Halle, am 29. May 1792.
Lieber W.!
Daß ich Dir so lange nicht geschrieben habe, mußt Du schon entschuldigen, da ich es nicht entschuldigen kann. Ich kann es nicht begreifen, ich denke täglich, stündlich u. augenblicklich an Dich, ich weiß, was ich Dir schreiben will – und doch ist es nicht geschehn. Ich hatte aber auch heute einen Brief von Dir vermuthet, denn wir werden es doch wohl so genau nicht nehmen, daß einer nicht eher wieder schreibt, bis der andre geantwortet hat.
Dein neulicher langer Brief war mir in meiner Einsamkeit eine rechte Freude. Lieber W., Du hast mich bis zu Thränen gerührt, Du sprichst noch eben so, wie Du in Berlin sprachest, das heißt mit freundschaftlichem Enthusiasmus, mit einer Schwärmerei, die jeden meiner Fehler mit einem dichten Vorhang bedeckt, – wenn einst dieses Feuer erlöschen sollte, lieber W., Du dann meine Fehler und Schwachheiten sähest u. Dir dann meine Freundschaft gleichgültig würde. Daß Du immer so mit mir sprichst, kann und darf ich nicht erwarten, aber bester W., laß es nie so weit kommen, daß Du mich verachtest, daß Dich gereut, einst so mit mir gesprochen zu haben. Doch nein! Diese Besorgniß gehört mit zu denen, welchen ich keine Wohnung in meiner Brust einräumen darf, sie ist auch unnütz; das weiß ich, ich kenne Dich zu gut, so lange Du der bleibst, der Du jezt bist, so lange kann ich auch Deiner wärmsten Freundschaft versichert sein, u. so sehr wirst Du Dich nicht ändern können, daß Du je meine Liebe verkennen solltest, denn sonst – ach! liebster Freund, die Thränen treten mir in die Augen, diese Gedanken versetzen mich in eine Stimmung, die nichts als die Rückerinnerung an jene mit Dir durchlebten Stunden mildern kann. Ich breche ab um Dich nicht auch traurig zu machen.
Du giebst Dir in Deinem Briefe alle mögliche Mühe mich stolz zu machen, lieber W., aber es soll Dir nicht gelingen. Du hättest mir etwas zu danken? O wüstest Du, wie viel ich Dir schuldig wäre! – Alles! Warst Du es nicht, der mich von der trübsten Schwermuth heilte? Gab mir Dein Umgang, Deine Freundschaft nicht alles zurück, was sie mir zurückgeben konnte? Du hast alle meine Gefühle verfeinert und veredelt, Du bist jezt fast der einzige Mensch, der mich wirklich kennt und der mich versteht. Was ich Dir alles zu danken habe, das empfinde ich erst jezt recht lebhaft, jezt, da ich Deiner Freundschaft entbehren muß, ich sehe oft nach der Gegend hin, nach welcher Berlin liegt, u. wie der Aufgang des Mondes steigen dann am fernsten Horizont alle jene Scenen auf, in welchen ich einst so glücklich war, sie sinken wieder unter und schwarze Nacht liegt beklemmend um mich her.
Wir hatten ausgemacht, daß ich der Hoffnung nicht weiter Raum geben sollte, daß Du ein Jahr oder ein halbes in Halle wohnen solltest, ich weiß nicht wie es gekommen ist, ich habe keine Schuld, diese Pflanze ward von mir gar nicht gepflegt, aber sie ist von selbst zum schönsten Baum emporgewachsen, ich fand ihn erstaunt und ruhe jezt, da ich es nicht mehr ändern kann, oft unter dem Schatten seiner breiten Zweige aus und betrachte über mir das Spiel der grünen Blätter und schöne Blüthen des Trostes fallen auf mich herab, – meine Schuld ist es nicht, schilt nicht auf mich, lieber W., ich kann wahrlich nicht dafür, und da diese Hoffnung jezt fast das Einzige ist, was ich habe, so gönne sie mir immer. Ich habe es nie so lebhaft gefühlt, als jezt, wie sehr ich Deiner bedarf, um zu leben, im eigentlichen Sinn, l. W., hast Du nur noch einiges Mitleid mit mir, o so komme künftige Ostern sicher, ich kann es sonst wirklich nicht aushalten, es ist mir hier alles so eng und einzwängend, alle meine Kraft versiegt, die reizende Natur verliehrt ohne einen Freund, der mit uns empfindet, alles Schöne, statt des Belebenden des Frühlings sieht man in jedem Wesen nur, wie ein jeder Athemzug ihn näher zum Grabe rückt, alles verdorrt und verlischt in meiner Seele, ich bin die wenigen Tage hier schon so traurig gewesen, als ich es seit einem Jahre nicht gewesen bin, ich empfinde bloß, was ich verlohren habe und nicht was ich besitze; o lieber W., wenn Du es doch über Deinen Vater vermögen könntest, daß er Dich nach Halle schickte, wenn nicht auf Michaeli, doch auf Ostern (Du siehst wie kühn ich in meinen Hoffnungen bin) es sind hier die geschicktesten Professoren, Du brauchst mit keinem Studenten umzugehn so wenig wie ich es thue, denn ich kenne Niemand und mich kennt Niemand, man wird hier gar nicht bemerkt, der Ton ist überhaupt schon weit gesitteter als ehedem, ach Freund, wenn Du dann in meiner Nähe wohntest u. ich Dich dann wie in Berlin oder Du mich zu Spatziergängen abholtest, wir läsen wieder Shakespear zusammen, Du spieltest mir auf dem Clavier etwas vor, wir besuchten Reichardt zusammen – welche göttliche Aussichten! Entzücken sie Dich eben so wie mich? Du schreibst, ich soll gesund bleiben, so wie ich jezt bin und empfinde, kann ich nicht dafür stehn, denn ich bin hier noch keine Stunde vergnügt gewesen – und werde es auch schwerlich sein, darum lieber W., gieb Dir alle Mühe, Deinen Vater zu bewegen, Dich hierher zu schicken, man kann hier vieles lernen u. fleissig sein – und in Erlangen wärst Du ja dann eben so sehr verlassen wie ich jezt hier, wärst es dann noch mehr als Du es jezt in Berlin bist, vielleicht noch mehr u. das will ausserordentl. viel sagen, als ich es in Halle bin, denn ich habe doch noch die Reichardtsche Familie, Dein Vater liebt Dich ja so sehr, er ist ein so gütiger vortrefl. Mann, vielleicht daß er Deine Bitten erfüllt. Antworte mir doch ja, was Du und ich darüber zu hoffen haben, denn das ist jezt das, was mich am meisten in der Welt interessirt.
