[1] Liebster, bester Wilhelm,
Das Herz thut mir weh, daß ich Dir eine traurige Nachricht geben muß, und was können alle Umschweife helfen? Ich muß Dir sagen, daß Dein guter Vater nicht mehr ist. Du bist ein Mann, u wirst es als ein Mann tragen, daß es Deiner Gesundheit nicht nachtheilig wird. Kurz nachdem Schindlers weg waren, wo er immer äußerst munter und vergnügt war, hat er sich freyl. wohl etwas mehr erlaubt, und dadurch seinen gewöhnlichen Husten und Schnupfen zugezogen. Wo ich gleich seine gewöhnl. Pulver gebraucht wurden. Viel Arbeit hatte sich auch gehäuft, die er abthun wollte. Es kam bald etwas Fieber dazu, welches er mir aber verheimlicht hat, und dabey noch immer fatiguante Geschäfte verrichtet, und zu Fuße gegangen, Da wurde er immer kränker, hatte starke Diarrhoe, u Unruhe im Leibe, welches ich Anfangs der Medizin zuschrieb. Wichmann sagte mir aber bald daß dies eine andre Krankheit wäre, für die er mehr fürchtete, als für die andre besonders sunken seine Kräfte sehr bald. 8–9 Tage dauerte ungefähr, daß er sehr krank war, und die lezt. 3,4 Tage hat er viel Angst gelitten von Beängstigung. Daher war er sehr unruhig, und ließ sich von einem Bette zum andern bringen. Die erste Zeit dachte er gar nicht daß die Krankheit tödl. seyn würde. Die lezte Zeit hat ers gewiß geglaubt, u sehr inbrünstig gebetet, aber niemals in meiner Gegenwart. Die Heiterkeit seines Geistes hat er so lange behalt. als er Bewußtseyn hatte. Mir hat er nichts merken laßen, daß er seinen Tod erwartete. Einmal ließ er mich ruffen, bot mir freundlich die Hand drükte mich ans Herz, sagte mit Rührung und mit aufgehobnen Augen, arme Frau! Darauf fiel er wieder in Phantasie. Uebrigens blieb er thätig bis zu lezt. Er hat sich beständig Acten geben laßen, wo freylich wohl nicht viel bey geschah. Die lezten 24 Stunden wurde [2] er ruhig, und entschlief sanft am 16.ten Sept. Aber, liebster Sohn, nun muß ich Dir auch klagen, daß sich noch soviele andre Leiden damit vereinigten, die mir diesen Fall auserordentlich erschwerten. Henriette wurde zu eben der Zeit mit eben dem Uebel, was der Vater im Unterleibe hatte befallen, und da Krämpfe hinzu kamen, weil sie des Vaters Leid so affizirten, so war sie ein paar Tage gefährl. krank. Ich ließ sie herunter bringen in ihre Kammer, und bewahrte sie die übrigen 8 Tage, da der Vater so schlecht war, und auch nach seinem Tode, daß sie davon nichts erfuhr. Noch nicht genug der Diener wurde fast zugleich mit dem Vater recht heftig krank, und liegt noch. Auch Carl bekam wahrscheinl. ein Gallenfieber, wo er heftige Brechmittel gekriegt hat. Dem konte der Tod des Vaters nicht verborgen werden. Das brachte ihn immer wieder zurük. Nun noch zuletzt wurde auch die alte Frau krank die sich bey der Pflege meines Sohnes u des Bedienten angegriffen hatte. Nun stelle Dir meine Lage vor. Draußen 2 sehr wichtige Patienten, in der Stadt 3. Freyl. mußte ich Hülfe haben, aber die Anstalten, u das meiste mußte doch durch mich geschehen. Gott hat mich auserordentl. gestärkt, daß ich alles muthig ertragen, und immer Gegenwart des Geistes behalten, u Alle alle die Pflege, u nachher die traurigen Anstalten zur Beerdigung, worüber ich mit Carln correspondirte, habe bewerkstelligen können. Freyl. haben mir auch hierbey der Abt Salfeld, und der Hofcaplan viel Dienste gethan, u sehr Theil genommen. Ja ich kann sagen, die ganze Stadt hat Theil genommen, und es ist uns bey