Berlin d. 2ten März 1799.
Sie sind liebreich und gütig genug, mich gegen meine eigenen Vorwürfe in Schutz zu nehmen, aber ich werde es mir doch nie verzeihen, daß ich mehrere Monate habe hingehen lassen, ohne Ihnen zu schreiben. Ich verstehe unter Ihnen nehmlich Ihre liebenswürdige Frau, der ich für ein Briefchen voll schöner Wahrheiten und freundlicher Gesinnungen, das ich immer mit neuem Vergnügen lese, nicht einmahl gedankt. Denn Ihnen selbst lieber Freund bin ich wohl recht vielen Dank, aber gar keinen Brief schuldig. Wissen Sie nichts das mich sowohl dafür, als daß ich ihn nun schreibe und den Brief an Sie adressire bei ihr entschuldigen könnte, so möge Ihnen zu rechter Zeit meine unendliche Schüchternheit einfallen, die mich, mehr als jede andre Art von Erbsünde, zu Dummheiten verleitet.
Sagen Sie mir doch recht bestimmt, wann Sie in Berlin sein wollen. Die Veit meint es würde noch im März sein, und so würde ich noch die große Freude haben Sie hier zu sehn. Ich reise erst den 7ten April nach Leipzig. Das kommt mir aber viel zu gut für mich vor; ich dachte mir immer: wir würden ‒ Sie von Jena ‒ und ich von hier ‒ zu gleicher Zeit wegreisen, und so würde ich Sie nicht einmahl auf einige Tage in Jena besuchen können; das wäre denn so eine wizige Bosheit vom Zufall, wie ich sie schon gewohnt bin. ‒
Sagen Sie mir etwas über Ihr Kommen, und ob ich irgend etwas dazu thun kann Sie nicht zu versäumen.
Was Sie von meiner Reise nach Wien vermuthen ist bei mir ohne Gewißheit; ich erwarte nichts angenehmes dort, und kann mir keine Art von Glück in meinem neuen Beruf denken. Indeß hat Ihre Frau die Gründe die mich dennoch zu dieser Wahl bestimmten sehr richtig beurtheilt. Es ist ein Schritt um meine Kräfte zu versuchen und mich der gewohnten Abhängigkeit zu entziehen. Ich mußte irgend etwas beginnen, um den Horizont meiner Zukunft zu erweitern, die Aussicht wenigstens zu verändern. ‒
Uebrigens bin ich zu nichts verbunden, und macht manʼs zu arg, so singe ich unser Liedchen vom Schauspieldirektor.
Ja, von Lucinden! Ganz im Vertrauen will ich Ihnen erzählen, daß mich unser junger Gelehrter zu arg angeführt hat. Sie hätten nur sehen sollen, wie er zur Vorbereitung alle möglichen englischen Romane, alle Fastler und wenn ich nicht irre gar Clarisse u. Pamela gelesen. Hatte ich nun nicht alles Recht, ein recht sittiges, züchtiges, zartes Lucindchen zu erwarten? So fing ich mit der größten Ruhe an zu lesen, und dann freilich ging es mir wie der Prinzessin im Tasso: „Es lockt uns nach und nach, wir hören zu, wir hören und wir glauben zu verstehn, was wir verstehn das können wir nicht tadeln, und so gewinnt uns dieses Lied zuletzt.“ ‒ Was Sie vom verziehen sagten habe ich wie natürlich der Veit gezeigt, sie weiß sich aber sehr wohl zu vertheidigen. ‒
Diesen Abend wird Friedrich der Veit und mir Ihre Elegie lesen. Diese hat sie schon gehört und gelesen und studirt und mich recht feierlich darauf vorbereitet. ‒
Nun so istʼs recht. Sie dichten eine göttliche Elegie für Goethe und ich bin jetzt mit einer Arbeit für Sie beschäftiget, von der Ihr Bruder sagt, daß Sie mir wenigstens auch eine Elegie dafür dichten müßten. Freylich sagte er es ehe er sie gelesen.
‒ Ich bin darauf gefaßt, Sie diesen Abend recht zu bewundern und zu lieben. ‒
Ihren Gruß an Mariane Meyer habʼ ich nicht bestellen können. Sie hat die gemeine Hülle von sich geworfen und ist als Fürstin Reus nach Königsbrück gereist. Der Auftrag für die Levy soll noch heute besorgt werden. Nun leben Sie alle wohl, und ich bitte herzlich um Ihr Andenken. Tausend Grüße für Augusten.
Henriette M.
Ich bekomme so eben die Nachricht aus Wien, daß sich eine bequeme Gelegenheit zur Reise dorthin schon in 14 Tagen finden wird. Das verwirrt mich recht eigentlich.
