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August Ludwig Hülsen to Friedrich Schleiermacher TEI-Logo

Lentzke den 2ten 8br 1799.
ich habe mir Glück gewünscht, herzlichgeliebter Mann, daß unter den schönen Augenblicken, wo Menschen sich begegnen und aus ihrem eignen Innern sich gegenseitig erkennen, auch der mir gekommen ist, da unsere Geister sich fanden und mit fester Zuversicht das Ewige in sich vereinten. Wir suchten uns lange. Was konnten wir auch anders? Aber es wandelten unsere Welten noch in ferneren Bahnen, und nun erst strahlet ihr Licht und ihr schöpferische Kraft im herrlichen Wechsel herüber.
Haben Sie Dank, geliebter Freund, für den schönen und langen Brief, den ich kürzlich auf eine so eigne Veranlaßung von Ihnen erhielt. Ich war anfänglich allerdings über die Nachricht verwundert, womit Ihr Schreiben sich anfängt, nicht aus Schaam, daß ich mich geirrt hatte, denn ich wußte, daß unter den mir bekannten Philosophen nur Fichte und Schelling | so hoher Anschauungen fähig wären. Der Styl sprach ganz für den erstern und so wurde mein Urtheil nicht anders als entscheident. Noch hätte mir ein Drittes in den Sinn kommen können. Aber wie durfte ich glauben, daß dieser gewandte Redner zum erstenmale unter uns auftrete? Es ist das auch gewiß, ich hatte Fichte so noch nicht gekannt, und meine Freude ihm neben seinem festen und entschloßnen Charakter so viel hingebende Liebe und Biegsamkeit beilegen zu können, war darum außerordentlich. Das hatte ich ja immer nur gewünscht, wenn ich fast traurich und betrübt die Hand ihm drückte und sein finstres Zimmer verließ. Zum Philosophieren gehört ein kindlicher Sinn, der in reiner und anspruchsloser Unbefangenheit sich offenbahret, und so die künstliche Abstraktion zugleich zur Wahrheit unsrer Gesinnungen macht. Wer diesen Sinn nicht geweckt und gebildet hat, der kann das Größte nicht | geben und das Kleinste nicht nehmen und seine Philosophie erreicht weder die Wohnungen der Himmlischen, noch kommt sie von daher herab zu den Menschen. Wenn sich Fichte über meine Täuschung nicht freuen könnte, so wüßte er auch nicht was ich in dem Verfasser verehrt habe. Ich glaube es wohl, daß Sie sich beide einander nicht vorzüglich genähert haben, da Sie sich doch immer nicht lange kannten. Fichte hält zurük, und das ist eben unbegreiflich, wenn man ihm doch wirklich stier in’s Auge sieht, und dadurch laut genug sagt: siehe doch, dies bin ich ganz bis in die innerste Tiefe meines Wesens. Mich hat er ehedem geliebt, und wie ich hoffe auch noch jetzt: aber mein ganzes Herz konnte ich doch nie gegen ihn aufschließen. Sonst erscheint er mir in der That als eine Seltenheit des Jahrhunderts, und man muß ihn verehren wie einen Gott unter den Menschen. |
Die Reden sind also die Ihrigen. Ich würde sie augenblicklich mit neuer Aufmerksamkeit durchlesen, wenn ich das Buch nicht schon vor einigen Tagen an einen wackern Landprediger – der bereits 74. Jahr alt ist – zur Prühfung überschickt hätte. Sie sollen sein Urtheil hören, und wenn Sie sich an der Form nicht stoßen, es gewiß auch beherzigen. Von mir selbst hören Sie übrigens nun kein Wort mehr von Urtheil. So wie sie da ist, Ihre Schrift, muß sie als vortreflich gelten, und das bestättigen Sie durch eine neue und wieder durch eine neue, und so fort in’s unendliche, bis keiner mehr seinen eignen Gedanken von dem des andern unterscheidet, und unsere Reden also zugleich die höchste Beurtheilung in sich selbst