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Ludwig Tieck to Wilhelm Heinrich Wackenroder TEI-Logo

Lieber Freund.
Für Deinen langen Brief sag’ ich Dir tausend, tausend Danck, ich habe auch schon den zweiten von Dir erhalten, Du wirst wahrscheinlich auf einige Nachrichten von mir gewartet haben, sei ja nicht böse, daß ich das Antworten so lange versäumt habe, es war diesmahl nicht ganz und gar Nachlässigkeit, sondern ich wurde von einigen Arbeiten abgehalten, in die ich etwas hineingekommen war. Doch, ich spreche ja mit Dir, genug daß ich täglich, ja stündlich an Dich gedacht habe, und daß ich künftig fleissiger schreiben will.
Deine Stimmung wie Du mich an dem einen Tage vergeblich allenthalben gesucht hast, verstehe ich sehr gut, hüte Dich aber ja vor solchen Stunden, sie führen zu einer erstaunlichen Schlaffheit, ich habe diese Erfahrung mehr als einmahl an mir selbst gemacht, man geräth in einen schwermüthigen Taumel, der uns abstumpft, und sich in Schläfrigkeit endigt. Wenn dieser Zustand oft wiederkehrt, so erstickt er am Ende jeden Trieb zur Thätigkeit.
Gehe doch ja, wenn Du irgend kannst, noch öfter zu Bernhardi, gehe mit ihm aus, suche ihn zu zerstreuen, er hat mir geschrieben und wenn ich nicht irre; so sieht aus seinem Briefe der Hypochonder ziemlich deutlich schon hervor, ich bin immer noch sehr besorgt, daß ich ihn auf Ostern nicht wiedersehn werde, dies Gefühl ist erstaunlich deutlich bei mir, Du kennst schon meinen Hang für diese Art von Schwärmerei, aber ich kann sie nicht unterdrükken. Gieb Dir ja Mühe ihn zu heilen, aber sage ihm nichts von / meiner unglücklichen Einbildung, denn so aufgeklärt er auch ist, so würde ihn dies gewiß noch kräncker machen. Du weißt wahrscheinlich, daß er mich bis Zehlendorf zu Pferde begleitete, wir tranken dort Caffé und gingen die Stube auf und ab, ich habe ihn noch nie so traurig, so kalt und düster traurig gesehn, er sagte mir, daß er die Empfindung nicht unterdrükken könnte, daß wir uns nicht wiedersehen würden, er nahm nachher einen sehr schwermüthigen Abschied von mir, das Weinen war mir und ihm nahe, ich fuhr nachher den ganzen Tag mit der Idee, daß ich ihn zum letztenmahl gesehn hätte. Sage ihm auch davon nichts, kurz, geh, wenn Du kannst mit ihm aus. – Da er sich immer sehr warm für mich interessirt hat, so kannst Du ihm ja auch zuweilen, wenn Du willst, Stellen (die nicht bloß uns beide betreffen) aus meinen Briefen vorlesen, da ich nicht immer gleich viel schreiben kann, und da er jezt überdies Dein vertrautester Freund zu sein scheint.
Wer sich von uns beiden auf Ostern am meisten freut, das, glaub’ ich, ist noch unentschieden. – Ich will nicht traurig sein, das kann ich Dir versichern, da ich so überhaupt immer mehr Herr über meine Launen werde, da es für mich immer wahrer wird, daß der bessere Mensch / unmöglich in dieser trocknen, dürren, erbärmlichen Welt leben kann, er muß sich eine Ideenwelt erschaffen, die ihn beglückt und dann kann er mit kaltem Auge auf alles sogenannte Glück der kleinen, sich selbst lebenden Menschen herabsehn, (Du wirst Dich noch der philosophischen Briefe erinnern) eine Seeligkeit, für die jene Egoisten keinen Sinn haben, die sie nicht ahnden, – o ich habe nie so viele Kraft, so vielen Muth in mir gefühlt, als izt, – aber was soll mir dies alles in Deutschland? – Doch, genug davon.
Deinen lieben Prediger besuchen wir also auf jeden Fall, und also nach Ostern? Dann bleiben wir etwas länger in Berlin, daß er mich schon kennt, hätt’ ich kaum geglaubt, Du wirst ihm gewiß nur von mir zu viel gesagt haben, weil Du Dir selbst in Ansehung meiner die Wahrheit nicht gestehst. Verzeih meine Aufrichtigkeit, lieber W, Du hast gewißermassen die Grille, nur einen Freund zu haben, aber in diesem soll sich auch alles vereinigen, alles vergrössert, veredelt Deine Freundschaft. Mit wehmüthigem Lächeln hab’ ich schon oft Deine Schwärmerei angesehn, wenn Du Dich einst getäuscht finden wirst, werde ich dann nicht wieder bei Dir eben so ungerecht zu viel verliehren, als ich jezt gewinne? – Du mußt mich nicht unrecht verstehn, weil Du ein Schwärmer bist, lieb ich Dich natürlich noch / einmahl so starck, ich fühle mich in dem Enthusiasmus Deiner Freundschaft glücklich, – nur daß Du nicht einst darüber erröthest, daß Du je enthusiastischer Freund warst! – Doch ich denke eben daran, daß ich Dich schon neulich an jenem traurigen Abend durch diese Idee sehr schwermüthig machte, ich will es nicht von Dir glauben, besonders wenn Du immer noch in Deiner Selbstständigkeit zunimmst, wie Du bis jezt gethan hast, – Du wirst mich verstehn, denn wir haben oft darüber gesprochen.
