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Wilhelm Heinrich Wackenroder to Ludwig Tieck TEI-Logo

Sonnabend, Abends, den 5ten May.
Liebster Tieck,
Dein Brief hat mir unaussprechliches Vergnügen gemacht; ja, er hat mich wirkl. bis zu Thränen gerührt. Wenn Du weißt, wie weich ich bin, wirst Du mir das glauben. Tieck, ich bin entzückt, daß Du mich so liebst! Werther sagt ganz himmlisch schön, daß er sich selbst anbetete, wenn seine Geliebte ihm die Neigung ihres Herzens kund thäte, – und er wiederhohlt sich selbst einmal über das andre die Worte: Lieber Werther in dem Tone wie sie sie ihm ausgesprochen hat. O Tieck, ich möchte mich auch selber anbeten, wenn ein Mensch, wie Du, dessen Worte mir Orakel sind, mich so mit dem veredelten Bilde meiner selbst in Rausch und Taumel versetzt. Und wenn ich ja in Deinen Augen etwas werth bin, wem hab’ ich es anders zu danken, als Dir? Dir verdank’ ich Alles was ich bin, Alles! Was möchte aus mir geworden seyn, wenn ich Dich nie kennen gelernt hätte? O Tieck lies Dir diese Worte mit Feuer vor, und sey stolz darauf, daß Du einen Menschen auf immer glücklich machst durch Deine Freundschaft, – so stolz als ich bin, daß Du mich würdigst mein Freund zu seyn. Bleib es, lieber T., bleibs; Du weißt daß ich in alle Ewigkeit Dich über alles lieben werde.
Herzlich freue ich mich, daß Du so schön und angenehm jetzt auf dem Lande lebst. Ueber Deinem ganzen Briefe schwebt ein so sanfter, schöner, heiterer Geist des Frohsinns, den Dir das Ergötzen an den Naturschönheiten eingeflößt hat. Suche ja in dieser Stimmung zu bleiben, und befolge ja doch selber die Regel, die Du Bernhardi giebst, nicht so viel zu sitzen. Möchte übrigens Deine traurige Ahndung seinethalber, nicht eintreffen. Er ist so freundschaftlich u wirklich zärtlich gegen mich, als ich es nur immer erwarten kann, und ich werde ihm sehr, sehr gut. Wir sprechen nicht selten von Dir. Gestern bin ich mit ihm im Komödienhause gewesen; wo sich eine Mamsell auf der Harmonika hören ließ. Er hörte das Instrument zum erstenmal, und freute sich sehr darüber. Ich hörte es (zum 3tenmal) mit sehr vielem Vergnügen. – Wenn ich in ein Konzert gehe, find’ ich, daß ich immer auf zweyerley Art die Musik genieße. Nur die eine Art des Genußes ist die wahre: sie besteht in der aufmerksamsten Beobachtung der Töne u ihrer Fortschreitung; in der völligen Hingebung der Seele, in diesen / fortreißenden Strohm von Empfindungen; in der Entfernung und Abgezogenheit von jedem störenden Gedanken und von allen fremdartigen sinnlichen Eindrücken. Dieses geizige Einschlürfen der Töne, ist mit einer gewissen Anstrengung verbunden, die man nicht allzulange aushält. Eben daher glaub’ ich behaupten zu können, daß man höchstens eine Stunde lang Musik mit Theilnehmung zu empfinden vermöge, und daß daher Konzerte u Opern u Operetten, das Maaß der Natur überschreiten. Die andre Art wie die Musik mich ergötzt, ist gar kein wahrer Genuß derselben, kein passives Aufnehmen des Eindrucks der Töne, sondern eine gewisse Thätigkeit des Geistes, die durch die Musik angeregt und erhalten wird. Dann höre ich nicht mehr die Empfindung die in dem Stücke herrscht, sondern meine Gedanken und Phantasieen werden gleichsam auf den Wellen des Gesanges entführt, und verlieren sich oft in entfernte Schlupfwinkel. Es ist sonderbar, daß ich, in diese Stimmung versetzt, auch am beßten über Musik als Aesthetiker nachdenken kann, wenn ich Musik höre: es scheint, als rissen sich da von den Empfindungen die das Tonstück einflößt, allgemeine Ideen los, die sich mir dann schnell u deutlich vor die Seele stellen. – Wie ich bey Schauspielen die Musik zwischen den Akten genieße, habe ich Dir wohl schon sonst gesagt. Die erste Symphonie vor dem ersten Akt, höre ich immer mit gespanntem Gefühl u inniger Theilnahme an; aber bey allem folgenden ist mir das unmöglich, und ich sehe die Zwischenmusik nur als eine Leinwand, als ein Tuch an, (dies Bild hab’ ich mir schon immer davon gemacht,) worauf ich mir die Scenen des vergangenen Aktes noch einmal vormale. Wird die Musik alsdann unterbrochen; so ists, als würde mein Gewebe zerrissen, und ich habe nichts woran ich die Bilder meiner Phantasie anheften kann. Hat jeder dies Gefühl?? Ich möchts gern wissen.
