Göttingen, den 16. Februar 1794.
Mit welchem Vergnügen habe ich Ihren Brief gelesen! Sie werden aus dem meinigen sehen, wie sehr mir alles was er enthält, am Herzen liegt, und mit welcher aufrichtigen Freude ich an Ihrem Wohlsein, wie an Ihren unermüdeten literarischen Arbeiten und Bemühungen teilnehme.
Aber, lassen Sie mich das Bittere zuerst vom Herzen schütten. Ich will Ihnen nur also geschwind und kurz heraus sagen, daß ich, mancherlei kleiner Hindernisse wegen, die zusammen doch ein großes ausmachen, – nicht habe Kassel besuchen können. Ich will Ihnen nicht eine langweilige Klage, wie sehr es mir leid täte Ihnen einen, zugleich mir so angenehmen Dienst nicht erwiesen zu haben, zur Entschädigung schicken; denn ich setze voraus, daß Sie davon schon überzeugt sind. Es wäre eine große Freude für mich, Sie aus den verborgenen Schätzen der hier nahen Bibliotheken, mit literarischen Seltenheiten zu beschenken; und ich hoffe, daß es auch noch geschehen wird. Ich habe den Brief an den Herrn von Schlieffen sogleich abgeschickt, und dazu geschrieben ich würde in einiger Zeit, (vielleicht auf Ostern,) wenn ich nach Kassel käme, so dreist sein, ihm meine Aufwartung zu machen, und mich glücklich schätzen, wenn er mir behilflich sein könnte, Ihren Wunsch zu erfüllen. Ich habe nur zwei Bedenken. Fürs erste, wird ein junger Mensch, und ganz vorzüglich ein Student immer sehr ungern zu solchen Seltenheiten gelassen; wenigstens sieht man ihn immer von der Seite an, wenn er sich so lange mit ihnen beschäftigen will. Und dann bin ich auch ein wenig bange, ob ich mit dem Lesen der Handschrift, worin ich noch gar nicht geübt bin, fertig werden möchte; zumal da diese Handschrift eine papierne, späte ist, und wohl ziemlich undeutlich, oder mit Abbreviaturen usw. geschrieben sein könnte. Meine Bedenklichkeiten sind nicht eine grundlose Schüchternheit; – ich werde dreist genug sein, das Unternehmen zu wagen, weil Sie und die Wissenschaft mich anspornen; – und ich will es dann ruhig abwarten, ob ich mich prostituiere, oder nicht. Denn allerdings wäre es komisch, einer Handschrift willen fünf Meilen zu reisen, die man am Ende – nicht lesen kann. Können Sie mich hierüber trösten? – Ich denke, daß Sie auch nach Ostern noch die Nachricht von der Handschrift werden brauchen können. Übrigens stehen, wie ich mich sehr wohl erinnere, in der Vorrede zum Wilhelm dem Heiligen von Oranse schon mehrere der interessantesten Stellen. – Werde ich, wenn ich nach Kassel komme, geradezu zum Herrn von Schlieffen gehn, und mich auf Ihren Brief nur berufen können? Und wenn ich auf Ostern oder sonst, vielleicht nach Braunschweig und Wolfenbüttel kommen sollte, könnten Sie mir dort vielleicht auch Adressen an Ihre Freunde, die Manuskripte, und an deren Wächter geben?