Deine lieben Gedichte habe ich schon mehr als ein mahl durchgelesen, schicke mir doch mehrere wenn Du Zeit hast, thu’ es ja u. schreib’ mir, wenn Du kannst, immer so lange Briefe, das ist ja jezt das Einzige, was Du mir geben kannst. Lies doch den Tasso, ein Stück von Göthe, dort ist meine Lage auf die schönste Art geschildert.
Die Sonne hebt von meinen Augenlidern
Nicht mehr Dein schön verklärtes Traumbild auf,
Die Hoffnung Dich zu sehen füllt nicht mehr
Den kaum erwachten Geist mit froher Sehnsucht;
Mein erster Blick hinab in Flur und Gärten
Sucht Dich vergebens in dem Thau der Schatten.
Wie schön befriedigt fühlte sich der Wunsch
Mit Dir zu sein an jedem heitern Abend!
Wie mehrte sich im Umgang das Verlangen
Sich mehr zu kennen, mehr sich zu verstehn!
Und täglich stimmte das Gemüth sich schöner
Zu immer reinern Harmonien auf.
Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein!
Der Sonne Pracht, das fröliche Gefühl
Des hohen Tags, der tausendfachen Welt
Glanzreiche Gegenwart ist öd und tief
Im Nebel eingehüllt, der mich umgiebt.
Sonst war mir jeder Tag ein ganzes Leben;
Die Sorge schwieg, die Ahndung selbst verstummte,
Und glücklich eingeschifft, trug uns der Strom
Auf leichten Wellen ohne Ruder hin.
Nun überfällt in trüber Gegenwart
Der Zukunft Schrecken heimlich meine Brust.
Ohne Dir bin ich nichts, ich weiß nicht, wie ich mir jezt vorkomme, Du wirst mich auf Michaelis nicht wiederkennen, zwar
Es ist unmöglich, daß ein alter Freund,
Der lang’ entfernt ein fremdes Leben führte,
Im Augenblick da er uns wiedersieht,
Sich wieder gleich wie ehmals finden soll.
Er ist in seinem Innern nicht verändert;
Laß uns mit ihm nur wenig Tage leben,
So stimmen sich die Saiten hin und wieder
Bis glücklich eine schöne Harmonie
Aufs neue sie verbindet. –
Und dies ist noch mein Trost. Daß ich hier Niemand habe, mit dem und in dem ich eigentlich lebe, das wirst Du mir wohl glauben. Schmohln habe ich Dir schon geschildert, er bleibt sich immer gleich, kleinlich, pedantisch und kalt, dabei ist er doch nicht von Affectation frei, er will nach Umständen den schönen Geist, den Empfindsamen, den Politiker und hundert andre Rollen spielen, die ihm alle gleich übel stehn, er geht so weit, daß er sich selbst lächerlich macht, dabei, u. dies ist mir das unausstehlichste, ist er eitler wie ein Frauenzimmer, wenigstens eitler als wir beide es selbst unsern Geliebten vergeben könnten, ein Bläschen im Gesicht kann ihn über eine Stunde beschäftigen, er kann sich drei bis viermahl am Tage von vorn anziehn, er ist nie glücklicher, als wenn er sich putzen kann. – Und Bothe! – Davon hast Du gar keine Idee, Du kannst und wirst es mir gar nicht glauben, Du wirst es für den Ausbruch meiner üblen Laune halten, allein Bothe ist noch eitler als Schmohl, eitel bis zum Kindischen, er kleidet sich phantastisch und kann über eine Hutschleife oder über einen Rock von dem er glaubt, daß er ihm gut stehe, eine ganze Stunde sprechen, wenn er mich besucht, besieht er sich wenigstens alle 5 Minuten in dem Spiegel, auf der Strasse besieht er sich beständig und sucht im Tragen des Huts oder einer andern Kleinigkeit einen ausserordentlichen Menschen anzukündigen. Eben so eitel ist er auf die eingebildeten Vorzüge seines Geistes, alle übrigen Menschen verschwinden in seinen Augen in Nichts, u. doch lobt er oft Einfältige u. Dumme ihres Verstandes wegen, bloß damit der, zu dem er spricht denken soll, wie viel mehr Verstand er nun hätte. Er hat gehört oder gelesen, daß man nur die Wissenschaft immer verachte, von der man am wenigsten verstehe, daher lobt er sie alle ohne Ausnahme, bloß damit man glauben solle, er sei in allem gleich groß, allein
Der Mensch bedarf in seinem engen Wesen
Der doppelten Empfindung, Lieb’ und Haß.