Rambach hat mir einen Theil einer neuen Ausgabe von Sineds (Denis) Liedern geliehen. Die Ausg. ist in 4to 1791 in Wien prächtig gedruckt, (so wie hier Unger druckt.) und enthält in 6 Bänden die Uebersetzung Ossians, u die eigenen Gedichte. Ich lese jetzt die/se, worunter auch seine Uebersetzungen alter nordischer Gedichte, aus der Edda usw. mit aufgenommen sind. Er scheint zu denen zu gehören, welche gerne die schönen Götter des griech. Parnaßes, mit den schlechten Dichtern, deren heisere Stimme ihre Namen entweiht hat, in Eine Polterkammer werfen, und die alten nordischen Gottheiten aus ihrem langen Schlummer erwecken und auf den Thron der Dichtkunst setzen wollen. Aber dies widerstreitet noch immer meinem Gefühl. Daß die alten Barden u Skalden der Natur treu auf der Spur folgten, und die Empfindung rein u ungeschminkt darstellten, weiß ich. Auch find’ ich in manchen von Denis Uebersetzungen, sanfte, wenigstens sich dem sanften nähernde Stellen, die den Stempel der Natur an sich tragen. Und daß die Eigenthümlichkeit der Bardenlieder, die sie fast alle zu Kriegsliedern macht, worin Tapferkeit und Muth im wilden Schlachtengetümmel als die erhabensten Männertugenden gepriesen werden, daß dieses ein Anstoß für den gebildeten Ton unsers Zeitalters sey, fang’ ich auch an, nicht mehr zu glauben. (Denn gern überzeug’ ich mich von Deinem Grundsatz: „ein wahrer Dichter macht alles dichterisch-schön.“) Allein, – wird es ein Gewinn seyn, wenn wir die ausgebildete Mythologie des edelsten, feurigsten, feinsten Volks das je die Erde trug, mit dem rohen Wuste der alten Nord. Barbaren vertauschen? Und was ist der Grund? Denis will blos darum Barde u Skalde seyn, weil Odin u Thor usw. sonst vaterländische Götter waren. Dieser Grund ist mir nur sonderbar. Was will man denn in unsern Zeiten mit dieser Vaterlandsliebe? Doch scheint jetzt eine gewisse Mode hierin zu herrschen. Gemeine Schullehrer scheinen wirklich zu glauben, daß sie wer weiß wie große Fortschritte in der Pädagogik gemacht haben, wenn sie ihren 8jährigen Knaben jetzt die Brandenburg. Gesch., als Gesch. d. Vaterlands recht weitläuftig erzählen. Ein Bürger, oder sonst einer der nicht Gelehrter werden will, braucht doch wahrl. in unsern Zeiten, im Grunde die vaterländ. Gesch. so wenig als eine andre; und es würde nach meiner Meynung also zweckmäßiger seyn, wenn man irgend eine interessante Gesch., ohne Rücksicht, ob dieses oder / jenes alten oder neuen Volkes? – in unteren Schulen vortrüge. – Wie gesagt, ich glaube man könnte eine ganze Menge Gründe wider die unzeitige Vaterlandsliebe von Denis u seiner Anhänger, vorbringen. Wer noch jetzt die Trümmer der nord. Mythol. zu einem Gebäude zusammensetzen, und die Lücken ausfüllen wollte, würde ein schönes Flickwerk zu Stande bringen. Und es ist doch gar nicht zu läugnen, daß bey aller vortrefflichen, großen Simplicität, bey aller der erhabenen und feurigen Phantasie, die die alten nord. Dichtungen zeigen, dennoch so viel Ungeheures was ans Lächerliche u Ungereimte gränzt, so viel schwerfälliges, so viele entsetzlich harte, unschmackhafte Bilder vorkommen, daß man, wenn man beständig sein Auge auf die eingepelzten Götter Skandinaviens heften wollte, allen Sinn für ein sanftes Griechisches Profil verlieren würde. Der Unterschied ist wie Nebeldämmerung u Morgenröthe, wie – – nun Du magst Dir selbst Vergleichungen aussinnen.
