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Wilhelm Heinrich Wackenroder to Erduin Julius Koch TEI-Logo

Göttingen, den 20. Februar 1794
Ich habe die ganz unerwartete Freude gehabt, auf meine Überschickung Ihres Pakets an den Herrn von Schlieffen, von ihm eine eigenhändige Antwort zu erhalten, worin er mir mit einer ungemeinen Gefälligkeit schreibt, daß er mich mit Vergnügen erwartete, um Ihren und meinen Wunsch erfüllen zu können. Außerordentlich gütig! Wenn ich es irgend möglich machen kann, so bin ich noch vor Ostern in Kassel, und benutze diese Güte. –
Aber warum ich vornehmlich sobald wieder Ihnen einen Brief zuschicke, gründet sich auf einen Plan, den ich im letzten Briefe nicht Platz fand, Ihnen vorzulegen. Ein Plan dessen Ausführung nützlich, und auch für Sie besonders interessant sein muß, daher es Ihnen vielleicht nicht ganz gleichgültig ist, zu dieser Ausführung selbst etwas beitragen zu können. Mit einem Wort, es betrifft meinen hiesigen Freund, von dem ich Ihnen schon neulich gesprochen, und dessen eifriges Studium des Shakespeare und der alten englischen Literatur, wie mir Ihr Brief zu sagen schien, einige Teilnahme bei Ihnen erregt hatte. Ihre Äußerung machte mich desto dreister, Ihnen sogleich ohne Umschweif meinen ganzen Antrag vorzulegen.
Durch mehrjähriges Studium hat es mein Freund dahin gebracht, daß er sich imstande fühlt, der Welt einige Arbeiten aus seinem Lieblingsfach darzulegen, die hinlänglich vollendet sind, und zugleich gar manches Neue enthalten. Bald wird die erste Probe seiner Bemühungen erscheinen; – und wie würden Sie es aufnehmen, wenn er, da er sonst wenig oder gar keine Verbindungen hat, die ihm seinen Eintritt ins Publikum erleichtern könnten, Sie ersuchte, ihm bei der Bekanntmachung einer andern Arbeit Beihilfe zu leisten? Einer Arbeit, in der Tat, die, wie Sie in Ihrem Briefe schon auguriert haben, einen Nebenbezug auf die ältere deutsche Literatur hat, und daher auch für diese zum Teil interessant ist.
Aber ich muß Ihnen notwendig zuerst etwas mehr von der Person selbst, und von diesen Arbeiten sagen. – Daß Sie meinen Zeugnissen von meinem Freunde Glauben beimessen, und sie nicht für bloße Freundschaftlichkeit halten werden, daran glaube ich, mich überzeugt halten zu dürfen. Auch appelliere ich an die schriftlichen Proben von dem Vermögen seines Geistes, die Sie bald öffentlich lesen werden, und wovon ich Ihnen gern gleich eine Probe schickte, wenn es nicht mit zu vielen Umständlichkeiten verknüpft wäre. Lassen Sie mich Ihnen also sagen, daß mein Freund, der von der frühsten Jugend auf, den schönen Wissenschaften sich durch seine in der Tat außerordentliche Lektüre, und in der Folge vornehmlich durch emsiges Nachdenken über ästhetische Gegenstände, ergeben hat, seit beinahe zwei Jahren seinen ganzen Geist und alle Tätigkeit seiner Seele vorzüglich auf die englische Literatur, und wieder vorzüglich auf Shakespeare konzentriert: seinen angebeteten Lieblingsdichter, den er anfangs, aus vollem Gefühl, in jeder Zeile schwärmerisch verehrte, nachher aber mit Anwendung seiner ästhetischen Kritik, wichtiger und wahrer schätzen lernte, – in seinen Nachlässigkeiten geringer, in seinen Schönheiten noch höher. Alle Stücke hat er im Englischen mehr als einmal gelesen; er hat öfters mehrere Ausgaben von der Bibliothek zur Hand, und kennt die meisten der großen Menge von Kritiken, die über seinen Dichter gemacht sind. Er studiert ihn immer ununterbrochen fort; und entdeckt, (mag es doch prahlhaft klingen, – ich