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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher TEI-Logo

Gdfr d 19ten Dcbr
Du mein Lieber! wirst hoffentlich jezt meine weitläuftig geschriebne Epistel schon haben – wenn Du das gekrizle am Rande hast gelesen so wirst Du wahrscheinlich verlangend sein eine weitere Erklärung über meine künftige Laufbahn zu hören – allein es scheint daß ich selbst noch eine Weile im Dunklen darüber bleiben werde – Peistels sind zwar sehr gütig und so freundtschaftlich daß ich alle Wochen pünktlich einmahl hinkommen muß – jedoch haben sie sich noch kein Wörtchen merken laßen, ich glaube auch daß es nur Stunden im französischen sein werden – Rumpel geht zwar jezt weg, sie bekommen aber wieder einen Andern; außerordentlich angenehm und herzlich hat mich Peistel noch jedesmahl unterhalten, jedoch – ist mirs oft schon so gewesen als wenn irgend etwas ganz andres auf mich wartete – was mich wahrscheinlich von meinem lieben Gnadenfrey ganz wegbringen würde – eine sehr schmerzhafte Erfahrung würde dis sein – aber meine so sehr schnelle Beßerung welche die Ruhe zwischen den LehrStunden ohnfehlbar bewirkt – last mich vermuthen, daß mann meine ThatKraft auch zu meinem Vortheil wird wieder in Bewegung sezen wollen, wozu hier außer der Anstalt (deren Schwirbel für meine Nerven, wie nun deutlich zu sehen ist zu stark war) kein Mittel ist.
Doch davon abgebrochen, und zum gegenwärtigen – ich las heute die schöne Beschreibung der Ceremonien bei dem Leichenbegängniß des Königes so wie vor 8 Tagen die Decoration des Zimmers wo der Sarg steht, und sagte ganz laut – das wird sich doch wohl mein Herr Bruder alles angesehn haben – daß ich Dich lieber als Zuschauer in den Königlichen Zimern als auf dem dazu erbauten Gerüste gesehen – versteht sich |
den 22ten
Ehe ich Deinen lieben Brief beantworte will ich Deinen Forderungen, was Deine hiesigen Interressanten betrift ein Genüge leisten; bei der Nachricht meines neuen Wohnens im Schwesternhause wirst Du unfehlbar gleich an Lotte Schlegel und Aulock gedacht haben – Beide sind mit diesem Tausch zufrieden und fanden ihn längst heilsam – nur leztere glaubt nie daß ich hier vergnügt und befriedigt sein könne, und schrieb mir deshalb am Tage meines Einzugs, „daß ich mich gewiß bald erholen würde, gleich, einem jungen Phönix aus der Asche hervorsteigen, um eine neue, noch nie betretne Laufbahn zu besteigen“ – – sie überschikte mir zugleich ein trefliches Buch zum Durchlesen – worin außer einigen Gedichten; das Denkmahl eines Capitains in Stralsund Nahmens Pollet, und etwas eigenhändiges aus seinen Tagebüchern besonders anmerkenswerth – so wie Fragmente eines Schiffbrüchigen – auf den Rigaschen Inseln und seine daselbst gemachte Bekantschaft mit einem gewißen Pastor Finster – – gern schrieb ich Dir einge Stellen, ab, wenn es nicht so ungewiß und weitläuftig mit meinen besten Willen öfters abliefe – mit Lotten habe mich mit dieser Lecture gar herrlich amüsirt – am verwichnen Montag war die Aulock hier um die WeinachtsBescherungen einzukaufen – ich war eben ausgeben, und konte ihr nur eine Stunde Geselschaft leisten die unter äußerst comischen Gesprächen zugebracht wurde – daß ich ihr Deine Epistel mitgeben muste versteht sich – seit Ende September hatten wir uns nicht gesehen – Line kann imer noch nicht so gut lesen, als Ferdinand der erst 5 Jahr ist – doch scheint sie in allem den Wünschen der guten Mutter jezt näher zu kommen – Leininger mag viel Mühe mit ihr haben – im Singen hat sie gut profitirt. |
den 19ten Januar 1798