Ehe ichs vergeße: Bernhardi hat neulich einen neuen Terminus gehört, den er mir als einen Beytrag zu unserer berühmten kauderwelschen Sprache sogleich mitgetheilt hat. Ich sagte ihm, ich wollts Dir schreiben. Gieb Acht, Faveta linguis. Statt: Geleuchtet, – Geluchten!
Heute fand ich in der Allg. Deutsch. Biblioth. recensirt: Poetische Versuche von Hamann. Ist denn das der unsrige? Mich dünkt, eine schläfrige Erinnerung sagt mir halblaut ins Ohr, daß er einmal in die Berlin. Zeitung ein Gedicht eingerückt hat. Die mitgetheilte Probe die ich in dem Journale las, war vom Schlage des Gewöhnlichen; zuweilen schien der Reim auch den Sinn der darin hätte liegen können, geraubt zu haben. Der Recens. urtheilte auch so.
Spillner habe ich nur noch Einmal besucht. Er wird wohl diesen Donnerstag abgereiset seyn. – An Piesker schreibe ich, was Du verlangst, (morgen nämlich,) u bitte ihn, mir auf alle Fälle zu antworten, damit, wenn er auch in der kurzen Zeit, die Du noch in Bülzig bleibst Dich nicht sollte sehen können, ich Dir doch den Grund seines Ausbleibens künftig schreiben kann. – Den Brief an Deine Schwester habe ich abgegeben, und dabey Deine liebe Stube wiedergesehen. Wäre ich Alexander, so würde ichs mit der eben so machen wie jener mit Pindars Hause. Sie müßte eine ewige Reliquie bleiben, wenn auch ganz Berlin untergienge. Ich werde die Stube nie ohne Rührung nie ohne von wehmüthigen Erinnerungen gepreßt zu seyn, ansehn. Es ist eine herrliche Stube!
Könnte ich doch bey Dir seyn, und auch mit Deinem allerliebsten Lamme spielen. Die Mutter von Matthison würde mir wie Dir, eine sehr interressante Bekanntschaft gewesen seyn. – Was Schmohl betrifft, so grüß ihn herzlich. Ich sollte denken, daß Dein Feuer nothwendig durch längern Umgang in sein kühleres Blut übergehen, und ihn immer mehr vom Felde der trockenen Betrachtung abziehen müßte, um ein Jünger Deiner Göttinn, der Phantasie, zu werden.
Es ist bald 12 Uhr, Nachts. Ich lege mich jetzt schlafen. Ich merke daß es eine wahre Wonne ist, an Dich zu schreiben. Selig, seelig ist der Tag, den ich mit dem Gedanken an Dich beschließe. Er wird mich auch im Schlafe nicht verlassen. Träume Du auch von mir. Denkst Du jetzt an mich? Oder träumst Du von mir? – Eine allerliebste schmelzend-sanfte Elegie von Voß fängt an:
„Denkt mein Mädchen an mich?“
Es ist eine höchst natürliche schöne Empfindung darin. – Jetzt hat es grade 12 geschlagen. Gute Nacht. Tieck, fliege her, u ich drücke den feurigsten Kuß auf Deine Lippen. Gute Nacht, der Himmel sey mit Dir! Gute Nacht!
Den 6ten May, Sonntag, Morgens.
