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Caroline von Schelling to August Wilhelm von Schlegel

[Braunschweig] Sontag früh [1.–2. März 1801].
Gestern war ich bey Viewegs – die hatten den babyl. Thurm schon lange gesehn und meynten sogar Dir davon gesagt zu haben, aber Du große Seele hast es überhört. Sie versichern, daß es vollkommen platter Boden und kein Thurm ist, sprechen aber immer von M–[eyer]s Angriff als von etwas sehr hämischen. Entweder wollen sie mir es nicht geben, oder es ist wirklich nicht mehr da. Vermuthlich hast Du es jetzt gelesen, denn man kann sich hierin nur auf eignes Urtheil verlassen. Noch so hämisch, kann ich mich nicht anders überreden, als daß es durch seinen Urheber gleich wieder vernichtet wird. Mich ängstigen nur persönliche Rencontres. Im Übrigen hast Du mich spartanisch gewöhnt. Wenn ich Dir etwas rathen darf: sprich selbst in kleinen Zirkeln gar nicht von diesem Zeuge. Es ist nicht so wohl um meiner Furcht vor aergerlichen Dingen, als weil es vornehmer läßt. Beruhige mich bald über Deine Verhältnisse, lieber Wilhelm, ach und besonders über Deine Arbeiten, ob Du nicht ganz desperat bist. Ich habe Fiorillo geschrieben, um ihm vom Schicksal seiner Briefe Nachricht zu geben, und ihn getröstet, aber auch nicht verhehlt, wie eng es Dir um Deine Zeit geht. Es wär doch sehr schön, wenn zwey Bände Shakesp. kämen.
Àpropos, das ersehe ich erst aus Deinem Brief, daß Schleiermacher am Plato übersetzt. Nun das ist gut, so ist Hoffnung da für mich ihn zu lesen, wenn er es sonst nur gut macht. – Ich habe Stollbergs Reisen der Dame abgejagt, die spröder ist mit ihren Büchern wie mit ihren Besuchen; da ich diese Woche bey schönem Wetter das Kloster besuchte, traf ich sie wieder bey der Domina. Die Reisen sind sehr unbedeutend, und aller Christlichkeit ohngeachtet noch sehr protestantisch. Ich werde mir nichts draus merken als „die Herzen der Guten sind heilbar, sagt Homer“. Im Homer habe ich das niemals gefunden, blos in meinem eignen Herzen. Wenn Du mir es mit den griechischen Worten nachweisen kannst, so schenk ich Dir etwas hübsches dafür. –
Es hat sich diesen Morgen ein Roman im Hause aufgethan, Dortchens rechter und ächter Bräutigam ist erschienen, und will nicht weichen und wanken von der, bis sie ihm das Versprechen giebt ihn zu heirathen. Er will ihr das Kind nicht außer Landes verabfolgen lassen (aus dem Hannöverischen ins Braunschweigsche), sie ist spröde und sagt: ek mach dek nich mehr lien, sie mag ihn aber doch sehr gern leiden, und er ist galant und wirft ihr vor, sie sähe ja wie eine alte Frau aus und es wäre Zeit, daß sie wieder nach Ribüttel käme, dort wären alle Mädchen rund und roth. Vor Abends werden sie wohl einig werden. Rose ergötzt sich sehr an diesem Spektakel. Emma hat beykommendes an Dich mit Hülfe des Sekretairs geschrieben, aber nach großer Herren weise allein unterzeichnet. Sie kann sich nicht anders vorstellen, als daß Du in Ribüttel bist, wo Dortchen her ist. Sie stand vor dem Spiegel und sagte: ich bin eine kleine Puppe, daher das Thema ihres Sendschreibens. Dorothea ist ja auch wohl eine kleine Puppe. – Wiedemann wird wahrscheinlich 600 rh. zu seiner Reise erhalten, und nächstens alles ganz gewiß seyn.
So sehr ich hier allein bin, und so schmerzlich ich es fühle, so habe ich doch nicht die mindeste Lust mich von der Stelle zu bewegen und Zerstreuung aufzusuchen. Sollt ich also des Glaubens und Vorsazes wegen noch Geld darum verwenden, was immer darauf gehn würde, wenn mich Philipp auch hier oder in der Nähe abholte? Ich habe ihn gebeten lieber doch hieher mit seiner Familie zu kommen. Auch Kräfte hab ich nicht übrig – der nahende Frühling scheint mir das wenige Blut noch vollends ablocken zu wollen. Wiedemann hat vors erste versucht das Nasenbluten örtlich zu hemmen. – Heut über 14 Tage wird das Theater wieder eröffnet. – Schelling hat in Weimar die zweite Aufführung des Tancred gesehn, die unter Goethens Direktion nach allgemeiner Sage weit besser ausgefallen seyn soll wie die erste unter Schillers, überhaupt das Ganze reicher wie Mohammed, die Worte unglaublich schön, alle Endigungen der Akte, Zusätze von Goethe und das französische Geripp, wie sich Schelling ungefähr ausdrückt, mit Goethens Fleisch und Bein bekleidet. Er setzt diesen Voltaire in Musik wie Mozart den Schikaneder, aber seine Arbeit ist doch nicht so dankbar.
Hast Du noch nichts von Meyer erhalten – wenn nicht, so will ich ihn durch Schelling erinnern lassen. Ich brauche Dich nicht zu bitten, daß dieses Geschäft Dein erstes seyn möge. Jener Boden erhält vielleicht einen andern Herrn – ich weiß gar nicht, wo sie mit dem Grosherzog von Toscana hinwollen.