halte es für Wahrheit,) gar manche neue Züge, neue Schönheiten, die die erstaunliche Anzahl der Kommentatoren, weil sie meist nur auf Worterklärungen usw. ihren Fleiß wendeten, ohne das Ganze als Kunstwerk, vollständig ästhetisch zu analysieren, ganz mit Stillschweigen übergehen. Denn in dieser Rücksicht ist Shakespeare bis itzt immer nur noch höchst mangelhaft, fragmentarisch und einseitig beurteilt worden. Ich kann zugleich von meinem Freunde versichern, daß er Belesenheit in den Ästhetikern und Dichtern der Alten und Neuern genug hat, um fremde Grundsätze mit den seinigen zu vergleichen, und aus einer solchen ausgebreiteten Bekanntschaft sehr fruchtbaren Nutzen, bei seinen, zum Teil in neue Wege eingeschlagenen ästhetischen und kritischen Untersuchungen, zu ziehen; – und ich füge hinzu, daß er von jeher zum Drama den überwiegendsten Hang gehabt, in diesem Fach am meisten gelesen und gedacht hat, und also auch von der Seite geschickt ist, Arbeiten zu übernehmen, worin ein weniger dramatischer Kopf immer Hauptmängel lassen würde. – Zu seinem ersten Auftritt ins Publikum hat er die Bearbeitung von Shakespeares Sturm gewählt, den er, so glücklich vielleicht als es irgend möglich ist, in Jamben übersetzt, und mit folgenden 12 Abhandlungen, (außer kleineren Noten,) begleitet, auf Michaelis wahrscheinlich herausgeben wird. Die Abhandlungen sind: Kurze Geschichte des englischen Theaters bis Shakespeare. – Zustand der Bühne vor ihm und zu seiner Zeit, – Über die drei Einheiten – Über Shakespeares Vorzüge und Fehler – Über den Unterschied der Tragödie und des Schauspiels – Über den Sturm im allgemeinen – Über Shakespeares Behandlung des Wunderbaren – Über seine Zeichnung der Bösewichter – Über die Charaktere im Sturm – Vergleichung des Sturms und Sommernachtstraums – Über Beaumont und Fletchers Sea-voyage (nach dem Sturm) – Über Drydens Umarbeitung des Sturms. In diesen Abhandlungen wird das meiste zusammengedrängt sein, was er über Shakespeare im allgemeinen, und insbesondere über den Sturm, zu sagen hat. Den Weg zu der Herausgabe wird er sich durch Schillers Thalia bahnen; er hat an Schiller neulich eine Probe der Übersetzung, und die sehr interessante Abhandlung vom Wunderbaren geschickt. Ich wünsche daß die Einrückung in die Thalia bald geschieht. –
Um aber den Shakespeare, (dem außer England vielleicht noch keiner einen so großen Teil seines Lebens, – und wahrlich nicht vergebens – weiht, als mein Freund,) gehörig würdigen zu lernen, ja auch nur um ihn in der antiken Ursprache vollkommen zu verstehen, – ist es notwendig mit den gleichzeitigen und früheren englischen dramatischen Dichtern in eine genauere Bekanntschaft zu treten. Einzelne Archaismen in Shakespeare, welche noch in keinem Kommentator erklärt sind, hat mein Freund auf diesem Wege, durch glücklich angewandte Parallelstellen erläutert; und die nie vernachlässigte Lesung dieser Dichter, hat ihn dahin gebracht, daß ihm das Englisch des 16. Jahrhunderts, mit seinen kleinsten Partikularitäten so geläufig geworden ist, daß er es sprechen könnte, und daß die mehrsten Spracherklärungen in Shakespeares Kommentatoren für ihn schon entbehrlich sind. Aber in wie manchen andern Hinsichten sind nicht noch diese Nebenbemühungen, diese seine Nebenspaziergänge auf seinem Hauptwege, nützlich! Jonson, Beaumont und Fletcher, und Massinger, verdienen es auch schon an sich, ihrer unverkennbaren Talente wegen, genauer gekannt zu werden: aber, – sie sind gegen Shakespeare nur Wolken, auf denen sein Geist