Sieh! ists nicht schön, daß ich mit dem Gedanken an Dich zu Bett gegangen, u mit dem Gedanken an Dich wieder aufgestanden bin? – Du siehst, / daß ich prompt im Antworten gewesen bin. Meinen ersten Brief, den Rambach eingeschlossen hat, wirst Du wohl empfangen haben. Ich schrieb ihn grade an demselben Tage da Du Deinen schriebst, d. 1sten May. Du wirst mir nun wohl nicht eher, als aus Halle antworten; aber wenn Du kannst, erfülle meine Wünsche bald. Ich werde mein Versprechen in Ansehung des Schreibens gewissenhaft halten. – Noch eins! Sey so gut u mache künftig keinen Brief an mich mehr, frey. Wozu sollst Du meinetwegen unnütze Ausgaben haben? Hörst Du? Du mußt es aber auch gewiß thun. Es bleibt dabey. –
Ja lieber, bester Tieck, wir müssen uns auf Michaelis wiedersehen, ich harre sehnlich auf diese Zeit. O auch mir ist das Andenken an unsre Spaziergänge das heiligste, das ich kenne. Du kannst wohl leicht denken, wie ich mich itzt im Thiergarten befinde, wann ich ihn besuche; Jeder Gang, jeder Baum ruft mir Dich zurück; bey jedem Schritte, denk ich an Dich, und will Deinen Arm in den meinigen nehmen, und fühle daß mir immer etwas fehlt. Aber dennoch, – oder, was sag’ ich – vielmehr eben deswegen, werd ich den Thiergarten noch beständig, u häufiger als jeden andern Ort mit Vergnügen besuchen. Die Bäume darin prangen itzt mit dem herrlichsten, frischesten Grün; einem Grün das man im Sommer in der verdörrten u versengten, u bestäubten Farbe des Laubes gar nicht mehr wiedererkennt. – Mitschicken kann ich Dir noch nichts. Ich habe seit Ostern noch so viel fatale u häßliche Abhaltungen gehabt, daß ich kaum meine gemeinen Alltagsverrichtungen habe thun können.
Ein recht ärgerlicher Streich! u ich bin Schuld daran. Ich erfahre eben, daß, da die Post heute früh um 9 Uhr abgeht, die Briefe schon gestern Abend um 7 hätten hin gebracht werden müssen. Meine dumme Unwissenheit hat also über meine Gutwilligkeit, Dir gleich zu antworten, den Meister gespielt. Verzeihe mir’s. Der Brief könnte nun erst den Mittwoch abgehn (nach Bülzig,) und weil er Dich alsdann vielleicht nicht mehr in Bülzig treffen sollte, so schicke ich ihn lieber nach Halle. /
Den 11ten May. Freitag, Mittags.
Ich vollende jetzt meinen Brief, und ärgre mich nochmals, daß meine Bereitwilligkeit mir u Dir nichts geholfen hat. Mein Brief wird Dich nun wohl in Deiner neuen Residenz in Halle begrüssen. An Piesker habe ich gleich geschrieben, und so dringend als möglich: aber die kalte, unbeugsame Seele hat mir nicht einmal geantwortet auf meine rührenden Klagen und Vorwürfe. Gestern Abend bekomm’ ich ganz unerwartet einen Brief von Wißmann.
Abends.
O Freude, o Freude! heut Mittag hab’ ich schon einen zweyten Brief von Dir bekommen; Du kannst gar nicht glauben, wie ich triumphirt habe. Aber Ein Ding ist sonderbar. Du hast meinen ersten kleinen Brief – (3 Oktavseiten lang, – es war nichts merkwürdiges darin) – den ich den Dienstag vor 8 Tagen, als den 1sten May an Rambach zum Einschluß gab, nicht bekommen. Und was noch sonderbarer ist: ich bringe heut nach Tische gleich den Brief an Deine Schwester, und sie sagt mir, sie hätte 2mal an Dich geschrieben, und in Deinen Briefen sagtest Du, daß Du auch nichts von ihr bekommen hättest. Liegt die Ursache von diesen Konfusionen in Einer Ursache? Ist der H. Fuhrmann in Wittenberg etwa Schuld? – Fast verdenk’ ich es Dir, daß Du nicht unruhig darüber geworden bist, oder nicht deswegen auf mich ein wenig mehr gescholten hast, daß ich, nach Deiner Meynung, noch nicht, wenigstens mit der Feder in der Hand, an Dich gedacht habe. Du weißt indeß nun den ganzen Zusammenhang und den Verlauf der Sachen: u ich werde also wohl in Deinen Augen exculpirt seyn.
