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Caroline von Schelling to August Wilhelm von Schlegel

[1] [Jena] Donnerstag d. 18 März [1802].
Diesen Morgen habe ich Deinen Brief erhalten, worüber ich sehr froh bin, weil ich doch nun weiß, wie es steht. Morgen früh wird mir vermuthlich von Weimar die Botschaft von Grattenauer zukommen. Ich werde nicht ermangeln ihn zu treiben, denn mir wäre es zur Zeit ganz recht schon dort zu seyn, und hat mich einigemal, weil ich wohl glaubte, daß ich manches versäumen könnte, woran mir eben läge, meine Achtsamkeit gegen Deine vermeyntlichen Winke gereuet. Aber wirklich mußte ich sie für solche nehmen; Du schriebst unter andern, es würde nicht angenehm seyn, wenn ich Mad. Grattenauer allein zu Haus fände, und dergl. mehr. ‒ Es hat sich nun so gemacht und nicht anders, nun wollen wirs auch so nehmen. Am Ende hoffe ich denn doch noch gut hinzugelangen und Dich unter wohlwollenden Gestirnen wieder zu sehn, worauf [2] ich mich herzlich freue. ‒ Wir haben indeß wieder tiefen Winter gehabt und ich einige Tage eines sehr üblen Befindens. ‒ Der Brief, den Du mir von meiner Schwester schickst, bekümmert mich sehr. Der Tod der Mutter würde mich natürlich ruhig lassen, aber ihr Leiden geht mir durch die Seele, besonders da sie sich selbst, was es nicht wenig erhöhn muß, der lezten traurigen Tage meines Vaters dabey errinnern wird. Luise, der dieser häusliche Zustand auch eben nicht heilsam ist, hat gleich nachdem Briefe von mir bekommen, aber sie wird sich freylich wundern, daß die Antwort auf diesen so lange ausbleibt.
Schelling hat sich mit dem Gabler herum capituliren müssen. Es stand auf dem Punkt, daß er Dir die acht abgedruckten Bogen eines [3] philosophischen Gesprächs heute zusenden wollte, um es in Berlin noch ans Licht zu fördern, und in der That entscheidet sich es erst diesen Abend spät, ob es nicht mit der morgenden Post der Fall ist. Wenn Du es nicht hättest unterzubringen gewußt, so würde er Dich gebeten haben, es ebenfalls Hufelanden für Unger zuzustellen. Es ist sein Wunsch, daß ich die Möglichkeit einer solchen Bitte an Dich vorläufig erwähnen möchte, ich denke aber, sie wird nicht nothwendig seyn. ‒ Er hat einen sehr hübschen Plan zu einigen Vorlesungen über das akademische Studium für den ersten Monat des nächsten Halbjahres gemacht, wo er noch hier ist. Man setzt ihm sehr zu zu bleiben und zu lesen; ein guter Theil gründet aber besondre Hoffnungen darauf, daß er nicht lieset. [4] Schütz und Schmidt lassen Subscription einsammeln, eine bisher nie von den älteren Herrn geschehne Sache, Schad ließt Naturphilosophie, und noch ein halbes Duzend andre saubre Vögel schwirren herbey. ‒ Lieber Freund, ich rechne darauf, daß Du mir doch einige Vorlesungen aufhebst, der allerlezten wenigstens mit einer noch ganz besonders und apart geistreichen Zuhörerin die Krone aufsetzest. ‒ Die Fromman kam eigends zu mir vor ein paar Tagen, um mir die Rückkehr des Octavian anzukündigen, deren sie sich nicht wenig erfreuen, und ich möchte sagen, mehr aus Zuneigung zu Tiek als aus Eigennutz etwa. Sie schieben alles auf Malchen, an der ihnen auch weiter [5] nichts gelegen wäre, meynen sie, aber Tieks Unmuth würde ihnen weh gethan haben; er hat aber in seinen Briefe durchaus nichts davon geäußert. Ich habe nun den Oktavian wirklich schon im Hause, und wir lesen ihn diesen Abend.
Damit Du Dir unter den lezthin erwähnten Kotzebübischen Persönlichkeiten keine Elephanten vorstellst, so will ich Dir sagen, was es für kleine blinde Mücken waren. Der alte Herr schweigt zwar wie eine Mauer und ist so klug gewesen sich alles das von Schellingen erzählen zu lassen, was dieser von ihm wissen wollte. Aber mir hats die Niethammer berichtet, die das Stück hier bey Gruners hat vorlesen hören, und mit vieler Langeweile dafür bezahlte. [6] Es war nichts als eine miserable völlig hors dʼœuvre Rolle eines Poeten, der viel von Sonetten spricht (wofür Goethe jedesmal Gedicht gesetzt hatte), einen frommen Allmanach herausgiebt und zuletzt jemand mit einer Ehrenpforte droht. Dieses lezte ist es, worauf er so bestand, und was Goethe durchaus nicht zugab. ‒ Ja, die Kleinstädter wären den Kleinstädtern sehr gefährlich gewesen, sagte G. zu Schelling, hat aber, selbst bey vollen Bechern und einer sehr ausgelaßnen Laune, sich nicht so weit herauslocken lassen, von den beyden Briefen zu sprechen.