enthalten. Ihre Erklährung in Rüksicht des Christenthums hat mich allerdings gefreut. Daran hatte ich mich gestoßen, und wenn ich noch sonst etwas nicht billigen könnte, | so will ich glauben, es müße ebenfalls nur eine kleine Mißdeutung seyn. Ueberhaupt sind Recensionen gar nicht meine Sache, und ich sage das nicht als Einfall, sondern wüßte es wol zu rechtfertigen, wenn meine Worte für die Recensenten nur nicht gerade ganz überflüßig wären. Was ich in Stillen so oft denke, wenn einer der Erklährer des andern wird, und ihn in die Himmel erhebt oder in den Acheron hinabstürzt, das wißen die Götter nur, denen ich dies Unwesen klage. Doch jetzt darf ich eben nicht seufzen, denn ich lese keine einzige gelehrte Zeitung, und überschlage auch gern im Korrespondenten und Bücherkatalogen was mehr als bloße Anzeige ist. Es mag indeß ein Glück seyn, daß nicht alle Gelehrte diese Pein empfinden, sondern vielmehr sich freuen, wenn sie einen witzig seynsollenden Einfall entweder hören oder auch selbst hervorbringen. Das Leben ist so sehr noch unsern Sinnen verborgen, und Viele | möchten nur lieber sterben, wenn es keine Literaturzeitungen und Bibliotheken mehr gäbe. Beurtheilen müßen wir uns freilich, so wie wir uns nur sehen und wahrnehmen, denn beides ist völlig eins. Aber eben weil es eins ist, kann die beliebte Form nicht die würdige seyn, oder wir müßen es nur laut sagen, daß wir Gespenstergeschichten schreiben, und auch wirklich an Gespenster glauben. Aber wir meynen es so gut miteinander und wollen warnen und zurufen, und treten wir selbst einmal auf, so bitten wir den besten Freund, daß er von dem guten Geiste reden wolle. Ich bin recht oft in Verlegenheit bei dergleichen Betrachtungen, und frage mich, ob ich auch nicht toll bin, nur so etwas zu denken. Dann karre ich in Frieden meine Erde zum Rosenhügel, und erweitere die Rasenbank unter den schattigen Silberpappeln an den Ufern des Rhins, und denke mir, wie die Re|censenten sich freuen sollten, wenn sie hier auf den grünen Bänken im schönen Kreise herum säßen. Ich bin ein friedlicher Mann; aber der erste, der auch hier noch tadelte im Angesichte des Himmels, den würfe ich in den Rhin, damit er erst hier sich verklähren, und dann wieder in der Versammlung Platz nehmen könnte.
Sie sehen, ich schreibe an einen vertrauten Freund, und was noch mehr ist, so sprach ich so eben mit mir selber. Ich komme wieder auf Ihren Brief. Er enthält auf jeder Seite viel Neues für mich, wofür ich Ihnen danken muß. Vor meiner Abhandlung über den Bildungstrieb erschrak ich gleichsam, denn ich erinnerte mich ihrer den Augenblick nicht. Sie ist also wirklich gedruckt. Ich weiß nichts davon, und hätte noch lange in dieser Unwißenheit bleiben können, da ich seit dem November 97. nichts mehr von diesem Journale gelesen habe. Es ist nicht meine Schuld. Ich konnte es mir | nicht selbst anschaffen und hatte weiter dazu keine Gelegenheit. Was ich über den Bildungstrieb gesagt habe bin ich begierig zu hören. In meinem Pulte liegen bloß noch einige Fragmente zur Fortsetzung, die ich auch noch aufbewahren werde, weil ich die Ideen einer weitern Ausführung nicht unwerth halte. Schreiben Sie an Friedrich Schlegel, so bitten Sie doch beiläufig, daß er Herrn Gabler meine Adreße mittheile. Auch wünschte ich den letzten Jahrgang des philosophischen Journals zugleich zu erhalten, welches vielleicht in Kommißion geschehen könnte. Die Gebühren wären von dem Honorar alsdann abzuziehn.
