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Wilhelm Heinrich Wackenroder to Erduin Julius Koch TEI-Logo

Abgesandt, Göttingen, den 13. März, 1794 früh.
Ich wollte gestern meinen Brief in Kassel schon zumachen, da ich aber gestern vormittag auf der Kaßler Bibliothek noch einige Entdeckungen gemacht habe, muß ich sie noch hinzufügen. (Gestern mittag reiste ich von Kassel ab, gestern abend war ich hier.)
Nachrichten aus der Bibliothek in Kassel
1.) Meine wichtigste Entdeckung, die Sie hoffentlich sehr gut werden brauchen können, ist, – die Auffindung einer ältern Ausgabe des Heldenbuchs, als irgendeiner bisher gekannt hat. Herr Panzer, und jeder andre der mit alten Drucken umgeht, kannte bisher die Ausgabe von 1509 als die älteste. In Kassel ist eine von 1504! – Die Ausgabe ist ohne Seiten- oder Blätterzahlen, in Quart; auf etwas starkem Papier; etwa drei Finger dick. Auf der ersten Seite des ersten Blatts steht nichts als: „Das helden buch mit synen figuren.“ Auf der zweiten Seite des ersten Blatts steht ein Holzschnitt, der den Zwerg Elbe und andere Personen aus Otnits Geschichte vorstellt. Die erste Seite des zweiten Blatts fängt so an:
Die vorrede dißes buchs
Hye fahet an der helden buch, das man nennet den Wolfdietherich. usw. usw. Dies ist ein ganz kurz gefaßter Inhalt des ganzen Werks, der bis zur Mitte der ersten Kolumne dieser Seite geht, (denn jede Seite des ganzen Werks hat zwei Kolumnen.) Hier, am Ende dieses Summarium steht:
Dises ist ein vorrede
und unmittelbar darauf hebt der Eingang oder Prolog des Heldenbuchs so an:
Je vor ward zucht vū
ere. Geliebet also re-
H cht sere. Wo ein gefü-
ger mā kam. Das mā
geren von jm vernam.
Dieser Eingang nimmt den ganzen übrigen Teil des zweiten Blattes ein. (Er steht, wenn ich nicht sehr irre, in Ihrer Ausgabe des Heldenbuchs, von 1560.) Das dritte Blatt fängt an:
Von keyser Otnit und synē frunden.
Und hier geht der eigentliche Text an. In Ansehung desselben, kann ich versichern, daß die Sprache, von derjenigen in Ihrer Ausgabe von 1560, sehr wenig oder fast gar nicht abweicht, und daß ich auch die Stellen, die ich noch von Ihrer Ausgabe im Kopf hatte, hier fast mit eben den Worten fand. Kleine Abweichungen finden sich ganz gewiß; aber ich glaube sehr, – nicht eben bedeutende. Die Abteilung in Strophen ist eben so. Die vier Teile des Werks haben nicht die Überschrift: Der erste Teil, usw. sondern nur kurze Überschriften, wie die angeführte des ersten Teils ist: („Von keyser Otnit und synē frunden.“) Der zweite Teil, (nämlich der spätern Abteilung und Benennung nach,) fängt an: Hye fahet an, usw. – der dritte: Hye nach volgent, usw. – und der vierte: dises ist d’ Klein Rosengart usw. – Übrigens sind die Überschriften der kleineren Abschnitte, ohngefähr wie in Ihrer Ausgabe von 1560. Fast jede Überschrift hat einen kleinen Holzschnitt bei sich: diese Holzschnitte sind andere als in Ihrer Ausgabe von 1560, und zwar mehr verschiedene, bessere und reinere. Der Druck ist etwas eng, doch gut und deutlich. – Hinter dem vierten Teil folgt der prosaische Anhang von den alten Helden, wie in Ihrer Ausgabe. Vor dem zweiten, dritten und vierten steht ein größerer Holzschnitt. –
Ganz am Ende, hinter dem prosaischen Anhang, steht:
Hie endet sich der heldēbūch mit synē Register vnnd hat gedruckt Henrich Gran burger zu Hagenaw in dem Kostē des wysen vnd fursichtigē her Hansen Knoblauch druckerher zu Straßburg. Anno MDiv jar vff sāpǁ* tag nach Assumptionis. *So sieht der letzte Buchstab aus: oder soll es das Abbrechungszeichen sein denn: sāpǁ steht am Ende der Linie.
Also gedruckt zu Hagenau, 1504. – (In dem Kaßler Exemplar steht auf dem letzten weißen Blatt von einer alten Hand ein Verzeichnis oder Rechnung von verschiedenen Scheffeln Korn, geschrieben.) – Ist Herrn Buchhändler Ungers Heldenbuch ohne Jahr, dasselbe nur mit abgerissenem letzten Blatt, oder noch ein anderes?
2.) Rosarium dat is Rosen Garden: uth des Hochgelerden und Kunstryken Welsch-Englischen Poeten Johannis Oweni Latinischem Lusthoff uwergesettet und up den Ostfriesischen Boden gebracht und geplantet dorch Bernhardum Nicaeum Ancumanum, Pastom thor Gast. – Gedruckt tho Emden. 1638. Sehr klein Duodez; die Sprache hat doch wenig ausgezeichnetes, vor dem noch gewöhnlichen Niederdeutschen.
3.) Verschiedene alte deutsche Romane. Als: Historie vom Ritter Ponto. Straßburg 1539.4° – Ein schöne Historia von Kaiser Octaviano. 1533.4° – Das owentürliche Buch von einer Frauen Melusine. s. 1. et. a. 4°.
4.) Altdeutsche Gedichte: – Reinike Fuchs. Rostock 1592. Niederdeutsch. – Reinicke Fuchs. Frankfurt a. Main 1597. – Hans Sachs. Quart-Ausgabe, in Kempten gedruckt. 5 Teile. – Weckherlins Gedichte. – Lauremberg Scherzgedichte.
Die Zeit war mir aber zu kurz, mehreres genauer anzusehn. Im Sommer wird es geschehen!
Nun hoffe ich, daß Ihnen meine Neuigkeiten brauchbar sein werden. Erlauben Sie mir noch folgende dringende Bitten an Sie ergehen zu lassen. Ich ersuche Sie:
1.) Mir, wenn es Ihre Zeit erlaubt, bald zu antworten, besonders auf meines Freundes Plan; – auch was Sie von meinen Nachrichten brauchen werden.
2.) Diesen Plan durchaus geheimzuhalten; und keinem Menschen Ihre Hypothese, daß es vielleicht Herr Tieck sein möchte, zu äußern, weil es diesem höchst unangenehm sein würde, in Berlin bei irgendeinem in den falschen Verdacht der Schriftstellerei zu kommen. Mein Freund aber wünscht ebensosehr die Geheimhaltung des ganzen Plans.
3.) Mir zu schreiben, ob ich die zwei Exemplare von Teil 2 des Wilhelm von Oranse, Ostern schicken soll.
4.) Mir Bücher zu nennen, woraus ich altdeutsche Handschriften lesen lerne. Was für diplomatische usw. Werke lehren dies??
Metadata Concerning Header
  • Date: Donnerstag, 13. März 1794
  • Sender: Wilhelm Heinrich Wackenroder ·
  • Recipient: Erduin Julius Koch ·
  • Place of Dispatch: Göttingen · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Wackenroder, Wilhelm Heinrich: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 2: Briefwechsel, Reiseberichte. Hg. v. Richard Littlejohns u. Silvio Vietta. Heidelberg 1991, S. 150‒152.
Manuscript
  • Provider: Handschrift verschollen
Language
  • German

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