Er denckt so wenig selbst, daß er ein beständiger Nachbeter ist, und weil er oft zum Unglück mehreren zugleich nachbetet, so widerspricht er sich alle Augenblick. Weil er so eitel u. eingebildet von sich selbst ist, so kann er die kleinste unbedeutendste Sache, wobei man sich gar nichts denkt äußerst übel nehmen, daher muß ich immer sehr auf meiner Hut sein, wenn ich mit ihm spreche und das ist mir verdrüßlich.
Wer wird die Klugheit tadeln? Jeder Schritt
Des Lebens zeigt, wie sehr sie nöthig sei,
Doch schöner ist’s, wenn uns die Seele sagt,
Wo wir der feinen Vorsicht nicht bedürfen.
Und so war mein Umgang mit Dir. Bothe spielt auch so erschrecklich den Lehrmeister, daß man sein Freund gar nicht sein kann.
Verdrüßlich fiel mir stets die steife Klugheit,
Und daß er immer nur den Meister spielt;
Anstatt zu forschen, ob des Hörers Geist
Nicht schon für sich auf guten Spuren wandle,
Belehrt er Dich von Manchem, das Du besser
Und tiefer fühltest, und vernimmt kein Wort
Das Du ihm sagst, und wird Dich stets verkennen.
Er traut sich feines Gefühl zu, was er gar nicht besitzt,
Der, wenn er die Gedanken mancher Dichter
Zusammenreiht, sich selbst ein Dichter scheint.
Kritick und Aesthetick ist eben so wenig seine Sache, daher habe ich ihm, ob er es mir gleich gesagt hat, von meinen Sachen nichts vorgelesen und werde es auch nicht thun, denn sein Tadel ist so kindisch, daß man sich schämt, sich zu vertheidigen, u. er lobt und schmeichelt mit solcher genädigen Herablassung, daß sein Lob mir unausstehlich ist,
– – – er weiß
So glatt und so bedingt zu sprechen, daß
Sein Lob erst recht zum Tadel wird, und daß
Nichts mehr, nichts tiefer Dich verdrießt, als Lob
Aus seinem Munde. – –
In Gesellschaft witzelt er beständig u. Du weißt wie verhaßt mir das ist, kurz, er bewundert sich in jeder Bewegung und in jedem Worte das er spricht. Er thut nichts und mag doch für einen sehr fleissigen Menschen gehalten werden. – Schmohl ist offenbar besser, allein
Die Grazien sind bei ihm ausgeblieben,
Und wem die Gaben dieser Holden fehlen,
Der kann zwar viel besitzen, vieles geben,
Doch läßt sich nie an seinem Busen ruhn.
Ueber die Bedeutung der Empfindelei bin ich ganz Deiner Meinung, nur muß man sich doch, glaub’ ich, nicht gewöhnen, stets bei kleinen Sachen zu sehr zu empfinden, sonst verlernt man es bei grossen, bei denen man es sollte, und insofern dann die Empfindung ausartet, insofern kann man dann auch einen Menschen, der beim Tode seines Bruders nicht inniger weint, als über den Tod einer Fliege, einen Empfindler nennen, wenngleich seine Empfindung wahrhaft und nicht affectirt ist. Man muß überhaupt den kleinen Empfindungen nicht zu sehr nachhängen, denn man verstimmt sich dadurch und macht sich eigentlich, so paradox dies scheinen mag, gefühllos, und zum Handeln unthätig.
Ich habe Deinen und meinen Rath befolgt und bin bisher unthätig gewesen, allein ich befinde mich dabei um nichts besser,
– – – ich bin gesund,
Wenn ich mich meinem Fleiß ergeben kann,
Und so macht wieder mich der Fleiß gesund.
– – – mir ist nicht wohl
In freier Ueppigkeit. Mir läßt die Ruh’
Am mind’sten Ruhe. Dies Gemüth ist nicht
Von der Natur bestimmt, ich fühl’ es leider,
Auf weichem Element der Tage froh
In’s weite Meer der Zeiten hinzuschwimmen.
Ich muß wieder etwas poetisches anfangen, ich glaube dann wird mir besser werden, denn dann bin ich doch wieder in Thätigkeit gesetzt, denn
Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll,
So ist das Leben mir kein Leben mehr.
Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen,
Wenn er sich schon dem Tode näher spinnt.
Deshalb werde ich Dir nächstens den Plan zum Lamme schicken und wir wollen dann in Gesellschaft das Werk unter dem Schutz der Muse der Schäferpoesie anfangen.
Ließ doch ja den Tasso von Göthe, daß ich ihn fleissig gelesen habe, kannst Du schon aus all’ den angeführten Stellen sehn.
