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Lotte Schleiermacher to Friedrich Schleiermacher TEI-Logo

Gdfr d 17t Augst 1800
Wenn mein Brief auch langsam gegangen so ist er doch gestern schon zu Dir gelangt! und Du kanst leicht Dir vorstellen wie herzlich ich auf beide Episteln Antwort verlange – auf Beide – denn in meiner vorleztern habe Dir viel gesagt was Dir vielleicht manche Aufschlüße in mein inerstes gab! – noch sind wohl die lieben Dohnas nicht in Berlin drum wünsche daß Du jezt bald an mich schriebst denn daß Du während ihres Besuchs keine Zeit – und selbst keine Worte für entfernte Menschen hast – sehe ich wohl ein – gern wäre ich ungesehn beim Empfang meines leztern bei Dir gewesen um Dein Staunen oder Lächeln über den Anblik des Einschlußes – und meiner Erzählung unsers Ersehens Dir abzulesen – Gestern lieber Bruder da meine trefliche Aulock auf eine Stunde hier war – wurde ich in ihrer Gegenwart durch ein ganz eignes Schreiben aus Breslau überrascht mit einem etwas begleitet das auch Dir zukommen soll – doch erst eine Erläuterung – Tages zuvor ehe Wunster hier war – trat Madame [Juschke] in meine Stube die ich vor 6 Jahren nebst ihren Töchtern hier sahe – eine wurde vor 3 Jahren mit Wenzel verheiratet – sie gab ihm einen Sohn – bekam die Auszehrung – und eilte im May dieses Jahres dem ewigen | Lenz entgegen – ein so gesundes blühendes Mädgen sahe ich noch nie wir gewanen uns bald lieb – ich verlebte damals einige glükliche Stunden mit ihr – doch ohne von ihrer Neigung zu Wenzel, die gegenseitig einige Jahre vor der Verbindung statt fand – zu ahnden – – nur in wenig abgebrochnen Worten bezeugte ich der ehrwürdigen Mutter meine Theilnahme – und nun erscheint auf eimahl das große Paquet an mich – 2 Exemplare – und einige Zeilen in Bezug unsrer alten Bekantschaft – wo es folgendermaßen heißt.
„Mit ihrem Bruder dem liebsten von meinen ältesten ersten JugendFreunden deßen Auffenthalt ich nicht weiß sind Sie wahrscheinlich in Correspondenz ich bitte Sie daher ihm das andre Exemplar mitzutheilen – ich biete es ihm dar, als ein Dokument meines noch nicht erloschnen, freilich jezt sehr traurigen Lebens und meiner alten getreuen Freundtschaft“ – Heute früh las ich die Hälfte bei einem einsamen Spaziergang – und empfand gewiß das was er bei der Mittheilung wünschte – Gott wie mich das alles ergrif und wie mir überhaupt die Sendung so einzig – und so wohltätig – dis Vertraun auf mein Mitgefühl |
den 20ten August
Dieses Jahr kanst Du Dich wirklich nicht über mein seltnes Schreiben beschweren – wenn es Dir nur nicht zu viel wird – wenn ich zurük blike auf den Inhalt aller dieser Episteln und fühle das Treiben meines Herzens Dir imer wieder zu schreiben – und Dich hinein schauen zu laßen in das inerste meines Wesens – so däucht es mir als wäre ich in jenen Zeiten wo sich Deine Mittheilungen über so verschiedne Bekantschaften recht hintereinander drängeten und wir dann darüber so manche Ideen auch in Bezug meiner damaligen Laage wechselten – nur daß ich jezt offener bin – gegen Dich – das wirst Du doch wohl gewahr! – Offener gegen Euch Beiden – und verschloßner, stiller, als sonst gegen Alles um mich herum – ganz natürlich – nichts erzwungnes weil alles was mein inres ergreift mich an die ersten frohen Jahre meines Lebens erinert – durch Menschen – oder Vorkommenheiten die mit jenen Aehnlichkeit haben – wie solte mich das nicht imer dichter mit denen verweben – die noch der einzige BerührungsPunct hienieden sind – der mich unsern Vorangegangnen, nahe, sehr nahe bringt – ach der 5te May deßen Du zu Anfange Deines leztern erwähnst – ist gewiß für mich ein wehmütiger Tag – alles vergnügt zerstreut sich – nach dem 4ten bekantlich das SchwesternFest! ich aber kann an dem | allen nicht Theil nehmen – die Einsamkeit ist mir Bedürfniß und niemand beneidet mich darum – stoße ich dan auf eine Bekante Mitfühlende Seele – gut – erquikend – diesmahl genoß ich früh eines Spazierganges – der einzig war – jedoch aber mit einem Anno 92 – etwas ähnliches hatte – o Gott lohne dem Guten mit hohen Frieden alles was mir durch ihn war – auch die Dankempfindung für kleine Wohlthaten und Freuden welche er so sorgsam in mir wekte – nährte[,] die mir jezt so manche reine Wonne bringt –.