Daß du über Menschenhaß und Reue Deine Laune ergiessest, hat mich sehr gefreut, Du warst noch neulich ein zu grosser Freund des Stücks, da Du aber hierbei einmahl von Extremen sprichst, so verfalle auch nicht selbst in den Fehler, die Mittelstrasse gar zu sehr zu verachten (so sehr Du sie auch sonst liebtest, da hast Du doch wirklich einen Hang, von einem Extrem zum andern zu springen) und verachte nicht mit dem Schlechten in diesem Stükke zugleich das Gute, – doch, das versteht sich ja von selbst.
Du hast die Räuber neulich gesehn und ich habe sie wieder von neuem gelesen. – O es ist doch ein herrliches ein göttliches Stück, – mir ist, als müst ich vor Schillern hinfallen und ihn anbeten, – Gott, was kann der Mensch sein, – sollte man glauben, daß Schiller eine Organisation mit dem trocknen Dummkopf habe, der ihm doch in allem so ähnlich sieht? Worinn liegt der Unterschied? / Mögen Narren behaupten, was sie wollen, die Räuber bleiben ein großes Stück, mich begeistert es immer mehr, je mehr ich es verstehe, wer es nicht versteht, der mag sich an Klara von Hoheneichen laben, den führe man wieder zu der Eichelkost der französischen Stücke zurück, für ihn hat Schiller, Shakspear und Göthe nicht geschrieben. Die Menschen freilich, deren einziges Bestreben dahingeht, alles was Mensch heißt, in sich zu erstikken, die nie aus sich selbst denken, oder empfinden, die sich in ihrer mechanischen Thätigkeit über alle diese Spaßmacher unendlich erhaben glauben, ja die können freilich dies alles nicht fassen, ihr Phlegma nehmen sie für Stoicismus und heroische Entsagung aller solcher Kindereien, weil sie weder Verstand noch Phantasie haben, so freuen sie sich unendlich des eingebildeten Triumphs den ihr Verstand davon trägt, – nur empfindende Menschen können nach meinem Urtheil groß und edel genannt werden.
Des Athelstan erinnre ich mich nicht, Du findest das Stück äusserst schlecht und Flecks Spiel äusserst schön, ich muß gestehn, daß ich Dich hier nicht recht verstanden. Es läßt sich dencken, daß ein Schauspieler ein mittelmässiges Stück durch ein gutes Spiel / hebt, aber ob man ein schlechtes Stück gut spielen könne, daran zweifle ich noch sehr, wenn nehmlich etwas mehr, als der Plan schlecht ist. Sind die Charaktere schlcht, grob, plump gezeichnet, ohne Menschenkenntniß, so kann der Schauspieler, er sei so groß, als er wolle, nichts hineintragen, er müste denn durchaus seine ganze Scene umarbeiten, die elend gezeichneten Charaktere sind aber dadurch elend, daß der Dichter sich nicht hat in sie hineindencken können, wo soll man nun den Maaßstab für das gute Spiel des Schauspielers hemehmen, da dieser und der Zuschauer sich noch weniger in die Charaktere versetzen können.
Du schreibst, daß ich Deine Urtheile nun schon nach und nach würde haben lernen suppliren? Ich finde grade ein Beispiel in Deinem Briefe, daß dies nicht der Fall sei, Du lobst Unzelmanns und Kaselitz Spiel in dem Barbier von Sevilla. – Ueber den ersten bin ich ganz und gar Deiner Meinung, Unzelmanns Spiel als Figaro ist ein wahres Meisterstück, aber auch Kaselitz? Ich gestehe daß er vielleicht viele Scenen natürlich und einige komisch darstellt, aber nach meinem Urtheil spielt / er in keiner einzigen schön, mit einem Worte, er macht Carrikatur, und die kann nie schön sein, wenn sie auch noch so vielen Ausdruck hat. Das komische und das schreckhafte gränzen überhaupt vielleicht näher an einander, als man glaubt. Der komische Schauspieler müste nach meinem Urtheil alles zu auffallende, sowohl in der Kleidung, als Sprache, als den Geberden vermeiden, wenn er dies zu sehr sucht, so macht es ihn gar zu leicht, wenn auch nur auf einige Augenblicke zu einem fremden Wesen, und dies stört immer die Illusion. Nach meinem Gefühl muß sich das Komische erst nach und nach hineinlegen, der Zuschauer muß gleichsam durch den Schauspieler allmählig hineingeführt werden, so wie es auch der Dichter thut. Vielleicht ist das das wahre komische Spiel, so wie Unzelmann es giebt, alles so leicht, so übergehend, kein Periode, keine Idee, keine Stellung ängstlich festgehalten, keine Grimasse in Stein verwandelt. Kaselitz ist in dieser Rolle ganz u gar das Gegentheil von Unzelmann. Bei seinem ersten Erscheinen sieht er kaum einem Menschen ähnlich, man muß sich erst nach und nach an ihn gewöhnen. Ich erinnre mich aus meiner Kindheit sehr deutlich, daß ich bei einer ähnlichen Erscheinung auf dem Theater, die ebenfalls / komisch sein sollte, mich nicht der Thränen enthalten konnte, weil ich diesen Menschen fürchtete. In allen Sachen, wo es auf Empfindungen ankömmt, sind wie ich glaube, Kinder die besten Richter, die Kindheit ist die Heimath aller unsrer Gefühle, und eine feinausgesponnene Lehre mancher Theile der Aesthetik mit allen Subtilitäten ist oft nichts weiter, als eine glückliche Zurückerinnerung der Kinderjahre. Dies ist auch sehr natürlich, weil alles dies am Ende auf sehr feines Gefühl zurückkommt, im Grunde empfindet der poetische Mensch immer gleich, er mag Kind, oder