Sie sind liebreich und gütig genug, mich gegen meine eigenen Vorwürfe in Schutz zu nehmen, aber ich werde es mir doch nie verzeihen, daß ich mehrere Monate habe hingehen lassen, ohne Ihnen zu schreiben. Ich verstehe unter Ihnen nehmlich Ihre liebenswürdige Frau, der ich für ein Briefchen voll schöner Wahrheiten und freundlicher Gesinnungen, das ich immer mit neuem Vergnügen lese, nicht einmahl gedankt. Denn Ihnen selbst lieber Freund bin ich wohl recht vielen Dank, aber gar keinen Brief schuldig. Wissen Sie nichts das mich sowohl dafür, als daß ich ihn nun schreibe und den Brief an Sie adressire bei ihr entschuldigen könnte, so möge Ihnen zu rechter Zeit meine unendliche Schüchternheit einfallen, die mich, mehr als jede andre Art von Erbsünde, zu Dummheiten verleitet.
Sagen Sie mir doch recht bestimmt, wann Sie in Berlin sein wollen. Die Veit meint es würde noch im März sein, und so würde ich noch die große Freude haben Sie hier zu sehn. Ich reise erst den 7ten April nach Leipzig. Das kommt mir aber viel zu gut für mich vor; ich dachte mir immer: wir würden ‒ Sie von Jena ‒ und ich von hier ‒ zu gleicher Zeit wegreisen, und so würde ich Sie nicht einmahl auf einige Tage in Jena besuchen können; das wäre denn so eine wizige Bosheit vom Zufall, wie ich sie schon gewohnt bin. ‒
Sagen Sie mir etwas über Ihr Kommen, und ob ich irgend etwas dazu thun kann Sie nicht zu versäumen.
Was Sie von meiner Reise nach Wien vermuthen ist bei mir ohne Gewißheit; ich erwarte nichts angenehmes dort, und kann mir keine Art von Glück in meinem neuen Beruf denken. Indeß hat Ihre Frau die Gründe die mich dennoch zu dieser Wahl bestimmten sehr richtig beurtheilt. Es ist ein Schritt um meine Kräfte zu versuchen und mich der gewohnten Abhängigkeit zu entziehen. Ich mußte irgend etwas beginnen, um den Horizont meiner Zukunft zu erweitern, die Aussicht wenigstens zu verändern. ‒
Uebrigens bin ich zu nichts verbunden, und macht manʼs zu arg, so singe ich unser Liedchen vom Schauspieldirektor.
Ja, von Lucinden! Ganz im Vertrauen will ich Ihnen erzählen, daß mich unser junger Gelehrter zu arg angeführt hat. Sie hätten nur sehen sollen, wie er zur Vorbereitung alle möglichen englischen Romane, alle Fastler und wenn ich nicht irre gar Clarisse u. Pamela gelesen. Hatte ich nun nicht alles Recht, ein recht sittiges, züchtiges, zartes Lucindchen zu erwarten? So fing ich mit der größten Ruhe an zu lesen, und dann freilich ging es mir wie der Prinzessin im Tasso: „Es lockt uns nach und nach, wir hören zu, wir hören und wir glauben zu verstehn, was wir verstehn das können wir nicht tadeln, und so gewinnt uns dieses Lied zuletzt.“ ‒ Was Sie vom verziehen sagten habe ich wie natürlich der Veit gezeigt, sie weiß sich aber sehr wohl zu vertheidigen. ‒
Diesen Abend wird Friedrich der Veit und mir Ihre Elegie lesen. Diese hat sie schon gehört und gelesen und studirt und mich recht feierlich darauf vorbereitet. ‒
Nun so istʼs recht. Sie dichten eine göttliche Elegie für Goethe und ich bin jetzt mit einer Arbeit für Sie beschäftiget, von der Ihr Bruder sagt, daß Sie mir wenigstens auch eine Elegie dafür dichten müßten. Freylich sagte er es ehe er sie gelesen.
‒ Ich bin darauf gefaßt, Sie diesen Abend recht zu bewundern und zu lieben. ‒
Ihren Gruß an Mariane Meyer habʼ ich nicht bestellen können. Sie hat die gemeine Hülle von sich geworfen und ist als Fürstin Reus nach Königsbrück gereist. Der Auftrag für die Levy soll noch heute besorgt werden. Nun leben Sie alle wohl, und ich bitte herzlich um Ihr Andenken. Tausend Grüße für Augusten.
Henriette M.
Ich bekomme so eben die Nachricht aus Wien, daß sich eine bequeme Gelegenheit zur Reise dorthin schon in 14 Tagen finden wird. Das verwirrt mich recht eigentlich.