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Friedrich Schleiermacher to Lotte Schleiermacher TEI-Logo

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Berlin d 17t. Febr. 1800
Dafür daß es sich mit meinem Schreiben so lange verzögert hat kann ich nun auch den Brief mit einer recht guten Nachricht anfangen; ich hoffe wenigstens daß sie Dich auch interessiren wird. Die Heirath der guten Gräfin Friedrike geht nun wirklich zurük, Alexander hat sich um sie und alle die sie lieben dieses große Verdienst erworben. Er hatte den jungen Mann immer seiner Schwester nicht ganz würdig gefunden, hatte in der lezten Zeit seines Aufenthaltes in Preußen das sehr artige und gefällige aber ganz herzlose Betragen desselben gegen Friederike mit Augen gesehen, und ihm endlich weil er ihn dort nicht recht sprechen konnte und ihn Mancherlei hinderte von hier aus einen sehr ofnen freundschaftlichen und daß ich so sage väterlichen Brief darüber geschrieben „daß er sich doch recht genau prüfen möchte wie eigentlich seine Gesinung und seine Empfindung gegen Friedrike wäre, und wenn sie nicht so herzlich und innig wären daß er sich eine glükliche Ehe gewiß versprechen könnte, so möchte er doch lieber zurükgehen so lange es noch Zeit wäre, und nicht sie und sich unglüklich machen“. Darauf hat Graf Adolf eine ganz wunderliche verkehrte und trozige Antwort gegeben recht wie ein junger Officier, hat es beinahe für Beleidigung genommen, und bestimmt erklärt er trete von dieser Verbindung nicht zurük – dabei aber konnten wir Alle deutlich sehen wie wenig Herz und Sinn er überhaupt habe, und wie er für Friederike vollends ganz nicht geeignet ist. Du kannst denken wie uns das aufs neue bange gemacht hat, so daß ich oft gewünscht habe daß sie wieder krank werden möchte wenn sie dadurch von jenem Bande los kommen könnte. Was geschieht aber? Noch ehe Alexander diesen Brief beantworten kann erklärt der Bräutigam er könne Friederike nicht heirathen, und schreibt ihr dieses selbst; diesen Brief habe ich nicht gelesen wahrscheinlich wird er aber auch verwirrt und unzart genug gewesen sein. Die Eltern des jungen Mannes sind untröstlich über diesen seinen Schritt, besonders die Mutter welche Friederike sehr liebt, und die Schwestern von denen die eine ihre vertraute Freundin ist. Dies geschah kurz ehe Dohnas ihre gewöhnliche Winterreise nach | Königsberg antraten, bei ihrer Ankunft sind die Doenhoffs so diskret gewesen den Adolf aufs Land zu schiken damit er Friederike auch zufällig nicht sähe, und so ist es bis dahin gekommen daß beide Familien sich einander besuchen ohnerachtet des vorgegangenen. Herzlich froh bin ich, das kannst Du leicht denken, es würde mich sehr geschmerzt haben wenn das herrliche Mädchen an einen verschleudert worden wäre der das Gute und Schöne nicht verstanden hätte und wenn sie ihr Leben in einer gewöhnlichen vornehmen Ehe hätte hinbringen müßen. Es giebt für mich gar keinen unangenehmeren Anblik und was mich tiefer verwundet als eine schlechte Ehe wo der Zwek nicht erreicht wird und die Leute so nebeneinander weg leben ohne Liebe – und wie oft muß man das nicht sehn