Mann sein, – seine Empfindungen spiegeln sich gewissermassen nur immer neu und mannichfaltig in den Erfahrungen die er macht, sie können sich im Grunde nicht verändern, sie vermehren sich nur, in dem Menschen von feiner Empfindung liegt das alles ungleich deutlicher und lebendiger, was der Aesthetiker ihm in ein todtes Sistem zusammenbringt. – Du kannst leicht die Erfahrung machen, daß Carrikaturen den Kindern nie gefallen, denn sie erkennen in ihnen nur mit Mühe den Menschen wieder, sie fürchten sie wirklich; sie können un/gleich länger eine andre Figur ohne Ausdruck und bestimmten Charakter betrachten, ja Tagelang darüber brüten, und Ausdruck und Charakter hineintragen, hundert Träume spinnen sich in ihrer Seele aus, die sie nach zehn oder zwanzig Jahren entweder in ihrem Kopf oder in einem Compendium mit Erstaunen wiederfinden, wenn sie Gedächtniß genug haben, sich ihrer Kindheit zu erinnern. Carrikaturen gefallen überhaupt vielleicht nur einem kalten nördlichen Volke, dessen Gefühl für den feinen Stachel der stillen Schönheit zu grob ist, oder die schon die Schule der Schönheit durchgegangen sind, und deren übersatten Magen nur noch die gewürztesten Speisen reizen können, die es daher gern sehn, wenn die Schönheit dem Ausdruck aufgeopfert wird, weil sie in der Schönheit keinen lebenden Ausdruck mehr finden. – Du wirst sehn, daß ich hier nicht bloß von der komischen Carrikatur spreche, sondern von jedem Ausdruck irgend einer Leidenschaft, der die Schönheit ausschließt; der Mahler und Bildhauer liefern Carrikaturen, wenn sie die höchsten Affekte darstellen, (siehe darüber den / Laokoon), eine komische Bildnerei darf es gar nicht geben, und so wie der tragische Schauspieler (s. Engels Mimik) nicht alles getreu darstellen darf, so wie er identificiren muß, auswählen, so müste es auch offenbar der komische. Der komische Dichter endlich muß sich sehr hüten, denn er muß jeden höchsten Affeckt der Leidenschaft aufgeben, wenn er nicht den Schauspieler zwingen will, Carrikatur darzustellen. – Wir können uns keine starke grosse Leidenschaft denken, die nicht wenigstens eine ähnliche grosse Wirkung hervorbrächte, die Ursach muß gegen diese sich nicht wie ein Riese zu einem Zwerge verhalten, Disproportion und Disharmonie erregt allenthalben Mißfallen in der Natur. Stelle Dir einen komischen, dummen Liebhaber vor, der aber nur wirklich verliebt ist, – doch vielmehr Du kannst ihn Dir nicht vorstellen, er würde gewiß nicht mehr komisch sein können. Elisabeth foderte von Shakspear er sollte den Fallstaff als Liebhaber darstellen, aber der klügere Dichter ver/wandelte ihn in einen verstellten Liebhaber. Eben so ist ein Wüthender, kein Charakter fürs Lustspiel, im höchsten Affekt ist hier zwischen Tragödie und Comödie keine Grenze, Moliers Harpagon täuscht nur so lange, als er nicht wüthet, und ganz gewiß mußt Du dies sehr deutlich beim Schluß (der grossen platten Rasierscene) irgend eines Aktes empfunden haben, wo Bartholo wirklich wüthend ist, nur ein Zuschauer von grobem Gefühl kann über einen rasenden Menschen lachen, so wie auch nur ein solcher über einen geräderten Missethäter weinen kann. Du wirst Dich vielleicht noch erinnern, wie wir bei den komischen Charakteren des göttlichen Shak. anmerkten, daß alle nie aus einer gewissen Art von Phlegma herausgingen, und daß dies sie vorzüglich mit komisch und angenehm machte. – Wenn ich aber allen diesen Carrikaturen den Stab breche, was soll ich denn noch von Dittersdorfs (und mitunter auch von Mozarts) und andern neuen Musiken sagen? – Doch ich höre auf, / Du wirst mein Schwatzen schon lange überdrüssig sein.
Vertiefe Dich übrigens ja nicht zu sehr in die Poesie des Mittelalters, es ist so ein erstaunliches Feld von Schönheit vor uns, ganz Europa und Asien und vorzüglich das alte Griechenland und das neue England, daß ich fast verzweifle, mich je an diese Nachklänge der Provencalen zu wagen. Vergiß ja über das angenehme das wahre schöne nicht. So viel ich die Minnesänger kenne, herrscht auch eine erstaunliche Einförmigkeit in allen ihren Ideen, es ist überhaupt schon gar keine Empfehlung für den poetischen Geist dieses Zeitalters, daß es nur diese eine Art von Gedichten gab, nur diesen Zirkel von Empfindungen, in denen sich jeder wieder mit mehr oder weniger Glück herumdrehte. Dreht man sich mit vielen lange herum, so ist der Schwindel, der Wüstheit des Kopfes nach sich zieht, gewiß eine unausbleibliche Folge, wenigstens haben sie noch keinen Dichter gebildet, – und auch das ist schon ein grosser Beweiß gegen sie. /