Ich bin Ihnen für die Probe des Enenkels, und für den König Lear, sehr verbunden. Freilich ist der letztere leider! nicht eine der alten Originalausgaben, (die auch in der Tat in England schon so selten sind, daß es ein wahres Wunder gewesen wäre, wenn sich ein Exemplar nach Deutschland verirrt hätte,) – sondern eine Umarbeitung von Tate; – aber doch werde ich, wenn Sie erlauben, das Stück behalten, und dafür zuverlässig, wenn ich nach Berlin komme, die Gesellschaftsbibliothek mit einem passenden Geschenk vermehren. Ich muß es Ihnen gestehen, daß diese Bibliothek mir eine Aussicht gewährt, die mich entzückt; – ich verspreche, mich künftig zu bemühen, sie zu bereichern. Das ist immer mein höchster Wunsch gewesen, eine solche Sammlung, vornehmlich nur aus dem Fach der schönen Wissenschaften bei den Deutschen, zusammenzubringen, so daß sie von mehreren eifrigen Freunden dieses Studiums genutzt werden könnte. Nur dann können Werke über unsre Literatur, und die Geschichte des Geschmacks in unserm Vaterlande entstehen, wie wir sie noch vergeblich suchen. Und daß es Ihnen, wie jedem, ein schöner Gedanke sein muß, daß der mit Mühe zusammengebrachte Schatz vielleicht Jahrhunderte lang beieinander bleiben, und Nutzen stiften wird, – versteht sich von selbst. Wie ist es denn möglich, daß kein Großer, kein Besitzer einer reichhaltigen Bibliothek, sie irgendeinem Orte vermacht, wo mehrere Gelehrte zusammenleben, und bestimmt, daß sie für diese und auch für andre Leser beständig offen sein soll, – so lange bis, – die Würmer die Bücher zerfressen. Aber da werden die herrlichsten Sammlungen in Auktionen verstreut, und kommen vom Kerker eines Privatmanns, in den eines andern, und liegen; – oder in eine sogenannte öffentliche Bibliothek, und – liegen ebenfalls.
Welchen schätzbaren Werken von Ihrer Hand, sehe ich mit froher Begierde entgegen! Sollte ich Ihnen vielleicht einen kleinen Beitrag zu Ihrem Kompendium liefern, wenn ich Ihnen folgende zum Fach der Satire gehörige Broschüre anzeige, die ich hier beim Antiquar gekauft habe. Steht sie nicht im Flögel, so möchte sie vielleicht Ihnen neu sein. Es ist: Gottsched ein Trauerspiel in Versen oder der parodierte Cato. Zürich. 1765. 8. 47 Seiten. Mit kurzem Vorbericht. Es ist bloß der erste und fünfte Aufzug des Cato parodiert. Vorn stehn die Personen des Trauerspiels (die Personen des Cato,) und dann die Personen der Parodie. Gottsched. Charlotte oder Ursula. Krüger aus Danzig, Gottscheds Sohn. Kathrine, Charlottes Vertraute. Grimm, Gottscheds Handlanger. Satyr, ein Witzling. Hans Wurst, sein Bedienter. B*dm*r. Ein Zeitungsschreiber. Ripel, ein Reibehandischer Komödiant. Gottschedianer. Schweizer. –
Witz und Satire sind eben nicht sehr sonderlich. Bodmer scheint mir überhaupt kein großer Satiriker. Die Satiren in den Zürcher Streitschriften sind mehrenteils sehr gedehnt. – Außer der kleinen Piece, habe ich noch einige artige Sachen hier gekauft; nämlich Herrn Häßleins Auszug aus H. Sachs; – den Theuerdank. Augsburg. 1692. Fol. Mit Kupfern die den Kupfern von Dürer und Schäufelein in der ersten splendiden Ausgabe, nachgestochen sind, freilich gröber; – und einige Kleinigkeiten. – Nicht wahr, ich kann darauf rechnen, in Ihrer Bibliothek, wenn ich zurückkomme, gewaltig viel Neues, im Fache der altdeutschen Literatur zu finden?
Daß Sie die Müllersche Sammlung fortsetzen wollen, ist ganz vortrefflich. Wenn Sie in dieser Sammlung doch die schönsten Gedichte, die noch in der Handschrift liegen, vereinigen könnten. Würde doch das glückhafte Schiff von Fischart darin gedruckt! Wäre es denn nicht möglich an den Besitzer in Karlsruhe zu schreiben, und ihn um eine Abschrift des so kurzen Gedichts zu bitten?? Denn daß die Sammlung auch auf andere als die schwäbische Periode ausgedehnt würde, täte wohl nichts.