Daß ich Wenzeln geantwortet – gedankt – versteht sich – und Charles der wahrscheinlich noch nicht dort war – denn er hat in seinen Zeilen nichts von ihm erwähnt – den Brief zur Besorgung gegeben – versteht sich – daß mir der Brief zum schreiben nicht leicht – war – nicht um seinetwillen – sondern derer Leute wegen denen er ihn vielleicht mittheilen könte – und vorzüglich um meines beßern Selbst willen – Heute ist Posttag – nichts von Dir, desto gewißer hoffe ich nächstens eine recht lange Epistel über – 2 – eigentlich 3 Briefe zu erhalten – wegen Peistels habe viel zu sagen – doch eher nichts bis Du ein Wort auf das vorige erwiedert hast – |
Gnadenfrey den 23ten August 1800
Dieser Posttag ist wieder so vorüber – nichts von Berlin – Du bist doch nicht ernstlich krank geworden oder so leidend daß Du gar nicht schreiben kanst – vielleicht sind auch schon die Dohnas bei Dir – einen 3ten Brief kan Dir ohnmöglich noch auf den Hals schiken – obgleich schon ein ganzer Bogen voll ist – das Document von Wenzel köntest Du durch ihn selbst noch eher als von mir erhalten – denn er wird bald nach Berlin reisen wie mir Charles dieser Tage geschrieben er hat ihn von ohngefähr gefunden – nach Abschikung des Paquets an mich – also, ehe, er meine Condolenz erhielt – hat er das abgefertigt – – hörte ich nur bald Dein Urtheil über das von ihm verfertigte – Folianten könte ich drüber schreiben – und doch habe ich keine Worte das Gefühl zu beschreiben was mich beim Lesen deßeiben, das erstemahl ergriff – und so oft ich drin lese (dis geschieht fast täglich) sich meiner noch bemächtigt – Oft ist mirs so als würde ich Wenzel noch eimahl in diesem Leben – sehen – aber nicht in Breslau nein! lieber hier! sonderbar! doch möglich – ein Traum –
den 24ten Weun Du es wirst gelesen haben wird Dir es gewiß nicht sonderbar oder gesucht vorkomen – sondern ganz natürlich daß es mir gleichsam zum Bedürfniß geworden – je nachdem meine Stimung ist eine Stelle mir zu wiederholen – wie es mir eben mit einem schönen Buche geht was mir interressant geworden und ich auch lange behalten kann – so war mir es | mit einem Buch welches mir meine gute Aulock im Februar aus ihrer Bibliothec borgte – die Proseliten – oder Raphael ein ganz vortreflichcs 6mahl habe ich es gewiß ganz gelesen und wie ich schon erwähnt öfters wie es mein Bedürfniß heischte eine einzelne Stelle daraus – auch mit Charles habe es hier durchgelesen – die Verfaßerin ist eine Frau von Ludwig – von welcher der Bruder schon mehr gelesen – bitte laße mir nichts von dem BücherChapitre unbeantwortet – melde mir ob Dir dieses bekant ist.
