Erlangen, den 24 August, Sonnabends. 1793.
Theuerste Aeltern,
Am Montage vor 8 Tagen, früh Morgens, trat H. P. R. Weisser zu meiner Freude in die Thür, und wir hießen ihn willkommen, waren sehr vergnügt mit ihm, und hatten genug miteinander zu schwatzen. Wir, Burgsdorf, Tieck und ich, reisten gleich mit ihm nach Tische nach Nürnberg, u von da am folgenden Vormittage nach Fürth, von wo wir Dienstag Nachmittag, gegen Abend, zurückfuhren. Von Nürnberg muß ich Ihnen doch noch einiges erzählen. Wir besahen die St. Sebalds u die St. Lorenzkirche, welche die beyden Hauptkirchen sind, u jede 2 hohe Thürme haben, noch am Montag Nachmittag. Von den alten Gemählden, u Kunstwerken in Stein, Holz u Erz, die man in den vielen Kirchen Nürnbergs, von den Merkwürdigkeiten der Privatkunstkabinette, u besonders v. d. Reichsinsignien, findet man gar weitläuftige Beschreibung in: v. Murrs Merkwürdigkeiten v. Nürnberg; aber auch blos von diesen Sachen. Und selbst hier fehlt manches, wenn von andern Dingen zu weitläuftig geredet ist. Mehrere ganz vorzügliche Porträtgemählde von dem ersten deutschen Porträtmahler Kupetzky, einige Antiquitäten auf der Burg, mehrere / merkwürdige alte Gemählde u Basreliefs auswendig an Privathäusem, usw., sind ganz übergangen, ich weiß nicht woher. – Die meisten Kirchen in N. sind um den Anfang des 14. Jahrhunderts gebaut, u die meisten Kunstwerke in denselben rühren vom 15. u 16. Jahrhd. her, und sind die redendsten Beweise, von dem damals beyspiellosen Flor der Künste in dieser Stadt. Aber alle diese Denkmähler, die nichts weniger als blos wegen ihres Alterthums ehrwürdig sind, sondern zum großen Theil auch ächten innern Werth haben, sind leider zugleich die Grabmähler der verlohrenen Kunst. Denn sie schränkt sich itzt hier fast nur auf mittelmäßige Kupferstecher ein. Albrecht Dürer, Sandrart, Hans Sachs, u andre ruhen auf einem schönen, ganz offenen Kirchhofe außerhalb der Mauern, unter einer bunten Decke mannigfaltiger Blumen: der schönste Kirchhoff, den ich bis itzt gesehen habe, u interressanter als jeder andre durch die Gebeine der für ihre Zeiten wenigstens durchgängig großen Künstler, deren Vaterland Nürnberg war.
In der Sebaldskirche ist das merkwürdige Grabmal St. Sebalds, 1519 von Peter Vischer aus Erz ge/goßen. Es steht frey, u ist ohngefähr 5 Fuß lang, 2 Fuß breit, u 6 Fuß hoch. Rund herum sind Figuren von 1 bis 1/2 Fuß, u Säulen, u Laubwerk, alles im höchsten Grade fein u scharf gegossen, u von schöner Zeichnung. Die Farbe ist schwarz. – Auswendig an derselben Kirche ist ein großes Basrelief in Stein, das Begräbniß Christi, von Adam Kraft, 1492 gemacht, worauf ein Paar Köpfe den vollendetsten Ausdruck haben. Dergleichen große Basreliefs, die auswendig an Kirchen, in einer Vertiefung, hinter einem Gitter angebracht sind, findet man fast an allen alten katholischen Kirchen, auch in Bamberg, usw. Mehrere stellen Christum auf dem Oehlberge, mit dem Kopf Gottes des Vaters der oben aus der Wand hervorsteht, vor. Mehrere sind sehr schlecht u grob, haben bemahlte Figuren, (die auch öfters ganz frey stehen,) u einen auf der Wand blos gemahlten Hintergrund. – Die Lorenzkirche ist inwendig die ehrwürdigste, antikeste u abentheuerlichste Kirche die ich kenne. Das mittlere Schiff ist eng u hoch, u hat, wie alle alte Kirchen, gar keine Chöre. Da die Gothischen Bogen zwischen den Pfeilern die das Schiff begränzen, fast nur bis zur Hälfte der ganzen Höhe gehen, u drüber alles Mauerwerk ist, und da alle Fenster