Der Iffland ist doch ein F[ilou?], daß er mit dem Ion so zögert und den Regulus so pronirt. Goethe hat sich unbarm[7]herzig über das Ionische Gutachten moquirt, was so fürstlich ästhetisch aussehn solle, und wobey er doch so aus der Rolle fiele und in die Natur hinein, daß er dick grosmühtig thäte. Er hat durch Kirmes schreiben lassen, das Honorar möge Dir dort ausgezahlt werden.
Apropos, da kam in der lezten Woche ein Päckchen von der LZ. an Dich adressirt, das ich für einen bloßen Catalog hielt, welches es auch war, und es öffnete, fand aber beyliegende Bescheerung darin, die ich mitbringen wollte, aber nun doch schicke, im Fall etwas zu verfügen wäre. ‒ Ritter ist jetzt wieder hier bey Frommans. ‒ Der Katalog war [8] nicht etwa der Winklerische, sondern ein simpler Büchercatalog und nichts merkwürdiges darin als drey oder viermal Jacob Böhms Werke.
Nun lebe wohl, Freund, es ist eben nicht mein Wille Dir noch einmal zu schreiben. Grüße Deine Freunde.
Places
Personen
Journals
Works
  • Schelling, Caroline von  Brief  danken  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schelling, Caroline von  Reiseplan  erwarten  Grattenauer, Karl Wilhelm Friedrich
  • Schelling, Caroline von  Begegnung  sich freuen  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schelling, Caroline von  Brieflektüre  besorgt sein  Wiedemann, Luise
  • Schelling, Caroline von  besorgt sein  Michaelis, Louise Philippine Antoinette
  • Schelling, Caroline von  betrauern  Michaelis, Johann David
  • Schelling, Caroline von  Antwortbrief  senden  Wiedemann, Luise
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von  Trennung  erwägen  Gabler, Christian Ernst
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von  Vermittlerdienste  erbitten lassen  Schelling, Caroline von
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von  Vermittlerdienste  erbitten lassen  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von  Vermittlerdienste  erbitten  Hufeland, Christoph Wilhelm von
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von  Verlagskontakt  erbitten  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von  Verlagskontakt  wünschen  Unger, Johann Friedrich Gottlieb
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von  Manuskript  senden  Schlegel, August Wilhelm von
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von  Manuskript  senden  Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Bruno, oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von  Publikation  planen  Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Bruno, oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge
  • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von  Vorlesung  planen  Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Vorlesungen über die Methode des academischen Studium
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Schütz, Christian Gottfried
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Schmid, Carl Christian Erhard
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Schad, Johann Baptist
  • Schelling, Caroline von  interessiert sein  Schlegel, August Wilhelm von: Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst (Berlin 1801–1804)
  • Schelling, Caroline von  Rückkehr  mitteilen  Tieck, Ludwig
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Tieck, Amalie
  • Schelling, Caroline von  Lektüre  Tieck, Ludwig: Kaiser Octavianus
  • Schelling, Caroline von  verspotten  Kotzebue, August von
  • Schelling, Caroline von  verspotten  Kotzebue, Christiane von
  • Schelling, Caroline von  verspotten  Kotzebue, Christine Gertrud von (geb. von Krusenstern)
  • Schelling, Caroline von  wertschätzen  Goethe, Johann Wolfgang von
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Kotzebue, August von: Die deutschen Kleinstädter
  • Kotzebue, August von  Literarische Abrechnung  Schlegel, August Wilhelm von: Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten von Kotzebue, bey seiner gehofften Rückkehr ins Vaterland
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Iffland, August Wilhelm
  • Schelling, Caroline von  Bühneninszenierung  erwarten  Schlegel, August Wilhelm von: Ion
  • Schelling, Caroline von  negativ bewerten  Collin, Heinrich Joseph von: Regulus
  • Goethe, Johann Wolfgang von  Theaterpraxis  negativ bewerten  Iffland, August Wilhelm
  • Ritter, Johann Wilhelm   Zusammenarbeit  Frommann, Carl Friedrich Ernst
  • Schelling, Caroline von  erinnern  Allgemeine Literatur-Zeitung (bis 1803: Jena; ab 1803: Halle)
Metadata Concerning Header
  • Date: 18. März [1802]
  • Sender: Caroline von Schelling ·
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel ·
  • Place of Dispatch: Jena · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 370516575
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 2. Leipzig 1913, S. 322‒325 u. S. 638 (Kommentar).
Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36905
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.22,Nr.32
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 18,4 x 11,4 cm
Language
  • German

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