[1] Berlin, 23. Jul. 96
Unser Briefwechsel ist so lang unterbrochen gewesen, liebster Freund, daß ich ihn an nichts andres, als an die Hofnung anknüpfen kann, daß Sie mich noch nicht ganz vergessen haben, und gerne wieder eine Correspondenz anfangen, die doch nur durch die weite Entfernung Ihres ehemaligen Aufenthalts, und Ihre nachherige Reise nach Deutschland ins Stocken gerathen war. Denn nur diese zufälligen Umstände, lieber Schlegel, waren an meinem Stillschweigen Schuld.
Die Veränderung Ihrer Lage und Ihres Wohnorts, die ich durch unsern gemeinschaftlichen Freund Schiller erfahren habe, hat mir eine innige und herzliche Freude gemacht. Es ist unendlich selten, daß man im Leben ganz und gar das erlangt, was der frühe, tiefe u. reine Wunsch des Herzens war, und doch ist dieß Glück den edleren [2] und feiner gebildeten Menschen, die gewohnt sind, eine vollkommene Harmonie Ihrer Empfindungen und Neigungen zu den Bedürfnissen ihres Lebens zu rechnen, nicht bloß zu einer frohen, sondern auch zu einer schönen Existenz unentbehrlich. Auch mit Ihrem Aufenthalt in Jena hoffe ich, werden Sie zufrieden seyn, und wenigstens freue ich mich unendlich im nächsten Herbst und Winter die angenehmen und genußreichen Tage wieder anzufangen, die wir in Göttingen mit einander verlebten. Leider werde ich nur wider meinen Willen durch die Verknüpfung trauriger Umstände hier noch immer zurückgehalten, und kann über meine Rückkunft noch immer nichts gewisses bestimmen.
Mit großem Vergnügen habe ich in den neuesten Stücken der Horen Ihre Uerbersetzungen aus Shakespeare gelesen. [3] Ich bin vollkommen Ihrer Meynung, daß eine poetische Uebertragung dieses Dichters nothwendig ist, und Sie scheinen mir die mannigfaltigen Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens, einige kleine Härten ausgenommen, wo, wenn ich mir das Urtheil erlauben darf, die Nachahmung des Antiken Ihres Originals im Deutschen ein wenig steif geworden ist, sehr glücklich überwunden zu haben. Indeß gestehe ich Ihnen offenherzig, daß ich Sie lieber mit einem eignen Werk, als mit einer Uebersetzung beschäftigt sehen möchte. Alles Uebersetzen scheint mir schlechterdings ein Versuch zur Auflösung einer unmöglichen Aufgabe. Denn jeder Uebersetzer muß immer an einer der beiden Klippen scheitern, sich entweder auf Kosten des Geschmacks u. der Sprache seiner Nation zu genau an sein Original, oder auf Kosten seines Originals zu sehr an die Eigen[4]thümlichkeit seiner Nation zu halten. Das Mittel hierzwischen ist nicht bloß schwer, sondern geradezu unmöglich. Indem aber Uebersetzungen ihren eigentlichen Endzweck verfehlen, erfüllen sie freilich einen andern, sehr wichtigen. Sie sind für die Sprachen, was der Umgang für die Menschen ist, sie bringen sie in Berührung u. machen sie gewandt u. vielseitig.
Ich habe heute nicht Zeit, Ihnen mehr zu sagen, lieber Freund. Aber ich wollte nicht länger zögern, Ihnen zu Ihrer veränderten Lage Glück zu wünschen, und Sie zu bitten, auch Ihrer Frau zu sagen, wie innig ich mich freue, ihr nun endlich mündlich die herzliche Verehrung bezeugen zu können, die ich schon so lang für sie fühle. Denn bis jetzt habe ich immer das Schicksal gehabt, mit Personen, die ihr werth waren, viel u. nah verbunden zu seyn, ihr selbst aber immer fremd zu bleiben. Schenken Sie mir bald eine gütige Antwort u. leben Sie beide herzlich wohl!
Ihr
Humboldt.
[1] Madame Campe, die hier ist, trägt mir auf, Ihnen beiden zu sagen, daß ihre Tochter Madame Vieweg vor etwa 8 Tagen glücklich mit einem Sohn entbunden ist, u. Mutter u. Kind sich wohl befinden.
