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Wilhelm Heinrich Wackenroder to Ludwig Tieck TEI-Logo

Berl. Jan. 93.
Mein liebster Tieck,
In der Hälfte Deines kleinen Briefchens sagst Du mir auf 10 verschiedne Arten, daß ich Dir nicht schriebe, u daß ich Dir schreiben solle, belegst mich auch mit dem ehrenvollen Titel eines fleißigen Briefschreibers. Den will ich auch nicht verscherzen. Unsre Briefe haben sich wieder begegnet.
Den Roßtrapp habe ich Deiner Schwester gegeben. In Ansehung dieses u Deiner übrigen Arbeiten fürs Publ., mögen Ramb. u Bemh. Dir das Weitere schreiben, u diese Autorgeschäfte mit Dir betreiben. Allein, was soll ich zu dem Gedichte selber sagen? Fürs erste, so dünkt mich, daß es immer etwas, wo nicht viel, verdirbt, wenn man viele Sachen so flüchtig u nachläßig arbeitet; u ich wünschte nicht, daß Du hierin Rambachs Nachfolger werden möchtest. Es ist zwar eine blendende Einbildung, daß man dadurch mehr Fertigkeit, mehr Reichthum an Ideen u Wendungen erhalte; allein es ist wenig mehr als Einbildung. Denn man verwöhnt sich durch diese Art zu schreiben gewiß am Ende so sehr, daß man nachher nicht mehr etwas langsames, durchdachtes, in allen Theilen soviel als mögl. vollkommenes, zu Stande bringen kann. An hundert Orten bringt man zerstreut sehr artige Gedanken u Bilderchen an, u in allem was man hervorbringt ist ein Etwas, aber nichts Ganzes v. Schönheit; u so verliert man die Kraft, die Stärke u die Beharrlichkeit, ein Werk zu schaffen, worin man nach Gewissen jeden einzelnen Theil, bis auf Kleinigkeiten, so ausgefeilt, u der Vollkommenheit so nahe zu / bringen gesucht hat, daß man das Ganze ein Produkt seiner höchsten u edelsten Anstrengung nennen darf. Und im Grunde sollte jeder Dichter u Künstler doch bey jedem Werke wenigstens den Vorsatz haben, es so zu vollenden, wie es seine Kräfte, in ihrer wirksamsten Thätigkeit, nur immer erlaubten. Ich glaube freil. weniger daß meine Besorgnisse bey Dir wirkl. eintreffen möchten, als ich diese Gedanken für andere, (z. B. Rambach) treffend glaube. – Dein Roßtrapp ist gar nicht sonderlich: und hat die Ehre, noch zieml. unter der Emma u Adalb. zu stehen. (Das ist doch freimüthig genug?) Die Erfindung? könnte, dünkt mich, weit besser seyn. Daß ein Mädchen auf einem Pferde über den tiefen Abgrund einmal herübergesetzt hat, weil sie von einem Riesen verfolgt ist, ist eine triviale Fiktion, die – ich auch hätte erfinden können, u die durch die Ausführung in ein noch dürftigeres Licht gestellt wird. Die ganze Erzählung hat gar keine Haltbarkeit, kein Interesse, kein Leben: warum verfolgt der Riese das Hirtenvölkchen? Was will das Geisterwesen eigtl. sagen? Warum schützt das Diadem vor dem Riesen? Warum ziehen die Geister u Alles am Ende v. d. Ort weg? Das liegt alles im Nebel. Und dann hast Du wohl in der Mitte den Eingang vergessen: ein Minnesinger kommt in die Harzgegend, (der Anfang in Prosa enthält noch die meiste Kraft u Phantasie,) beschreibt sich selbst, (doch etwas steif, als wenn er dem Landschaftsmaler abgerissene Ideen angäbe,) die Gegend, u fängt hierauf zum Zeitvertreib / an, sich in Versen, die er, wenn es ihm zu unbequem wird, auch ohne Reim vorlieb nimmt, ein Geschichtchen vorzusingen. Ein kurieuser Minnesinger! Er muß närrische Launen gehabt haben! Ich hätt’ ihn sehen mögen, wie er da in der einsamen Gegend sitzt, u sich ein Mährchen singt! – Warum ist nicht das Ganze Ein Ausfluß der Phantasie, v. Anfang an in Versen? Warum läßt Du ihn nicht, in lyr. Gemählden die Gegend besingen, in lyr. Begeisterung die Begeb. der Vorzeit ihn als gegenwärtig sehen? Und dann die Verse! Ganz gewiß hast Du das Stück nie laut gelesen; oder Du müßtest es denn in der Absicht gelesen haben, um Dir selber Spaß zu machen; sonst, wenn es Dir wieder etwas neues seyn sollte, will ich Dir ein kleines Pröbchen zum beßten geben:
Die Mädchen:
Das Glück
Mit holdem Blick
Wohnt
Hier u sonnt
Im Buchenhain
Sich im Frühlingsschein.