heller erglänzt. Wie interessant muß also hier die Vergleichung sein, – die Untersuchung, wie in ähnlichen Gegenständen die Nachahmung dieser schwächeren Geister, die sie dem großen Genie nachzeichneten, verunglückt ist, – wie sie überhaupt in allen Teilen der dramatischen Kunst, so weit unter seiner Originalität, und Vollkommenheit stehen! Kaum brauche ich es noch zu berühren, daß auch historische und andre Anspielungen im Shakespeare sich auch nur aus diesen Dichtern erklären lassen; aber das verdient noch eine besondere Bemerkung, wie sehr uns die noch früheren Dichter des 16. Säkulum, (wovon die einzigen gedruckten Proben, in den drei Oktavbänden der Hawkinsschen, und in dem 12. der Dodsleyschen Sammlung enthalten sind,) über den Zustand der englischen Bühne in jener Zeit belehren, – und wie sehr wir Shakespeares Genie in dieser Zeit anstaunen müssen, da noch etwa vierzig Jahre vor seinem Auftritt als Dichter, geistliche Aktus aus der Bibel (Mysteries,) und Dialoge allegorischer Personen (Moralities,) das Einzige waren, was der Geschmack damals, und was das Volk zu bewundern hatte; – da näher vor ihm her, Stücke gingen, in denen die Charaktere sichtbar nur so eben die allegorische Charaktermaske abgelegt hatten, und unbehülflich eine unbehülfliche Handlung auf der Bühne durchstolperten. – Und nun bitte ich Sie, neben der Betrachtung dieses großen Nutzens, den alle diese Dichter, (welche die Trabanten und Sklaven um die Natur des Helden sind,) gewähren, zu erwägen, ob in Deutschland viel mehr als ihr Name, und der kaum, allgemein bekannt ist? Ob es nicht ein verdienstliches Werk sein würde, mit solchen Kräften, den Geist dieser Dichter dem deutschen geschmackvollen Leser vorzulegen, gerade jetzt, da die englische Literatur schon bloß als Mode sich so sehr zu verbreiten anfängt! Ob es nicht eine sehr schätzbare Ausfüllung einer der mancherlei Lücken unsrer Literatur wäre! – Den Shakespeare wird mein Freund durch seine Ausgabe des Sturms, in seinem vollen, zum Teil noch unerkannten Glanze darstellen; – diese Dichter, deren Bearbeitung er nebenher zur Abwechslung treibt, und in deren Bearbeitung er schon gute Fortschritte gemacht hat, diese – legt er in Ihre Hände. Das heißt, – um endlich mit der Bitte vorzurücken, ohne welche alles was ich Ihnen gesagt habe, unnütz wäre, – er ersucht Sie, durch mich, inständigst:
„ihm unter einem der Buchhändler in Berlin, die Sie kennen, einen Verleger für eine Reihe von Bänden zu verschaffen, (die Zahl wird der Beifall des Publikums wohl mit entscheiden müssen,) worin er die hauptsächlichsten Stücke der genannten vier Dichter, (Jonson, Beaumont, Fletcher und Massinger) und der erwähnten zwei Sammlungen, teils übersetzt, (denn solche ausgezeichneten Stücke, als z. B. Jonsons Fox, sein Every Man in his humour, usw. müssen notwendig auch in ihrer ursprünglichen Form den Leser anziehen,) teils in zweckmäßigen Auszügen, durchgängig aber mit historischen und andern Anmerkungen, und vornehmlich mit ästhetischen Exkursen, bei beständigem Rückblick auf Shakespeare – dem Publikum darzulegen sich vorgenommen hat.“
