Herr, ihr seyd in Göttingen und ich bin in Amsterdam. So waltet das Schicksal. Lʼhomme propose & dieu dispose. Ich könnte euch unendlich viel erzählen, aber ich will heute nur eins sagen, was in der That das kurze und das lange von der Sache ist, und was ich mit Wahrheit sagen kann, daß ich hier sehr gut zu essen und zu trinken kriege. Gestehts nur: euer Göttingen ist ein garstiges Nest, wo man Collegia hört, und Träbern frißt. Hier führʼ ich dagegen eine ganz andre Tafel. Und Fische haben wir, mein Freund, Fische! Zungen, Schollen, Lachse, Turbots, Seekrebse, Krabben, farçirte Krabben mit Shrims! – Das Schiff der HE. Muilmans ist letzthin von Suriname zurückgekommen, und hat eine Schildkröte mitgebracht. Da giebts nächstens eine Schildkrötenpastete. Versteht ihr das, mein Herr?
Dieser Brief kommt grade in den Pfingstferien bey euch an – da habt Ihr Zeit mir zu antworten – und ich hoffe, Ihr werdet es euch nicht verdrießen lassen, daß ich euch mit so vielen Commissionen quäle. An den Sommernachtstraum habʼ ich euch heute nicht erinnern wollen – das steht euch nächstens bevor. Gott befohlen.
Schlegel.
Meine Adresse ist: chez Mr. Henry Muilman Conseiller & Echevin de la ville dʼAmsterdam. Sonst könnt Ihr aber auch Eure Herrlichkeiten nach Hanover mit einer Adresse an meinen Bruder, den Sekretär Schlegel schicken. Ich bekomme sie dann auch sicher, aber später.
Gott grüße dich, edler Volker! Wie besteht die deutsche Dichterrepublik ohne mich? Ach ich weiß Ihr seyd in der Noth und im Elende, aber ich kann Euch nicht helfen. Siehe ich habe nun die Welt gesehn, und weiß vermittelst der Anschauung, wie die Amsterdamer Kanäle stinken. Du begreifst leicht, daß dieß einen vortheilhaften Einfluß auf meine Poëterey haben muß, wenn ich erst wieder dazu kommen kann, zu dichten. Vor jetzt aber ist es mein dringendstes Geschäft, das Holländische, dieß süße Geflister der kaufmännischen Musen und Grazien, zu erlernen. – Bürger, bildet euch nicht zu viel ein auf Euren Dichterruhm. Schon vier Wochen bin ich hier und noch habʼ ich Euren Namen nicht nennen hören. Dein Ruhm mag sich von einem Pole zum andern erstrecken, aber gewiß nicht über den Meridian von Amsterdam. Im vollen Ernst, so gut ich mich hier befinde, so ärgerts mich doch von unserm kleinen dichterischen Zirkel so ganz abgerissen zu sein. Meine Theilnahme an der Akademie wird dadurch auch gehemmt werden, ob ich sie gleich keinesweges aufgebe.
A propos, ich habe, da ich noch in Deutschland war, das dritte und vierte Stück der Akademie in einer Zeitung angekündigt gesehen. Mit dem vierten Stück, das ist ja wohl wieder einer von des Herrn Riem belletristisch buchhändlerischen Witzen, den[n] von euch hat er doch kein Manuscript dazu bekommen? – Mir scheints eine entsetzliche Impertinenz von ihm, sich auf diese Art in die Herausgabe eigenmächtig hinein zu drängen, und wenn er es wirklich gethan hat, so würde ich ihn an Eurer Stelle ganz grimmig panzerfegen. – Auf jeden Fall muß ich die neu herausgekommnen Stücke nebst dem zweyten, das ich noch nicht eigen besitze hier haben. Sollten also Exemplare ankommen, so bitte ich an Mad. Böhmer das 3te und 4te Stück (auf Schweizerpapier) zu schicken. ‒ Ihr könnt sie ja, wenn es euch zu weitläuftig ist, sie selbst zu besorgen, nur in Michaelis Hause abgeben. Ein andres Exemplar vom 2ten, 3ten, und 4ten Stück wünschte ich, gäbet ihr an Fiorillo ‒ und das übrige schicktet ihr nach Hanover, mit einer Adresse an meinen Bruder, den Secretär Schlegel.
Theilt mir denn auch gewogentlichst mit, was ihr etwan von Urtheilen über meinen Aufsatz vom Dante erfahrt. Ich lasse mich dadurch zwar eben nicht in meinen eignen einmahl gefällten Urtheilen irre machen, aber kann es doch ganz gern anhören.
Zu Eurem diesjährigen Allmanach schicke ich euch gewiß meinen Beytrag, wenn Ihr gleich für dieß mahl meine Leitung bey der Herausgabe entbehren müßt. Wollt ihr die aus dem Spanischen übersetzten Volkslieder, so stehen sie euch zu Dienste. Dann könnt ihr auch eine Canzone und ein Paar von den Sonetten nach dem Petrarka die noch unter meinen Papieren liegen, haben, wenn Ihr sie begehrt. – Außerdem denk ich euch noch eins und das andre von eignen Sachen zu liefern. – Habt Ihr schon viel Zeugs beysammen?