Montag [2. März].
Gestern Nachmittag bracht ich ganz einsam mit dem trüben Wetter zu, Du kannst denken, nicht müßig, aber alle Kinderwehmuth des Sonntages lag auf mir, und wolte mir nicht zulassen, den Ausbruch des Schmerzens zu besiegen.
Ich habe Fichtens Ankündigung studirt, und es ließe sich wohl manches darüber schwazen, aber schreiben werde ich Dir nicht alles, was ich mündlich sagen würde. Sey Du vielmehr so gütig und theile mir Deine Ansicht mit. Zuvörderst hab ich mir vorgesetzt gewiß die beyden Bedingnisse zum Genuß der neuen Wissenschaftslehre – gleichsam wie man nüchtern das heilige Nachtmahl genießen muß – zu erfüllen: „meine aus andern Systemen geschöpfte philosophische Begriffe, ja sogar die aus den bisherigen Schriften über die Wissenschaftslehre von der leztern erzeugte Begriffe, völlig bey Seit zu setzen“. Du siehst ein, welche Entäußerung das bey mir erfordern wird. Darnach werd ich ihm ein wenig auf die Finger sehen, wo er denn etwa untersuchen wird, was er hier nicht untersuchen will: „ob es seinem geistvollen Mitarbeiter“ etc., und dann ob der Inhalt seiner Briefe an Schelling zum Vorschein kommen wird – und wie sein Idealismus sich wird erweitern, ob er wohl vom Bewustseyn und der Reflexion zur Produktion sich erhebt, und durch was für Mittel – ich bin gewiß, Du weißt nicht, ob Du hiezu lachen oder sauer sehn sollst. Ich bitte um das erste, mein lieber guter Wilhelm, und melde mir viel von Fichte; daß ich nichts misbrauche, weißt Du. – Im ersten Stück des Merkur soll etwas naives von Reinhold stehn. – Vieweg hat mir Fichtens Blatt gegeben, auch die übrigen Erzählungen in gedruckten Manusscripten von Huber. Sie sind sich ziemlich gleich, statt Abenteuer Herzensirrsale, Novellen aus dem Lande kranker Seelen. Ich bin aber doch gar nicht mit meiner Anzeige zufrieden, sie ist nicht ergiebig und gefällig genug. Sieh sie Dir darauf an. Dir läge es nun ob, auch so ein Meisterstück wie Eschenmayer zu liefern in die Erlanger Z., aber laß Dich nicht gelüsten! Es dauert mich, daß ich mir nicht einen Revers von Dir habe geben lassen Dich aller Kritik forthin zu enthalten. O mein Freund, wiederhole es Dir unaufhörlich, wie kurz das Leben ist, und daß nichts so wahrhaftig existirt als ein Kunstwerk – Kritik geht unter, leibliche Geschlechter verlöschen, Systeme wechseln, aber wenn die Welt einmal aufbrennt wie ein Papierschnitzel, so werden die Kunstwerke die lezten lebendigen Funken seyn, die in das Haus Gottes gehn – dann erst komt Finsterniß.
Hier ist das kleine Lied, aber in der That weiß ich noch nicht, ob Schelling es bedeutend genug hält in den Allmanach zu kommen. Ich schicke es nur einstweilen. – Er macht allerley Studien und übt sich unter andern im antiken Sylbenmaß mit Übersetzungen aus dem Hesiodus. Ich wollte, er könnte Dich zu rath ziehn, an seine Hexameter glaub ich vors erste nicht. – Sage Tiek bey Gelegenheit, daß Schelling ihm gut ist, daß er seine lezten Sonette anbetet – daß er ohne Misverständnisse sich herzlich in Jena zu ihm gehalten haben würde.
Luisen wirst Du eine Gefälligkeit erzeigen können, wenn Du bald von einer eleganten Freundin Dir ein Umschlagetuch für sie aussuchen lässest, etwa bey Link und Schulz von gedruckten Nesseltuch oder seidnen Bast nach der neuesten Mode, den Preis jedoch nicht höher als 5 rh., die sie mir hier erstatten wollen. Für die beyden Kinder möcht ich Dich um die beyden hübschesten Jahrhunderts Medaillen in Silber bitten zum Andenken – die brauchst Du aber erst mit nach Jena zu bringen. Luise wünscht unendlich Deinen Vorschlag befolgen zu können, auch Wiedemann. Daß die Gesundheit der Mutter es verhindern wird, glaub ich nicht.
Eigentlich wolt ich dies heut nicht wegschicken, weil ich Briefe von Dir erwarte, aber dann kann ich erst Freitags schreiben, und ich weiß, Du hörst doch gern von mir – Laß es uns künftig so einrichten, daß Deine Briefe Donnerstags hier ankommen und ich Freytags antworte. Manches, was ich Dir zu sagen habe, verspare ich, bis ich erst etwas von Dir vernehme. Mein lieber Freund, ich bitte Dich, laß Dich in allem, was mich angeht, nur von Deinem eignen Gemüth leiten – nur Du kennst das meinige. Leb wohl und recht vergnügt.
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  • Schelling, Caroline von  diskutieren  Anonymus: Der Thurm zu Babel, oder die Nacht vor dem neuen Jahrhundert
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  • Welcker, Minna (geb. Wiedemann)  Geschenk  erbitten lassen  Schelling, Caroline von
Metadata Concerning Header
  • Date: [1. bis 2. März 1801]
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Braunschweig · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 370516575
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 2. Leipzig 1913, S. 51‒56 u. S. 606 (Kommentar).
Language
  • German

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