Das Grosse, Erhabne meinst Du könne nicht bis zu Thränen rühren? Ich will Dir sagen, warum ich es glaube. –
Du mußt zugeben, daß alles was bei den schönen Künsten gefallen soll, bloß dadurch gefallen kann, indem jeder Künstler die Töne anschlägt, die hell und rein in unserer Seele wiederklingen, daher lacht der eine wenn der andre weint, auf diese Art kann der Dichter allein die Rührung bewirken, denn die Rührung ist ja nichts anders als Sympathie mit denen Personen die uns rühren, ein Freundschaftszug der uns zu ihnen hinzieht und macht daß wir an allen ihren Schicksalen theilnehmen, wir lieben sie mehr oder weniger, nachdem der Dichter sie mehr oder weniger aus unsrer Seele genommen hat, daher kommt die große Gewalt, die der dramatische Dichter über die Herzen der Menschen haben kann. Wir lieben oft einen Graf Appiani oder einen Just und Tellheim mehr als Menschen mit denen wir umgehn und die wir täglich sehn, und bloß darum weil wir mit diesen nicht sympathisiren und sich in jenen unsre eignen Seelen spiegeln. Dies scheint mir nun auch der Fall beim Erhabnen zu sein. Wir entdecken im Erhabnen uns selbst, die Sympathie zieht uns zu der Person hin die erhaben denckt, und diese Liebe mit Verehrung vermischt, kann so starck sein, daß sie in Thränen ausbricht, es ist eine Empfindung aus Mitleid, Freude und Verehrung zusammengesezt, wir freuen uns daß ein solcher grosser Mensch unser Freund sei, oder sein sollte, wir verehren in dem Augenblicke die Menschheit, wir möchten den Dichter anbeten, der so etwas hervorbringen konnte, und in diesem Augenblick vergiessen wir Thränen, indem wir unsre Verwandschaft mit dem Dichter fühlen, wir freuen uns, daß wir Menschen sind. Daher kann es leicht kommen, daß Erhabenheit vorzüglich mich leicht zu weinen zwingt, weil ich gewöhnlich die Menschheit verachte und mich dann plözlich freundlich bei der Hand ergriffen fühle und mir im schönsten Augenblick die reizendste Versöhnung angeboten wird, und daher weint vielleicht ein andrer nicht, ob er gleich das Erhabene eben so starck fühlt als ich, weil es bei ihm dieser Aussöhnung nicht bedarf. Blosse Erhabenheit darf aber in Characteren nach meiner Meinung dem dramatischen u. epischen Dichter nie genügen, sondern er muß sie stets mit dem eigentlichen Pathos verbinden, denn ein Cato von Utica ist unausstehlich, wenn eine Arria von uns Thränen und Bewunderung fordert, daher kommt es auch daß man bei der Stelle im Kasper dem Thorringer:
Viel Lärm, aber das kann ich auch!
keine Thräne vergießt, weil sie bloß erhaben ist, aber wenn er Thorring brennen sieht, und doch nach einem Seelenkampf nach Landshut ziehn will, da möchten wir uns bewundernd vor ihm niederwerfen und anbeten, wir weinen Freudenthränen daß wir Menschen sind, und daß also ein Theil dieses Edelmuths auf uns selbst fällt. Mich dünckt, alles dies beruht auf eben den Grundsätzen, aus welchen auf der Bühne ein Bösewicht nie bloß verhaßt erscheinen darf. Daß viele also das Erhabne nicht fühlen kommt bloß daher, weil sie diese Sympathie nicht haben, es kömmt ihnen unwahrscheinlich vor, sie zweifeln und – spotten. Daß vorzüglich unser Zeitalter sich am wenigsten einer erhabnen Denkungsart rühmen darf, sieht man vorzüglich aus den meisten neusten Büchern, in denen es Ton ist die grossen hohen Tugenden des anbetungswürdigen Alterthums zu bekritteln und sie aus plumpem Egoismus herzuleiten, – als wenn es nicht zu diesem Egoismus nothwendig wäre, gar keinen Egoismus zu haben um ein Codrus oder ein Mucius Scävola zu sein; ich ärgre mich jedesmahl darüber, wenn Menschen die für so etwas keinen Sinn haben, der grossen Vorwelt den Ruhm (den einzigen Lohn den das wahre Verdienst und wahre Grösse begehren kann) rauben wollen, bloß weil sie in ihrem Busen nichts von diesem ätherischen Feuer empfinden.
Verzeih, es sind viel Worte u. wenig Ideen, denn ich bin heut gar nicht dazu aufgelegt, über solche Sachen nachzudenken. – Uebermorgen ist mein Geburtstag, ich wollte ich wäre bei Dir in Berlin. – Ich hätte Dir noch so vieles zu schreiben, allein meine Uhr hängt vor mir und winckt mir mit ihrem ernsthaften schwarzen Finger aufzuhören. – Grüß Rambach und Bernhardi, sag’ Rambach, daß sein Bruder mir kein Exemplar der eisernen Maske geben könne. Hast Du sie schon gelesen? Ließ sie doch, das lezte Capitel ist ganz von mir, einzelne unbedeutende Zusätze ausgenommen, sage aber Rambach nichts davon, daß Du es weißt, Du hättest es doch vielleicht erkannt, denn Du bist doch der einzige Mensch der das kann. Auch vieles im vorletzten Capitel ist von mir.
Ich habe nun auch den zweiten Akt der Anna Boleyn an Rambach geschickt, ließ doch beide noch aufmerksam durch, Kleinigkeiten habe ich noch geändert, schreibe mir über manches Deine Meinung. – Es ist fatal, daß ich schliessen muß, nun nächstens ein Mehreres, lebe tausend, tausendmahl wohl u. denke zuweilen an Deinen
verlaßnen
Freund Tieck.