Nun noch einen Augenblik auf das trefliche Weib zurük welche mir es lieh – gestern 8 Tage sahe ich sie – zwar nur eine Stunde – in welcher wir zwar schnell – aber doch alles berührten – an dem Ersehn mit den Donas welches ich zur mündlichen Mittheilung gespart hatte nahm sie lieblichen Antheil – so auch an der Ueberraschung durch Wenzels Paquet – Dein Exemplar gab ich auf ihr Verlangen ihr mit – wer könte ihr was abschlagen was nur irgend möglich – die Stelle die in meinem lezten an Dich von ihr handelte hatte ich, ihr, in einem Briefe eingerükt – wofür sie mit Rührung dankte – und hinzufügte | „liebe Lotte! ich kan und darf ja von Ihnen nicht ganze Hülfe erwarten oder verlangen“ – Gott! sie war so zärtlich und liebevoll als ich ihr sagte – daß sie mir in der Unterhaltung des öftern gnädge schenken mögte – indem in meinem Herzen keine Titel als Liebe und Güte Plaz hätten – wie sie sich darüber freute – und als ich ihr, es war das 1 mahl, zu verstehen gab – wie inig ich es wünschte daß auch drüben in jener Welt unsre Einigung fortdauern möge usw – und meinen Dank und Beschämung über die Beständigkeit ihrer Liebe, ihr lebhaft zu fühlen gab – wurde das edle Weib so gerührt – daß sie mit einer Umarmung fast sprachlos mich entließ – siehe da eine ganze Skize von meinem ZusammenSein mit Aulock – das jedesmahl einzig in seiner Art* – hier fält mir Dein Hülsen ein kenst Du ihn jezt persönlich? oder ist dazu keine Möglichkeit und der Wedike – was macht Schlegel? auch habe ich ganz und gar in meinen vorigen vergeßen nach der Veit zu fragen! Du bist ganz stille von ihr, hat sie durch ihr Benehmen Deinen Zorn erregt – oder stekt ein Geheimniß dahinter? welches ich lange, ahnde – gegen Dich aber noch nichts erwähnt habe – ist sie nicht mehr in Berlin! |
Dieser Tage las ich einen Deiner älteren Briefe, in welchen viel von Lotte Schaede – weist Du jezt gar nichts von dem Mädgen? – hier möchte ich wohl aufhören
den 28ten Meine Geduld wird wirklich recht geprüft! noch imer nichts von Berlin – und vielleicht gar nichts ausführliches auf alle meine Episteln – wenn auch endlich eimahl etwas erscheint glaube nicht daß ich blos wegen meinem Briefe an Friderique so begierig nach der Aufnahme bin – nein – – alles was ich Dir geschrieben ströhmte so aus meinem inersten – mir so heiligen heraus – daß ich wünsche etwas von Dir drüber zu hören – und da ich Deiner Theilnahme überzeugt – Deines Mitgefühls gewiß – so befremdet mich Dein Schweigen. Doch das Warten auf etwas gutes trauliches ist ja so süß – wird mehrentheils herrlich belohnt – und schaft bei aller Täuschung – so manche Freude – daß ich auch nicht einen Augenblik zurükgeben wolte – von dem sehnenden Fragen nach dem Bothen – von dem Gefühl was schon beim Erwachen eines solchen Tages mich umgiebt – so wie ich jezt nach geendetem Kampfe – die süßen Vorstellungen Alle die ich gehabt – die meine Fantasie mir geschaffen – nicht mit der Wirklichkeit vertauschen wolte. Dis bezieht sich auf meine Reise nach Breslau von welcher aber nach reiflicher Ueberlegung nichts wird – |
den 6ten September 1800
Wenn heute abermahls nichts von Berlin erscheint – fange ich an für Deine Gesundheit zu fürchten – Dein Schweigen thut mir sehr weh. Daß ich ältere Briefe fleißig zur Schadloshaltung durchlese wirst Du wohl bemerkt haben, es will aber nichts helfen, bringt eher noch mein inres in Aufregung
Abends Warten ist freilich etwas süßes aber imerwährende Täuschung doch auch bitter – das must Du doch selber gestehen – vielleicht bringt mir diese Woche des Wunsches Erfüllung! ach! ich wolte Dir gerne recht viel sagen ich finde aber keine Worte! vielleicht bist Du Heute Abend (es ist Sonabend –) mit denen von Dohnas zusammen – ach es sind trefliche Menschen! die ich gern nicht nur wieder eimahl erblikte sondern ordentlich sehen und sprechen möchte! – gute Nacht! es möchten sonst noch mehrere :Vielleicht: erscheinen –