ganz oder zum Theil bemahlt sind, so erhält das Innere / nur ein dämmerndes Licht, das durch die dunkelgraue Steinfarbe noch dunkler wird. Auf den Fenstern sind Wappen, biblische Geschichten, usw. mit Farben gemahlt, die alle zu brennen scheinen u itzt gewiß unansehnlich sind. Das Roth, Grün, Blau, Gelb, Violett ist von der frischesten Lebhaftigkeit. Alle Figuren u ihre Theile sind auf einzelne Glasstückchen gemahlt, die mit Bleystreifen verbunden, u so zusammengesetzt sind. Daher sieht man von außen den ganzen Contour der Figuren von Bleystreifen. In der Lorenzkirche finden sich auch mehrere sehr alte Gemählde, auf goldenem Grunde. – Montag Abend sahen wir in der Komödie: Hans Dollinger, ein altdeutsches Stück, v. Schikaneder. Das Komödienhaus ist klein u niedrig, vorn mit gemahlten Säulen, u auf der Seite, wo es gegen eine enge Gasse stößt, von plumpen Feldsteinen gebaut.
Dienstag früh giengen wir zu Hn Beringer, der an Hn P. Bode in wenigen Tagen die ersten Globen schicken wird. Sie sind schon fein illuminirt u überfirnißt. Er bringt manche kleine Verbesserungen an. Der messingene Meridian ist nicht so rund gegossen, sondern geschlagen, oder gehämmert. Darauf besahen wir das Rathhaus u die Burg. Für jedes zahlt man 1 fl. (denn die Preise für dergl. / sind hier bestimmt.) Beydes ist sehr interressant zu sehen, besonders wegen der vielen alten Gemählde, deutscher, besonders Nürnbergischer Mahler. Das Rathhaus hat eine Italiän. Façade, die, wenn sie auch nicht die Kritik aushält, doch viel Frappantes hat. Nach den innern Höfen zu sind offene Gallerien mit Arkaden. Hier wimmelt es von Menschen. Oben, als wir die breiten steinernen Treppen hinaufgegangen waren, traten wir gleich in den herrlichen großen Vorsaal, den Sie in Ihrer Sammlung Nürnbergischer Prospekte abgebildet haben. Er macht einen großen Eindruck, vornehmlich durch das hohe hölzerne Gewölbe, das die Krümmung eines Halbzirkels hat. Hier sah ich nun auch einige Rathsherren in ihrer schwarzen altdeutschen oder spanischen Tracht, mit weiten, faltigen, kurzen Röcken, großen Perücken, u Degen, wie Sie sie auf jenem Kupferblatte sehen; ein auffallender Anblick. In die Rathstube konnten wir nicht kommen. Vor den Thüren stehen reichsstädtische Bürger, mit rostigen Hellebarden. Wir sahen nun einige Säle u Zimmer voll Gemählde, worin sich zuweilen der äußere Rath versammelt, der aus Bürgern besteht, die in Mänteln gehen. Der innere besteht aus 32 Patriciern. Die Gemählde die wir sahen, sind von Albrecht Dürer, San/drart, Michael Herr, Kupetzky, Daniel Preisler, Juvenell, Georg Pens, Franz Floris, u.s.w. Zwey Apostelfiguren, von A. Dürer gehören zu den schönsten Gemählden die ich kenne, und haben mich belehrt, welchen gegründeten Anspruch er auf den Titel eines Genies, und auf den Namen eines deutschen Raphael, die man ihm giebt, Anspruch hat. So viel mein ungeübtes Auge sehen konnte, sah ich hier wirklich herrlich gezeichnete Köpfe voll Ausdruck, u Gewänder mit geschmackvollen großen Falten, alles ganz nach dem Vorbild der Italiän. Schule; und besonders eine Einfachheit im Ganzen, u eine Entfernung aller blendenden Farben, die der Charakter Raphaels ist. – Ein großes Zimmer, war das Zimmer der Fränk. Kreisversammlung. – Die Fensterscheiben des Rathhauses sind klein, rund, in der Mitte vertieft, und um die Mitte herum, erhoben. Am Plafond eines Corridors ist ein in Nürnberg gehaltenes Thurnier in einem weißen Basrelief abgebildet; die Wappen nur sind ausgemahlt.