Weil Du von Schmoln sprichst, so muß ich Dir doch darauf mit ein paar Worten antworten. Er schrieb mir, kurz nachher als ich hierhergekommen war, einen sehr impertinenten Brief worinn er mir meldete, daß er an meinen Vater geschrieben habe. Es ist wahr, daß ich ihm etwas unbedeutendes schuldig bin, wir waren darüber aber vollkommen in Richtigkeit, ich wunderte mich und ärgerte mich daher anfangs über diesen dummen Streich. Da aber bei mir erstaunlich viel dazu gehört, ehe ich einen Menschen für schlecht halten kann, so verlohr sich mein Aerger bald, ich schrieb ihm ganz kalt und nachher noch einmahl, so daß wir jezt wieder ganz und gar gute Freunde sind, so wie wir es je nur sein konnten, wenn auch dieser Vorfall nicht eine kleine Diversion gemacht hätte. Du scheinst in Deinem Briefe zu befürchten, daß diese Sache mich sehr unruhig gemacht habe, das war wirklich nicht im mindesten der Fall. Bald klärte sich dann auch die ganze Sache auf, daß nehmlich Schmol nur ein Narr und kein Niederträchtiger sei. – In einem äußerst freundschaftlichen langen und langweiligen Briefe entschuldigte er sich ganz ausserordentlich dieses Schrittes wegen, indem er mir zugleich zu sei/nem Betragen den Schlüssel gab. Er schrieb mir nehmlich, daß er sich sehr in meine Schwester verliebt habe, er habe aber bemerkt, daß mir das sehr unangenehm sei, auch aus einem Briefe meiner Schwester gesehen, (den er, wie Du Dich vielleicht noch erinnerst, aus Neugier aus meinem Koffer nahm) er hätte also kein besser Mittel gewußt, um sich zu rächen, daß sie ihn verachte, als diesen Brief zu schreiben, worinn er von mir, den sie so sehr liebte, so erbärmliche Lügen sagte. – Kannst Du Dir etwas abgeschmackteres denken? – So unpoetisch dieser Mensch ist, so hat er doch erstaunlichen Hang einen Roman zu spielen, wenn es auch nur mit sich selbst sein sollte, er will sich immer in eine Art von verzweiflungsvoller Lage hineinzwängen, um sich selbst nur als ein ausserordentlicher Mensch vorzukommen. Viele Menschen verwechseln den Hang zum sonderbaren mit dem Drange zu grossen Thaten, sie vergessen, daß der grosse Mann gewöhnlich groß ist, ohne es selbst zu wissen, daß er edel handelt, so / wie sie essen und trincken, indem er nicht anders handeln kann. – Diese unseelige Sucht, die gewöhnlich doch mit dem Gefühl verbunden ist, daß sie keine grosse Köpfe sind, erzeugte in Griechenland Herostrate, auf Thronen Nero’s und Philipp den II, in unsern Zeiten Schmols und Moritze. – Was ich über den lezten urtheile, willst Du wissen? – Er ist ein Narr, – das ist zwar sehr kurz, aber auch wenig genug gesagt. Ich sage mich jezt in aller Aehnlichkeit von ihm loß, es ist ein kleiner armseeliger Mensch. Er ist nicht ohne Kopf und Phantasie, hat manches gelernt und nichts gründlich, er hat feine Nerven und einen Hang zur Hypochondrie, er hat daher manchmal empfunden, wie gewöhnliche Menschen nicht empfinden, aber er findet ein närrisches Vergnügen daran, immer ein ausserordentlicher Mensch zu scheinen, den er aus Zerstreuung mit dem grossen Mann verwechselt hat, die oft in Nebensachen erstaunlich gewöhnlich sind, – statt also wirklich zu empfinden, raffinirt er nur beständig, was er wohl empfinden könnte. /
Du schreibst mir vom Koncert, ich bin gestern in das hiesige gewesen, es hat mir erstaunlich viel Langeweile gemacht, Forkel sieht sehr gewöhnlich aus. Das Quinkeliren und Paukenschlagen, – ach, es geht zum einen Ohr hinein und zum andern hinaus und das Herz weiß nichts davon, es ist so unangenehm, wie ein Gepolter, das einen aus dem Schlafe weckt. – Ein Chor von Händel ward unausstehlich schlecht gesungen.
Noch eins, wenn Du noch nicht wegen des Quartiers geschrieben hast, so schreibe ja nicht, es ist traurig wenn man sich auf eines andern Geschmack verlassen muß, es sind überdies beständig eine Menge Wohnungen auf den Universitäten offen und wir können uns dann die besten aussuchen. Wenn Du willst, könnten wir auch, statt in einem Hause in einer geräumigen Stube zusammenziehn, es ist für Dich und mich besser, doch vielleicht und wie Du es willst. Noch muß ich Dir schreiben, daß wir beide noch einen Bekannten in Erlangen antreffen werden, nehmlich Schwiegern. Du mußt es aber noch als ein Geheimniß bei Dir behalten. Dieser närrische Mensch hat sich sehr seit meinem Aufenthalt in Halle / an mich attachirt, er will durchaus noch ein halb Jahr mit mir leben und heimlich mit nach Erlangen gehn, ich habe ihn damahls von allen seinen armseeligen Gesellschaften zurückgezogen, kurz, er hat den sonderbar heroischen Entschluß gefaßt.
Aufrichtig gesagt, Dein Gesichtspunkt über Deinen Umgang scheint mir viel zu ernsthaft genommen. Mit jungen Leuten geh so um, daß Du weder prätendirst noch ihnen in allem nachgiebst, alten gieb in den meisten Sachen Recht, dies scheint mir der kürzeste Weg. Verletze die Höflichkeit nicht und geniesse das Recht der andern Menschen, dies wäre für mich die kürzeste Regel für mein Betragen.
Verzeih, ich habe diese Antwort wieder einige Tage liegen lassen und fahre jetzt fort.
Du hast mir von Deinem Umgang geschrieben, ich will Dir doch bei der Gelegenheit etwas von meiner hiesigen Gesellschaft sagen, Du wirst daraus sehn, daß ich bei weitem besser daran bin, als Du.
Wir haben seit einiger Zeit eine gelehrte Gesellschaft hier errichtet, wir versammeln uns jeden Donnerstag, einmahl wird über beliebige Theses / disputirt, ein andermahl etwas vorgelesen, ich will Dir doch die Mitglieder dieser Gesellschaft nennen.