Sehr begierig bin ich auf das erste Stück der Quartalschrift. – Mich soll wundern, wie vollständig das Glossarium des 16. Säkulum von Herrn Waldau sein wird. Enthält es auch alle Idiotismen von H. Sachs, Fischart, usw.? Die Dichter dieses Jahrhunderts haben besonders viele; weil sie fürs Volk schrieben, – weil sie Satiren schrieben, worin das kleinste Detail des gemeinen Lebens vorkommt, – und weil sie zum Teil auch einen originellen Ausdruck haben, und sich selbst Wörter schaffen. – Ich schicke Ihnen einen kleinen Beitrag von Wörtern aus dem H. Sachs. Ich habe mich sehr gewundert ihn hier auf der Bibliothek in zwei Ausgaben (der Lochnerschen (zweiten) in Fol., und der in Quart) zu finden. Ich habe ihn ganz durchgesehen. Herrn Häßleins Auszug aus dem ersten Teil, hat, was mich sehr wundert, mehrere schöne Stücke nicht, (der erste Teil ist an Poesie der beste,) – auch nicht einmal Proben von den geistlichen Schauspielen.
In den Schwänken ist H. Sachs am vorzüglichsten: es sind zum Teil meisterhafte burleske Erzählungen. – Wollen Sie, wenn Sie Herrn Kinderlings Fragment des Heldenbuchs drucken lassen, nicht dieselbe Stelle nach Ihrer Ausgabe gegenüberstellen? Sie steht, (denn ich habe beides auf diese Art abgeschrieben,) Blatt 13. Kolumne 2. Nr. 2. bis Blatt 14. Kolumne 2. Nr. 1. Mich dünkt es sehr interessant, an einem solchen Beispiel zu sehn, wie die alten Ritterromane nach Jahrhunderten, durch Umarbeitungen verändert, erweitert und wieder abgekürzt usw. sind. – Daß Sie Beiträge von ganz ungedruckten Sachen, zur Quartalschrift erhalten haben, ist sehr schön.
Gerne würde ich versuchen, zu dieser Schrift auch etwas beizutragen, wenn ich nicht zu deutlich fühlte, daß um nur über einen kleinen Zeitraum der Geschichte der schönen Literatur etwas zu sagen, man gar genaue Kenntnis von dem ganzen Zeitalter, usw. haben muß. Künftig vielleicht. Bis jetzt habe ich bloß allerhand abgerissene Bemerkungen in meinem Vermögen, die erst nach erlangter größerer Kenntnis, sich zu einem erträglichen Ganzen koagulieren können. – Ein Verzeichnis von den altdeutschen Sachen auf der hiesigen Bibliothek werde ich Ihnen schicken können, wenn ich nur erst mehr mit ihren Aufsehern in Verbindung bin. Die Herren haben eigene Launen! Aber gar nichts dürfen Sie von mir aus den Privatbibliotheken erwarten. Die Herren Professoren sind hier gewaltig zurückgezogen, und sitzen in unzugänglicher Erhabenheit. Es ist nicht möglich vertraut mit Ihnen zu werden. Und ich zweifle auch sehr, ob hier viel steckt. Das Fach der schönen Wissenschaft wird hier durchaus vernachlässigt, – (auch auf der öffentlichen Bibliothek.) – Was sind in Hannover für Sachen? Und wo?? – Wie gerne suchte ich nach, ob in den kleinen Städten in meiner Gegend noch Seltenheiten stecken. Aber wie soll ein Student zu „Archiven der Prachthäuser und Kirchen“ gelangen?
Es freut mich, daß der Herr Uhde die Minnesinger studiert. Ich habe sie auch gelesen; – und schicke Ihnen hier, einige Bemerkungen, und Fragen, die ich von Ihnen, oder von ihm, eifrig wünsche beantwortet zu sehen. Ich bin sehr begierig Aufklärung über die Gegenstände dieser Fragen zu erhalten.