Schon sind wir einge Wochen in diesem neuerlebten Jahre, auch habe ich seit meinem lezten sprechen mit Dir abermahl einen Brief von Dir erhalten – und noch habe keine Zeile weiter geschrieben; so viel habe mir seit Jahren nicht zu Schulden komen laßen – die Ursache dieses Schweigens war eigentlich, Fleiß, denn bei der Ungewißheit was mir künftig für meine LehrStunden in der Pension wird – und wäre es auch – 2 silbergroschen so macht das 24 die Woche muß ich sehr anhaltend striken um noch einge Groschen dabei zu gewinnen – mit meiner Gesundheit geht es recht gut – ich war zwar dieser Tage mit Heiserkeit und dergleichen geplagt – welches beim Schulhalten eben nicht angenehm – doch das ist ein jezt sehr gewöhnliches Uebel das die Witterung bewirkt; ich selbst muste die benanten 24 silbergroschen fordern – da Scheurl mir von selbst nichts bestirnte, sondern meine Gesinungen wißen wolte, er war ganz artig – konte aber noch nichts aussprechen – – wär meine Schreiberey nicht so erbärmlich so könte ich in Zwischenzeit der Lectionen mir mit Nachrichten ackern (wies die Studenten nennen) viel verdienen welches mir auch eine höchst angenehme Beschäftigung wäre übrigens bin ich mit meiner Lage äußerst zufrieden – und habe noch keinen Augenblik Ursache gefunden diesen Schritt zu bereuen. | Wohl hast Du Recht mein Lieber! wenn Du in Deinem Briefe voll des inigsten Theilnehmens sagst – daß ich alles das kenne – was Du mit Deinen wolbepanzerten Meinungen vom SchwesternHausLeben mir sagen möchtest – und genau weiß was dagegen alles zu thun ist; und auch Du kenst Deine Lotte wie sie durch manichfaltige Verhältniße, in, und außer dem Hause, und Anstalt, hat lernen genügsam sein in ihren geistischen Bedürfnißen, und das ganz besonders durch den belehrenden Umgang mit meiner edlen vortreflichen Zimmermann. Du kaust also glauben, daß, die Geselschaft bei der ich wohne, wenn auch nur durch meine stillen Bemerkungen mir reichen Stof zu mancherlei Interresse – und Menschenkentniß giebt – und die Erquikungen des lieblichen freundtschaftlichen Umganges mit meiner trauten Frize Graff von der ich Dir ja schon sonst schrieb - mir das Leben sehr erleichtern - Wir haben uns gleich Licht zusamengekauft und sizen die mehresten Abende an meinem Tische woran auch unsre Abendsouper eingenomen wird, ja zuweilen auch Mittags, da ich ihr denn etwas von meiner lecture mittheile – oder auch nur zusammen plaudern[;] eine Bekantschaft von 15 Jahren (denn sie wurde gleich bei meinem Herkommen angesponnen) die durch alle Zeiten hindurch nicht nur geblieben sondern wo möglich noch vester gekettet – heischt ja wohl – daß man sich durch halbe Worte, und Winke versteht – Freud und Leid zusamen fühlt – und Fantasien gebiehrt und Pläne macht usw; ihre angenehme Art mich und Andre, durch ihre schöne Stimme die sich bald in Chorälen, Arien – oder nur abgestoßnen Strophen hören läst – die auf die augenblikliche Verhältniße paßen – hat mich schon öfters hörlich erquikt – |
Du wirst wohl befürchten daß Lotte dabei verliehrt! nein Lieber – eben so wenig als Frize bei der vor 4 Jahren angefangnen FreundtschaftsPeriode der Lotte verlohr – dieses liebe Geschöpf hat ganz was eignes und es thut mir noch leid daß sie bei Deinem Besuch eben verreist war schon das, durch FamilienVerhältniße und Weltumgang so manche Kentniße gesamlet zu haben, und durch ihr eignes Unglück (sie geht an der Krüke) mit den Bedürfnißen im Cörperlichen, und Fülle und Leere des Geistes bekant sichs selbst zur Pflicht macht – ihrem eignen Wesen Muth zuzusprechen – doch! mahle Dir das alles selbst aus* – ihrer Schwester Caroline, die in der Anstalt ist und die ich wie Lotten nur besuche, wenn ich sie allein ohne Kinder weiß, gebührt ein ganz andrer Grad der Hochschäzung – schon einge mahl habe ich Lotten in ihren FreiStunden besucht – auch komt sie ohnedis fleißig in meine Stube – da sie Frizen auch liebt – die Thees waren schon seit meinem Kränkeln nicht mehr so häufig auch sie selbst trinkt ihn wegen der Gesundheit nur selten – in meinem lezten Brief – habe Dich mit eingen neuen Sujets bekam gemacht – von welchen Du gar nichts