1.) v. Gaudot, der Präsident, ein Aristokrat aber ein Mann von der feinsten Welt, er ist Hofmeister eines Grafen Muschin Puschkin, ich habe bis izt noch keinen so feinen Mann gesehn, er ist Italien, Deutschland, Frankreich und Engelland mehrmals durchreißt, er ist nicht ohne Talente, aber der beständige Umgang mit der feinen Welt hat ihn dahin gebracht, daß er sie nur dazu anwendet, ein artiger Schwätzer zu sein, er hat über nichts gründlich gedacht, weiß aber auf eine gute Art mehrere Leute die tief gedacht haben, nachzubeten, nur Schade, daß sich auf die Art seine Meinungen sehr oft widersprechen. Sein Sistem ist Egoismus, er denckt überhaupt sehr wie die frühern Franzosen, leicht und ein Feind von allem grossen Enthusiasmus.
2.) v Budberg, ist für mich eine recht interessante Bekanntschaft, er ist Sekretair der Gesellschaft und Student, so wie alle übrigen Mitglieder. / Er hat etwas über das Alter der Oehlmahlerey gegen Lessing geschrieben, er mahlt nicht übel und hat eine sehr artige Bibliotheck, mit ihm geh ich hier nach Burgsdorf am meisten um, er hat sehr viel Enthusiasmus und ist ein eifriger Demokrat, Scharfsinn und grosser Verstand gehört nicht so sehr unter seine Eigenschaften, er ist ein äusserst gutmüthiger Mensch, ein guter Freund von Heynen, von dem er zu sehr eingenommen ist.
3) v Burgsdorf, alles, was ich Dir einst von ihm zum Lobe sagte, bestätigt sich immer mehr, er ist ein vortreflicher Mensch, was seinen Kopf und sein Herz anlangt.
4) v Wittinghof, eigentlich der dümmste unter der Gesellschaft, so gescheidt er auch bei der ersten Bekanntschaft aussieht, er verhält sich immer sehr stillschweigend.
5) v Brodelit, dem Herzen nach ein Demokrat, Familienverhältnisse aber haben ihn zum Aristokraten gemacht, ein guter lebhafter sanguinischer Junge, der noch nicht viel / gedacht hat, dem es aber nicht am Verstande zu fehlen scheint.
6) v Meyer, ein Aristokrat, weil die Franzosen in Frankfurt gewesen sind, und er aus Frankfurt ist, er hat einen juristischen Preiß hier erhalten und ich sehe wohl, daß überhaupt dazu hier nicht sehr viel erfordert wird, denn er gehört gar nicht zu den Klügsten. Er treibt armseelige Kleinigkeiten mit einer erstaunlichen Wichtigkeit.
7) Muschin Puschkin, ein russischer Graf und daher ein eifriger Aristokrat, er sieht Henslern etwas ähnlich, nur daß er mehr Verstand und Gewandheit als dieser hat, weil er schon viel gereißt ist.
Nächstens werde ich über die Möglichkeit der Gleichheit aller Stände etwas vorlesen und übers Naive, disputiren über den Schaden von der Entdekkung Amerikas und vom Entstehen des Widrigen der Carrikaturen. /
Die Sitzung wird immer mit einem kleinen Schmause beschlossen. – Ich esse Mittags in einem Gasthof, wo noch ein v Holzhausen zugegen ist, ein stiller Aristokrat, dessen Gesinnung sich bloß durch Lachen äussert, wenn die Franzosen irgend einen Verlust erlitten haben. Ein andrer v Birla ist ganz ein entsetzlicher dummer Kerl, er ist ein platter Aristokrat, mit ihm gehn wir gar nicht um, er ist ganz und gar ein gewöhnlicher preussischer Edelmann, der noch auf die Macht der preussischen Monarchie sehr stolz ist, er spricht viel von den Familien, er kennt fast alle hochadeliche Geschlechter in Deutschland, ingleichen kennt er die Weine sehr gut. Er darf fast gar nicht mitsprechen, Burgsdorf schlägt ihn gleich zu Boden. Er hat bis izt in Frankfurt studiert, schreibe doch das an Wißmann, wenn Du ihm wieder einmahl schreiben solltest. – Ein Graf Bernstorf besucht Burgsdorfen noch zuweilen, ein kluger aber nicht zu kluger Däne, – noch eine / Menge andrer Gesichter habe ich so obenhin kennen lernen, die mir aber alle unbedeutend sind.
Daß das jus für Dich gar nicht sei, glaube ich Dir gar gern, ich bin fast ganz auf dem Wege, der Theologie ganz und gar Lebewohl zu sagen, wenigstens izt weit mehr als sonst.
Für Dein Urtheil über die Emma dank’ ich, ich wuste im Ganzen, daß es so ausfallen würde und Du kennst mich ja von der Seite, daß unter allen meinen Fehlern der Autorstolz ganz unten steht, nur ein freimüthiges Urtheil kann mir lieb sein, ein andres ist kein Urtheil mehr und nüzt zu gar nichts, seh ich, daß der andre Recht hat, nun so werd’ ich kein Narr sein und mich gegen meine eigne Ueberzeugung sträuben und kämpfen, glaub ich, er habe Unrecht, glaube es aus Gründen, nun so weiß ich ja, daß seine Stimme noch nicht die Stimme der lezten ausgemachtesten Wahrheit sei, wie überhaupt Schriftsteller durch eine Rezension so sehr können beleidigt werden, kann ich bis izt / noch nicht begreifen.