Auf der Burg sahen wir eigentlich nur das Gebäude, worin fast alle ältere deutsche Kaiser, eine Zeitlang gewohnt haben, als noch ihr Wohnsitz unstät war. Die Thürme u Gebäude der Burggrafen von Nürnberg sahen wir nicht; sie sind auch nicht sehenswerth. Im Hofe der Kaiserburg steht / eine starke, schöne Linde, die die Kaiserinn Kunegunde, Heinrichs 2. Gemahlinn, gepflanzt haben soll. Im Vorzimmer steht eine weiße Rüstung, die dem Gefährten Götz von Berlichingens, Franz von Sickingen, gehört haben soll. Im ersten Saale sah ich alte Fahnen, eine große Schildkrötenschaale die als Schild gebraucht worden war, ein feines Basrelief in Holz, ein altdeutsches, ungemein feines Gemählde, usw. In der kleinen Kapelle ist alte, bemahlte BildschnitzerArbeit am Altar. In den übrigen Zimmern u Sälen hängen Gemählde, (s. v. Murr) unter andern auch die Bildnisse Luthers u Melanchthons von Lukas Kranach. In einem Gange hängt ein gewaltig großes Blatt, worauf ein 1536 von Karl 5. angestelltes Turnier zu Augsburg, in Holzschnitten abgebildet ist; alles ohne Perspektive, denn die Figuren stehn alle übereinander. Bey jedem Paar von Kämpfern sind einige Zeilen zur Erklärung der Personen beygedruckt; u unten ist auch noch eine lange Beschreibung. In andern Gängen u Zimmern hängen sehr große Grundrisse von Rom, Wien, usw. In dem eigentlichen Wohnzimmer einiger Kaiser, worin die lebensgroßen Bildniße der 9 letzten Kaiser, den jetzigen ausgenommen, hängen, und eine Inschrift zum Andenken der Anwesenheit Josephs 2. in Nürnberg, steht, hat man, wie auch in / andern Zimmern, eine weite Aussicht, die aber doch zeigt, daß Nürnberg in einer etwas leeren u uninterressanten Ebene liegt. Man sieht hier die Anspachische Festung Wülzburg, die 61/2 Meilen entfernt liegt. In dem Saale, der ehemals die kaiserliche Kanzeley gewesen, sind Schränke mit alten, künstlich ausgeschmückten Gläsern, u andre Kunstsachen, unter andern ein kleines feines Gemählde, das blos aus gezupfter Seide, d. i. aus aufgeklebten kleinen Seidenfädchen von verschiedener Farbe, auf das sauberste zusammengesetzt ist. Mehrere der Zimmer sind von Meublen ganz leer. – Im Hofe ist ein 56 Klafter tiefer Brunnen, der durch den Felsen geht, und ein Wasser von auffallender Reinheit und Kühle hat. Wir kosteten davon, goßen auch Wasser hinunter, und hörten es erst nach 7 Sekunden in den Brunnen hineinplätschern.