der Gelegenheit viel Liebe bewiesen worden. Er wird auch sehr feyerl. [3] morgen früh halb 7 beerdigt werden. Die ersten 3 Tage nach seinem Tode blieben wir noch auf dem Garten, bis Henriette ohne Nachtheil konte hereingebracht werden. Denselben Abend wurde die Leiche auf einem Rüstwagen auch hereingebracht in die Kirche. Er wird eine starke Begleitung haben, wovon ich Dir das Spezielle erst nachher melden kann. So viel weis ich, daß die Bürgerschaft und Kaufmanschaft ihn begleiten wird. Der Hofcaplan hat eine Feyerlichkeit vor, worinnen sie bestehen wird, weis ich nicht, wahrscheinlich singen, und Blumen ausstreuen auf sein Grab. Die ich gebet. habe sind seine Collegen, die Secretairs des Consistorii alle Prediger der Stadt, Hofrath Nieper, Rath Schaer, Assessor von Pape, (Rehberg ist verreißt. Diese Herren versamlen sich auf der Schenke auf dem Clubzimmer, und von der Kirche aus geht der Zug. Er hat doppelte Särge, wovon das Aeusere sehr schön ist. Ueberhaupt habe ich nichts gespart, von 16 Männern wird er gttragen, die abwechseln, und die 4 Vorsteher gehen beyher. Er komt auf den Neustädter Kirchhof, zwischen seine beyden Sohne Adolph u Heinrich, wo ich ein Erbbegräbniß gekauft habe, und noch 2 Stellen mehr. Nun, lieber Wilhelm, bete für Deine Mutter, daß ich alles glüklich überstehe, und nicht erliege Die Tante hatte ich holen laßen, wie der Vater anfieng, schlecht zu werden, sie hat mir beygestanden, so viel ihre Schwachheit erlaubt. Auch der gute Ernst, ohngeachtet er selber von der traurigen Begebenheit sehr angegriffen war. Auch hatte ich geschrieben, daß Moritz eiligst kommen möchte. Er hätte ihn beym Leben angetroffen, wenn er gleich gekommen, [4] aber er hat nicht vom Amte abkommen können, u immer auf beßre Nachrichte gehoft. Ich schrieb wieder nach des Vaters Tode, Er sollte mir beystehen, und des Vaters Papiere in Ordnung bringen, aber er ist nicht gekommen. Der Generalsuperintendent ist unpaß. Er selber wäre nicht so fest, daß ers wagen dürfte 2 Tage des Nachts auf der Post zu seyn, und ich hatte unvorsichtiger weise etwas von epidemischer Krankheit fallen laß[en] Das hat ihn die Frau gewiß abgehalten veranlaßt, ihn von der Reise abzuhalten. Der gegenwärtige Zustand der Patienten ist: Carl ist auf der Besserung, a[ber] noch im Bette, u fällt alle Besorglichkeit von üblen Folg. weg. Jettchen geht schon etwas auf dem Zimmer herum. Gerber, der Bediente bessert sich auch aber liegt noch ganz, die alte Sötheln ist auch noch zu Bette, ich denke sie aber in ein paar Tagen los zu werden. Von meinen Außichten kann ich noch nichts positives meld[en] man sagt, er man wolle alles für die Familie thun, Gott gebe es. Mir deucht jezt wäre der Zeitpunkt, daß Du noch einmal an Deinen Freund Arenswald schriebst, und Deine beyd. Brüder, und Herrn Ernst seinem Herrn Vater noch einmal recht dringend empfühlst, doch Dich auf nichts specielles einliesest, als allenfalls bey Moritz auf Lüchow. Wahrscheinlich wird Carln die Arbeit des ältesten Secretairs Müller aufgetragen werd. der ganz untauglich ist, und vielleicht die Hälfte der Besoldung. Doch kann ich darüber nichts gewißes sagen, weil ichs nur durch den 3ten Mann gehört habe. Nun, lie[b]ster Wilhelm, ich muß schließen. Dieser Brief ist in der größten Zerstreuung geschrieb., ob Verstand drinn. ist, weis ich nicht. Lebe wohl, und schreibe bald.
Mutter Schlegel
Dieser Brief ist ein paar Tage liegen geblieben.