Jezt noch ein paar Worte über Dein kleines Gedicht:
Einige Härten darinn wirst Du wohl selbst gefühlt haben, wie: stürzte mich die Wuth, Brücken d. schwarzen Stroms etc, (eine Stelle, die unverständlich ist, ihr mein Spott) – aber das sind Kleinigkeiten. Eine andre Bemerkung, die wichtiger ist, ist die, daß das ganze zu individuell, zu wenig idealisirt ist, etwas, wovon wir sonst sehr oft gesprochen haben. Du kannst, geb’ ich zu, dies Gedicht wirklich in einer Art von Begeisterung geschrieben haben, aber es ist ein Feuer, das kein andrer versteht, es ist bloß für Dich gedichtet, die Bilder sind Dir verständlich, aber keinem andern. Für ein so kleines lyrisches Gedicht ist die Situation (Du wirst verstehn, was ich meine) zu neu, zu gesucht. Ich erinnre mich noch keines lyrischen Gedichts, was einen ähnlichen Gegenstand behandelte. – Ein Dichter sieht / sein Weib ermordet, – wird er in diesem Augenblick die Laute nehmen und singen? (Was man sich doch bei einem lyrischen Gedichte denken muß) denn daß er im ersten Augenblikke der Betäubung singt, sieht man an dem Ton sehr deutlich, der im Gedichte herrscht. – Er wird keine Worte finden, er wird in Ohnmacht sinken und seine Laute in Stücken schlagen, jeden Ton verfluchen, den er einst sang und sich selbst hassen, wenn er jetzt sprechen könnte. – Der Leser wird bei einem so ausserordentlichen Fall mehr erstaunen, als an dem Schmerz des Dichters Antheil nehmen, die Empfindungen dieses über einen solchen Vorfall werden ihm nicht genügen, er wird den Zusammenhang der Geschichte wissen wollen. – Alle lyrischen Dichter bis izt haben dies auch gefühlt, alle drehen sich daher in einen Kreis von schon bekannten Ideen und Situationen, / und überschreiten sie je einmahl diese Gewohnheit, so erzählen sie jedesmahl die Geschichte. Ein lyrischer Dichter aber, der sich eine ganz neue Situation fingirt und darüber seine Empfindungen ausgießt, scheint mir eben so wenig seinen Vortheil zu verstehn, als ein Mahler der unbekannte Gegenstände und eine fremde Fabel wählt, wenn man ihn auch endlich versteht, so hat doch der andre immer das voraus, daß er eher verstanden und mehr Eindruck machen wird. – Du scheinst mir also hier offenbar dem dramatischen Dichter in’s Amt gefallen zu sein, bei ihm wirkt dies, weil man es aus dem vorhergehenden versteht, weil die Geschichte hier eben durch die Empfindungen, die sie veranlaßt, interessirt. – Weil ich denn doch einmahl so in die Aufrichtigkeit hineingekommen bin, so will ich Dir auch erzählen, wie ich mir die Entstehung dieses Gedichts gedacht habe, es wird Dir Spaß machen, wenn ich’s errathe und keinen Verdruß, wenn ich Unrecht habe. Es fiel mir nehmlich die Verschiedenheit der Ideen auf, / die hierinn und in der Wuth und Verzweiflung Fieskos herrschten, nachdem er sein Weib ermordet hat. Fiesko wünscht, alles soll jezt verzerrt, soll Schmerzen leiden wie er, die ganze Welt will er zertrümmern, – hier etwas, was der Leidenschaft erstaunlich fern liegen muß, eine Art von verzweifelndem Witz, die ein Bedencken voraussezt, eine lange Abstufung der Leidenschaft bis zur Betrachtung und Vergleichung. Ich dachte mir also die Entstehung des Gedichtes so: Du hattest wahrscheinlich die schöne Stelle Schillers im Kopf: Ständ im All der Schöpfung ich alleine etc, die Dir so ausserordentlich gefiel und die ich seit damahls gar nicht loß werden kann. Etwas, was man so lange mit sich herumträgt, vergleicht man sehr sorgfältig, ohne es selbst zu wissen, von allen Seiten, in einer Art von Traum sezt man eine solche Stelle in einer andern Verbindung und sieht, welche Wirkung sie dort machen würde, kurz, man / versucht ein solches Gemählde aus Scherz von einer Menge Seiten zu betrachten, bis man darüber endlich den wirklichen Augenpunckt verliehrt. So fielst Du auf den Gedanken, dieselbe Idee in der entgegengesezten Verbindung zu stellen, statt allgemeiner Liebe, allgemeinen Haß, – so entstand der Eingang und die Situation, Du schriebst das Gedicht nieder, hattest seine Entstehung vergessen und weil Du mit diesen Empfindungen Dich vertraut gemacht hattest, so sahst Du auch nothwendig das Unnatürliche und Fernliegende nicht ein, denn es lag Dir ja so nahe. Ist diese Voraussetzung in Ansehung der Entstehung des Gedichtes wahr, so bemerke nur noch den Unterschied zwischen Deinen und den Schillerschen Versen. Hier, – wär’ ich allein, ich fühle, ich würde Felsen für beseelt halten und sie als Freunde umarmen, – dort, – ich hasse alles lebende, – nur Steine will ich von izt an lieben. Bei Schiller sieht man / sehr deutlich den Uebergang zu dieser Idee, aber auch bei Dir? – Auf eine ähnliche Art sind wenigstens eine Menge Verse in Ovids Gedichten entstanden, wenigstens viele feine Spielereien, hüte Dich ja vor dem Fehler so vieler Dichter zu denken statt zu empfinden. Der Dichter muß aus seinem Herzen sprechen, und dann wird er uns rühren, geht er den Umweg, von Beobachtung zur Empfindung, so wird er meist einen falschen Weg betreten, wir können an ihm wohl noch den wohlgeordneten Plan, das schöne Silbenmaas bewundern, aber unser Herz wird er vorübergehn, bloß