Ist es denn wirklich Dein Ernst, lieber Tieck, daß Du mich nicht vergessen kannst? O! er muß es wohl seyn! Es hat mich recht gerührt, daß Du schreibst: „es war recht unvorsichtig von uns, daß wir uns die letzte Zeit in Berlin so oft sahen.“ Es hat mich recht gerührt. O Tieck Tieck ich habe es geglaubt, daß Du mir gut wärst; aber kaum, kaum hab’ ich es je glauben können, daß Du so zärtlich gegen mich denkst. Und daß Du mir nichts als wahre Empfindung Deines Herzens äußerst, weiß ich. Womit soll ichs Dir vergelten? Du demüthigst mich. – Ich breche ab.
Wie bist Du denn zu den ausgebreiteten Bekanntschaften in Koswig gekommen? Und, ums Himmels willen, wie ist es möglich, daß Du in einer Gesellschaft so lange hast Karten spielen können? Das ist ja ganz schrecklich. Ich glaub’ ich hätte vor Aerger geweint, wenn ich Dich in eine solche Situation geklemmt gesehen hätte, – Dich am Spieltisch, dem Thron von Affen u Laffen, – Dich! Es ist wahrlich viel! Ich bedaure Dich. – Auch die andre Gesellschaft die Du in Koswig gehabt hast, muß gar herrlich für Dich gepaßt haben. Aber daß Du Karten spielen mußtest, u in die Nacht hinein, das ist mir noch immer das schauerlichste. Ich kanns gar nicht vergessen. Das Fatum muß noth/wendig einen Fehlgriff in der Urne gethan haben, da es das Looß dieses Tages für Dich zog: das fatale Fatum!
Du stiehlst meiner eigenen Werkstätte von Gedanken etwas, wenn Du mir die Bemerkung machst, daß um das Große in den schönen Künsten zu fassen, ein selbst groß u erhaben denkender Geist der Kritiker seyn müsse. Das hab’ ich schon immer gedacht, und, wenn ich nicht irre, Dir auch schon gesagt. Aber das was Du hinzusetzest, kann ich nicht ganz billigen. Ich weiß nicht recht, warum das Erhabene Dich eher zu Thränen rühren sollte, als das Empfindsame. Ad vocem Empfindsam, will ich Dir doch einen Zweifel u eine Bemerkung mittheilen. Ich bin nicht recht mit mir einig, was man eigentlich Empfindeley nennen solle. Mir scheints am Ende blos affektirte Empfindung zu seyn; ich will Dir sagen, warum. Empfindungslose Empfindsamkeitspötter nennen oft etwas Empfindeley, was an sich schöne, feine Empfindsamkeit ist, und nur dann falsche Empfindung, oder Empfindeley wird, wenn jemand es affektirt, zu haben. Ich sehe z. B. nicht ein, warum der Vorsatz, nicht aufs Feld gehen zu wollen, weil man da mit jedem Tritt eine Menge kleiner im Sonnenschein spielender Geschöpfe vernichtet, – in gewissen Situationen, auf eine kurze Zeitlang, nicht wahre, ächte Empfindung seyn sollte. Sagt aber jemand, der an der Modesucht krankt, solche Dinge, und sehe ichs ihm an den unnatürlich verdrehten Augen an, daß er gern beliebte Paradoxa hervorbringen will, kurz, erkenn’ ich an ihm die Symptome der Affektation; so würde ich sagen: er empfindelt. Denn an sich sehe ich nicht ein, warum es nicht möglich seyn sollte, bey allen Dingen unter der Sonne, unter gewissen Umständen, etwas zu empfinden. Und wenn jemand in eine Stimmung versetzt wird, daß er Empfindungen in seinem Busen fühlt, in welchen er noch keinen Vorgänger gehabt; so muß diese seine Empfindung doch für ihn wahr u richtig seyn. Oder willst Du noch falsche Empfindung, u Empfindeley unterscheiden? Ich habe mich verirrt, und erwarte Deine Fackel in diesem kleinen dunkeln Labyrinth. – Sey so gut, und belehre mich doch über dergl. Anfragen, Dubia, usw., wenn Du Lust hast. –
– – Um noch einmal zu Deiner Materie vom Erhabenen zurückzukehren, so scheinst Du mir da etwas verwechselt zu haben. Daß das Erhabene Dich in eine Art von Wuth, d. i. in den höchsten Paroxismus der Begeisterung u Entzückung versetzt, will ich glauben. Aber Thränen kann wohl nur das Rührende entlocken, – und, – (wie wir es mündlich ausgemacht haben,) – das Schauerliche, Schreckliche.
