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August Ludwig Hülsen to Friedrich Schleiermacher TEI-Logo

Lentzke den 13ten April 1800.
ich habe den Grund Ihres so langen Stillschweigens ganz richtig vermuthet, aber um so mehr auch bedauert, daß eine bloß äußere Ursache mir das Vergnügen Ihrer Unterhaltung auf so lange Zeit rauben mußte. Es sind indeß die Tage nichts desto weniger regelmäßig auf einander gefolgt, bis auch der letzte vom Himmel stieg, da ich endlich Ihren Brief und das erwartete Athenäum von Ihnen erhielt. – Ich danke Ihnen für die freundschaftliche Besorgung alles deßen, worum ich Sie gebeten hatte, und nun erwiedere ich Ihnen mit Innigkeit den Gruß Ihres Geistes.
Es war mein erstes Geschäft, gleich nach Lesung Ihres Briefes, auch das Athenäum durchzulaufen, und ich sage mit Ueberzeugung, daß dies letzte Stück (meine Naturbetrachtungen nicht mitgerechnet) in meinen Augen große Vorzüge vor allen vorhergehenden hat. Meine Arbeit betreffend, so muß ich Ihnen besonders danken, daß Sie für mich so güthig besorgt waren. Jeder, der mich kennt, kann mich wieder erkennen. | Nur ein Comma – S. 38. Z. 4. hinter du – hat sich eingeschlichen, welches meinen Gedanken unterbricht, indem gerade das nirgends zu der Handlung gehört und nicht auf ein unsichtbares seynd sich beziehen sollte. Ein verständiger Leser wird das aber leicht ahnen, da wenigstens durch das Zeichen ein gewaltsamer Eingriff geschieht. Sollte es im Manuscripte vorhanden seyn; so muß es, während ich schlief, der Feind hinein getragen haben. – Dann bemerke ich noch S. 45. Z. 3. von unten die Versetzung der beiden Wörter: Staunend und stumm. Ich habe keine Abschrift, und kann daher nicht vergleichen. Ich verlaße mich bloß auf mein Gefühl, und diesem zufolge muß im Manuscripte stehen Stumm und staunend. Für das Gehör macht es einen großen Unterschied, da einmal der Rythmus beleidigt wird, und dann auch das u, welches in den drei beieinanderstehenden Wörtern den Ton hält, mir wenigstens einen Schauer verursacht, als ob ich ein Gespenst erblickte. Aber auch | dies kann der Feind gethan haben, und ich erinnre es Ihnen bloß, daß Sie die Güthe haben mögen Ihr Exemplar zu korregiren, wie ich es in den meinigen schon wirklich gethan habe. Uebrigens wünschte ich nun allerdings, daß ich meine Originalhandschrift von Ihnen wieder erhalten könnte. Den Herren Schlegels kann daran nichts gelegen seyn, und ich möchte meine eigne Arbeiten gern handschriftlich aufbewahren. Sie werden mir meine Bitte sehr leicht erfüllen können.
Friedrich Schlegell hat mir ein eignes Vergnügen gemacht. Ich bemerke sein schönes Talent immer mehr und bin vollkommen überzeugt, daß er sich noch zu einem seltnen Manne bilden wird. Aber noch fehlt ihm der ruhige und sichre Blick, und Natürlichkeit des Ausdrucks. Es ist oft eine Anstrengung in ihm, wo das Gefühl sie gar nicht duldet, und dieser Pathos, ich gestehe es, hat oft ein freundliches Lächeln in mir verursacht. Erleben muß ich es noch, daß unser Freund die vielen unheiligen | Ausdrücke verbanne, wobei ihm die Musen und Grazien ewig nicht lächeln werden, die ihm sonst doch so hold sind. Es ist besonders seit Kant ein vergeblicher Wahn, daß für den einen Gehalt der Begriffe bestimmte Termen da seyn und bloß in dieser ihrer Beziehung gebraucht werden müßen. Das hat so gar schon die Klage herbeigeführt, daß unsre Sprache noch zu arm sey, jeden Gedanken und jedes Gefühl in ihr auszudrücken. Aber man hat schon öfters etwas Sinnloses behauptet, und nicht gewußt, was man wollte. So ist es auch hiermit. Wenn man doch nur früge, was die Sprache denn sey? Freilich ist Herrn Kampens Bemühung eben so lächerlich oder, wenn man will, noch etwas dummer. Nur wird man in beiderseitigen Melodien den ewigen Hymnus der Götter nie anstimmen und vernehmen. Eine barbarische Gewohnheit kann aber auch nicht ewig unser freies menschliches Gefühl beherrschen, und es wird jedem Sinne einst unerträglich seyn, unter Grimaßen sich aufzuthun, um des Geistes Abbild zu | schauen. Oft werde ich traurig und betrübt, wenn ich besonders junge Leute, die manche Verheißung erfüllen könnten, mit dem Pritschholze auftreten sehe, und tröste mich dann nur mit Göthe:
