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Caroline von Schelling an August Wilhelm von Schlegel

Jena d. 27 Aprill [1801].
Ein wenig komme ich zu Athem, aber es ist noch nicht recht viel. Zu einer großen Herzstärkung würde es mir gereichen bald von Dir zu hören. Die Pause komt mir lang vor, ob ich wohl erst vor 8 Tagen einen Brief vor Dir bekam. Ich schreibe Dir heut besonders deswegen wieder, damit Du Dir nur wegen des Geldes keine übereilte Sorge machst nach meinem lezten Schreiben. Ich kann wenigstens so viel ich brauche von Schelling bekommen, was ich damals noch nicht wuste und fast bezweifelte, da es im Anfang des halben Jahrs war.
Wir haben gestern Sontag Nachmittags Deine lezten Gedichte zusammen gelesen. Das Feenkind hat ihn sehr bezaubert ‒ mit dem Juden ist er nicht so unbedingt zufrieden, er findet die Farben in den Freveleyen der beyden etwas zu stark und eine kleine Übertreibung in der That des Juden selbst, der nach der Sage (er ist in derley Sagen sehr erfahren) Jesus nur vor der Thür seines Hauses, wo er auf einen Stein zu rasten gedachte, wegwies, ohne ihn weiter wehe zu thun. Einigermaßen möcht ich wohl hierin mit ihm übereinstimmen. Aber alles, was den Juden bezeichnet, ist doch sehr gut und im rechten Styl, auch bin ich ganz mit der Eröffnung der Szene und ihrer Simplicität zufrieden; Schelling wollte eine reichere Composizion. Er spricht von einen ewigen Juden des Schubart, der aber wohl etwas gräulich seyn mag. Übrigens giebt es keinen lebhafteren Verehrer Deiner Muse als Schelling. Ich muß diese Kotzebuiade zum hundertstenmal hören; er behauptet eine eigne Form im Vorlesen einiger Stücke derselben zu haben, die er auch Goethen vorgelesen, der das erstemal an der Reisebeschreibung, die er bey Tische zur Hand nahm, schier erstickt ist, denn es blieb ihm während des Lachens ein Bissen im Halse stecken. Man glaubt, daß Kotzebue nächstens wieder hier anlangen wird, und dann mögest Du Dich vorsehn! Vieweg hat mir noch erzählt, es wäre ein Glück, daß Paul todt wär, denn er habe den Hund als kaiserlichen Kourier sehr übel vermerkt und hätte Dich vom Herzog begehren wollen. Es mag freylich eine Lüge seyn, aber geschrieben hat mans Viewegen. Loder spricht von nichts als den vielen Rubeln und Brillanten, die Kotzebue einerndet, und ich stehe nicht dafür, daß er nicht eine Ehrenpforte von ordentlichen Buchsbaum und Flittergold errichten läßt, wenn K. heimkehrt. Dir wird er darum nicht minder hold begegnen. Durch eine ordentliche lettre de cachet hat der Herzog Kilian das Lesen untersagt. Loder nimmt sich seiner an. Es kommt eine Kommission um die Privatdocenten einzuschränken. Von Besetzung der medizinischen Stelle will der Herzog nichts hören. Es ist ziemlich leer und still hier und die Mitte der Ferien. Finden sich die Russen, Cur und Lievländer wieder ein, so mußt Du doch wieder einmal in den Apfel der Ästhetik beißen. ‒ Vermehren hat eine Vermehrerin zur Seite, die nächstens einen Roman schreiben wird. Er ist wirklich vermählt mit Mad. Eber. Gerning begreift nicht, daß Du ihm nicht antwortest; seine Meynung ist eigentlich, Du sollst ihm die Gedichte machen, die er herauszugeben gewillt ist.
Gries machte mir seine Aufwartung. Der schwache Prinz hat den ganzen Winter eben wieder nichts gethan, fühlte sich aber doch höchst beglückt, denn er kam von Weimar und hatte Schiller den Schauspielern sein neuestes geheimnißvolles Stück ‒ das Mädchen von Orleans ‒ vorlesen hören. Ich konnte nicht von ihm herausbringen, wie es beschaffen wäre ‒ ich glaube, frey, denn er hat Voltaires Pucelle viel dabey studirt. Was sagst Du dazu? Im May wird es aufgeführt. Sey doch da, damit wir es zusammen sehn können. ‒ Schelling wird Dir auch von einer Arbeit von Goethe etwas erzählen, was er sich selbst zu thun vorbehalten, und mir nicht vergönnen will.