Die Bücher die ich mir von Herrn Kinderling ausbat, waren: Leibniz, Collectanea Etymologica, Köhler, Dissertatio de libro Theuerdank, Eccard, Catechesis theotisca, und ein paar andre, deren ich mich nicht erinnern kann. Der Preis betrug etwa an 2 Reichstaler, glaub’ ich.
Ihr Bildnis, wofür ich danke, scheint mir doch nicht ganz so arg als Ihnen.
Darf ich bald wieder einen Brief von Ihnen erwarten? – Ich bleibe Ihr, Ihnen, wie Ihrer Wissenschaft, zugetaner, Sie unvermindert hochschätzender
W. H. Wackenroder
Beschluß der Wörter aus H. Sachs
Übersummen. „So hab wir uns auch fürgenommen, Ein Comedi zu übersummen“. Herzusagen.
Schlecht – Oft ein nichts bedeutendes Flickwort. „Die Sach war schlecht – die Sach war gut; nun, das war gut!“ (Erzählungsfloskel.)
Posen. „Die Gottlosen, die wider Gott den Herrn posen“. – (Böses tun?)
Öhrling – Ohrfeige.
Die Gespons – die Verlobte, Braut.
Fetsch dich – pack dich. (Das Englische to fetch?)
Ein Unfurm – ein ungestaltes, unförmliches Geschöpf.
zu Kunft – Besuch.
Fatzmann, Tandmann – Narr, spaßhafter, lustiger Kerl.
Vorteilhaftig – eigennützig.
Stadelfürst – Gipfel des Stalles, oberster Rand des Dachs.
Ber – Gebärde.
Zancken – ziehen, zerren, ausrecken (z. B. Leder.)
Landfahrer – Reisender.
Schmutzen – schmunzeln.
Er sieht haßlich – er sieht mürrisch aus.
Nein ich zwar – keinesweges; das vernein’ ich.
Fragen
Hat man durchaus keine Nachricht, von dramatischen Arbeiten der Deutschen vor Rosenblüt? (Außer dem Krieg zu Wartburg und der Roswitha.) Nicht von geistlichen Stücken? nicht von burlesken Fastnachtspielen?
Hat man keine befriedigende Nachrichten vom Zustand der deutschen Bühne (im eigentlichen Verstande,) und der Schauspielkunst, vom 15. Säkulum oder noch früher, an? – (Das Hannöversche Magazin von 1765, das Sie mir in Ihrer Vorlesung anführten, enthält keine Geschichte des Theaters, sondern eine Beschreibung des venetianischen Karnevals.) Sollte in Nürnberg nicht in Handschriften, Chroniken, usw. nicht manche Nachricht hierüber versteckt sein?
Gibt es außer H. Sachs noch mehrere andre Meistersänger, die außer ihren geistlichen Reimereien (den eigentlichen Meistergesangs-Baren,) noch andere Sachen dichteten? Und welche? – Wie war der Zustand der Meistersänger im 15. Säkulum? Kennt man keine vor Rosenblüth? – In der Manessischen Sammlung sind schon einige wahre Meistersänger Gedichte, im zweiten Teil, (z. B. Geographie in Reime gebracht;) auch werden nach einer Tradition unter den Meistersängern, (s. Wagenseil De phonascis.) einige Dichter der Manessischen Sammlung unter den Stiftern des Meistergesangs angeführt. Auch heißen diese in jener Sammlung selbst zum Teil schon Meister, (z. B. Konrad von Würzburg, Frauenlob.) aber Walther von der Vogelweide, der auch drunter ist, heißt in der Manessischen Sammlung Herr. Aber was bedeutet: Herr? In Teil 2 der Sammlung kommt vor: Herr Friedrich der Knecht!
N. S. Verzeihen Sie meiner eiligen, schlechten Schreiberei. – Ich bitte Sie, meinen Eltern nichts davon zu sagen, daß ich hier manches zur deutschen Literatur aus der Bibliothek lese, oder Ihnen etwas schicke; denn sie denken gleich, ich wende allzuviel Zeit darauf. – Meinen besten Wunsch zur Fortdauer Ihrer Gesundheit. Ich muß schließen, weil die Post mich treibt. –
Mit welchem Vergnügen habe ich Ihren Brief gelesen! Sie werden aus dem meinigen sehen, wie sehr mir alles was er enthält, am Herzen liegt, und mit welcher aufrichtigen Freude ich an Ihrem Wohlsein, wie an Ihren unermüdeten literarischen Arbeiten und Bemühungen teilnehme.