der Gelehrte wird sich dabei freuen, eine Menge Parallelstellen aus Catull, Horaz und Virgil zitiren zu können. – Dies erinnert mich gelegentlich an Rammler, von dem Du in Deinem zweiten Briefe sprichst. / Ich erinnre mich noch recht gut der Zeit, da Du Rammlern für den grösten Dichter hieltest, ich sagte Dir meine Meinung über ihn, Du lerntest andre Dichter kennen und jezt scheinst Du fast auf das andre Extrem gefallen zu sein. – Ueberhaupt sind Deine frühern Gedichte die ich hier habe, ungleich diesem kleinen, der Sappho und dem was Du mir in Berlin neulich bei meinen Zahnschmerzen vorlasest (Du wirst Dich dessen wohl noch erinnern) vorzuziehn, Du kamst weit früher als ich auf die richtige Bahn, alle diese kleinen Gedichte sind natürliche Empfindungen, aber statt der einzelnen, individuellen (die keine Sprache überdies nie ausdrükken wird und kann) war sie aufs allgemeine gebracht, das heißt idealisirt. Deine Idee von individuellen Empfindungen kann ich also durchaus nicht billigen, selbst der dramatische Dichter wird sie nie ganz so darstellen können, schon die Sprache nöthigt mich, sie allgemeiner, (genereller) zu machen, wollte ich ganz meine Empfindung niederschreiben, so müßt’ ich erst eine eigne Sprache erfinden, und dann würde mich niemand verstehn, und / erlernte er auch diese Sprache, so bleibt immer noch die Frage übrig, ob er auch dieselben Empfindungen hat. – Dies machte das Idealisiren bei den Dichtern nothwendig, und aus diesem Grunde erscheint uns der Dichter abentheuerlich, der es nicht thut, der in die Gattung nicht das Einzelne versenckt, eben weil jeder sich bei den Ausdrükken ganz etwas anders denckt, als der Dichter, weil Zufall, Erziehung, Organisation in jeder Seele ein andres Bild hervorbringt. Hinzu kommt noch, daß jene Empfindungen, von denen Du in Deinem zweiten Briefe sprichst, gewöhnlich aus einem Chaos von dunkeln Empfindungen bestehn, eine wälzt sich über die andre, keine bleibt stehend und fest, und das erregt den sonderbaren Zustand, den Du unmöglich in Verse bringen kannst. Selbst kein dramatischer Dichter hat diesen Zustand, diese Empfindungen noch deutlich beschreiben können, hier muß der Leser an die Stelle des Dichters treten, und hier trifft es am mei/sten ein, was, wo ich nicht irre, schon Longin gesagt hat, ein Dichter setze einen Dichter zum Leser voraus. – Ich weiß nicht, ob Du mich ganz wirst verstanden haben, sage mir doch davon in Deinem nächsten Briefe. Wunderbar ist es nur, daß, da ich nicht lange erst davon überzeugt bin, wovon Du schon lange überzeugt gewesen bist, Du in eben dem Augenblick umkehrst, und den falschen Weg betrittst, den ich verlassen habe. – Vergiß nur nie, daß sich mit diesem Idealisiren Originalität noch immer sehr gut verträgt.
Du siehst, ich habe sorgfältig, einen Punkt Deines Briefes nach dem andern beantwortet, um nichts zu vergessen, doch incidit in Scyllam etc, bin ich vielleicht eben dadurch in den Fehler der Geschwätzigkeit gefallen und Du stehst mit mir nun schon einmahl auf diesen traurigen Fuß, daß Du mir eins von beiden vergeben mußt.
Ich habe gestern wieder einen sehr freundschaftlichen Brief von Schmol bekommen. /
Ich gratulire zum Neuen Jahr.
Liß doch den Ardinghello, wenn Du ihn bekommen kannst, es ist zwar alles sehr einseitig darinn, aber Du wirst viele schöne Stellen finden, und man bekömmt auch in mancher Rücksicht neue Ideen.
Du sprichst ja gar nichts von den Franzosen? Ich will nicht hoffen, daß sie Dir gleichgültig geworden sind, daß Du wirklich Dich nicht dafür interessirst? O, wenn ich izt ein Franzose wäre! Dann wollt’ ich nicht hier sitzen, dann – – – Doch leider, bin ich in einer Monarchie geboren, die gegen die Freiheit kämpfte, unter Menschen, die noch Barbaren genug sind, die Franzosen zu verachten. Ich habe mich sehr geändert, ich bin izt nicht glücklich, wenn ich keine Zeitungen haben kann. O, in Frankreich zu sein, es muß doch ein groß Gefühl sein, unter Dumourier zu fechten und Sklaven in die Flucht zu jagen, und auch zu fallen, – was ist ein Leben ohne Freiheit? Ich begrüsse den / Genius Griechenlands mit Entzükken, den ich über Gallien schweben sehe, Frankreich ist jezt mein Gedanke Tag und Nacht, – ist Frankreich unglücklich, so verachte ich die ganze Welt und verzweifle an ihrer Kraft, dann ist für unser Jahrhundert der Traum zu schön, dann sind wir entartete, fremde Wesen, mit keiner Ader denen verwandt, die einst bei Thermopylä fielen, dann ist Europa bestimmt, ein Kerker zu sein.
Die Briefe werden nicht mehr geöffnet, Burgsdorf machte sogleich eine sehr gute Vorstellung an die Regierung, die viele Studenten unterschrieben und der dumme Befehl ward zurückgenommen.
Ich bin hier noch immer eben so froh und zufrieden als sonst und wirst Du mir es übel nehmen, ich vermisse Dich hier bei weitem nicht mit dieser herzbeklemmenden Aengstlichkeit als in Halle, ich denke täglich an Dich, aber mit weit mehr Ruhe, Burgsdorf ist doch ein ganz andres Wesen als Schmol und Bothe usw. /
Den Shakspear glaube ich Dir jezt wenigstens etwas besser als sonst erklären zu können, ich studiere ihn noch immer.