Weist Du schon, daß die Gigantomachie von einem gewissen Bothe ganz gewiß ist; der Mensch muß in Berlin hausen, ich habe ihn im Berliner Archiv dann und wann erblickt.
Ich kann mich gar nicht zufrieden geben über die Geschichte mit Unger und den völligen Unsinn seines Benehmens und die ausgemachte Schurkerey derer Personen im Hinterhalt. In Deinem nächsten Brief werde ich hoffentlich schon näher erfahren, wie der Proceß geht und auf wen Du wohl als Verleger des Shakesp. denkst. ‒ Von Deiner Herausgabe des Fichtischen Werks wuste Gries; es scheint kein Geheimniß mehr zu sein. Schellingen habe ich es aber erst erzählt. Vielleicht kann ich schon bald ein Exemplar bekommen, wie auch von den Charakteristiken. Ist von Hardenbergs Roman nichts gedruckt?
Friedrich kommt nicht zu mir und ich begreife es wohl. Wir sind in einer höflichen Correspondenz offner Zettelchen mit einander über Tische und Betten und Feuerzangen etc. etc., die ich alle erst dort hervorlocken muß. Es thut mir recht leid ihn damit zu behelligen, aber ich warte mit Willen nicht, bis sie wieder da ist, um blos mit ihm zu thun haben. Rose spricht, sie bedauerte ihn recht, Mad. Veit wären doch allein Schuld ‒ und daran ist kein Zweifel. Sie fand hier bis auf die geringste Kleinigkeit alles zu ihrem Empfange bereit, und hat nicht einmal so viel Rechtlichkeit die gebrauchten Sachen vor meiner Ankunft wieder alle ins Haus tragen zu lassen. Das Clavier ist gänzlich von Staub und Flecken innerlich und äußerlich bedeckt. ‒
Die Hufeland hat Luisen besucht, ich war zufällig nicht gegenwärtig, sondern oben im Hause beschäftigt. Sie sind nun in Weimar. Wir wollen diesen Nachmittag einige Besuche machen. Wiedemann hat an Luisen von Mainz aus heut geschrieben und ist sehr satisfait. Professor Boehmer hat mir die Entbindung seiner Gemahlin von einer Tochter zu wissen gethan. ‒ Die Berlepsch heirathet einen jungen bürgerlichen Pachtamtmann im Meklenburgischen Nahmens Harmes und hat sich ganz auf Oekonomie in Schottland gelegt. ‒ Es heißt für gewiß, daß die Glockenbringk nach der Leipz. Messe Tischbeinen ehlichen wird. Ich habe in Hamburg das Gemählde der Meister [Meyer?] geb. Boehmer von ihm gesehn. Es hatte etwas sehr groteskes, das Haar war steinern. Die Stellung verrieth wohl den ungewöhnlichen Künstler, aber hatte nichts gefälliges an sich. Die Aehnlichkeit konnte nur ein geübtes Auge entdecken ‒ wie das meinige. ‒ Ich sehne mich Friedrich Tieks Ankunft zu vernehmen.
Schreib mir nur ungefähr, wann Du wohl kommst, und lebe wohl, mein bester lieber guter schöner Wilhelm.

Ich bin bei Loders gewesen und habe eine naive Beschreibung des lezten freudenlosen Winters von ihr gehört und an ihm seine gewöhnlichen Manieren gesehn ‒ er freut sich, daß Du bald wiederkommst, er hat gehört, erst gegen Michaelis ‒ er will mir bald aufwarten usw. Die Niethammer fand ich nicht zu Hause, denn diese Sippschaft liegt noch immer auf den Heerstraßen. Die Fromman zieht in das Hofrath Hufelandische Haus. Ich habe durch sie einen Zettel an Tiek geschickt. ‒
Nochmals Adieu, mein lieber Schlegel.
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Briefkopfdaten
  • Datum: 27. April [1801]
  • Absender: Caroline von Schelling ·
  • Empfänger: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Absendeort: Jena · ·
  • Empfangsort: Berlin · ·
Druck
  • Datengeber: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 370516575
  • Bibliographische Angabe: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 2. Leipzig 1913, S. 109‒113 u. S. 610‒611 (Kommentar).
Sprache
  • Deutsch

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