Über Schillers Replik, die ich noch in Deutschland gelesen, habʼ ich mich nicht wenig geärgert. Sie ist in einem dummen Tone geschrieben. Das beste ist, daß er mit den kläglichen Ausflüchten in dieser Replik seine Sache selbst verschlimmert, und was in der Recension noch nicht in Confusion war, hier zur vollkommensten Confusion durch einander rüttelt. Verwechselt er nicht offenbar Dramatisirung mit Idealisirung? – Und wie kann er sich unterstehen, statt seiner noch nie in der wirklichen Welt erschienenen Ideen von Vollendung, Kerls wie Denis über euch hinauszusetzen? Kerls, die wenn man sie in einem Mörser zerstieße nicht genug Saft und Mark hergeben würden zu einem einzigen solchen Liede, wie Ihr viele gemacht habt? Mich wundert, daß er nicht noch den seligen Gottsched angeführt hat. In dessen Oden ist gewiß nichts individuelles.
Wilt du ihm nun thun nach seinen Werken? Vermuthlich habt ihr schon einen Entschluß hierüber gefaßt, oder gar schon ausgeführt. Aber wie er auch ausgefallen seyn mag, lieber Bürger, so laßt mich Euch offenherzig bekennen, daß ich es eigentlich Eurer Würde entgegen halte, nochmahls gradezu gegen Schiller zu schreiben. Eine vortreffliche aesthetische Abhandlung seiner glänzenden phantasirenden Sophistik entgegenzustellen, das geziemt euch wohl, und dadurch würdet ihr mir und allen Euren Freunden große Freude machen. Seyd doch so gut, und laßt die Recension, Eure Antwort und Schillers Replik auf meine Kosten kopiren und schicktʼs mir gradezu oder nur nach Hanover. Die ganze Dispüte interessirt mich, und wenn ich Zeit und gute Gedanken habe, möchte ich wohl das eine und das andre in Rücksicht auf dieselbe schreiben. Freylich werde ich alles aus meinem eignen Kopfe nehmen müssen, da ich hier keine Aesthetische Schriften zum Nachschlagen, und nicht einmahl Dichter um Beyspiele daraus anzuführen, habe. Wenn ich am Dante fortarbeiten will, werde ich mir selbst verschiedne Bücher dazu anschaffen müssen.
So viel für heute, liebster Bürger. Wollen Sie wohl die Güte haben, die inliegenden Briefe zu besorgen? – Nächstens schreibʼ ich Ihnen mehr und ordentlicher. Grüßen Sie doch vielmahls Ihre liebe Frau, und wer sich sonst noch meiner im guten erinnert, dem sagen Sie in meinem Nahmen Gottslohn dafür. – Sehen Sie HE. Hofr[ath] Heyne, so machen Sie ihm meine gehorsamste Empfehlungen und sagen Sie ihm er könnte wenn er anders Lust hätte, das polemische Fach der Bibliothek vermehren durch eine Spaltung, die hier in der Lutherischen Gemeine vorgefallen. Man hat nehmlich über das Daseyn des Teufels disputirt – eine Parthey hat sich ihn nicht wollen nehmen lassen, hat sich separirt, und sammelt Geld zur Erbauung einer neuen Kirche, wo sie ihn allein für sich behalten werden. ‒ Es erscheinen viele Brochüren von beyden Seiten. Fulminant hat „der uitmuntende vermaarde Hoogleerar der Lutherschen Kerk, Johannes Heshusius“, ein Schüler Luthers und Melanchthons, wie er sich selbst titulirt, gegen die unsaubere neue Lehr geschrieben. – Was meynen Sie dazu, wenn man sich an die Übersetzung dieser Schriften für unser liebes deutsches Publikum machte?
An Fiorillo schickt doch diesen Brief, und wenn HE. Riem etwan das Honorarium gesandt hat, so laßt euch meinen Antheil von Bouterweck (den ich auch herzlich grüßen lasse und ihm nächstens schreiben werde) geben, und überliefert ihn an Fiorillo, weil ich dem noch schuldig bin, und dieß so auf die bequemste Weise bezahlen kann. –
Daß ich guter Laune bin und mich vollkommen wohl befinde, werdet Ihr meinem Briefe schon angesehen haben. Ein Andermahl kann ich euch von dem Lande und den Leuten hier erzählen so viel ihr davon hören wollt, und soviel ich weiß. – Ja, mein Herr, ihr seyd in Göttingen und ich bin in Amsterdam. So waltet das Schicksal. Lʼhomme propose & dieu dispose. Ich könnte euch unendlich viel erzählen, aber ich will heute nur eins sagen, was in der That das kurze und das lange von der Sache ist, und was ich mit Wahrheit sagen kann, daß ich hier sehr gut zu essen und zu trinken kriege. Gestehts nur: euer Göttingen ist ein garstiges Nest, wo man Collegia hört, und Träbern frißt. Hier führʼ ich dagegen eine ganz andre Tafel. Und Fische haben wir, mein Freund, Fische! Zungen, Schollen, Lachse, Turbots, Seekrebse, Krabben, farçirte Krabben mit Shrims! – Das Schiff der HE. Muilmans ist letzthin von Suriname zurückgekommen, und hat eine Schildkröte mitgebracht. Da giebts nächstens eine Schildkrötenpastete. Versteht ihr das, mein Herr?
Dieser Brief kommt grade in den Pfingstferien bey euch an – da habt Ihr Zeit mir zu antworten – und ich hoffe, Ihr werdet es euch nicht verdrießen lassen, daß ich euch mit so vielen Commissionen quäle. An den Sommernachtstraum habʼ ich euch heute nicht erinnern wollen – das steht euch nächstens bevor. Gott befohlen.
Schlegel.
Meine Adresse ist: chez Mr. Henry Muilman Conseiller & Echevin de la ville dʼAmsterdam. Sonst könnt Ihr aber auch Eure Herrlichkeiten nach Hanover mit einer Adresse an meinen Bruder, den Sekretär Schlegel schicken. Ich bekomme sie dann auch sicher, aber später.