den 9ten Wieder ein Posttag vorbei! und so mancher andre Wunsch auch verfehlt – vorzüglich weh thut es mir heute gar nichts von Charles zu wißen, wo er diesen Tag zubringt und dergleichen mehr! 4 Briefe hat er seit 3 Wochen von mir unbeantwortet – natürlich daß dieses Schweigen manche Furcht und Hofnung in mir erreget – wovon weiterhin gesprochen wird – wenn eins oder das andre sich auflöst –
Vorgestern erhielt ich seit 3 Wochen einige liebevolle Zeilen von meiner treflichen Aulock nebst einem versprochnen Buche. Erzählungen von Guten, für gute Seelen – worinnen ich manche schöne lehrreiche Stelle gefunden – wenn Deine Epistel erscheint sehe ich gleich nach ob Du das BücherChapitre auch berührt hast. |
den 10ten September
Wenn ich mich nicht im Datum irre – hat Graf Louis heute seinen GeburtsTag – welcher sicherlich in Berlin gefeiert wird – O! der liebenswürdige junge Mensch! der gewis viel Kentniße, aber noch mehr schöne Anlagen wahrer Menschenliebe – und Wohlwollen ungeheuchelter Theilnahme – und Drang die Menschen warhaft froh zu machen in sich fühlt – o die ewige reine Liebe! wird ihm gewiß in jeden Betracht den rechten WirkungsCreis dazu anweisen! möchte ich doch bald von dem allen durch Dich etwas hören! wie lange muß ich noch warten! –
den 16ten Nun ist denn endlich meine Sehnsucht nach Briefen gestilt – eine meiner Stubenschwestern – die dis mit mir fühlte, hatte die Freude mir ihn zu überreichen! Dein Brief so sehr mich auch die Kürze in dem ersten Augenblike abschrekte – hat mir viel Freude gemacht – und die kleine elegante Epistel an Maria nebst denen treflichen Versen gewiß nicht weniger – recht schön hast Du es eingerichtet daß Du sie doppelt geschikt! natürlich! daß ich das eine welches nicht die Länge des Stambuches hatte behalten habe! ich hatte große Lust den Inhalt auf die Eleganz auch abzuschreiben da aber eben eine Gelegenheit nach Sachsen gieng – und ich fast den ganzen Sontag meiner alten guten von Seidliz widmen muste – und auch noch an die Arndt – und Maria schreiben – gewann ich nicht so viel Zeit – viel Freude wirst Du dem lieben Weibe damit machen – denn schon der | Anblik das äußere Format und die Schrift ist recht lieblich anziehend und dann die Sache selbst – so natürliche Ergießung Deines innern – was habe ich Dir aber erst alles das hergesezt – das weist Du ohne mich! dergleichen Schreibmaterialien waren es wohl welche Du der Herz verehrtest – Du köntest mir dergleichen schöne Formate mit Geschwister Goerlizens schiken, die zu Anfang künftgen Monats hieher reisen – doch nicht für mich denn zu meinen Buchstaben wäre es Schade! sondern um mancher kleinen Freuden die man Andern damit machen könte – – Deine Verwunderung – ist mir nicht ganz unerwartet gekommen – über das sorgsame Zumachen meines Briefes an Comtesse Friderique – Dein Egoismus scheint darunter zu leiden daß Du als Mediateur dieser Näherung, ihn nicht zuerst liesest – und der meinige fürchtete zu leiden – wenn Du manches daran auszusezen fändest wie das wohl leicht zu vermuthen ist – mein Stil – ist von dem Deinen sehr unterschieden – eben so wie die Art der Unterhaltung – kurz ich fürchtete viel dabei, und werde es meiner Vorsicht unbeschadet wohl doch nicht entgehen – denn wenn Du ihn auch nicht öfnest – theilt Dir ihn vielleicht Louis mit – welches ich dem Edlen aber verzeihe – wie könte ich auch anders? Frideriquens Aussehen habe ich schlecht gefunden – Sie war mehr gelb als blaß – aber dabei viel Geist – und eine liebenswürdige Haltung! während der Zeit wird sie schon wieder viel gewonnen haben |
den 21ten
Wenn Du das so mit ansehen köntest wie ich von allen Seiten recht geprüft werde – Du würdest Dich eben so wundern und mich vielleicht noch mehr bedauern als ich Dich über den Wirwar in dem Hause und der peinlichen Kleinlichkeiten die damit unausbleiblich verbunden sind. Etwas will ich Dir nur anführen, und das ist, das imerwährende Schweigen des Charles der auf meine 4 Briefe noch imer antworten soll – in welchen mehrentheils andre Bestellungen – und der lezte zu seinem Geburtstag gemeint war – dis ist denn noch das wovon sich sprechen läst – und freilich allerlei sorgsame Gedanken erregt – andre Sachen aber – die mein ganzes inres von einer andern Seite berühren – muß mann mit ansehen