Die Übersetzung würde hier prosaisch sein, weil diese Dichter nicht die angestrengte Mühe verdienen, über manche Verse tagelang zu brüten; – (ich schreibe alles als kompetenter Zeuge.) – Ich darf es von Ihnen stillschweigend voraussetzen, daß Sie für einen guten Verleger, welcher gut druckt, und zugleich völlig sicher in seinen Versprechungen ist, sorgen würden, und zugleich für ein anständiges, und den verdienstlichen Fleiß und das mühsame Studium belohnendes Honorarium sorgen würden, zumal da mein Freund seinen äußern Verhältnissen nach vom Glück so vernachlässigt, als, was seinen Geist anbetrifft, vorzüglich ausgestattet ist. Sein Name? Erlauben Sie ihm noch, ihn zu verschweigen; aber er wird in der Folge sich Ihnen zuverlässig entdecken. Und jetzt kann ich schon bürgen, daß er Ihnen für Ihre Bemühung den eifrigsten Dank sagen, und eine Gelegenheit mit Begierde ergreifen wird, Ihnen, auch im Fach der deutschen Literatur zu dienen. Was die Verwandtschaft derselben mit der alt-englischen betrifft, so entdecke ich Ihnen, daß die alten Mysteries in Hawkins und Dodsley in Form, Sprache und Manier die größte Ähnlichkeit mit den geistlichen Stücken in H. Sachs haben und daß ich unter den Moralities sogar eines gefunden habe, das mit einem allegorischen Gespräch in H. Sachs der ganzen Idee nach, völlig gleich ist. Auch finden sich im ältern Englischen noch weit mehr als im heutigen, Worte, die ganz aus deutschem Grund und Boden herstammen.
Da die Zeit mich drängt, und ich Ihnen mit einer fatalen Tinte und eilender Hand schon so viele vielleicht schwer leserliche Zeilen gegeben habe, so schließe ich. Aber aufs allerdringendste ersuche ich Sie, mir so bald als es irgend möglich ist, nur mit zwei Worten zu schreiben, ob ein Buchhändler, (ich darf hoffen, daß Sie ihm, nach meinem Briefe, das Unternehmen plausibel machen werden,) den Antrag sicher annimmt, und ob mein Freund sicher fortarbeiten, und Ihnen bald die ersten Proben schicken kann. Über die Ordnung der Stücke wird er noch nachdenken, und für Abwechslung und Interesse sehr sorgen. Wäre es möglich, daß Mangel an Lesern, ein solches schönes Werk zunichte machen könnte?? – Ist es dennoch der Fall, (wie ich, (– gestehe ich aufrichtig,) – nicht erwarte,) so werden Sie wenigstens so gütig sein, und verhindern, daß der aufmerksam gemachte Buchhändler das Unternehmen nicht etwa durch einen andern ausführen läßt!! Aber das werde ich nicht befürchten dürfen. – Auf die alte englische Sprache wird dem Zwecke nach freilich weniger gesehen werden können.
Ich bitte nochmals, mir bald Antwort zu erteilen: und – wir werden wahrlich für Ihre Bemühung dankbar sein. –
Verzeihen Sie meinem Geschmiere. Die dicke Tinte bringt mich zur Verzweiflung.
Ihr Sie nie vergessender
W. H. Wackenroder.
Becker hat mir aus Halle geschrieben: – unter anderm, daß Sie einen Teil Ihrer Bücher verauktioniert hätten, und nicht mehr in Ihres Herrn Vaters Haus wohnten. Wo sonst?
N. B. Aus Dodsley und Hawkins werden natürlich nur wenige Stücke, und nur im Auszug geliefert werden, weil die alte Sprache nicht in ihrer Eigentümlichkeit übertragen werden kann. – Aus Holingshead’s alter Chronik, und andern alten englischen historischen Werken, werden historische Bemerkungen genommen werden, den Zustand des Theaters, und die Zeitgeschichte betreffend. – Auch die Chronologie der Stücke wird in Betrachtung kommen.
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  • Date: Donnerstag, 20. Februar 1794
  • Sender: Wilhelm Heinrich Wackenroder ·
  • Recipient: Erduin Julius Koch ·
  • Place of Dispatch: Göttingen · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Wackenroder, Wilhelm Heinrich: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 2: Briefwechsel, Reiseberichte. Hg. v. Richard Littlejohns u. Silvio Vietta. Heidelberg 1991, S. 145‒150.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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