Und mehr dergl. Verse, die in der That wahre Knittelverse sind. – Auch Bilder wie: der Donner stößt sich an den Klippen wund, hast Du wohl nur Spaßes halber hingeschrieben.
Du siehst wie beredt ich bin, wenn Du einmal etwas mittelmäßiges od. schlechtes hervorbringst. So machens die kleinen Geister, welche die größern weit zu übersehen glauben, wenn sie im Stande sind in den Bastardgeburten ihres Geistes Fehler zu entdecken, die sie selbst nicht einmal zu machen vermögen. Bey Meisterstücken schweigen sie still, u wissen nicht was sie sagen sollen, weil / sie viel zu eingeschränkt sind, die verborgenen Quellen der Schönheiten aufzuspüren, u nach Verdienst die Schönheiten zu würdigen. So mach ichs auch!
Neulich hab’ ich das neue Ritterstück: Ludw. der Springer gesehen. Ein dürftigeres, anfängermäßigeres, bedauernswertheres, nüchterneres, faderes, unbedeutenderes, nichtssagenderes, gemeineres, gewöhnlicheres, – (aber ich komme äusser Athem!) Stück kenn’ ich gar nicht. So ohne einen Funken, ohne einen Schatten von Tragischem Geist, Empfindung, Durchführung v. Charakt. u Situationen geschrieben! Es ist so kurz, daß die Hauptpersonen nur grade so viel Zeit haben zu sprechen, als um die Gesch. die zum Grunde liegt, zu erfahren nöthig ist: alles nichts als ein dialogisirtes hist. Kompendium. Alles nur Skelett, Thema, zur Ausführung. Nicht eine einzige Rolle, nicht eine einzige Scene, wobey das Herz warmen Antheil nähme. Der Plan: wie ein Spinnengewebe. Vorn ein Sancho Pansa, der den Spaßmacher spielt. Wenn die Hauptpersonen den Gang der Handl, fortführen sollen, werden ein Paar Gefangenwärter, oder dergl. Gesindel eingeschoben, die uns indeß mit den trivialsten Späßen die Zeit vertreiben. Die Baranius hält im Gericht die Feuerprobe aus; u das Ende ist ein Rittergefecht: beydes ist interessanter anzusehen als das ganze Stück zu hören: denn die, (hier genau beobachteten,) stummen Ceremonien eines heiml. Gerichts, u der Pomp der Turnierrüstungen, verfehlen nie den Eindruck. Von der schönen edlen! Sprache eine Probe: „Da müßt ihr Pferde anspannen lassen, wenn ihr mich von der Stelle brin/gen wollt:“ spricht Ludw. im höchsten Zorn. Der leibhaftige Fuhrmann, der in der Trunkenheit, den Hut auf einem Ohr, die Hände in die Seite setzt. Doch das ganze Ding verdient nicht, daß ich ein Wort mehr darüber sage.
Bernhardi hat itzt schnell den Entschluß gefaßt sein Nachspiel selbst an Engel zu bringen. Vorher hat ers Hagemeistern gewiesen, der es gelobt hat. – Neulich ist eine neue Operette: Die unruhige Nacht, nach Goldoni, Mus. v. Lasser in München, 2 Tage hintereinander ausgepocht worden.