d. 24 Sptb. 1793
Liebster Wilhelm Deinen Brief mit den traurigen Nachrichten von der Niederlage bey Dünkirchen habe ich erhalten. Sie sind auch hier zum Theil bekannt, doch scheinen die Deinigen etwas übertrieben zu seyn. Hier schicke ich Dir einen Brief, der mir von He. Bornemann an Dich überschickt ist. Auch habe ich einen Brief von einem H. Ph: Michaeliß aus Göttingen erhalten, der sich nach den 30 r. erkundigt, u. sie zurück zu erhalten wünscht, wenn ich sie Dir noch nich[t] überschickt. Um den Brief beantworten zu können habe ich mich bey H. Hofrath Böhmer erkundigen laßen, wer er sey. Mit meiner Beßerung geht es noch langsam u. kann ich das Bette noch nicht verlassen K. Schlege[l]
Das Herz thut mir weh, daß ich Dir eine traurige Nachricht geben muß, und was können alle Umschweife helfen? Ich muß Dir sagen, daß Dein guter Vater nicht mehr ist. Du bist ein Mann, u wirst es als ein Mann tragen, daß es Deiner Gesundheit nicht nachtheilig wird. Kurz nachdem Schindlers weg waren, wo er immer äußerst munter und vergnügt war, hat er sich freyl. wohl etwas mehr erlaubt, und dadurch seinen gewöhnlichen Husten und Schnupfen zugezogen. Wo ich gleich seine gewöhnl. Pulver gebraucht wurden. Viel Arbeit hatte sich auch gehäuft, die er abthun wollte. Es kam bald etwas Fieber dazu, welches er mir aber verheimlicht hat, und dabey noch immer fatiguante Geschäfte verrichtet, und zu Fuße gegangen, Da wurde er immer kränker, hatte starke Diarrhoe, u Unruhe im Leibe, welches ich Anfangs der Medizin zuschrieb. Wichmann sagte mir aber bald daß dies eine andre Krankheit wäre, für die er mehr fürchtete, als für die andre besonders sunken seine Kräfte sehr bald. 8–9 Tage dauerte ungefähr, daß er sehr krank war, und die lezt. 3,4 Tage hat er viel Angst gelitten von Beängstigung. Daher war er sehr unruhig, und ließ sich von einem Bette zum andern bringen. Die erste Zeit dachte er gar nicht daß die Krankheit tödl. seyn würde. Die lezte Zeit hat ers gewiß geglaubt, u sehr inbrünstig gebetet, aber niemals in meiner Gegenwart. Die Heiterkeit seines Geistes hat er so lange behalt. als er Bewußtseyn hatte. Mir hat er nichts merken laßen, daß er seinen Tod erwartete. Einmal ließ er mich ruffen, bot mir freundlich die Hand drükte mich ans Herz, sagte mit Rührung und mit aufgehobnen Augen, arme Frau! Darauf fiel er wieder in Phantasie. Uebrigens blieb er thätig bis zu lezt. Er hat sich beständig Acten geben laßen, wo freylich wohl nicht viel bey geschah. Die lezten 24 Stunden wurde [2] er ruhig, und entschlief sanft am 16.ten Sept. Aber, liebster Sohn, nun muß ich Dir auch klagen, daß sich noch soviele andre Leiden damit vereinigten, die mir diesen Fall auserordentlich erschwerten. Henriette wurde zu eben der Zeit mit eben dem Uebel, was der Vater im Unterleibe hatte befallen, und da Krämpfe hinzu kamen, weil sie des Vaters Leid so affizirten, so war sie ein paar Tage gefährl. krank. Ich ließ sie herunter bringen in ihre Kammer, und bewahrte sie die übrigen 8 Tage, da der Vater so schlecht war, und auch nach seinem Tode, daß sie davon nichts erfuhr. Noch nicht genug der Diener wurde fast zugleich mit dem Vater recht heftig krank, und liegt noch. Auch Carl bekam wahrscheinl. ein Gallenfieber, wo er heftige Brechmittel gekriegt hat. Dem konte der Tod des Vaters nicht verborgen werden. Das brachte ihn immer wieder zurük. Nun noch zuletzt wurde auch die alte Frau krank die sich bey der Pflege meines Sohnes u des Bedienten angegriffen hatte. Nun stelle Dir meine Lage vor. Draußen 2 sehr wichtige Patienten, in der Stadt 3. Freyl. mußte ich Hülfe haben, aber die Anstalten, u das meiste mußte doch durch mich geschehen. Gott hat mich auserordentl. gestärkt, daß ich alles muthig ertragen, und immer Gegenwart des Geistes behalten, u Alle alle die Pflege, u nachher die traurigen Anstalten zur Beerdigung, worüber ich mit Carln correspondirte, habe bewerkstelligen können. Freyl. haben mir auch hierbey der Abt Salfeld, und der Hofcaplan viel Dienste gethan, u sehr Theil genommen. Ja ich kann sagen, die ganze Stadt hat Theil genommen, und es ist uns bey der Gelegenheit