Am Morgen hatten wir den Markt besucht, der sehr lebendig war. Die altdeutsche Tracht der Nürnberger Bäuerinnen kennen Sie schon. Sie haben dabey schwarze oder grüne Strümpfe. Die Milch bringen sie in kupfernen Gefäßen von dieser Form:
[...]
welche sie in solchen geflochtenen Körben:
[...]
tragen, die unten in ein viereckiges Brett zusammenlaufen. Wie Sie sehen, sind beyde Arten von Gefässen, von einer schönen / Form, die ganz die Simplicität, und die schön gekrümmten Linien antiker Gefäße hat. In dergleichen Sachen ist hier überhaupt Geschmack. In Nürnberg, Erlangen usw. tragen die Weiber das Wasser in solchen langen, u ovalen oder etwas platt gedrückten hölzernen Gefäßen:
[...]
und um Bamberg u Kulmbach trägt man die grünen Sachen vom Felde in solchen, offnen, breitgeflochtenen Körben:
[...]
In Nürnberg ist alles an den Häusern zierlich ausgeschmückt. Selbst der Drath der Klingeln, die an allen Häusern sind, hat bald die Form einer Kette, bald einer BlumenGirlande, bald schlangenförmige Windungen. Alle Hausthüren, die schlechteste nicht ausgenommen, haben oben einen Bogen, nie einen graden Sims. Die großen sind mit alter Bildschnitzerey, glänzenden messingenen Drückern, u gewaltigen alten Schlössern versehen. Viele Häuser sind mit Oehlfarbe bestrichen. 2 Brücken sind itzt ganz mit kleinen schlechten Häusern bebaut, und nicht mehr zum Passiren. Die breite Fleischbrücke hat nur Einen, großen, flachen Bogen, und gleicht ohngefähr der Ponto rialto in Venedig. – Das Haus woran die Riesen abgebildet stehn, ist ein Eckhaus. Auf der langen Seite sind die Figuren des Simson, David, Goliath u des starken Eck, ganz zu / sehen, von den übrigen 7 sieht man blos die Brustbilder über Thüren und Fenstern, und ihre Namen sind, außer denen des Riesen Siegenot, und des Kaisers Otto des Großen, ganz unleserlich: ich habe sie lange betrachtet und durchaus nichts entdecken können, außer daß ich bey einem, Hug Dieterich zu lesen glaubte, aber sehr ungewiß. Auf der andern Seite des Hauses sind auch noch 4 Brustbilder, (in allem also 15 Figuren,) deren Namen ebenfalls verwischt sind. Alle sind in Ritterkleidung u die meisten gerüstet, vorgestellt. – Die Vertheilung der Fenster an den Häusern in N. ist oft ganz unsymmetrisch; sie passen öfters gar nicht aufeinander; u in der untern Etage sind sie fast allemal sparsam, oder zu hoch, zu niedrig, zu klein, und unordentlich vertheilt.
Man sieht in N. sonderbare Moden u Gebräuche. Unter den alten Leuten sind, (wie in Bamberg,) arge Karrikaturen, in Kleidung wie in Gestalt. Bey Nürnberg sah ich eine Dame fahren, die einen Sonnenschirm mit goldnen Franzen trug. Vor einem Herrn u einer geputzten Dame zu Pferde sah ich einen Läufer laufen, u hinten ritt ein äußerst schmutziger Bedienter, der so schwarz als sein Pferd aussah. – Ein andermal aber sah ich in N., als ich zufällig in ein enges Gäßchen kam, einen höchst sonderbaren, alten Gebrauch. Es war grade Kirchweih oder Markt. Die Gasse war voller / Menschen. An einem über die Straße gespannten Seile, hieng ein Kübel mit Blut gefüllt. Ein Junge der eine Perücke mit bunten Schleifen u eine Maske trug, mußte darunter gehen, und sich das Blut auf den Kopf stürzen lassen. Dann ward er auf einen kleinen Schlitten gesetzt, u ganz roth von Blut, von andern Jungen, unter dem Frohlocken des Volks, einige Straßen durchgezogen. Nachher gieng er mit einer Büchse herum, u sammelte Geld ein. Dies ward öfters wiederhohlt. Ich