Aber was heißen alle diese Neuigkeiten gegen die, welche ich Dir itzo vortragen will. Lege Dein Gesicht in Falten, bereite Dich auf einen großen Gedanken vor, u setze Deine Seele in eine gemäße Stimmung. Triumph u Viktoria, 3 mal u 4 mal! mein Glück, mein Heil ist gekommen; ich bin emporgehoben aus dem Staube, u stoße an den Orion mit meinem Scheitel. Nun erst wag’ ich es, Dich brüderlich zu umarmen, u mit Dir vereint, dem Tempel der Unsterblichk. zuzufliegen! Fort mit allen Phantasien die itzt vielleicht wie schwarze Wolken Deinen Kopf durchziehen; sie sind nichts gegen das was Du hören wirst! Gebiete dem kleinsten Gedanken Deiner Seele eine feierl. Stille, u laß, in dieser erhaben-majestät. Pause Deiner Geistesthätigkeit Dir die goldenen, himmlischen Worte Deine beyden Ohren füllen: Ich bin Schriftsteller, u abermals: ich bin Schriftsteller. – – – Allein ich muß mich wohl von meiner schwindlichten Höhe herablassen, u Dir in der Sprache / der Menschen, in aller Kürze erzählen: Cur, quomodo, quando. (N. B. Alles was Du jetzt hörst sind die tiefsten Geheimnisse, nur für Dich, mich u Bernhardi offen.)
Bernhardi ist zum Mitarbeiter an einer neuen Monathsschr. engagirt, die Rambach u Heydemann, (vielleicht auch von Zöllner, Jenisch, Eschenburg u Veit Weber unterstützt,) bald herausgeben wollen. Nun bat er mich so dringend u unabläßig, ihm meine Ode an die Zeit, die ich ihm einmal vorgelesen, hier zum Drucke anzuvertrauen, daß ich es ihm in der That nicht abschlagen konnte. Er wollte durchaus die Gründe meines Weigerns wissen, u da fast der Hauptgrund der war, daß ich in einer zum Theil doch etwas verdächtigen Gesellschaft, u in einem so ephemeren, verachteten, plebejen Werkchen mich in der Welt nicht zuerst produciren wollte, so mußte ich, da ich ihm diesen Grund nicht gut sagen konnte, ihm keinen Grund zu haben scheinen. Genug, ich mußte ihm, halb gezwungen, die Ode, (mit einigen Veränderungen,) geben: nur ließ ich mir strenge Verschwiegenh. von ihm versprechen. Nun hat er sie an Rambach u Heydemann vorgelesen, aber in einiger Entfernung, damit sie meine Hand nicht erkennen sollten; sie hat Beyfall gefunden, u wird nun wahrscheinl. gedruckt werden. Was das komischeste aber ist, so hat Bernhardi Rambachen im Vertrauen gesteckt, die Ode wäre von seinem Freund Schmiedecke; u freut sich schon im Voraus auf die komische Scene die dadurch zwischen diesem u Rambach entstehn wird, da ohne Zweifel Schmiedecke, wenn ihm der geschwätzige / Rambach die Ode auf den Kopf zusagt, den Unwissenden besser als irgend einer spielen wird. Ob Bernh. an der Scherzlüge klug gethan hat, u ob Ramb. bey seinem Glauben bleiben, oder nicht doch auf mich argwöhnen wird, welches mir nicht lieb wäre, weiß ich nicht. Unter die Ode habe ich den Namen Agathon gesetzt, weil das mein Lieblingsname ist.
Ich habe eine Bitte an Dich. Da Du im vorigen Frühl. Matthisons Mutter gesprochen hast, so kannst Du mir vielleicht schreiben, wo, wann, er gebohren, wo er itzt ist, u was Du sonst v. seiner Jugendgesch. u seinen Lebensumständen weißt. Vergiß es nicht in Deinem nächsten Briefe. – Hast Du noch die sibir. Anthologie v. Schiller?