Unser Briefwechsel ist so lang unterbrochen gewesen, liebster Freund, daß ich ihn an nichts andres, als an die Hofnung anknüpfen kann, daß Sie mich noch nicht ganz vergessen haben, und gerne wieder eine Correspondenz anfangen, die doch nur durch die weite Entfernung Ihres ehemaligen Aufenthalts, und Ihre nachherige Reise nach Deutschland ins Stocken gerathen war. Denn nur diese zufälligen Umstände, lieber Schlegel, waren an meinem Stillschweigen Schuld.
Die Veränderung Ihrer Lage und Ihres Wohnorts, die ich durch unsern gemeinschaftlichen Freund Schiller erfahren habe, hat mir eine innige und herzliche Freude gemacht. Es ist unendlich selten, daß man im Leben ganz und gar das erlangt, was der frühe, tiefe u. reine Wunsch des Herzens war, und doch ist dieß Glück den edleren [2] und feiner gebildeten Menschen, die gewohnt sind, eine vollkommene Harmonie Ihrer Empfindungen und Neigungen zu den Bedürfnissen ihres Lebens zu rechnen, nicht bloß zu einer frohen, sondern auch zu einer schönen Existenz unentbehrlich. Auch mit Ihrem Aufenthalt in Jena hoffe ich, werden Sie zufrieden seyn, und wenigstens freue ich mich unendlich im nächsten Herbst und Winter die angenehmen und genußreichen Tage wieder anzufangen, die wir in Göttingen mit einander verlebten. Leider werde ich nur wider meinen Willen durch die Verknüpfung trauriger Umstände hier noch immer zurückgehalten, und kann über meine Rückkunft noch immer nichts gewisses bestimmen.
Mit großem Vergnügen habe ich in den neuesten Stücken der Horen Ihre Uerbersetzungen aus Shakespeare gelesen. [3] Ich bin vollkommen Ihrer Meynung, daß eine poetische Uebertragung dieses Dichters nothwendig ist, und Sie scheinen mir die mannigfaltigen Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens, einige kleine Härten ausgenommen, wo, wenn ich mir das Urtheil erlauben darf, die Nachahmung des Antiken Ihres Originals im Deutschen ein wenig steif geworden ist, sehr glücklich überwunden zu haben. Indeß gestehe ich Ihnen offenherzig, daß ich Sie lieber mit einem eignen Werk, als mit einer Uebersetzung beschäftigt sehen möchte. Alles Uebersetzen scheint mir schlechterdings ein Versuch zur Auflösung einer unmöglichen Aufgabe. Denn jeder Uebersetzer muß immer an einer der beiden Klippen scheitern, sich entweder auf Kosten des Geschmacks u. der Sprache seiner Nation zu genau an sein Original, oder auf Kosten seines Originals zu sehr an die Eigen[4]thümlichkeit seiner Nation zu halten. Das Mittel hierzwischen ist nicht bloß schwer, sondern geradezu unmöglich. Indem aber Uebersetzungen ihren eigentlichen Endzweck verfehlen, erfüllen sie freilich einen andern, sehr wichtigen. Sie sind für die Sprachen, was der Umgang für die Menschen ist, sie bringen sie in Berührung u. machen sie gewandt u. vielseitig.
Ich habe heute nicht Zeit, Ihnen mehr zu sagen, lieber Freund. Aber ich wollte nicht länger zögern, Ihnen zu Ihrer veränderten Lage Glück zu wünschen, und Sie zu bitten, auch Ihrer Frau zu sagen, wie innig ich mich freue, ihr nun endlich mündlich die herzliche Verehrung bezeugen zu können, die ich schon so lang für sie fühle. Denn bis jetzt habe ich immer das Schicksal gehabt, mit Personen, die ihr werth waren, viel u. nah verbunden zu seyn, ihr selbst aber immer fremd zu bleiben. Schenken Sie mir bald eine gütige Antwort u. leben Sie beide herzlich wohl!
Ihr
Humboldt.
[1] Madame Campe, die hier ist, trägt mir auf, Ihnen beiden zu sagen, daß ihre Tochter Madame Vieweg vor etwa 8 Tagen glücklich mit einem Sohn entbunden ist, u. Mutter u. Kind sich wohl befinden.