Lieber W.!
Daß ich Dir so lange nicht geschrieben habe, mußt Du schon entschuldigen, da ich es nicht entschuldigen kann. Ich kann es nicht begreifen, ich denke täglich, stündlich u. augenblicklich an Dich, ich weiß, was ich Dir schreiben will – und doch ist es nicht geschehn. Ich hatte aber auch heute einen Brief von Dir vermuthet, denn wir werden es doch wohl so genau nicht nehmen, daß einer nicht eher wieder schreibt, bis der andre geantwortet hat.
Dein neulicher langer Brief war mir in meiner Einsamkeit eine rechte Freude. Lieber W., Du hast mich bis zu Thränen gerührt, Du sprichst noch eben so, wie Du in Berlin sprachest, das heißt mit freundschaftlichem Enthusiasmus, mit einer Schwärmerei, die jeden meiner Fehler mit einem dichten Vorhang bedeckt, – wenn einst dieses Feuer erlöschen sollte, lieber W., Du dann meine Fehler und Schwachheiten sähest u. Dir dann meine Freundschaft gleichgültig würde. Daß Du immer so mit mir sprichst, kann und darf ich nicht erwarten, aber bester W., laß es nie so weit kommen, daß Du mich verachtest, daß Dich gereut, einst so mit mir gesprochen zu haben. Doch nein! Diese Besorgniß gehört mit zu denen, welchen ich keine Wohnung in meiner Brust einräumen darf, sie ist auch unnütz; das weiß ich, ich kenne Dich zu gut, so lange Du der bleibst, der Du jezt bist, so lange kann ich auch Deiner wärmsten Freundschaft versichert sein, u. so sehr wirst Du Dich nicht ändern können, daß Du je meine Liebe verkennen solltest, denn sonst – ach! liebster Freund, die Thränen treten mir in die Augen, diese Gedanken versetzen mich in eine Stimmung, die nichts als die Rückerinnerung an jene mit Dir durchlebten Stunden mildern kann. Ich breche ab um Dich nicht auch traurig zu machen.
Du giebst Dir in Deinem Briefe alle mögliche Mühe mich stolz zu machen, lieber W., aber es soll Dir nicht gelingen. Du hättest mir etwas zu danken? O wüstest Du, wie viel ich Dir schuldig wäre! – Alles! Warst Du es nicht, der mich von der trübsten Schwermuth heilte? Gab mir Dein Umgang, Deine Freundschaft nicht alles zurück, was sie mir zurückgeben konnte? Du hast alle meine Gefühle verfeinert und veredelt, Du bist jezt fast der einzige Mensch, der mich wirklich kennt und der mich versteht. Was ich Dir alles zu danken habe, das empfinde ich erst jezt recht lebhaft, jezt, da ich Deiner Freundschaft entbehren muß, ich sehe oft nach der Gegend hin, nach welcher Berlin liegt, u. wie der Aufgang des Mondes steigen dann am fernsten Horizont alle jene Scenen auf, in welchen ich einst so glücklich war, sie sinken wieder unter und schwarze Nacht liegt beklemmend um mich her.
Wir hatten ausgemacht, daß ich der Hoffnung nicht weiter Raum geben sollte, daß Du ein Jahr oder ein halbes in Halle wohnen solltest, ich weiß nicht wie es gekommen ist, ich habe keine Schuld, diese Pflanze ward von mir gar nicht gepflegt, aber sie ist von selbst zum schönsten Baum emporgewachsen, ich fand ihn erstaunt und ruhe jezt, da ich es nicht mehr ändern kann, oft unter dem Schatten seiner breiten Zweige aus und betrachte über mir das Spiel der grünen Blätter und schöne Blüthen des Trostes fallen auf mich herab, – meine Schuld ist es nicht, schilt nicht auf mich, lieber W., ich kann wahrlich nicht dafür, und da diese Hoffnung jezt fast das Einzige ist, was ich habe, so gönne sie mir immer. Ich habe es nie so lebhaft gefühlt, als jezt, wie sehr ich Deiner bedarf, um zu leben, im eigentlichen Sinn, l. W., hast Du nur noch einiges Mitleid mit mir, o so komme künftige Ostern sicher, ich kann es sonst wirklich nicht aushalten, es ist mir hier alles so eng und einzwängend, alle meine Kraft versiegt, die reizende Natur verliehrt ohne einen Freund, der mit uns empfindet, alles Schöne, statt des Belebenden des Frühlings sieht man in jedem Wesen nur, wie ein jeder Athemzug ihn näher zum Grabe rückt, alles verdorrt und verlischt in meiner Seele, ich bin die wenigen Tage hier schon so traurig gewesen, als ich es seit einem Jahre nicht gewesen bin, ich empfinde bloß, was ich verlohren habe und nicht was ich besitze; o lieber W., wenn Du es doch über Deinen Vater vermögen könntest, daß er Dich nach Halle schickte, wenn nicht auf Michaeli, doch auf Ostern (Du siehst wie kühn ich in meinen Hoffnungen bin) es sind hier die geschicktesten Professoren, Du brauchst mit keinem Studenten umzugehn so wenig wie ich es thue, denn ich kenne Niemand und mich kennt Niemand, man wird hier gar nicht bemerkt, der Ton ist überhaupt schon weit gesitteter als ehedem, ach Freund, wenn Du dann in meiner Nähe wohntest u. ich Dich dann wie in Berlin oder Du mich zu Spatziergängen abholtest, wir läsen wieder Shakespear zusammen, Du spieltest mir auf dem Clavier etwas vor, wir besuchten Reichardt zusammen – welche göttliche Aussichten! Entzücken sie Dich eben so wie mich? Du schreibst, ich soll gesund bleiben, so wie ich jezt bin und empfinde, kann ich nicht dafür stehn, denn ich bin hier noch keine Stunde vergnügt gewesen – und werde es auch schwerlich sein, darum lieber W., gieb Dir alle Mühe, Deinen Vater zu bewegen, Dich hierher zu schicken, man kann hier vieles lernen u. fleissig sein – und in Erlangen wärst Du ja dann eben so sehr verlassen wie ich jezt hier, wärst es dann noch mehr als Du es jezt in Berlin bist, vielleicht noch mehr u. das will ausserordentl. viel sagen, als ich es in Halle bin, denn ich habe doch noch die Reichardtsche Familie, Dein Vater liebt Dich ja so sehr, er ist ein so gütiger vortrefl. Mann, vielleicht daß er Deine Bitten erfüllt. Antworte mir doch ja, was Du und ich darüber zu hoffen haben, denn das ist jezt das, was mich am meisten in der Welt interessirt.