um mit mir zu empfinden – da möchte ich wohl mit Recht sagen: „Weh mir daß ich ein Herze in meinem Busen trug daß auch bei andrem Schmerze – so treu so zärtlich schlug“ – usw. – das Gedicht von der Sehnsucht nach dem Tode! ist ganz vortreflich! und wenn Du Dir überlegst daß es eben ankam, da die 1ten Tage dieses Monats – der Verlust unsers Vaters so schmerzhaft durch die davon erhaltne Nachricht – und das verschiedne Theilnehmen – sich wieder erneuerte so kanst Du glauben daß mir es doppelt genießbar war! und bleiben wird – diese Sehnsucht mit dem Bilde der Vorzeit zusamengestelt – ist ein herrlicher Gedanke! |
den 9ten October 1800
Eine ganz ungeheure Epistel wird es – die doch endlich fort muß – an ihrem langen Außenbleiben ist die Aulock Schuld – die mir noch imer nicht das Document wieder geschikt hat – gestern als sie eine Viertelstunde Hier verweilte löste sich das Rätsel – daß es die Trefliche als ein Geschenk von mir geachtet – und es deshalb wer weis wo verliehen hat – Du wirst es ihr nun schon verzeihen – und es bei ihr laßen müßen – vielleicht hat Wenzel Dir selbst eins mitgebracht – solte dis nicht geschehen sein so schike ich Dir das meine zum Durchlesen aber nicht auf immer – denn ich kan es nicht ganz entbehren. Gott wie ist mein inres so voll von manichfaltigen Gefühlen für Dich! die herschende bleibt ohne Frage der inigste Dank für Dein schönes großmütiges Anerbieten auf die FolgeZeiten – dis und so manches andre zusammen hat einen solchen total Eindruk auf mich gemacht – daß sich dis erst etwas lagern muste ehe ich mich äußern konte – auf Dein Verlangen habe ich mich zu Michaely an Charles gewendet und mir 5 rthr geben laßen – ich schrieb ihm diese Stelle aus Deinem Brief ab – und der Gute schikte mir es ganz gegen mein Erwarten mit der nächsten Post – Worte habe ich nicht Lieber! Dir meinen Danck zu bezeigen für die mir schon zugewandte als noch zu erwartende Unterstüzung – wenn meine wahre Besorgniß für Dein Wohlsein in jedem Betracht – und meine Mittheilungen über mich selbst und Alle die Dich hier interressiren – Dich lohnen kann – so will ich Dir – Genüge leisten –. Daß ich seit geraumer Zeit gegen Andre stiller – auch gegen entfernte Freunde nicht mehr so schreibseelig bin – habe schon öfters erwähnt – aber daß ich mich auch fast ganz untüchtig zu der Unterhaltung mit Dir finde – und Dir doch recht viel zu sagen habe – das ist fast | räthselhaft – wärest Du aber hier oder könte ich Dir alles weitläuftig erzählen dann würdest es inne haben – wie sie so mannichfaltig sich drängen – alle meine Gesichte und wie sie mein Sehnen in so verschiedner Art rege machen
O! sag mir Ahnen bist Du wahr? bist Du ein eitles Wähnen? Erlaube mir nur den folgenden Vers ganz auszuschreiben.
So harrt und hoft, so hoft und harrt das Herz bis hin zum Grabe
Mit Lieb umfaßts die Gegenwart – und dünkt sich reich an Haabe
Die Haabe die das Herz ihm schaft kann ihm kein Schiksaal rauben
Es lebt und webt in Wärm und Kraft in Selbstgefühl und Glauben.
Diese Epistel ist unter so verschiednen Datis geschrieben, wenn wir Uns die Tage gegenseitig bezeichnen könten, so würde sich es gewiß ausweisen, daß Du an Denen und auch an Andern wo ich ohne zu schreiben so herzlich an die treflichen Dohnas dachte – mit diesen Edlen zusamen warest – denn eine Simpathie der Geister glaube ich sehr stark – habe schon manche Erfahrung gemacht und mehrere noch würden erhellen – wenn sich alle SeelenGänge austauschen ließen – dis laßen aber gewiße Verhältniße auf dieser ekigen Kugel durchaus nicht zu!!! Und doch ist es so süß – diesen Einklang der Seelen zu finden – auch nur zu ahnden – vielleicht sind diese Ideen Dir nicht so neu, in mir, als ich glaube aus mehreren meiner Briefe wirst Du schon etwas ähnliches heraus gefunden haben – daß Du mir von Hülsen so etwas ausführliches meldest eben da ich ohne Dein Wißen so gründlich nach ihm frug – ist mir recht merkwürdig – mich hat dieser Nahme bald interressirt – natürlich daß seine Schiksaale mich mehr und näher mit ihm bekant machen[;] der Andre Mann [Bondach] genant – ist mir ganz neu!!! aber