Aber, lassen Sie mich das Bittere zuerst vom Herzen schütten. Ich will Ihnen nur also geschwind und kurz heraus sagen, daß ich, mancherlei kleiner Hindernisse wegen, die zusammen doch ein großes ausmachen, – nicht habe Kassel besuchen können. Ich will Ihnen nicht eine langweilige Klage, wie sehr es mir leid täte Ihnen einen, zugleich mir so angenehmen Dienst nicht erwiesen zu haben, zur Entschädigung schicken; denn ich setze voraus, daß Sie davon schon überzeugt sind. Es wäre eine große Freude für mich, Sie aus den verborgenen Schätzen der hier nahen Bibliotheken, mit literarischen Seltenheiten zu beschenken; und ich hoffe, daß es auch noch geschehen wird. Ich habe den Brief an den Herrn von Schlieffen sogleich abgeschickt, und dazu geschrieben ich würde in einiger Zeit, (vielleicht auf Ostern,) wenn ich nach Kassel käme, so dreist sein, ihm meine Aufwartung zu machen, und mich glücklich schätzen, wenn er mir behilflich sein könnte, Ihren Wunsch zu erfüllen. Ich habe nur zwei Bedenken. Fürs erste, wird ein junger Mensch, und ganz vorzüglich ein Student immer sehr ungern zu solchen Seltenheiten gelassen; wenigstens sieht man ihn immer von der Seite an, wenn er sich so lange mit ihnen beschäftigen will. Und dann bin ich auch ein wenig bange, ob ich mit dem Lesen der Handschrift, worin ich noch gar nicht geübt bin, fertig werden möchte; zumal da diese Handschrift eine papierne, späte ist, und wohl ziemlich undeutlich, oder mit Abbreviaturen usw. geschrieben sein könnte. Meine Bedenklichkeiten sind nicht eine grundlose Schüchternheit; – ich werde dreist genug sein, das Unternehmen zu wagen, weil Sie und die Wissenschaft mich anspornen; – und ich will es dann ruhig abwarten, ob ich mich prostituiere, oder nicht. Denn allerdings wäre es komisch, einer Handschrift willen fünf Meilen zu reisen, die man am Ende – nicht lesen kann. Können Sie mich hierüber trösten? – Ich denke, daß Sie auch nach Ostern noch die Nachricht von der Handschrift werden brauchen können. Übrigens stehen, wie ich mich sehr wohl erinnere, in der Vorrede zum Wilhelm dem Heiligen von Oranse schon mehrere der interessantesten Stellen. – Werde ich, wenn ich nach Kassel komme, geradezu zum Herrn von Schlieffen gehn, und mich auf Ihren Brief nur berufen können? Und wenn ich auf Ostern oder sonst, vielleicht nach Braunschweig und Wolfenbüttel kommen sollte, könnten Sie mir dort vielleicht auch Adressen an Ihre Freunde, die Manuskripte, und an deren Wächter geben?