Einen Punkt muß ich noch berühren, betreffend das Mannskript meiner Naturbetrachtungen. Friedrich Schlegel that wohl, daß er mir nicht das Original, sondern die Copie überschickte. Ich würde den Abschreiber erkannt, und – vergeben Sie mir daß ich es | frei sage – eine Schaam empfunden haben, die nicht die meinige gewesen wäre. Ich sehe man macht mit mir Umstände; aus welcher Schonung, begreife ich nicht. Warum nicht offen herausgesagt, Eure Arbeit können wir nicht gebrauchen. Die Schonung verdiene ich allerdings, daß man mir nicht mit Strichen in margine anzeige, wie viele Schnitzer ich gemacht hätte, denn ich war gar nicht gewilligt, ein Exercitium einzuschicken, sondern es galt hier al pari. Ich will mich nicht rechtfertigen, denn das wäre lächerlich. Ich fordere nur, daß meine Worte so abgedruckt werden, wie ich sie niederschrieb. Geschieht es nicht, so muß ich wenigstens anzeigen können, daß die Abhandlung gewiße Veränderungen erlitten hat, die ich nicht billige. Sie können nicht glauben, wie unangenehm ich beim lauten Vorlesen | der Kopie in meinen Anschauungen öfters unterbrochen wurde. Ich glaubte, daß ich mich selbst etwann in dem Augenblick verbeßerte, bis ich eine Stelle traf, die mir noch ganz im Gedächtniß war, und wo ich recht deutlich zu sehen glaubte, daß der Abschreiber versucht habe, sie sich verständlich zu machen. Jetzt da ich weiß, Wilhelm Schlegel ist der Kritiker, bitte ich ihn in so fern um Vergebung, als ich über den Abschreiber gelacht habe, denn das verdient er nicht. Aber ich bitte nichts desto weniger, daß es beim alten bleibe. Sind Unterscheidungszeichen und Orthographie nach den Schlegelschen Gesetzen zu berichtigen, so laß ich es mir gefallen, sintemalen ich nicht auf dem Titel des Buchs stehe. Aber Wortversetzungen und Vertauschungen gehe ich auf keine Weise ein. Ich bin mir | bewußt, daß es einen freien Geist erfordert, um in meinen Betrachtungen mir folgen zu können. Das ist von Schlegel gerade da nicht geschehen, wo er die rothe Dinte gebraucht hat, und wodurch diese für mich eine ganz andere Bedeutung erhalten hat. Wenn ich z. B. sage: denn im Tausche unsrer Geister wird Leben die Schöpfung: und Schlegel will lesen – wird die Schöpfung Leben: so legt er mir einen kraftlosen und matten Gedanken unter, den ein Physiker vielleicht haben könnte, der über das Lebensprinzip etwas sagen wollte. Vor allen möchte ich die Stelle „Nirgends dem Blicke endet die schöne Verwirrung und nirgends die Freude“ wol ästhetisch von Schlegel auseinandergesetzt sehn. Er will dafür: nirgends endet dem | Blicke u.s w. Ich rühme mir dreist, daß ich nur durch die Stellung der Wörter das habe sagen können, was ich wirklich sage, und daß die Schlegelsche Veränderung die ganze Anschauung vernichtet und eine ärmliche dafür unterlegt. Es geschahe nur so beiläufig, daß ich Friedrich Schlegel erinnerte, er möge sich hüten, dem Abschreiber ein besondres Vertrauen zu schenken. Ich meynte es damit ernstlich, denn eine ähnliche Freiheit beim Abschreiben war mir noch nicht vorgekommen, und es ließe sich allerdings davon viel fürchten. Damit Sie mich recht verstehen, erklähre ich mich. Wilhelm Schlegel ist allerdings ein sehr gebildeter Mann, der besonders über alles Schöne und Gefällige im ersten GesichtsKreise wol richten und urtheilen mag. Er selbst schreibt auch vortreflich, was er schreibt. Aber ein umfaßender, tiefer Blick fehlt ihm durchaus, welches man nicht deut|licher inne werden kann, als in mündlichen Unterhaltungen. Er fordert immer Erklährungen, wo es nothwendig ist, ihn unmittelbar an die innre Anschauung zu verweisen, zu der er sich nicht erheben