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Johann Gottlieb Fichte to Johanna Fichte

Liebste Freundinn,
Ist es der Glaube an Sie, oder sind es Ihre Hausmittel selbst; – genug, der Schnupfen hat sich sogleich zurük gezogen, und ich habe so wohl geschlafen, wie Sie mir es wünschten. Ich kenne Ihr freundschaftliches Herz so gut, um zu wißen, wie viel das gesagt ist. Ueberhaupt befinde ich mich diese Tage daher, zwar nicht ganz so gut, als Sie mir’s wünschen; doch ist mir in meiner Haut recht wohl. Gewis trägt Ihr gestriges liebes Billet viel dazu bei. –
Doch, bin ich nicht unartig, nur immer von mir selbst zu reden, ganz wie wir Egoisten, wie Ihr Papa sich ausdrükt, es zu machen pflegen! Aber, sehn Sie, Sie werden mich durch den freundschaftlichen Antheil, den Sie an mir nehmen, noch verderben, daß ich endlich im Ernste selbst etwas von dem Guten von mir glaube, was Ihnen zu glauben beliebt. – Also, von der Mad. Titot! Sie ist bei mir gewesen; ich habe mich herzlich gefreut, sie beßer zu sehen: sie ist auch bei [/] Dame Ott gewesen: aber ich bitte, bitte – suchen Sie es ihr begreiflich zu machen, daß sie so wenig als möglich, oder gar nicht mehr, in’s Schwerdt kommt. Was ich anfangs nur vermuthete, und was ich beinahe, aus Beschämung vor Ihrem edlen Zutrauen, aufgegeben hätte, hat sich förmlich bestätigt: Dame Ott ist falsch. Müste ich das noch mehr in Absicht auf die gute Titot sehen, so könnte das zu nichts dienen, als daß ich gewiße herbe Wahrheiten sagen müste, die, keine Beßerung, aber böses Geblüt würken würden. – Wie es um Lavatern steht, hoffe ich heute zu merken.
Hat Ihr freundschaftliches Ohr nicht etwan in H. Toblers Urtheile von meinen Aufsaze, schön statt gut gehört, und sich das sehr unbemerkt hinzugedacht? – Er ist, aus Achtung für Ihr, und Ihres guten Papa’s gütiges Urtheil im Schmelztiegel. Anders wird er herauskommen: aber beßer? je n’en sais rien.
Hier ist der Rousseau; Das ist also der Mann, der sich so oft beklagt, er könne keinen Brief schreiben? O! welch’ ein Egoist mag ich sein, der ich es noch nie so innig gefühlt habe, daß ich keinen [/] schreiben kann! Dies zugleich zur Antwort auf Ihr Urtheil über meine schriftliche Sprache. Gern, und so oft als es die Umstände erlauben, will ich Ihnen schreiben, um zuweilen ein Billetgen von Ihnen zu erbeuten. Wenn Sie mir es nicht übel deuten wollen, so will ich Ihnen wohl gestehen, daß ich schon einmal meinen Stil durch häufigen Briefwechsel mit einem Frauenzimmer ein wenig geformt habe, und daß ich es blos diesem gütigen Zufalle danke, daß er nicht noch steifer ist. Zugleich bitte ich Sie zu bemerken, daß die Antwort immer leicht etwas vom Charakter der Zuschrift annimmt, und daß es also würklich schwer sein würde, auf allerliebste Billets ganz steif zu antworten. Es scheint mir selbst, daß ich Ihnen nicht so gedrechselt und geschraubt schreibe, wie es wohl sonst meine löbliche Gewohnheit ist, besonders an Sir Ott: aber, sagen Sie, weßen Verdienst ist das wohl? – Sehen Sie hier genug zu einer grundgelehrten Untersuchung über den Briefstil auf künftigen Freitag, wenn Sie nicht mehr werden singen wollen. – Ich hoffe daß Sie, in Erwartung deßen, recht lange singen werden.
Die Ursache, warum es mich so innig freute, daß Ihre Heiserkeit geheilt [/] sei stand in Ihrem vorherigen Billet. Er war mir zu lieb geheilt. Wie sehr mich das freuen muste, kann ich Ihnen selbst jezt nicht sagen. Mangel an Zutrauen gegen Sie – gestehn Sie es nur – haben Sie selbst nicht im Ernste bei mir gefürchtet.
Ich werde aus der Schweiz nichts schäzbareres mit mir nehmen, als Ihre Freundschaft. Sie müsten meinen Charakter so ganz kennen, als ich ihn vielleicht kaum selbst kenne, um zu wißen, wie theuer mir dieselbe sein müsse. – Wie kam es, daß auf den ersten Blik, die erste Unterredung, mein ganzes Herz so offen für Sie war, als es vielleicht noch nie gegen Jemand war? wie kam es, daß Sie es nicht sogleich verschloßen? – wie kommt es, daß wir einander so gut verstehen? Ich habe Mistrauen gegen Ihr Geschlecht, weil ich Mistrauen in mein Talent ihnen zu gefallen habe: – warum äußert sich dieses Mistrauen auch nur nie mit dem leisesten Laute gegen Sie? – O! ich weiß das alles sehr wohl. – Von meiner Abreise wollen Sie nichts hören, und ich rede so gern davon: – aber wißen Sie nicht, daß die Kinder singen, wenn sie sich fürchten? — Ich schließe, um nicht in’s Gerührte zu fallen.
Sie werden die Ungleichheiten meines Tons nur schon zu deutlich bemerken. Der Brief ist bei’m Aufstehen angefangen, vor Tische fortgesezt, u. nach Tische geendigt worden. Verzeihen Sie die schlechte Schreiberei: ich mag nicht Federn schneiden, wenn ich Ihnen schreibe.
Leben Sie wohl. Können Sie mir noch vor Freitage schreiben so thun Sie es.
Ich bin
Ihr
aufrichtigster, wärmster Freund.
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Metadata Concerning Header
  • Date: Februar 1790
  • Sender: Johann Gottlieb Fichte ·
  • Recipient: Johanna Fichte ·
  • Place of Dispatch: Zürich · ·
  • Place of Destination: Zürich · ·
Printed Text
  • Bibliography: Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung III, Bd. 1: Briefe 1775‒1793. Hg. v. Hans Jacob und Reinhard Lauth. Unter Mitwirkung v. Hans Gliwitzky und Manfred Zahn. Stuttgart 1968, S. 50‒52.
Manuscript
  • Provider: Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
  • Classification Number: B 9
Language
  • German

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