den 2ten Merz. Das dachte ich beinahe daß ich ehe dieser Brief wegginge außer dem kleinen Briefe durch Graff noch einen andern bekommen würde, für den ich Dir denn herzlich danke. Die Einlage an Karl habe ich sogleich weggeschikt und mit einem kleinen Ermahnungsbriefe begleitet daß er seine wunderliche Idee nicht über Gnadenfrei zu gehn doch ja aufgeben möchte. Du hast sehr Recht daß wenn er erst in Breslau ist er fürs erste nicht so bald dort wegkommen wird wenigstens nicht bis Alles eingerichtet ist, und jezt können doch drei Tage früher oder später seinem Principal unmöglich etwas ausmachen, und wenn das ist, so mag er lieber ein Paar Tage weniger hier bleiben, was ich ihm auch geschrieben habe. Der Umweg ist nichts; er ist von hier aus eben so zeitig wo nicht eher in Gnadenfrei als er in Breslau gewesen sein würde, und der Weg von Gnadenfrei nach Breslau beträgt noch keine volle Tagereise. Leider sehe ich übrigens aus Deinem Briefe daß Du vor einer Versezung nach Gnadenfeld noch nicht sicher zu sein glaubst was mich wie Du leicht denken kannst nicht wenig bekümmert. Ich wollte wol Du hättest mir etwas näheres darüber geschrieben obschon von fern etwas darüber gesagt worden ist. Ich wiederhole noch einmal meine dringende Bitte, daß Du den Muth haben mögest, wenn man Dir einen solchen Vorschlag thut, die wichtigen Gründe welche Du dagegen hast in ihrem ganzen Gewicht vorzustellen. Ungern, sehr ungern würde ich Dich Deinem jezigen Kreise wo Dir wol ist entrükt sehn, und wieviel lieber würde ich Dich in dem schönen Gnadenfrei wieder besuchen als in den sandigen Ebenen von Pawlowiczka, und wirklich was doch die Hauptsache ist, scheint mirs keine Frage zu sein daß Du auf die Dauer in Deiner jezigen Verbindung mit der Anstalt nüzlicher bist als wenn Du durch Stubenaufsicht in eine beständige Unruhe versezt wirst, die weder Deinem Gemüth noch | Deinem Körper zusagt – ach es sind von allen Seiten tausend Sachen dagegen zu sagen, und eure Vorsteher verlangen doch nicht daß man gegen sein innres Gefühl etwas thun soll. Kürzlich habe ich mit der Herz eine Reise durch NordAmerika gelesen deren Verfasser auch in Bethlehem war und die dortigen Erziehungsanstalten die mit wenigen Modifikationen, welche die Nationaleigenthümlichkeiten nothwendig machen, ganz auf den Fuß eurer deutschen Pensionsanstalten eingerichtet sind gar sehr rühmt. Ueberhaupt hat er sich dort sehr gefallen aber sich doch manches falsch berichten laßen. Ich habe wie Du leicht denken kannst bei dieser Gelegenheit viel über die Gemeine gesprochen, mich besonders lebhaft meiner Zeit in derselben erinnert und viel davon erzählt. Wie gern hörte ich einmal wieder ein Wort von meinen Freunden aus jener Zeit, von Albertini, Zaeslin und einigen andern. Vorigen Sommer habe ich einmal auf einem sonderbaren Wege durch ein artiges Mädchen die im Karlsbade gewesen war und über Dresden zurükkam einen freundschaftlichen Gruß von Heinrich Einsiedel, auch einem Nieskyschen Stubenkameraden bekommen – es war mir recht lieb; aber ich wollte doch es wäre lieber von irgend einem andern gewesen der mir lieber ist.