Du willst mich gern den Roßtrapp auf Ostern in Natura sehn lassen? Aber die Jahrszeit, das Wetter; u unsre eingeschränkte Zeit! Es ist wohl kaum mögl. Ich muß Verzicht drauf thun. Wir werden unsre Reise so simpel u aufenthaltlos als mögl. machen müssen. Auch bitte ich Dich, so viel ich bitten kann, lieber Tieck, daß Du so schnell als mögl., auf dem kürzesten Weg, u so bald als mögl. hier bist: u es, wenn auch nur auf ein Paar Tage (damit Du uns nicht wieder in Sorgen setzest,) im Voraus bestimmst, wann Du anzukommen gedenkst. Wie dringend wünschte ich Dich 14, oder Dich doch zwischen 8 u 14 Tage vor Ostern (dem letzten März) hier zu sehen! Deine Schwester stimmt ganz in meine Wünsche ein.
Du wirst wohl sehen, lieber Tieck, daß ich bis hieher, noch nicht Dein Trauerspiel: Der Abschied, gelesen hatte: denn wovon hätte ich Dir sonst zuerst schreiben können, als hiervon? Und wie ist es mögl., daß in Deinen Briefen an mich nichts davon steht? Himmel Du hast mir wieder eine sehr glückl. Stunde gemacht, hast mich ganz hineingezaubert in die Zeiten, da wir noch hier zusammen lebten u zusammen empfanden. O es ist nicht wahr, daß ich die Schönheiten hier nicht bis auf die allerfeinste fühlen sollte! Ich fühl es, ich fühl es, wie alles aus dem Strohm der Empfindung eines vollen Herzens geschöpft ist. Wovon soll ich anfangen? Es hat mich gerührt, entzückt! Ganz in dem Göthenschen Geist des Werthers, der Stella, gedichtet! Ganz Gemählde, treustes Gemählde der erhabenen, ätherischen, u schwärmerischen Gefühle die wir so manchesmal in den Stunden der Seligkeit miteinander wechselten. Hast Du, bey der Stelle, wo Luise das von ihrem Geliebten komponirte Lied: Wie war ich doch so wonnereich, spielt, an mich gedacht, so dank ich Dir: glücklich fühl ich mich, wenn mein Andenken Dich in solchen Stunden umschwebt. Wie lautere Natur ist Ramstein! Ich wäre außer mir, wenn ich ihn einmal, Du den Waller, spielen könnten! Wie unnachahml. die 2 Scenen zwischen Luise u R! Wie wahr der glühende u kochende Ehemann! Wie wahr dies lenkbare Schwachheit des weibl. Charakters! Ueberall die feinsten Züge verstreut! Es ist mir nicht möglich Dich itzt auf Einzelnes aufmerksam zu machen; Du wirst Dir die / Stellen hinzudenken, worüber ich so vorzügl. entzückt ward: vielleicht hätte das Ende etwas besser ausgearbeitet seyn können; u noch gewisser wage ich zu behaupten, daß zuweilen der Dichter die Personen noch immer mehr von ihrer Empfindung sprechen, als sie, ihrer Empfindung gemäß, sich ausdrücken läßt. Doch der Glanz des Ganzen verschlingt diese Flecken. Wärst Du hier, wir wolltens zusammen lesen, u jeden Augenblick würde ich Dir mein Entzücken zu erkennen geben. Aber so kann ich nichts auszeichnen, es ist zu viel, u ich bin zu voll. O laß doch die Reimerey seyn! Hier ist Dein Wirkungskreis, im Feld des Tragischen, u der trüben Melancholie. Wie glückl. wär’ ich, wenn ich etwas ähnl. dichten könnte! Diese Gattung würde meine Lieblingsgattung seyn! Ich danke Dir inniglich, mein lieber, mein bester Tieck, für das süße Vergnügen, was Du mir gemacht hast!
Warum bearbeitest Du den Orest in Ritterzeiten nicht? –
Schreib’ mir bald, – schreib wann Du kommst.
Dein Freund W. H. W.
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  • Date: Freitag, 25. Januar 1793
  • Sender: Wilhelm Heinrich Wackenroder ·
  • Recipient: Ludwig Tieck ·
  • Place of Dispatch: Berlin · ·
  • Place of Destination: Göttingen · ·
Printed Text
  • Bibliography: Wackenroder, Wilhelm Heinrich: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 2: Briefwechsel, Reiseberichte. Hg. v. Richard Littlejohns u. Silvio Vietta. Heidelberg 1991, S. 125‒130.
Manuscript
  • Provider: Freies Deutsches Hochstift
Language
  • German

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