„Tolle Zeiten hab’ ich erlebt und hab’ nicht ermangelt,
Selbst auch thörigt zu seyn, wie es die Zeit mir geboth.“
Schlegels hohes Bedürfniß, das einen freien und muthigen Geist verräth, trieb ihn schon lange über das Gewöhnliche hinaus. Aber alles Ungewöhnliche ergreift er nun auch mit einer Innigkeit, daß man fast sagen möchte, er vergißt sich selbst über den Besitz und hört in sich auf, ein freies Eigenthum zu seyn. Der Künstler gilt ihm jetzt alles. Gleichwol ist er selbst weit über alle Kunst erhaben, daß es in der That ein Glück ist, ihn gegen seine eigne Worte in Schutz nehmen zu können. Kein Mensch ist bloßer Künstler, und wo wir es von irgend einem sagen, da nehmen wir nothwendig nur eine | einseitige Ansicht, die doch nicht anders möglich ist, als weil wir zugleich ein nicht zu trennendes Ganze vor Augen haben.
Die Idee des Künstlers verleitete Schlegeln auch zu der Betrachtung über den Mittelpunkt außer uns. Er ist schlechthin nie außer uns, weil er sonst gar keine Bedeutung hätte, und nothwendig immer nur ein Gedanke bleibt. Schon Ihnen glaube ich das bei Ihren Reden über die Religion, in Betreff des Mittlers, erinnert zu haben. Es ist es ein jeder wie alle, und es wäre Beschränkung unsers Blickes, wenn wir das, was allein auf den freien Geist Beziehung hat, für einen Augenblick nur wollten gelten laßen. Ich frage mit Recht, für welchen Augenblick? Niemand vermag ihn fest zu halten, ohne eine Ewigkeit dabei abzuwarten, und die ist uns wahrlich nicht so fern, wenn wir den Menschen gleich für das nehmen, was er wirklich ist. Ihre Reden über die Religion, die, wie Sie wißen, mir sehr werth sind, haben bei unserm Freund einen Enthusiasmus erregt, | der ihn ganz beherrscht. Die Götter mögen es mir vergeben, oder mich strafen, wenn es so seyn soll; aber das mindeste was ich von Ihren Reden in mich aufgenommen habe, ist Religion. Ich empfange den Geist mit Innigkeit, und erkenne ihn als den meinigen, denn er hat mich angesprochen in meinen lichtesten Gedanken. Aber er gilt mir mehr und zu viel, als daß ich ihn auf einen Titel irgend einer Betrachtung übertragen sollte. Auch in meinen Dichtungen findet Schlegel Religion. Ich weiß davon nichts, und muß förmlich dagegen protestieren. Wolle man doch nicht aus gesellschaftlichen Veranstaltungen, deren Inhalt einzig und bleibend die Natur ist, etwas Vorübergehendes fest halten, ohne das Ziel zugleich zu ergreifen. Wir bleiben sonst ewig bei der Erfahrung stehen, da es doch nur eines göttlichen Blickes bedarf, um alle Sonnenwenden zu überfliegen, und so das reine Bild des Menschen vor Augen zu | haben und die Verworrenheit zu lösen. O wie weit sind Kant und Fichte und die berühmten Philosophen unsrer Zeit entfernt, sich, wie sie vorgeben, auf einem reinen Boden zu befinden. Sie ahnen es kaum, daß sie selbst noch beherrscht werden von den eisernen Vorurtheilen, die wahrscheinlich erst völlig verrosten müßen, um ihre Gewalt zu verliehren. Die Vorstellung von einer ursprünglichen Trennung unter den Menschen ist feindselig und darum der Vernunft widersprechend. Auf welchem Boden sind wir doch, wo wir die unseeligen Systeme vorfinden, und nun, si dis placet, sie in die Geisterwelt versetzen wollen? Aber ich will hier nicht zu weit gehen. Schreiben Sie an Schlegel, so sagen Sie ihm meinen Dank für die schönen Augenblicke, da ich mich seiner Umarmung gefreut habe. Unsre Wege sollen sich schon einander nähern, und für ihn bin ich nicht bange. Nur den Gedanken an Theorie der Romane möge er doch im Ernst nicht unterhalten, oder wenigstens nicht glauben daß er etwas anders | thun, als in seiner Bahn fortgehen werde. Die Notizen sind nicht übel gerathen, und wahrscheinlich sind sie auch von ihm. Wenn der Tadel auf die Art sich äußert, laß ich ihn wol gelten. Voß und Mathißon und Schmidt mögen es wol nicht erwarten, so neben einander gestellt zu werden. Aber die Vergleichungspunkte sind hinlänglich angegeben und wenn sie verständig sind, müßen sie das sich gefallen laßen.