kann. Wilhelm Schlegel ist also weit entfernt, sich zu einem eigentlichen Kunstrichter zu qualificieren. Dieser muß ohne Zweifel mit dem Unendlichen in sich vertraut seyn, um seinen Widerstrahl in der Anschauung als solchen aufnehmen zu können. Darin eben besteht ja alles Schöne und Erhabene, und wie mag ich über Anschauungen urtheilen können, wenn ihr Gegenstand weit meinem Sinne entrückt ist? Wilhelm muß überhaupt nur in gegebnen Formen einen gegebenen Stoff bearbeiten. Denn der Schöpfer einer höhern Welt schlummert noch tief in seinem Busen, und darum sollte er übersetzen und leichte Gesänge uns schenken, wie er es wirklich kann. Ich bin ihm persönlich sehr atachiert; denn | die Grazien geleiten ihn auf allen Wegen, und gewinnen ihm Liebe und freundliches Wohlwollen. Darum glauben Sie auch nicht, daß ich auf ihn zürnen könnte. Ich finde es nur nothwendig, ihm ja nichts einzuräumen, wodurch er in seiner Täuschung nur noch mehr bestärkt würde. Daher wundert es mich von Ihnen und Friedrich Schlegel, die Sie beide den strahlenden Gott Phoibos Apollo von Angesicht geschaut, daß Sie ihm ein Richteramt über sich verstatten. Schon die Art und Weise dieser Behandlung kann mich traurig machen. Es ist darin so viel Unbescheidenheit, daß sie dem anspruchslosen Menschen nicht gefallen kann. Ich weiß es freilich, daß die Herausgeber eines Journals zugleich für ihre Mitarbeiter ein Tribunal ausmachen. Das gefiel mir aber auch nie, und ich glaubte gewiß, die beiden Brüder hätten hierin einen bescheidnern Grundsatz angenommen. Die Art und Weise entscheidet alles. | Ich habe so manches Wort schon den Flammen übergeben, wenn ein Freund mir sagte, mir gefällt es nicht. Aber die rothe Dinte imponiert zu sehr, als daß ich des Freundes Wort darin suchen könnte. – Ich wünsche nun von Ihnen zu erfahren, wie es mit dem Abdruck meiner Naturbetrachtungen gemeynt ist, und gebe Ihnen die Versicherung, daß ich noch jetzt das Manuskript ohne den mindesten Unwillen zurüknehme, ob es gleich über ein halbes Jahr aus meinen Händen schon ist. Haben Sie bei der Redaktion nicht die Erlaubniß, den Text wiederherzustellen, wie der Gottlob noch lebende Verfasser ihn geschrieben hat, so erkundigen Sie sich deswegen höhern Orts, und dann ist unser Kontract aufgehoben. Ich bitte Sie aber, auf den Grundtext recht Acht zu haben, da die Schlegelschen Veränderungen oft für das Auge unmerklich sind. So ist einmal für entgegnen begegnen geschrieben | worden, welches ganz unstatthaft ist und in der Stelle „Von den Höhen herab über die Thäler und Gewäßer siehst Du ihr Schweben“ &ct. ist der Ausdruck Von der Höhe herab u.s.w. so fehlerhaft, daß er durchaus nicht bleiben kann. Schlegel dachte sich die Höhe, auf welcher der Zuschauer in seiner Anschauung begriffen seyn soll: denn das wird deutlich durch den bestimmten Ausdruck im singular. Aber nicht gerechnet, daß das herab alsdann ein Fehler wäre, kann ich auch so etwas gar nicht sagen wollen. Er trete nur hin auf die erhabene Dole des Jura, auf den Rigi, den Gurten, Albis und Zürichberg, und die Höhe, auf der er steht wird ihm verschwinden. Aber rund um ihn herum liegen nach optischen Gesetzen die Gebirge tief unter ihm, und Höhen und Thäler und Gewäßer fallen in einen Blick des Auges. Die Schlegelsche Veränderung ist daher durchaus fehlerhaft und kann so gar | nicht bleiben, da sie den Sinn gänzlich verfehlt. Ich berühre nichts weiter und kann mich an den gegebenen Beispielen auch hinlänglich begnügen. Wollte ein Mensch es übelnehmen: so kann ich ihm zur Liebe das ganze Manuskript verbrennen, und er soll sehen, ich bleibe derselbe, lebend und zufrieden wie zuvor.