Daß Schmohl durchaus kein freywilliger Diener der Musen werden, nicht auf dem Altar der Grazien opfern will, wundert mich doch. Sein fremdes, / frostiges Betragen gegen Deinen vertrauten Freund Shakespear, muß Dich wohl natürlich beleidigt haben. Sollte Dein Geschmack denn gar nicht an seiner Denkungsart abfärben, wie an der meinigen?
Bernhardi hab’ ich in dieser Woche Einmal, Rambach zweymal nicht zu Hause getroffen. Daher hab’ ich mir von diesem auch noch nicht Deine Anna Boleyn geben lassen können, so gern ichs gethan hätte. Es geschieht aber noch: ich werde sie noch aufmerksam lesen, und so viel ich kann, Dir darüber sagen, wenn auch nur in Kleinigkeiten. – Unter allen den Abhaltungen, die mich an tausend Dingen verhindert haben, nur nicht an Dich zu denken u zu schreiben, habe ich denn doch auch eine höchst angenehme gehabt. Du weißt, oder weißt nicht, daß ich in Sachsen, bey Jena, einen Freund habe: er ist es wirklich, denn ich schätze ihn sehr, u habe mich überzeugt, daß er zur Freundschaft geschaffen ist. Vor ein paar Jahren lernte ich ihn hier kennen; u seitdem habe ich meinen unterbrochenen Umgang mit ihm durch Briefe fortzusetzen gesucht. Sein Nahme? Er heißt Schuderoff, u ist Prediger in Drakendorf u Zöllnitz, 1 Meile von Jena: ein liebenswürdiger junger Mann, dessen jugendlichschöne, feine Gesichtsbildung eine geläuterte Denkungsart u ein edles Herz ankündigt. Er ist zum Besuch hier; u kommt bey seiner Rückreise vielleicht durch Halle. Er ist Kantischer Philosoph, und hat neulich Briefe über die moral. Erziehung herausgegeben, die ich itzt lese; u die recht schön sind. Zweymal bin ich mit ihm im Thiergarten gewesen. Das frische Grün ist da ganz zauberisch schön. Die gewölbten Birkenalleen sind das lieblichste Bild des Frühlings. Und weißt Du wohl was ich gestern in der gekreuzten Birkenallee für eine Freude hatte? Du wirsts errathen. Verschwunden war die verdammte Statue ohne Kopf. Ich möchte wissen, welcher gute Genius sie fortgeschleppt, oder in die Tiefen der Erde hinuntergeschleudert hat. Der Gang ist nun noch einmal so schön.
Vom Theater willst Du etwas wissen. Hier ist etwas fragmentarisches, so viel ich Dir geben kann. – Vor einiger Zeit ist ein neues Stück von Jünger: die Geschwister vom Lande, gegeben, das nicht vorzüglich seyn soll. Die Hagestolzen u Axur werden oft wiederholt. Ein gewisser Lißner scheint hier zu bleiben; u ein anderer Schauspieler, Garly, soll auch hier engagirt seyn. Dieser soll eine sehr schöne Bildung haben, u viel Anlage besitzen. Diesen Mittwoch ist Emilia Galotti aufgeführt: ein durchreisender Däne, H. Preisler, hat den Prinzen, u Garly den Marinelli gespielt. Ob es wahr ist, daß / Czechtizky u Mattausch noch wegkommen werden, weiß ich nicht. – (N. B. Seit dem Don Juan, der, als Du in Fredersdorf warst, gegeben ward, bin ich nicht im Schauspiel gewesen.)