Ihre Worte über Zeitschriften habe ich wohl beherzigt, und kann nicht anders als Ihnen beistimmen. Auch Berger, dem ich in Ihrem Geiste schrieb, findet es gegründet. Gleichwol ist die Mnemosyne schon wirklich unter der Preße, und erscheint also das erste Stück schon zu gegenwärtigen Meße. Ich habe keinen Theil daran. Meine Entfernung vom Druckorte und meine hiesige Lage, besonders da die Kränklichkeit meiner armen Frau noch zugenommen hat, machen es mir bei | näherer Erwegung unmöglich an der Herausgabe einen direkten Antheil zu nehmen: Sie finden aber auch überhaupt keinen als Herausgeber genannt. Wer mitarbeitet, hat gleiche Ehre darin und so befindet sich auf dem Titelblatte nichts weiter als der BeziehungsName Mnemosyne. Vorläufig sollen des Jahrs nur zwei Stück herauskommen, jedes zu 12. Bogen in klein 8. Der Verleger gehört mit in den Bund der Freunde und giebt kein bestimmtes Honorar, und jeder Mitarbeiter muß es zufrieden seyn, wenn er auch nichts bekommt. Von dem ersten Stück sind mir bereits 6. Bogen zugeschickt worden. Der Hymnus an Mnemosyne ist von Rist und hat außer einigen Stellen meinen Beifall. Dann kommen Briefe über die Natur von Berger an mich gerichtet. Diese kann ich nicht anders als vortreflich finden, und lese sie mit großem Vergnügen immer wieder und wieder. Mein Intereße daran ist aus mehreren Ursachen | groß und natürlich; denn immer sind die Jahre mir gegenwärtig, da ich mit diesem treflichen jungen Manne ein höheres Leben bildete. Seine Reinheit ist oft unbegreiflich und man kann nicht anders als mit ganzer Seele ihn lieben. – Nach diesen Briefen kommt ein Gedicht in Hexametern von einem gewißen Schetelig, der Ruf aus der Ferne, das mir viele lange Weile gemacht hat, aber noch mehr die darauf folgende Erzählung, der blinde Spielmann. So ist das Werk also schon verdorben und es kümmert mich, daß es das Tageslicht sehen mußte. Aus Bergers Anzeige kommen in den folgenden Bogen noch Gedichte von Berger und ein Dialog über die Dichtkunst, ebenfalls von ihm. Sein Inhalt ist mir wol bekannt, und das gute Wort kommt gerade zu rechter Zeit. Durch Bergers Antheil wird also dies erste Stück noch immer einen großen Werth | behalten, und für die Zukunft, so lange es währet, will ich Sorge tragen, daß keine Schüler weiter daran Theil nehmen sollen. Für das 2te Stück habe ich in meinem Pulte schon mancherlei bereit. Eine Abhandlung, unter dem Titel: die Ideale, und eine andere unter dem Titel die Gesänge der Musen. Die Ordnung und Feile derselben soll mich in guten Augenblicken den Sommer beschäftigen. Ob Berger nun noch kommen wird, weiß ich nicht. Ich habe ihn gebeten nach Nennhausen zu reisen (3. Meilen von hier) wo wir uns dann doch öfters sehen könten. Es kommt noch auf die Beßerung meiner armen Frau an, wegen der ich jetzt manche Besorgniße unterhalte. Eher kann ich auch nicht hoffen Sie hier bei mir zu sehen, oder Sie in Berlin zu besuchen. Berger wünscht sonst sehr, Sie kennen zu lernen. Ihre Monologen hatte er schon gelesen, noch ehe ich ihn damit bekannt machte, und versichert, daß er den Verfasser der Reden über die Religion darin nicht | wieder erkannt hätte. Er frägt mich unter anderm, wie Sie noch die Schwachheit haben könnten, ein christlicher Prediger an der Charitee zu seyn, und warum Sie, wenn es seyn müßte, nicht lieber verhungern wollten? welches doch in einer Welt, die alljährlich so vieles und mancherlei hervorbringe, nicht zu erwarten sey, weil man nur nehmen dürfe. Auch bittet er mit mir, daß Sie Ihre Monologen noch weiter fortsetzen möchten. Zur Theilnahme an der Mnemosyne laden wir Sie aber nicht eher ein, als bis sie wieder rein ist. Nehmen Sie sich indeßen der trefflichen Mutter an, und führen Sie sie freundlich in Ihre Kreise ein. Kann sie sich erhalten, und bliebe es unser Zweck, sie so fortzusetzen, so soll man das an ihr loben können, daß sie bei jeder Erscheinung verklährter hervorgeht. So bringt es auch der Sinn einer Fortsetzung eigentlich mit sich, und wenn nicht ganz besondere Hinderniße eintreten, | so muß sie, da wir von ihr keine Unterstützung verlangen, durch sich selbst wol subsistieren können.