wie sonderbar – daß bei Grunow! Sie der Leidende – und hier | Er der P... – Seit den 3 Jahren daß ich auf ihr beiderseitiges Verlangen dort ein und ausgehe – habe ich viel, sehr viel, gelernt – hören, sehen, und doch schweigen – bei ihren Mittheilungen die ins grobe fallen – und Gott sei Dank mir selten vorkomen – mich mit wenig Worten – klug zu benehmen – und bei seinen Winken – in kranken Tagen – zwar Theilnahme – aber doch nicht mein eignes Gefühl – auf ihn hinüber zu tragen – Bis hieher gieng dis – aber seit einigen Wochen da der Gute einen so harten Kampf bestand – der noch nicht zu Ende wurde die Mittheilung auf seiner Seite – deutlicher – und, einzig und hätte mich nicht selbst die Frau einladen laßen auf den Glazhof ich würde mir gewis Vorwürfe machen! hier seh ich Dein Gesicht in düstre Falten ziehen – und meiner Bedenklichkeit lachen – das würdest Du freilich nicht wenn Du das Weib kentest – die mir zwar noch keinen Streich gespielt – aber Andern die wohl auch ihre Rolle anders spielten – – Peistel sagte mir auch das lezte mahl – was er noch nie berührt, was es ihm Freude machte – „daß ich mit seiner Frau noch nie in einem WechselGange gestanden“! – Dieser Kampf ist nach seiner eignen Aussaage der schwerste in seinem Leben – und betrift seine Kinder die er mit dem schreklichsten TrenungsGefühl im May nach Nisky that – und nun seit einigen Wochen wieder bei sich hat – beides ihre Entfernung und Nähe macht ihm Plage – vorher! da er das Bedürfniß fühlte als Vater auf sie zu wirken – und jezt – da er sich zu schwach dazu dünkt – besonders auch mit dem Hofmeister nicht zufrieden – und endlich auch | in Rüksicht seiner Frau – welche in aller Absicht nicht pünktlich genug – ist der Plan der Erziehung im Hause ganz unausführbar – um so mehr da, er, so peinlich ist – – Seine gröste Angst ist dis – daß er noch in den eigentlichen schreklichen Zustand der in seiner Familie leider gewöhnlich, versezt werden möchte – das heist nicht nur melancolisch denn das ist er schon öfters – sondern auch in dieser Stimmung gar seinem Leben ein Ende machen – wie es fast alle seine Schwestern und Verwandten gethan!!! – dis nur so in wenig Worten – doch genug für Dich um so manches Dir auszumahlen – was ich in meinem vorigen sagte – und verschwieg – und daraus zu erachten – wie heilsam für mich selbst wenn ich nur selten hingehe – nur 4 mahl war ich seit May dort bei Peistels – seit denen leztern Mittheilungen hatte ich manche schlafloose Nächte – bei meiner Reizbarkeit Empfänglichkeit – und in mich verschließen – wohl nicht anders möglich! – Du bist also nicht der Verfaßer von der CalenderGeschichte? – von andern Schriften habe ich nichts gehört – das Werk was Du jezt in der Arbeit hast möchte ich wohl lesen – recht angenehm wäre es mir wenn Du mir es im neuen Jahr schiken woltest[;] bei so manchen Piecen ohne Nahmen die in den Zeitungen angezeigt sind – dachte ich freilich Dich als den Verfaßer – ich sehe aber nun daß Du Dich nicht mit theatralischen Werken einläst. Noch eins nicht zu vergeßen – einge Stunden vor Ankunft Deines leztern Briefes – erschien hier eine Madame Kersten aus Landsberg, die nach mir frug – Dich kent – und mir viel Grüße vom Onkle und der Benike mitbrachte! eine ganz eigne Geschichte in dem Leben Deiner
Lotte S.
*Von dieser Treflichen kan ich melden – daß sie von ihrem Hofmeister der 8 Tage dort ist die beste Hofnung [hat] – Line will sie aus dem Hause geben nächstens mehr davon.
Eigentlich wolte ich die 2 starken Bogen noch auf feines [Papier] abschreiben – aber ich habe nicht Zeit – Verzeihe
Wenn die edlen von Dohnas noch in Berlin so empfiehl mich Allen – und leg diese Epistel so lange weg
Metadata Concerning Header
  • Date: 17. August bis 9. Okotber 1800
  • Sender: Lotte Schleiermacher ·
  • Recipient: Friedrich Schleiermacher ·
  • Place of Dispatch: Gnadenfrei ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Abt. 5, Bd. 4. Briefwechsel 1800 (Briefe 850‒1004). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1994, S. 195‒206.

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