erwähnst – die erste wäre imer nur eine amüsante Bekantschaft, denke, an, gute Zeiten selge Stunden – die Andern Beiden komen meinem tiefsten innersten nahe; jedoch werden wir weiter in keine nähere Verbindungen kommen – da Zeit und Umstände – auch nötige Behutsamkeit keine neue Correspondenz erlauben, was Dich aber nicht wenig verwundern – erfreuen, und dan wieder wegen der Zukunft herzlich schmerzen wird – ist, dieses – daß mich | jene Person, die von denen benanten Beiden herbegleitet wurde und mich bei Abgang meines, lezten, gar nicht frapirte – bald nachher ihrer Kränklichkeit wegen (die der Zweck ihres Hierseins) sehr interressirte – und durch einge Unterredungen die ich mit ihr gehabt – einen großen Plaz in meinem Herzen eingenommen – der eigentlich inige Hochachtung – ihrer richtigen Einsichten in alles was wir in unsrer Sphäre nur umfaßen können – ihre Kentniße was sich selbst und Menschen betrift – und ihr menschenliebender und duldsamer Caracter – durch eignes cörperliches Leiden, und Ausharren bei einer blinden und betagten Fräule – als Geselschafterin, der sie inigst attachirt ist – mündlich könte ich von dem Allen beßer reden – Comtesse Caroline von Schlobitten, ist mir, wenn ich diese Bekantschaft in jüngern Jahren gemacht hätte – sehr lebhaft dabei eingefallen – FreundtschaftsVersicherungen haben wir uns noch gar nicht gemacht – werdens wohl auch nicht – aber Mittheilungen über unsre Meinungen – und kleine Geselligkeiten hin und her die der Freundtschaft nur eigen sind – und gemeinschaftliche Lectüre das alles ist schon gewechselt – sie heist Louise von Lüdeck ist nur einge Monat älter als ich – äußerst von den Blattern verdorben – aber sehr gut gewachsen ihre ältere Schwester ist schon einge Jahre als Vorgesezte hier scheint mir aber gegen sie ein recht übles Gestirn – und auch keinen wohlthätigen Einfluß auf sie zu haben – doch davon sprechen wir nie alles locale berührt man nicht |
Nun muß ich wohl von mir weg, und auf Deine Briefe, obgleich der erstere noch in Pangel – so will ich doch sehn ob mein Gedächtniß mir so treu sein wird alles nach Wunsch beantworten zu könen – das erste war, die sehr schöne Beschreibung von Deinem Spaziergang mit Lotten – Deine Bekantschaft mit den Eltern – und die mir sehr angenehme Skize der Caractère, vorzüglich das äußerst schöne Bild was einst Lotte als Gattinn und Mutter sein würde – mir fiel gleich der längst genährte Wunsch einer Schwägerin ein, in welcher Hinsicht mir diese Lotte bald sehr interressant war – Deine kurze Erklärung im leztern Briefe wegen meiner Besorgniß Deines künftigen Lebens verbinde hiemit – und bitte recht sehr um eine längere – o Bruder! es wäre davon viel zu sagen – wie oft und wie tief habe es schon im innersten meines ichs gefühlt wie schwer Dir einst eine solche Wahl werden möchte – wenn ich an jene Zeiten da Friderikens Bild sich Dir so tief eingeprägt hatte denke – einige Ueberbleibsel mögen doch wohl von den damaligen Ideen noch vorhanden sein – ich weiß das aus ähnlichen kleinen Fantasien – etwas herunter gestirnt wird man durch Zeit und Umstände – so wie man überhaupt sich einschränken lernt – aber bei solchen Grundlagen der Seele – ist es freilich gut – genau zu überlegen, damit mann durch Forderungen nicht Andre an sich gutmütge Geschöpfe unglüklich macht – und vielleicht gar sich hernach andre Hülfsquellen erlaubt – die man im ledigen Stande für ganz erlaubt hält – hingegen bei einer solchen engen Verbindung – sich Vorwürfe zu machen hätte – ich weiß nicht ob ich mich hier so ganz deutlich gemacht und doch soll es nur ganz fein sein was ich berührte – bei alle dem aber – bitte doch zu erwägen was Dir entgehen würde – wenn nehmlich Du ganz Deine Bestimung erreichst |