Ich bin Ihnen für die Probe des Enenkels, und für den König Lear, sehr verbunden. Freilich ist der letztere leider! nicht eine der alten Originalausgaben, (die auch in der Tat in England schon so selten sind, daß es ein wahres Wunder gewesen wäre, wenn sich ein Exemplar nach Deutschland verirrt hätte,) – sondern eine Umarbeitung von Tate; – aber doch werde ich, wenn Sie erlauben, das Stück behalten, und dafür zuverlässig, wenn ich nach Berlin komme, die Gesellschaftsbibliothek mit einem passenden Geschenk vermehren. Ich muß es Ihnen gestehen, daß diese Bibliothek mir eine Aussicht gewährt, die mich entzückt; – ich verspreche, mich künftig zu bemühen, sie zu bereichern. Das ist immer mein höchster Wunsch gewesen, eine solche Sammlung, vornehmlich nur aus dem Fach der schönen Wissenschaften bei den Deutschen, zusammenzubringen, so daß sie von mehreren eifrigen Freunden dieses Studiums genutzt werden könnte. Nur dann können Werke über unsre Literatur, und die Geschichte des Geschmacks in unserm Vaterlande entstehen, wie wir sie noch vergeblich suchen. Und daß es Ihnen, wie jedem, ein schöner Gedanke sein muß, daß der mit Mühe zusammengebrachte Schatz vielleicht Jahrhunderte lang beieinander bleiben, und Nutzen stiften wird, – versteht sich von selbst. Wie ist es denn möglich, daß kein Großer, kein Besitzer einer reichhaltigen Bibliothek, sie irgendeinem Orte vermacht, wo mehrere Gelehrte zusammenleben, und bestimmt, daß sie für diese und auch für andre Leser beständig offen sein soll, – so lange bis, – die Würmer die Bücher zerfressen. Aber da werden die herrlichsten Sammlungen in Auktionen verstreut, und kommen vom Kerker eines Privatmanns, in den eines andern, und liegen; – oder in eine sogenannte öffentliche Bibliothek, und – liegen ebenfalls.
Welchen schätzbaren Werken von Ihrer Hand, sehe ich mit froher Begierde entgegen! Sollte ich Ihnen vielleicht einen kleinen Beitrag zu Ihrem Kompendium liefern, wenn ich Ihnen folgende zum Fach der Satire gehörige Broschüre anzeige, die ich hier beim Antiquar gekauft habe. Steht sie nicht im Flögel, so möchte sie vielleicht Ihnen neu sein. Es ist: Gottsched ein Trauerspiel in Versen oder der parodierte Cato. Zürich. 1765. 8. 47 Seiten. Mit kurzem Vorbericht. Es ist bloß der erste und fünfte Aufzug des Cato parodiert. Vorn stehn die Personen des Trauerspiels (die Personen des Cato,) und dann die Personen der Parodie. Gottsched. Charlotte oder Ursula. Krüger aus Danzig, Gottscheds Sohn. Kathrine, Charlottes Vertraute. Grimm, Gottscheds Handlanger. Satyr, ein Witzling. Hans Wurst, sein Bedienter. B*dm*r. Ein Zeitungsschreiber. Ripel, ein Reibehandischer Komödiant. Gottschedianer. Schweizer. –
Witz und Satire sind eben nicht sehr sonderlich. Bodmer scheint mir überhaupt kein großer Satiriker. Die Satiren in den Zürcher Streitschriften sind mehrenteils sehr gedehnt. – Außer der kleinen Piece, habe ich noch einige artige Sachen hier gekauft; nämlich Herrn Häßleins Auszug aus H. Sachs; – den Theuerdank. Augsburg. 1692. Fol. Mit Kupfern die den Kupfern von Dürer und Schäufelein in der ersten splendiden Ausgabe, nachgestochen sind, freilich gröber; – und einige Kleinigkeiten. – Nicht wahr, ich kann darauf rechnen, in Ihrer Bibliothek, wenn ich zurückkomme, gewaltig viel Neues, im Fache der altdeutschen Literatur zu finden?
Daß Sie die Müllersche Sammlung fortsetzen wollen, ist ganz vortrefflich. Wenn Sie in dieser Sammlung doch die schönsten Gedichte, die noch in der Handschrift liegen, vereinigen könnten. Würde doch das glückhafte Schiff von Fischart darin gedruckt! Wäre es denn nicht möglich an den Besitzer in Karlsruhe zu schreiben, und ihn um eine Abschrift des so kurzen Gedichts zu bitten?? Denn daß die Sammlung auch auf andere als die schwäbische Periode ausgedehnt würde, täte wohl nichts.