viel Liebe bewiesen worden. Er wird auch sehr feyerl. [3] morgen früh halb 7 beerdigt werden. Die ersten 3 Tage nach seinem Tode blieben wir noch auf dem Garten, bis Henriette ohne Nachtheil konte hereingebracht werden. Denselben Abend wurde die Leiche auf einem Rüstwagen auch hereingebracht in die Kirche. Er wird eine starke Begleitung haben, wovon ich Dir das Spezielle erst nachher melden kann. So viel weis ich, daß die Bürgerschaft und Kaufmanschaft ihn begleiten wird. Der Hofcaplan hat eine Feyerlichkeit vor, worinnen sie bestehen wird, weis ich nicht, wahrscheinlich singen, und Blumen ausstreuen auf sein Grab. Die ich gebet. habe sind seine Collegen, die Secretairs des Consistorii alle Prediger der Stadt, Hofrath Nieper, Rath Schaer, Assessor von Pape, (Rehberg ist verreißt. Diese Herren versamlen sich auf der Schenke auf dem Clubzimmer, und von der Kirche aus geht der Zug. Er hat doppelte Särge, wovon das Aeusere sehr schön ist. Ueberhaupt habe ich nichts gespart, von 16 Männern wird er gttragen, die abwechseln, und die 4 Vorsteher gehen beyher. Er komt auf den Neustädter Kirchhof, zwischen seine beyden Sohne Adolph u Heinrich, wo ich ein Erbbegräbniß gekauft habe, und noch 2 Stellen mehr. Nun, lieber Wilhelm, bete für Deine Mutter, daß ich alles glüklich überstehe, und nicht erliege Die Tante hatte ich holen laßen, wie der Vater anfieng, schlecht zu werden, sie hat mir beygestanden, so viel ihre Schwachheit erlaubt. Auch der gute Ernst, ohngeachtet er selber von der traurigen Begebenheit sehr angegriffen war. Auch hatte ich geschrieben, daß Moritz eiligst kommen möchte. Er hätte ihn beym Leben angetroffen, wenn er gleich gekommen, [4] aber er hat nicht vom Amte abkommen können, u immer auf beßre Nachrichte gehoft. Ich schrieb wieder nach des Vaters Tode, Er sollte mir beystehen, und des Vaters Papiere in Ordnung bringen, aber er ist nicht gekommen. Der Generalsuperintendent ist unpaß. Er selber wäre nicht so fest, daß ers wagen dürfte 2 Tage des Nachts auf der Post zu seyn, und ich hatte unvorsichtiger weise etwas von epidemischer Krankheit fallen laß[en] Das hat ihn die Frau gewiß abgehalten veranlaßt, ihn von der Reise abzuhalten. Der gegenwärtige Zustand der Patienten ist: Carl ist auf der Besserung, a[ber] noch im Bette, u fällt alle Besorglichkeit von üblen Folg. weg. Jettchen geht schon etwas auf dem Zimmer herum. Gerber, der Bediente bessert sich auch aber liegt noch ganz, die alte Sötheln ist auch noch zu Bette, ich denke sie aber in ein paar Tagen los zu werden. Von meinen Außichten kann ich noch nichts positives meld[en] man sagt, er man wolle alles für die Familie thun, Gott gebe es. Mir deucht jezt wäre der Zeitpunkt, daß Du noch einmal an Deinen Freund Arenswald schriebst, und Deine beyd. Brüder, und Herrn Ernst seinem Herrn Vater noch einmal recht dringend empfühlst, doch Dich auf nichts specielles einliesest, als allenfalls bey Moritz auf Lüchow. Wahrscheinlich wird Carln die Arbeit des ältesten Secretairs Müller aufgetragen werd. der ganz untauglich ist, und vielleicht die Hälfte der Besoldung. Doch kann ich darüber nichts gewißes sagen, weil ichs nur durch den 3ten Mann gehört habe. Nun, lie[b]ster Wilhelm, ich muß schließen. Dieser Brief ist in der größten Zerstreuung geschrieb., ob Verstand drinn. ist, weis ich nicht. Lebe wohl, und schreibe bald.
Mutter Schlegel
Dieser Brief ist ein paar Tage liegen geblieben.
d. 24 Sptb. 1793
Liebster Wilhelm Deinen Brief mit den traurigen Nachrichten von der Niederlage bey Dünkirchen habe ich erhalten. Sie sind auch hier zum Theil bekannt, doch scheinen die Deinigen etwas übertrieben zu seyn. Hier schicke ich Dir einen Brief, der mir von He. Bornemann an Dich überschickt ist. Auch habe ich einen Brief von einem H. Ph: Michaeliß aus Göttingen erhalten, der sich nach den 30 r. erkundigt, u. sie zurück zu erhalten wünscht, wenn ich sie Dir noch nich[t] überschickt. Um den Brief beantworten zu können habe ich mich bey H. Hofrath Böhmer erkundigen laßen, wer er sey. Mit meiner Beßerung geht es noch langsam u. kann ich das Bette noch nicht verlassen K. Schlege[l]