Hiebei – alwo ich in uns Beide – mehr als Worte ausdrüken könen – recht tief hineingeschaut habe – und wo SeelenLeeren – und GeistesBedürfniße – große, und kleine Züge so sehr in Anschlag kommen – wo das nüchterne Suchen, und angenehme Finden – Erwartungen – Täuschungen – Aufopferungen und Mittheilungen so sehr statt finden – kurz – Deine mir sehr comische Bekantschaft mit diesem Deinem Schlegel – fält mir hier sehr lebhaft ein – ich darf Dich nicht erst versichern daß ich mir schon das erste Portrait dieses großen Geistes mehr als einmahl gelesen – und wohl bald geahndet habe – daß bei aller Deiner Freude dieses so erwünschten Sujets – nach deßen näherer und engren Gemeinschaft Du so sehr strebtest – Dir doch noch was fehlen würde grade so wie ichs nun von Dir selbst höre – interressant war Er mir anfangs zwar bald – aber doch zu philosophisch – um jene kleinen Bedürfniße – jene unnennbaren kleinen Freuden – und tieffühlenden Leiden – der feinen Menschheit zu kennen – ich hoffe Dir nichts zuwieder gesprochen zu haben – denke, und mahle, Dir dabei – auch in Rüksicht andrer Dir bekanten Sujets – was Du wilst – übrigens wünsche ich Dir zu diesem Fund viel Glück – und freue mich herzlich über das ganze Wesen was Ihr so von frühe bis in die Nacht miteinander treibt – mein jeziges zusamenwohnen mit benanter Frize hat in manchen Stüken viel ähnliches damit – wir arbeiten auch – Vormittags einige Stunden ohne daß wir viel voneinander wißen – speisen oft gegen 10 uhr etwas Butterbrod mit geräucherter Wurst – soupiren – und trinken auch je zuweilen The miteinander – siehe das Blatt ist voll – und noch nichts vom 21ten November – über deßen Begehung ich nicht wenig Freude hatte |
Du wirst lachen, wenn ich Dir sage, daß ich es dismahl fast ahndete, daß dieser Tag festlicher als sonst begangen möchte werden – aber daß eben die Dohnas sich dahin vereinigen möchten konte ich nicht wißen das war ja ganz allerliebst – es erschienen bei dieser Feier abermals einige mir noch unbekante Sujets die Alle nächst der Herz wie ich mir nicht anders denken kan, noch Ueberbleibsel des auserwählten Volkes Gottes sind – bitte kläre mich darüber auf – die Tochter des Mendelsons — und Madame Veit sind natürlich 2 Personen – Madame Herz ist wahrscheinlich Witwe des durch medicinische Schriften berühmten Juden – oder existirt er nur nicht für Dich? ich habe gegen das alles nichts ist Schlegel mit denen im braunschweigschen verwandt – die fast alle Schriftsteller sind? – mit Ihm und Allen den Übrigen im Chor schließe | ich mich wegen des Bücherschreibens an – eine Sache die der selge Vater schon wünschte – O! wie oft habe schon bei verschiednen Anzeigen in den Zeitungen gedacht daß dieser oder jener Titel meinem Herrn Bruder nicht unähnlich – als – meine ErholungsStunden und andre mehr – wenn Du aber etwas schreibst (und glükt der Versuch so wirst Du wohl fortfahren) alsdan bitte auch so was herauszugeben, was ich lesen und verstehen kann – bitte mich gelegentlich Lotten zu empfehlen – und die Cousine schriftlich zu grüßen – an den Oncle werde auch schon wieder einmahl schreiben ob er mir gleich die Antwort seit einem Jahr schuldig – inliegendes wirst Du wohl an Charles besorgen – bey der Zimmermann war ich jezt selten da eine langwierige Heiserkeit mich abhielt – doch besuchte ich sie schon in diesem Jahre – sie leidet cörperlich und moralisch. Diese Woche werde 2 Tage in Kuchendorf verleben.
Lotte
Sei so gut – und ängstige den Charles daß er mir bald schreibt – lezt habe ich so viel schönes vom jezigen König – Du aber erwähnst nichts vom Todten – oder lebenden
bitte besorge die Inlage an den Graff – und das bald.
*auch sind wir uns den Jahren nach gleich – sie ist nur eins älter als ich.
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  • Date: 19. Dezember 1797 bis 19. Januar 1798
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 235‒242.

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