Sehr begierig bin ich auf das erste Stück der Quartalschrift. – Mich soll wundern, wie vollständig das Glossarium des 16. Säkulum von Herrn Waldau sein wird. Enthält es auch alle Idiotismen von H. Sachs, Fischart, usw.? Die Dichter dieses Jahrhunderts haben besonders viele; weil sie fürs Volk schrieben, – weil sie Satiren schrieben, worin das kleinste Detail des gemeinen Lebens vorkommt, – und weil sie zum Teil auch einen originellen Ausdruck haben, und sich selbst Wörter schaffen. – Ich schicke Ihnen einen kleinen Beitrag von Wörtern aus dem H. Sachs. Ich habe mich sehr gewundert ihn hier auf der Bibliothek in zwei Ausgaben (der Lochnerschen (zweiten) in Fol., und der in Quart) zu finden. Ich habe ihn ganz durchgesehen. Herrn Häßleins Auszug aus dem ersten Teil, hat, was mich sehr wundert, mehrere schöne Stücke nicht, (der erste Teil ist an Poesie der beste,) – auch nicht einmal Proben von den geistlichen Schauspielen.
In den Schwänken ist H. Sachs am vorzüglichsten: es sind zum Teil meisterhafte burleske Erzählungen. – Wollen Sie, wenn Sie Herrn Kinderlings Fragment des Heldenbuchs drucken lassen, nicht dieselbe Stelle nach Ihrer Ausgabe gegenüberstellen? Sie steht, (denn ich habe beides auf diese Art abgeschrieben,) Blatt 13. Kolumne 2. Nr. 2. bis Blatt 14. Kolumne 2. Nr. 1. Mich dünkt es sehr interessant, an einem solchen Beispiel zu sehn, wie die alten Ritterromane nach Jahrhunderten, durch Umarbeitungen verändert, erweitert und wieder abgekürzt usw. sind. – Daß Sie Beiträge von ganz ungedruckten Sachen, zur Quartalschrift erhalten haben, ist sehr schön.
Gerne würde ich versuchen, zu dieser Schrift auch etwas beizutragen, wenn ich nicht zu deutlich fühlte, daß um nur über einen kleinen Zeitraum der Geschichte der schönen Literatur etwas zu sagen, man gar genaue Kenntnis von dem ganzen Zeitalter, usw. haben muß. Künftig vielleicht. Bis jetzt habe ich bloß allerhand abgerissene Bemerkungen in meinem Vermögen, die erst nach erlangter größerer Kenntnis, sich zu einem erträglichen Ganzen koagulieren können. – Ein Verzeichnis von den altdeutschen Sachen auf der hiesigen Bibliothek werde ich Ihnen schicken können, wenn ich nur erst mehr mit ihren Aufsehern in Verbindung bin. Die Herren haben eigene Launen! Aber gar nichts dürfen Sie von mir aus den Privatbibliotheken erwarten. Die Herren Professoren sind hier gewaltig zurückgezogen, und sitzen in unzugänglicher Erhabenheit. Es ist nicht möglich vertraut mit Ihnen zu werden. Und ich zweifle auch sehr, ob hier viel steckt. Das Fach der schönen Wissenschaft wird hier durchaus vernachlässigt, – (auch auf der öffentlichen Bibliothek.) – Was sind in Hannover für Sachen? Und wo?? – Wie gerne suchte ich nach, ob in den kleinen Städten in meiner Gegend noch Seltenheiten stecken. Aber wie soll ein Student zu „Archiven der Prachthäuser und Kirchen“ gelangen?
Es freut mich, daß der Herr Uhde die Minnesinger studiert. Ich habe sie auch gelesen; – und schicke Ihnen hier, einige Bemerkungen, und Fragen, die ich von Ihnen, oder von ihm, eifrig wünsche beantwortet zu sehen. Ich bin sehr begierig Aufklärung über die Gegenstände dieser Fragen zu erhalten.
Die Bücher die ich mir von Herrn Kinderling ausbat, waren: Leibniz, Collectanea Etymologica, Köhler, Dissertatio de libro Theuerdank, Eccard, Catechesis theotisca, und ein paar andre, deren ich mich nicht erinnern kann. Der Preis betrug etwa an 2 Reichstaler, glaub’ ich.