In Betreff des Honorars für meine Naturbetrachtungen haben Sie die Güthe mir nach Abzug Ihrer gefälligen Auslagen den Rest zu überschicken. Für die erste Abhandlung bin ich schon befriedigt, und damit ein bleibendes Wort darüber vorhanden sey, lege ich für den richtigen Empfang des Honorars eine Quitung bei. Ich erinnere nur noch, daß Sie in Ihrem Briefe 5. Exemplare des Athenäums an mich abgeschickt bemerken, daß ich aber nur 4. Stück erhalten und auch um so viele nur gebeten hatte. Vielleicht ist es aber auch nur ein Druckfehler, der in der Berechnung keinen Unterschied macht. – Ich habe nun noch die Bitte an Sie, mir die neusten Planigloben von Bode güthigst und wenn es seyn kann baldigst überschicken zu wollen, und die Auslage dafür ebenfals abzuziehen. Eben | so wünschte ich auch gute Charten von den so genannten 5. Welttheilen zu besitzen. Die Homannschen sind unzureichend, und wenn Sie mir beßre empfehlen können, so legen Sie 5 sogenannte Generalcharten der gedachten Welttheile den Globen mit bei.
In Ihrem Urtheil über Göthe muß ich noch bemerken, daß das Verhältniß zwischen ihm und seiner Geliebten doch vielleicht reiner ist. Die christliche Einsegnung ist freilich nicht erfolgt, aber diese Negation will für das schöne Verhältnis der Geschlechter auch wahrlich nichts sagen. Ich weiß, daß Göthes Genoßin keinesweges eine Magd im Hause war. Ich selbst habe beide Hand in Hand und in traulichen Gesprächen öffentlich spatzieren gehen sehen, und ein schöner muntrer Knabe geleitete sie. Auch habe ich die Frau selbst gesprochen, und könnte nicht sagen, daß es ihr an Bildung fehlte. Sie hat sehr viel Einnehmendes, und ich sehe besonders mit Wohlgefallen ihre Liebe zu dem | treflichen Knaben, der mich ganz bezaubert hat. Ferner weiß ich auch, daß sie sogar bei Staatsvisiten die Honeurs im Hause macht, welches mir unter anderm die Geheimderäthin von Koppenfelz in Weimar erzählt hat, die auch Besuche von ihr erhielt, und sie erwiederte. Sonst will ich freilich die Heiligkeit des Geschlechtsverhältnißes bei Göthe nicht suchen. Sein Leben hat ihn nicht darauf zugeführt. – Hätte Göthe keinen Freund, so müßte ich ihn beklagen, denn er wäre sehr arm. So viel weiß ich aber, daß in seinen Schriften darüber goldne Sprüche zu lesen sind, daß er äußerst bescheiden und anspruchslos ist, und so nach wol einen Freund verdiente. Ich gestehe, daß ich Göthes Natur immer verehrt habe, und [den] Künstler in ihm noch immer nicht [denken] kann. –
Ueber Ihr zartes Verhältniß mit einer Freundin kann ich nicht urtheilen, ob ich freilich nicht läugne, daß ich Ihre Wünsche nicht billige. Wie gesagt, der Seegen thut es nicht. Hat die Natur aber die Ehe vollzogen, so sollte ihre Ewigkeit nicht gestöhrt werden. Leben Sie recht wohl, und bleiben Sie immer von meiner Freundschaft für Sie überzeugt.
Der Ihrige
Hülsen.
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  • Date: Sonntag, 13. April 1800
  • Sender: August Ludwig Hülsen ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Lentzke ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 3. Briefwechsel 1799‒1800 (Briefe 553‒849). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1992, S. 473‒481.

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