In der Archäologie weißt Du, steh ich gewissermassen noch immer in dem Vorhof, alles, was ich weiß, ist mehr, was ich selbst darüber gedacht habe, als daß ich das Sistem, die Meinungen und Irrungen eines andern angenommen hätte. – Traurig, daß der Mensch ein so erbärmliches Wesen ist, daß man nicht lernen kann ohne wieder zu vergessen, ich schränke mich immer noch mehr auf Dichtkunst ein, und fange nun auch darum in acht Tagen an, spanisch zu lernen.
Daß Moritz schmeicheln kann ist sehr natürlich, ein Mensch, der beständig über sich selbst brütet und nachdenckt, der immer tiefer in das verworrene Gewebe seines Herzens schaut, der muß dort auf so wundervolle so seltsame Erscheinungen treffen, daß er nach und nach ganz an sich verzweifelt, bei jeder Handlung, die die Welt gut nennt, wird / er mißtrauisch werden, in seinem Herzen nachschlagen und finden, daß sie vielleicht aus dem jammervollsten Eigennutz, aus der lumpigsten, verächtlichsten Leidenschaft entsteht, so gewöhnt sich ein solcher Mensch Tugend für ein Hirngespinnst zu halten, er folgt seinen Launen, seinen augenblicklichen Stimmungen, ohne zu untersuchen, ob sie zu tadeln oder zu loben sind, weil bei ihm beides zusammenfällt. – Dies ist ein grosser Schade, das Studium der Psychologie, wenn es zu weit getrieben wird, der Mensch verliehrt alle Kraft zu handeln, aller Enthusiasmus wird in ihm erstickt, er verliehrt sich in trägen Speculationen. Ich habe es daher schon seit langer Zeit aufgegeben. Wir werden nie das Räthsel von uns selbst auflösen, und es ist gut, daß wir es nicht können, sich unnöthig verstricken, in eine finstre Nacht mit gespanntem Auge hineinsehn, tausend Sachen in dunkeln / Gestalten vorüberschweben sehn, ohne sie zu durchschauen, – ist Thorheit; – Menschenkenntniß, Kenntniß des Herzens, wird immer unser höchstes Studium bleiben, nur nicht auf diese Art getrieben. – Ein Mensch der nicht schmeichelt, muß schon eine Art von Grösse haben und diese habe ich Moritzen nie zugetraut. – Ich sage mich nochmals von ihm loß; meine Empfindungsart gränzt nahe an die seinige, aber nicht meine Art zu denken, d. h. meine Empfindungen anzuwenden. – M. wurde sonst wenig geschäzt, ein solcher Mensch verachtet sich auch gewöhnlich, seit einiger Zeit ist er Hofrath und so etwas geworden, er ist nun klein genug, immer höher zu wollen.
Anna B. hat lange geschlafen, so lange, daß ich sie fast vergessen hatte, sie ist ein hundertmal erzähltes Märchen, so frostig für mich, ich habe indeß meine Art zu denken und schreiben geändert, die andre Hälfte wird der ersten sehr ungleich werden. Und doch möcht ich das Stück nicht von neuem anfangen. /
Viele Gesichter thun sehr weh, darinn hast Du sehr recht, besonders wenn Stolz und Dummheit darinn gemischt ist, – wir fühlen, wie sehr wir sie verachten und auch zugleich, wie glüklich sie sich fühlen, wie geehrt sie sich glauben, – dies bringt eine schmerzliche Beklemmung hervor, eine dunkle ängstigende Ahndung, daß es uns wohl in einigen einzelnen Augenblikken eben so gehen möge. – Wir können es aber nicht ändern, so lange wir Menschen bleiben, werden wir hassen und verachten müssen, wir könnten auch vielleicht nicht mehr lieben und verehren, wenn wir es verlernten, wenigstens nicht in dem Maasse. – So lange Du so empfindest, wirst Du nie eigentlich stolz werden können, und das ist schon ein grosser Vortheil.
Noch einmahl, Du wirst dem dramatischen Dichter ins Amt fallen mit Deiner Idee, Schillers Oden sind auch nach meiner Meinung nicht von dieser Gattung, so wenig wie Stollbergs. –
Es scheint überhaupt, als wenn sich jezt Deine Empfindungen erweiterten, als bekämest Du erst / jezt noch mehr die Fähigkeit, auch in das Herz andrer Menschen zu blikken, indem Du Dich selbst mehr verstehst und fällst daher wieder in den Irrthum (den Du mir schon ehemals eingestandest) dies als eine besondre Empfindung, die kein andrer hat, anzusehn. – Schreibe ein Stück, Du scheinst jezt mehr, als jemals, dazu aufgelegt zu sein.
Von den Göttingschen Gelehrten u s. w. kann ich Dir nichts schreiben, Du kennst mich ja darinn. – Nun lebe tausendmal wohl, gestern habe ich den Werther wieder gelesen, Göthe ist ein Gott, es griff mich sehr an. Ich weiß nicht, welcher Narr zuerst von Unnatürlichkeiten muß gesprochen haben. – Schreibe mir bald, lebe wohl, recht wohl und bleibe so gesund, als ich.
Tieck.
Göttg
am 28t. Decbr. 92.
Metadata Concerning Header
  • Date: [zwischen dem 20.] Dezember 1792 [und dem 7. Januar 1793]
  • Sender: Ludwig Tieck ·
  • Recipient: Wilhelm Heinrich Wackenroder ·
  • Place of Dispatch: Göttingen · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Wackenroder, Wilhelm Heinrich: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 2: Briefwechsel, Reiseberichte. Hg. v. Richard Littlejohns u. Silvio Vietta. Heidelberg 1991, S. 102‒116.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
Language
  • German

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