Deine lieben Gedichte habe ich schon mehr als ein mahl durchgelesen, schicke mir doch mehrere wenn Du Zeit hast, thu’ es ja u. schreib’ mir, wenn Du kannst, immer so lange Briefe, das ist ja jezt das Einzige, was Du mir geben kannst. Lies doch den Tasso, ein Stück von Göthe, dort ist meine Lage auf die schönste Art geschildert.
Die Sonne hebt von meinen Augenlidern
Nicht mehr Dein schön verklärtes Traumbild auf,
Die Hoffnung Dich zu sehen füllt nicht mehr
Den kaum erwachten Geist mit froher Sehnsucht;
Mein erster Blick hinab in Flur und Gärten
Sucht Dich vergebens in dem Thau der Schatten.
Wie schön befriedigt fühlte sich der Wunsch
Mit Dir zu sein an jedem heitern Abend!
Wie mehrte sich im Umgang das Verlangen
Sich mehr zu kennen, mehr sich zu verstehn!
Und täglich stimmte das Gemüth sich schöner
Zu immer reinern Harmonien auf.
Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein!
Der Sonne Pracht, das fröliche Gefühl
Des hohen Tags, der tausendfachen Welt
Glanzreiche Gegenwart ist öd und tief
Im Nebel eingehüllt, der mich umgiebt.
Sonst war mir jeder Tag ein ganzes Leben;
Die Sorge schwieg, die Ahndung selbst verstummte,
Und glücklich eingeschifft, trug uns der Strom
Auf leichten Wellen ohne Ruder hin.
Nun überfällt in trüber Gegenwart
Der Zukunft Schrecken heimlich meine Brust.
Ohne Dir bin ich nichts, ich weiß nicht, wie ich mir jezt vorkomme, Du wirst mich auf Michaelis nicht wiederkennen, zwar
Es ist unmöglich, daß ein alter Freund,
Der lang’ entfernt ein fremdes Leben führte,
Im Augenblick da er uns wiedersieht,
Sich wieder gleich wie ehmals finden soll.
Er ist in seinem Innern nicht verändert;
Laß uns mit ihm nur wenig Tage leben,
So stimmen sich die Saiten hin und wieder
Bis glücklich eine schöne Harmonie
Aufs neue sie verbindet. –
Und dies ist noch mein Trost. Daß ich hier Niemand habe, mit dem und in dem ich eigentlich lebe, das wirst Du mir wohl glauben. Schmohln habe ich Dir schon geschildert, er bleibt sich immer gleich, kleinlich, pedantisch und kalt, dabei ist er doch nicht von Affectation frei, er will nach Umständen den schönen Geist, den Empfindsamen, den Politiker und hundert andre Rollen spielen, die ihm alle gleich übel stehn, er geht so weit, daß er sich selbst lächerlich macht, dabei, u. dies ist mir das unausstehlichste, ist er eitler wie ein Frauenzimmer, wenigstens eitler als wir beide es selbst unsern Geliebten vergeben könnten, ein Bläschen im Gesicht kann ihn über eine Stunde beschäftigen, er kann sich drei bis viermahl am Tage von vorn anziehn, er ist nie glücklicher, als wenn er sich putzen kann. – Und Bothe! – Davon hast Du gar keine Idee, Du kannst und wirst es mir gar nicht glauben, Du wirst es für den Ausbruch meiner üblen Laune halten, allein Bothe ist noch eitler als Schmohl, eitel bis zum Kindischen, er kleidet sich phantastisch und kann über eine Hutschleife oder über einen Rock von dem er glaubt, daß er ihm gut stehe, eine ganze Stunde sprechen, wenn er mich besucht, besieht er sich wenigstens alle 5 Minuten in dem Spiegel, auf der Strasse besieht er sich beständig und sucht im Tragen des Huts oder einer andern Kleinigkeit einen ausserordentlichen Menschen anzukündigen. Eben so eitel ist er auf die eingebildeten Vorzüge seines Geistes, alle übrigen Menschen verschwinden in seinen Augen in Nichts, u. doch lobt er oft Einfältige u. Dumme ihres Verstandes wegen, bloß damit der, zu dem er spricht denken soll, wie viel mehr Verstand er nun hätte. Er hat gehört oder gelesen, daß man nur die Wissenschaft immer verachte, von der man am wenigsten verstehe, daher lobt er sie alle ohne Ausnahme, bloß damit man glauben solle, er sei in allem gleich groß, allein
Der Mensch bedarf in seinem engen Wesen
Der doppelten Empfindung, Lieb’ und Haß.