Was Sie über meine Naturbetrachtungen anmerken ist nur ein allgemeines Urtheil über die Form. Sie dürfen ohne Rükhalt wie zu Ihrem Vertrautesten reden; denn ich weiß ja doch mit voller Ueberzeugung, daß Sie in meine Gefühle eingegangen sind, und mehr habe ich nicht wollen können. Ein liebenswürdiger Mann, dem ein großes und freies Herz im Busen schlug, las einmal in einer Gesellschaft von mehreren Freunden ein Gedicht vor, der Jüngling benannt.
Noch schlummert fing es an –
Noch schlummert Jüngling Deine Welt
Dir tief in stiller Brust;
Du wandelst sorgenloser Held
Durchs Leben unbewußt. –
Erlaube, fiel einer der Anwesenden | ein, als die zweite Strophe beginnen sollte, das Beiwort still hat hier nicht meinen Beifall, denn es charakterisiert nicht den Jüngling. Unwürdiger, rief der unterbrochne Freund aus, ich wollte Dich zu einem bestimmten Mitgefühl bewegen, und Du erwiederst mir den Druck der Hand mit einer herzlosen Kritik. Er schlug sein schönes Gedicht zusammen, und verließ augenblicklich und mit thränendem Auge die Gesellschaft. Ich habe seitdem den treflichen Mann über alles geliebt und keinen bescheidnern und mit höherer Kraft gerüsteten außer ihm kennen gelernt. Dies factum fällt mir übrigens immer ein, so oft ich jemanden mit der Feder in der Hand oder mit dem Finger über der Nase zuhören sehe. Welches Leben das Gedicht enthalte, darnach fragen diese Menschen nicht. Sie haben durch mühsames Studium Skelette in allerlei Stellungen zeichnen gelernt; und darum zerfleischen sie alles, was ihnen vorkommt, um das Gerippe nur zu finden, und solches an ihr Schema zu halten. Es versteht sich von selbst, daß diese Kunst nur immer erbärmlich seyn kann, denn sie bleibt | in der kleinlichen Sphäre des bloßen Nachahmens, während der freiere und mächtigere Geist mit dem Stoffe, den er hervorbringt auch seine Formen vollendet. Ich bin es gewiß, daß Naturbetrachtungen in Hexametern sehr vortreflich seyn können. Aber die meinigen können es nicht seyn. Denn sie sind es wirklich nicht. Mich dünkt, darüber ist nicht zu streiten, denn sie sind ja da. Sie wollten also mit Ihrer Bemerkung nur so viel sagen, daß wenn jemand sich vorsetzte, Naturbetrachtungen in Hexametern nieder zu schreiben, so würde das sehr gut angehen, welches ich eben jetzt behauptete. Sie sollen das verstehen; ob noch ein anderer es begreifen wird, das weiß ich nicht. Wenn ich die Aesthetiker über den Unterschied zwischen Prose und Poesie sprechen höre: so läuft es mir kalt über. Hätten sie selbst doch erst getrennt, so würden sie den Gegenstand kennen; aber so nehmen sie ihn her von dem ehrlichen Aristoteles, und haben es nun nicht mit Realitäten, sondern mit Gespenstern zu thun. Soll die Sprache das Unterscheidende seyn, so haben sie gar noch | nicht gefragt, was denn Sprache überhaupt sey, und ob man auch noch etwas anders damit ausdrücken könne, als Dichtung überhaupt. Soll der Rhytmus es aber seyn: so wißen sie wieder nicht, daß er in der Beziehung unsrer Anschauungen auf das Unendliche besteht, und daher ohne Rhytmus gar kein Gedanke stattfinden kann. Hier reichen sie also nicht aus, und es würden den Herren schlimm gehen, wenn das Feuer Gottes einmal vom Himmel fiele, und alle Bibliotheken verzehrte. Uebrigens weiß ich es selbst, daß in meinen Betrachtungen gar vieles zu verbeßern wäre. Diese Verbeßerungen sind aber nicht verlohren sondern bleiben mir für jede folgende Arbeit, unter welchem Titel und Inhalt sie auch auftreten möge. Der Leser darf nur sagen, dies gefällt mir beßer, so hat er auch zugleich die Berichtigung des vorigen.