den 8ten Merz. Länger liebe Lotte will ich diesen Brief auf den Du lange genug gewartet hast nicht aufhalten und ihn lieber kürzer fortschiken. Durch die fürchterlichen Kolikschmerzen die ich bis in die Mitte des vorigen Monats hinein ausgestanden habe bin ich in allen meinen Arbeiten sehr zurükgeblieben und daher auch jezt wenig Herr meiner Zeit. Inzwischen da es nun mit der Gesundheit wesentlich beßer geht so werde ich darüber wol auch wegkommen. Dir scheint dieses Jahr auch nicht zuzusagen und wenn Du fortfährst an NervenKopfschmerzen zu leiden so bitte ich Dich inständig denke bei Zeiten darauf wie Du es möglich machst ins Bad zu gehen; und laß Dich um Gottes willen keine Geldrüksicht davon abhalten. Eine Schwester der Herz ist ebenfalls mit diesem Uebel sehr gequält, und schafft sich nur dadurch wesentliche Erleichterung daß sie alle Jahr nach Freienwalde geht. Auch die Veit hat hier lange daran gelitten und sich nur durch Bäder, die sie freilich im Zimmer nahm geholfen. Indeß glaube ich daß es Dir am Ende weniger Weitläuftigkeit macht ins Bad zu reisen als eine Badeanstalt im Hause einzurichten. Auch ich soll im Frühjahr baden und verspreche mir sehr gute Wirkung davon
Meinem Freunde Schlegel geht es jezt in Jena bei seinem Bruder (welcher die Uebersezungen des Shakespeare verfertiget hat, nach denen du fragst) recht wol, und seine Briefe sind mir immer recht erfreulich wegen der guten Stimmung die darin herrscht. So habe ich auch von Wedeke (auf den Du Dich | wol noch besinnst) nach langem Schweigen einen sehr ausführlichen und liebreichen Brief bekommen, den ich auch noch beantworten muß. Der liebe Mann hat viel am Körper und auch sonst äußerlich durch Mißwachs und Diebstahl gelitten, dies hat aber weder ihn noch seine trefliche Frau sehr angegriffen. Außerdem hat sich die Anzahl meiner Freunde um einen vermehrt deßen Bekanntschaft ich mittelbarer Weise durch Schlegel bei einer besondern Gelegenheit gemacht habe; aber nur schriftlich. Es kam ein Brief von ihm an Schlegel grade den Abend vor der Abreise des lezteren; er trug mir auf ihn zu beantworten, und die Sache wovon die Rede war gab Veranlaßung zur Mittheilung so vieler Ideen aus dem Innersten des Herzens daß wir uns durch einen Brief hin und her vertrauter geworden sind als es sonst durch langen Umgang geschehen kann. Dir brauche ich das nicht weiter zu erklären Du kennst aus mannigfachen Erfahrungen dieses glükliche und schnelle Berühren der Gemüther. Es ist ein junger Mann von viel Geist und Kenntnißen und dem Namen nach kannte ich ihn schon aus einem Buch das er geschrieben hat und aus Schlegels Erzählungen; er hat sich aber aus der gelehrten und übrigen Welt ganz zurükgezogen und lebt mit einer Frau die er kürzlich geheirathet und ein Paar Kindern die er erzieht in großer Einfachheit und Stille auf dem Lande einige Meilen von hier wo ich ihn im Sommer gewiß auf ein Paar Tage besuchen werde. Sein Name ist Hülsen und ich empfehle ihn im Voraus Deinem Gedächtniß. Es soll mir nicht wieder so gehn wie mit meinem Stettiner Freunde daß ich ihn einige Jahre habe ohne daß Du etwas davon weißt.
Schließlich möchte ich Dich doch noch bitten Dich mit Geschäften, wenn Deine Kopfschmerzen anhalten nicht zu überhäufen so angenehm sie Dir auch sein mögen; es muß nothwendig nachtheilig wirken. Ich habe mich so lange ich Schmerzen litt, obgleich diese nicht im Kopf waren wol gehütet mich anzustrengen, und außer meinen Amtsgeschäften nichts gethan[;] ich glaube, daß ich mich ohne diese Diät nicht sobald erholt haben würde. Religionsunterricht habe ich jezt leider gar nicht und so lange ich auf meine jezigen Posten stehe habe ich auch nicht Gelegenheit diesem mir sehr lieben Geschäft immer obzuliegen vielleicht bekomme ich aber im Sommer oder Herbst doch wieder eine Schülerin. Indeß ist es weit angenehmer und wirksamer wenn man mehrere hat daran ist aber in meiner Lage gar nicht zu denken. Grüße alle Deine Lieben von mir, und habe Dank für die Nachrichten die Du mir von ihnen mittheilst. Schade daß Du die Pritwiz so wenig und die Aulok gar nicht siehst. Wann werde ich doch beide kennen lernen! Lebe wol und erwarte Dir den Karl nicht zu früh; ich glaube schwerlich daß er vor Ostern von Stettin wird abgehn können: indeß erfährst Du das nähere gewiß noch von mir
Dein treuer Bruder
Fr.
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  • Date: 17. Februar bis 8. März 1800
  • Sender: Friedrich Schleiermacher ·
  • Recipient: Lotte Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Gnadenfrei ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 396‒403.

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