Er denckt so wenig selbst, daß er ein beständiger Nachbeter ist, und weil er oft zum Unglück mehreren zugleich nachbetet, so widerspricht er sich alle Augenblick. Weil er so eitel u. eingebildet von sich selbst ist, so kann er die kleinste unbedeutendste Sache, wobei man sich gar nichts denkt äußerst übel nehmen, daher muß ich immer sehr auf meiner Hut sein, wenn ich mit ihm spreche und das ist mir verdrüßlich.
Wer wird die Klugheit tadeln? Jeder Schritt
Des Lebens zeigt, wie sehr sie nöthig sei,
Doch schöner ist’s, wenn uns die Seele sagt,
Wo wir der feinen Vorsicht nicht bedürfen.
Und so war mein Umgang mit Dir. Bothe spielt auch so erschrecklich den Lehrmeister, daß man sein Freund gar nicht sein kann.
Verdrüßlich fiel mir stets die steife Klugheit,
Und daß er immer nur den Meister spielt;
Anstatt zu forschen, ob des Hörers Geist
Nicht schon für sich auf guten Spuren wandle,
Belehrt er Dich von Manchem, das Du besser
Und tiefer fühltest, und vernimmt kein Wort
Das Du ihm sagst, und wird Dich stets verkennen.
Er traut sich feines Gefühl zu, was er gar nicht besitzt,
Der, wenn er die Gedanken mancher Dichter
Zusammenreiht, sich selbst ein Dichter scheint.
Kritick und Aesthetick ist eben so wenig seine Sache, daher habe ich ihm, ob er es mir gleich gesagt hat, von meinen Sachen nichts vorgelesen und werde es auch nicht thun, denn sein Tadel ist so kindisch, daß man sich schämt, sich zu vertheidigen, u. er lobt und schmeichelt mit solcher genädigen Herablassung, daß sein Lob mir unausstehlich ist,
– – – er weiß
So glatt und so bedingt zu sprechen, daß
Sein Lob erst recht zum Tadel wird, und daß
Nichts mehr, nichts tiefer Dich verdrießt, als Lob
Aus seinem Munde. – –
In Gesellschaft witzelt er beständig u. Du weißt wie verhaßt mir das ist, kurz, er bewundert sich in jeder Bewegung und in jedem Worte das er spricht. Er thut nichts und mag doch für einen sehr fleissigen Menschen gehalten werden. – Schmohl ist offenbar besser, allein
Die Grazien sind bei ihm ausgeblieben,
Und wem die Gaben dieser Holden fehlen,
Der kann zwar viel besitzen, vieles geben,
Doch läßt sich nie an seinem Busen ruhn.
Ueber die Bedeutung der Empfindelei bin ich ganz Deiner Meinung, nur muß man sich doch, glaub’ ich, nicht gewöhnen, stets bei kleinen Sachen zu sehr zu empfinden, sonst verlernt man es bei grossen, bei denen man es sollte, und insofern dann die Empfindung ausartet, insofern kann man dann auch einen Menschen, der beim Tode seines Bruders nicht inniger weint, als über den Tod einer Fliege, einen Empfindler nennen, wenngleich seine Empfindung wahrhaft und nicht affectirt ist. Man muß überhaupt den kleinen Empfindungen nicht zu sehr nachhängen, denn man verstimmt sich dadurch und macht sich eigentlich, so paradox dies scheinen mag, gefühllos, und zum Handeln unthätig.
Ich habe Deinen und meinen Rath befolgt und bin bisher unthätig gewesen, allein ich befinde mich dabei um nichts besser,
– – – ich bin gesund,
Wenn ich mich meinem Fleiß ergeben kann,
Und so macht wieder mich der Fleiß gesund.
– – – mir ist nicht wohl
In freier Ueppigkeit. Mir läßt die Ruh’
Am mind’sten Ruhe. Dies Gemüth ist nicht
Von der Natur bestimmt, ich fühl’ es leider,
Auf weichem Element der Tage froh
In’s weite Meer der Zeiten hinzuschwimmen.
Ich muß wieder etwas poetisches anfangen, ich glaube dann wird mir besser werden, denn dann bin ich doch wieder in Thätigkeit gesetzt, denn
Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll,
So ist das Leben mir kein Leben mehr.
Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen,
Wenn er sich schon dem Tode näher spinnt.
Deshalb werde ich Dir nächstens den Plan zum Lamme schicken und wir wollen dann in Gesellschaft das Werk unter dem Schutz der Muse der Schäferpoesie anfangen.
Ließ doch ja den Tasso von Göthe, daß ich ihn fleissig gelesen habe, kannst Du schon aus all’ den angeführten Stellen sehn.