Daß die Palillogien nicht von Friedrich Schlegel herrühren freut mich sehr. Ich hätte ihm auch den gesuchten Witz nicht zutrau|en sollen, und bitte gern um Vergebung. Uebrigens bin auch ich der Züchtigungen wol zufrieden, wenn es, wie Sie meynen, der literarische Nothstaat so erfordert. Aber es ist nicht jederman geworden, auf eine natürliche Art witzig zu seyn. Reiner und ächter Witz ergießt sich aus der innersten Tiefe unsers Geistes, und wer sich vorsetzen wollte, witzig zu seyn, der hinge Blei an seine Füße, um solcher Gestalt die Fußstapfen recht bemerklich zu machen. Daher weiß ich nun nicht, ob eine Gesellschaft sich verbinden könne, einen literärischen Anzeiger in Epigrammen zu verfertigen. Man nehme nur Göthe und Schiller. Der erstere hat den Teufel und der andere möchte ihn gern haben. Aber sein Streben ist umsonst, und der sonst große Mann wird allemal klein, wo er witzig seyn will. Ich spreche auch Jean Paul von dem Suchen nicht frei, und bei diesem thut es mir um so mehr leid, da er es vor allen am wenig|sten nöthig hätte.
Ihr Urtheil über die Lucinde will ich beherzigen. Jetzt könnte ich mich nicht darauf einlaßen sogleich das Buch wieder zu lesen, da mich andere Geschäfte erwarten. Aber das sollten Sie auch wol glauben, daß ich das Vortrefliche in der Schrift nicht übersehen habe. Es ist nur einmal meine Art, darüber nicht viel zu sagen, da es stillschweigend eine Anforderung des Verfassers ist, die ihm ohne weiters erfüllt werden muß. Sonst möchte ich mich aber doch schwerlich überzeugen laßen, daß der Anstoß, den ich genommen habe, sich auf Gewohnheit und Vorurtheil gründe.
Für Ihr schlüßliches Anerbiethen bin ich Ihnen sehr verbunden, und ich werde mich also mit Zutrauen so oft an Sie wenden, als Sie mir durch kleine Besorgungen gefällig werden können. Haben Sie also zuförderst die Güthe mir den Ebel aus zu nehmen und broschiert zu überschicken. Kennen Sie nicht auch eine Kinderschrift von Heusinger? Es sind Spatziergänge, auf denen ein Vater seinem Sohne etwas erzählen soll. Ich will es zu einem Präsente für ein Kind haben, das lesen lernt, und Sie besorgen es mir wol ebenfals gebunden. Den Preis erfahren Sie wol; und schicke ich Ihnen auch nicht gleich das Geld, so soll es Ihnen doch so gewiß seyn, wie ich es Ihnen bin. Auch habe ich noch eine Bitte, die aber mehr ins Große geht, | und die ich daher zum wenigsten etwas einkleiden muß, damit Sie wo möglich nicht erschrecken. Ich siegle nämlich immer mit einem hochadlichen und darum mir fremden Pettschaft, dem Waffen meiner Frau, die aus solchem Geblüthe herstammt. Die Sache gefällt mir nicht, und ich bin in dergleichen Kleinigkeiten ein großer Liebhaber des Schönen. Von Reinhold, Fichte, Schlegels und auch von Ihnen finde ich die Briefe mit ziehrlichen Köpfen und Figuren gesiegelt, und da ist es recht sehr mein Wunsch geworden, daß ich auch einmal zu einem solchen Kleinode kommen möchte. Ich wünschte mir einen Plato oder auch einen Musenkopf, oder eine Muse selbst mit klingendem Spiele. In Italien weiß ich wol, hatte man Glaspasten um einen geringen Preis: so auch in Basel. Ich habe aber diese Schätze alle wieder verschenkt und nun möchte ich wißen, ob man in Berlin wol dergleichen haben könnte, so bäte ich Sie hiermit, mir behülflich zu werden. Den Preis kann ich nicht bestimmen. Doch über einige Thaler möchte ich nicht | gern hinausgehen, da schon das ein großer Theil meines täglichen Brodts ist. Ich gebe Ihnen im übrigen die freie Wahl, und bitte nur nicht übelzunehmen, daß ich so vieles zu bitten habe.