Ihr Bildnis, wofür ich danke, scheint mir doch nicht ganz so arg als Ihnen.
Darf ich bald wieder einen Brief von Ihnen erwarten? – Ich bleibe Ihr, Ihnen, wie Ihrer Wissenschaft, zugetaner, Sie unvermindert hochschätzender
W. H. Wackenroder
Beschluß der Wörter aus H. Sachs
Übersummen. „So hab wir uns auch fürgenommen, Ein Comedi zu übersummen“. Herzusagen.
Schlecht – Oft ein nichts bedeutendes Flickwort. „Die Sach war schlecht – die Sach war gut; nun, das war gut!“ (Erzählungsfloskel.)
Posen. „Die Gottlosen, die wider Gott den Herrn posen“. – (Böses tun?)
Öhrling – Ohrfeige.
Die Gespons – die Verlobte, Braut.
Fetsch dich – pack dich. (Das Englische to fetch?)
Ein Unfurm – ein ungestaltes, unförmliches Geschöpf.
zu Kunft – Besuch.
Fatzmann, Tandmann – Narr, spaßhafter, lustiger Kerl.
Vorteilhaftig – eigennützig.
Stadelfürst – Gipfel des Stalles, oberster Rand des Dachs.
Ber – Gebärde.
Zancken – ziehen, zerren, ausrecken (z. B. Leder.)
Landfahrer – Reisender.
Schmutzen – schmunzeln.
Er sieht haßlich – er sieht mürrisch aus.
Nein ich zwar – keinesweges; das vernein’ ich.
Fragen
Hat man durchaus keine Nachricht, von dramatischen Arbeiten der Deutschen vor Rosenblüt? (Außer dem Krieg zu Wartburg und der Roswitha.) Nicht von geistlichen Stücken? nicht von burlesken Fastnachtspielen?
Hat man keine befriedigende Nachrichten vom Zustand der deutschen Bühne (im eigentlichen Verstande,) und der Schauspielkunst, vom 15. Säkulum oder noch früher, an? – (Das Hannöversche Magazin von 1765, das Sie mir in Ihrer Vorlesung anführten, enthält keine Geschichte des Theaters, sondern eine Beschreibung des venetianischen Karnevals.) Sollte in Nürnberg nicht in Handschriften, Chroniken, usw. nicht manche Nachricht hierüber versteckt sein?
Gibt es außer H. Sachs noch mehrere andre Meistersänger, die außer ihren geistlichen Reimereien (den eigentlichen Meistergesangs-Baren,) noch andere Sachen dichteten? Und welche? – Wie war der Zustand der Meistersänger im 15. Säkulum? Kennt man keine vor Rosenblüth? – In der Manessischen Sammlung sind schon einige wahre Meistersänger Gedichte, im zweiten Teil, (z. B. Geographie in Reime gebracht;) auch werden nach einer Tradition unter den Meistersängern, (s. Wagenseil De phonascis.) einige Dichter der Manessischen Sammlung unter den Stiftern des Meistergesangs angeführt. Auch heißen diese in jener Sammlung selbst zum Teil schon Meister, (z. B. Konrad von Würzburg, Frauenlob.) aber Walther von der Vogelweide, der auch drunter ist, heißt in der Manessischen Sammlung Herr. Aber was bedeutet: Herr? In Teil 2 der Sammlung kommt vor: Herr Friedrich der Knecht!
N. S. Verzeihen Sie meiner eiligen, schlechten Schreiberei. – Ich bitte Sie, meinen Eltern nichts davon zu sagen, daß ich hier manches zur deutschen Literatur aus der Bibliothek lese, oder Ihnen etwas schicke; denn sie denken gleich, ich wende allzuviel Zeit darauf. – Meinen besten Wunsch zur Fortdauer Ihrer Gesundheit. Ich muß schließen, weil die Post mich treibt. –