Dank für das kleine Gedicht von Deinem Freunde Toll. Es ist süß u lieblich, und wird mir sehr werth bleiben. Ich werds, wie Deine Briefe, als ein Kleinod aufbewahren. – Verzeihe nur meiner Armuth, daß ich Dir jetzt unmögl. etwas mitschicken, und meinem Mangel an Zeit, daß ich Dir nicht etwas abschreiben kann. Wolltest Du so gefällig denken, die Länge meines Briefes als einen Ersatz dafür anzunehmen? – Unsre Korrespondenz soll sich nun nicht wieder verwirren. Du bist wohl so gut, u schreibst mir zuerst wieder, wenn ich nicht zu viel verlange. Doch schreib so wenig oder so viel Du Zeit hast; je mehr natürlich, je besser, aber nur bald. Doch beinahe möcht’ ich glauben, mit diesem dringenden: Bald, Deine Delikatesse zu verletzen, weil mir Deine 2 schnell aufeinander folgenden Briefe eine sehr hohe Idée von Deiner reizbaren Briefschreibethätigkeit, eingeflößt haben. Ich werde Dir dann gewiß bald antworten. Oder hoff’ ich zu vorschnell, und bin ich unbillig wenn ich von Halle auch, wo Du in mehr Verbindungen u Geschäfte kommst, so oft etwas von Dir zu lesen erwarte? – Aber was schwatz’ ich denn? Du bist mein Freund, und wirst schon wissen was mir gut u lieb ist. So will ich denn mit festem Muth auf Dich hoffen, u mein Vertrauen allein in Deine Freundschaft setzen.
Den 12ten May Sonnabend,
Mittags.
Von Denis eigenen Oden, Elegien u Liedern muß ich Dir noch sagen, daß mir manches sehr darin gefallen hat. Am schönsten dünken mich die Gedichte zu seyn, die er Klagen nennt: z. B. über Gellerts Tod, über den Mißbrauch der Dichtkunst, usw. Der letztere Gegenstand ist vortrefff behandelt. Da wirds recht mit lauten dreisten Worten unserer entarteten Dichterrepublik gesagt, daß nur Empfindung, Empfindung der Genius seyn solle, der das Lied beleben könnte; daß Witz ein verzogenes Kind sey, das nur jenseit des Rheins zu Hause gehöre; und mehr dergl., was, wie Du weißt, schon lange meine Herzensmeynung gewesen. „Soll Witz, soll Witz im Liede seyn?“ fragt Denis, u ich frags mit ihm.
Ich habe nicht länger Zeit; u muß Dir also ein herzl. Lebewohl sagen. Sag mir doch manchmal Deine Meynungen über meine Meynungen, die ich Dir so in meinen Briefen äußre. Schreib mir nur ja bald, recht bald; ich antworte dann gewiß auch bald. Sorge für Deine Gesundheit, u grüße Halle. O die liebe Reichardsche Familie! Wenn ich doch Miekchen auch sehn könnte! Grüße sie herzl. von mir; auch Schmohl; auch die kleinen Mädchen bey Reichards, die ich noch alle bey Namen weiß. Vielleicht versucht meine Muse bald wieder eine Kleinigkeit, ich schicke sie Dir dann. Schreib mir bald, u bleib’ mein Freund. –
W. H. Wackenroder.
Metadata Concerning Header
  • Date: 5. bis 12. Mai [1792]
  • Sender: Wilhelm Heinrich Wackenroder ·
  • Recipient: Ludwig Tieck ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Halle ·
Printed Text
  • Bibliography: Wackenroder, Wilhelm Heinrich: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 2: Briefwechsel, Reiseberichte. Hg. v. Richard Littlejohns u. Silvio Vietta. Heidelberg 1991, S. 28‒37.
Manuscript
  • Provider: Goethe- und Schiller-Archiv
Language
  • German

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