Für die Uebersendung des Athenäums danke ich schönstens, und werden Sie so gefällig seyn, und das Geld dafür von dem mir werdenden Honorar abzuziehen; so nämlich mein Aufsatz gedruckt würde. Eben so könten Sie von diesem Gelde auch dann das übrige bestreiten, was ich nun noch einmal in der Bitte zusammenfaße, es ja nicht für Indiskretion zu halten.
Laßen Sie diesen Anfang unsers Briefwechsels eine schöne Bedeutung für die Zukunft seyn. Wollte ich auch hier sitzen bleiben an meinem Pulte und immer an Sie schreiben: einmal müßten Sie doch nothwendig zur Thür hereintreten, und sagen, hier bin ich! Leben Sie recht wohl. Mit aufrichtiger Freundschaft ganz der Ihrige
A. Hülsen |
den 3.ten October
P. S. Nachdem ich meinen gestrigen Brief an Sie noch einmal durchlese, finde ich leider, daß ich etwas viel darin geschwatzt habe, welches Sie mir um der guten Absicht willen vergeben müßen. Ich habe nicht die Fertigkeit, gleich aus der ersten Feder für die Unsterblichkeit zu schreiben, und bei meinen Freunden muß ich daher immer auf einige Schonung rechnen, da ich Briefe unmöglich umarbeiten kann. Ich berühre das sonst auch nicht, wo ich schon beßer gekannt bin, und auch hier sey es zu meiner Entschuldigung für alle Zukunft gesagt.
Sie haben in Berlin täglich Gelegenheit schöne Musik zu hören. Wenn Sie sie lieben, wie ich wol nicht zweifle, so ist das Glück, welches ich Ihnen beneiden muß. | Vielleicht hören Sie zuweilen auch wol schöne Harfentöne. Fragen Sie doch, wenn es gerade schicklich ist, wo man eine gute Pedalharfe wol haben könnte. Ich liebe dies Instrument zur Begleitung des Gesangs sehr, und habe mir auch einige Fertigkeit darauf errungen. Allein zur Miethe finde ich jetzt keine Gelegenheit und eine neue zu kaufen ist mir für den Augenblick zu kostbar, daher ich nun die Freude ganz entbehren muß. Oft dächte ich würden in Berlin auch wol alte Pedalharfen verkauft, und es käme nur darauf an, daß man davon unterrichtet würde. Hören Sie durch den 2ten 3ten und 4ten Mund davon reden, so fragen Sie gefälligst doch weiter. Wenn ich nicht irre, so hat der Prediger Herbst einen neuen Mechanismus erfunden, da der Pariser für unsre Künstler zu künstlich ist. Vielleicht sind die Herbstischen Harfen schon zu haben und zwar zu einem billigen Preise. Ich mußte Sie im Namen der Musen darum bitten, die meiner Gesänge sich freuen und der sie begleitenden Töne.
Vale
Hülsen
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  • Date: 2. bis 3. Oktober 1799
  • Sender: August Ludwig Hülsen ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Lentzke ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
  • Notations:
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 193‒205.

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