Das Grosse, Erhabne meinst Du könne nicht bis zu Thränen rühren? Ich will Dir sagen, warum ich es glaube. –
Du mußt zugeben, daß alles was bei den schönen Künsten gefallen soll, bloß dadurch gefallen kann, indem jeder Künstler die Töne anschlägt, die hell und rein in unserer Seele wiederklingen, daher lacht der eine wenn der andre weint, auf diese Art kann der Dichter allein die Rührung bewirken, denn die Rührung ist ja nichts anders als Sympathie mit denen Personen die uns rühren, ein Freundschaftszug der uns zu ihnen hinzieht und macht daß wir an allen ihren Schicksalen theilnehmen, wir lieben sie mehr oder weniger, nachdem der Dichter sie mehr oder weniger aus unsrer Seele genommen hat, daher kommt die große Gewalt, die der dramatische Dichter über die Herzen der Menschen haben kann. Wir lieben oft einen Graf Appiani oder einen Just und Tellheim mehr als Menschen mit denen wir umgehn und die wir täglich sehn, und bloß darum weil wir mit diesen nicht sympathisiren und sich in jenen unsre eignen Seelen spiegeln. Dies scheint mir nun auch der Fall beim Erhabnen zu sein. Wir entdecken im Erhabnen uns selbst, die Sympathie zieht uns zu der Person hin die erhaben denckt, und diese Liebe mit Verehrung vermischt, kann so starck sein, daß sie in Thränen ausbricht, es ist eine Empfindung aus Mitleid, Freude und Verehrung zusammengesezt, wir freuen uns daß ein solcher grosser Mensch unser Freund sei, oder sein sollte, wir verehren in dem Augenblicke die Menschheit, wir möchten den Dichter anbeten, der so etwas hervorbringen konnte, und in diesem Augenblick vergiessen wir Thränen, indem wir unsre Verwandschaft mit dem Dichter fühlen, wir freuen uns, daß wir Menschen sind. Daher kann es leicht kommen, daß Erhabenheit vorzüglich mich leicht zu weinen zwingt, weil ich gewöhnlich die Menschheit verachte und mich dann plözlich freundlich bei der Hand ergriffen fühle und mir im schönsten Augenblick die reizendste Versöhnung angeboten wird, und daher weint vielleicht ein andrer nicht, ob er gleich das Erhabene eben so starck fühlt als ich, weil es bei ihm dieser Aussöhnung nicht bedarf. Blosse Erhabenheit darf aber in Characteren nach meiner Meinung dem dramatischen u. epischen Dichter nie genügen, sondern er muß sie stets mit dem eigentlichen Pathos verbinden, denn ein Cato von Utica ist unausstehlich, wenn eine Arria von uns Thränen und Bewunderung fordert, daher kommt es auch daß man bei der Stelle im Kasper dem Thorringer:
Viel Lärm, aber das kann ich auch!
keine Thräne vergießt, weil sie bloß erhaben ist, aber wenn er Thorring brennen sieht, und doch nach einem Seelenkampf nach Landshut ziehn will, da möchten wir uns bewundernd vor ihm niederwerfen und anbeten, wir weinen Freudenthränen daß wir Menschen sind, und daß also ein Theil dieses Edelmuths auf uns selbst fällt. Mich dünckt, alles dies beruht auf eben den Grundsätzen, aus welchen auf der Bühne ein Bösewicht nie bloß verhaßt erscheinen darf. Daß viele also das Erhabne nicht fühlen kommt bloß daher, weil sie diese Sympathie nicht haben, es kömmt ihnen unwahrscheinlich vor, sie zweifeln und – spotten. Daß vorzüglich unser Zeitalter sich am wenigsten einer erhabnen Denkungsart rühmen darf, sieht man vorzüglich aus den meisten neusten Büchern, in denen es Ton ist die grossen hohen Tugenden des anbetungswürdigen Alterthums zu bekritteln und sie aus plumpem Egoismus herzuleiten, – als wenn es nicht zu diesem Egoismus nothwendig wäre, gar keinen Egoismus zu haben um ein Codrus oder ein Mucius Scävola zu sein; ich ärgre mich jedesmahl darüber, wenn Menschen die für so etwas keinen Sinn haben, der grossen Vorwelt den Ruhm (den einzigen Lohn den das wahre Verdienst und wahre Grösse begehren kann) rauben wollen, bloß weil sie in ihrem Busen nichts von diesem ätherischen Feuer empfinden.
Verzeih, es sind viel Worte u. wenig Ideen, denn ich bin heut gar nicht dazu aufgelegt, über solche Sachen nachzudenken. – Uebermorgen ist mein Geburtstag, ich wollte ich wäre bei Dir in Berlin. – Ich hätte Dir noch so vieles zu schreiben, allein meine Uhr hängt vor mir und winckt mir mit ihrem ernsthaften schwarzen Finger aufzuhören. – Grüß Rambach und Bernhardi, sag’ Rambach, daß sein Bruder mir kein Exemplar der eisernen Maske geben könne. Hast Du sie schon gelesen? Ließ sie doch, das lezte Capitel ist ganz von mir, einzelne unbedeutende Zusätze ausgenommen, sage aber Rambach nichts davon, daß Du es weißt, Du hättest es doch vielleicht erkannt, denn Du bist doch der einzige Mensch der das kann. Auch vieles im vorletzten Capitel ist von mir.
Ich habe nun auch den zweiten Akt der Anna Boleyn an Rambach geschickt, ließ doch beide noch aufmerksam durch, Kleinigkeiten habe ich noch geändert, schreibe mir über manches Deine Meinung. – Es ist fatal, daß ich schliessen muß, nun nächstens ein Mehreres, lebe tausend, tausendmahl wohl u. denke zuweilen an Deinen
verlaßnen
Freund Tieck.