sah mit Verwunderung zu. „Es wird der blutige Mann gemacht“, sagten die Leute die ich befragte. Der Gebrauch muß sehr alt, u allgemein gewesen seyn, denn in England fand zu Shakespears Zeiten ein ähnlicher statt. (Er spielt in: Viel Lärmen um nichts, Akt 1. Scene 4. darauf an.) Statt des Bluts war aber eine Menge Ruß, u eine Katze in dem Gefäß; und wer, indem er darunter weg rannte u den Boden des Gefäßes mit einer Lanze einstieß, behende genug durchschlüpfte, ohne etwas auf den Kopf zu bekommen, ward als der Held der Feyerlichkeit angesehen. – Noch will ich anmerken, daß es in N. selbst privilegirte Bettler giebt, und daß Betteljungen, mit blechernen Büchsen, Fremden ganze Straßen durch nachlaufen. –
Der Weg von N. nach Fürth, das nur 1/2 Meile entfernt liegt, ist sehr sandig, u öde. Fürth ist / eine von Handwerkern u Juden wimmelnde Stadt. Alles ist thätig u hat ein Gewerbe. Juden bieten in Menge allerhand Sachen zum Verkauf an. Die Stadt ist offener als ein Dorf: die Straßen laufen gradezu auf Wiesen u Felder hinaus, u es ist nicht das geringste von Umzäunung zu sehen. Wir aßen Mittag im Prinzen von Preußen. Gegenüber ist das Brandenburgische Haus, (ein Name, den in mehreren Fränkischen Städten, Wirthshäuser führen,) einer der größten Gasthöfe den ich je gesehen habe, und den man in diesem Städtchen nicht suchen sollte. Nach Tische sahen wir in kurzer Zeit sehr viel. Wir besuchten die SpiegelschleifMühle, u sahen wie die Spiegel, (die aus Böhmen roh kommen,) geschliffen, polirt und, (was besonders interressant ist,) mit Quecksilber versehen werden. Auch die PolirMaschine ist sehr sinnvoll. In Technolog. Werken wird das alles genau beschrieben seyn, nur Schade daß ich dergleichen hier nicht haben kann! Doch habe ich ziemlich deutliche Ideen bekommen, u alles mit Aufmerksamkeit u Vergnügen besehen. In der Bleystiftfabrik sahen wir die ganze Fabrikation des Bleystifts. Auch sahen wir eine Fabrik von metallenen Knöpfen (von Zinn u Glockenguß componirt,) und eine Goldschlägerey. In dieser fand ich eine Menge alter pergamentener französischer Urkunden u Choralbücher, die man aus Frankreich gekauft hatte; denn die Goldplättchen werden zwischen / Pergament geschlagen. Man überließ mir einige Blätter zur Kuriosität. – Außerdem besuchten wir noch den Hn Hoffmedailleur Reich, u seine 2 Söhne. Der Vater ist ein mechanisches Genie, aber von niedrigerer Art, ohne Geschmack u große Kenntniß, u ein wenig schwärmend. Ursprünglich war er Orgelmacher. Wir sahen bey ihm folgendes. Eine große Wanduhr, worin ein kleines Positiv, und oben ein Paar geschmack- u kunstlose Spielwerke, nämlich ein im Wasser herumgehendes Schiff, u eine sich bewegende Windmühle, angebracht waren. Mehrere von ihm geschnittene, ziemlich schlechte Medaillen. Eine Luftpumpe u eine ElektrisirMaschine von ihm; denn er macht auch physikal. u mathematische Instrumente. Ein Perpetuum mobile, das aber noch nicht recht im Gange war, von dieser Form:
[...]
Der blecherne Teller a, wiegte sich auf der festruhenden Axe bb hin und her, wodurch eine in der Rinne um den Umfang des Tellers liegende Kugel, in beständigem Herumlaufen blieb. Zum Gleichgewicht u zum Schwunge war unten ein Gewicht c, u oben eine hin u her schwankende Stahlfeder d auch mit einem kleinen Gewichte, an der durch den Teller durchgehenden Stange befestigt. In der / Werkstätte sahen wir metallene Spielmarken mit einer Prägmaschine, beprägen. Auf ähnliche Art wurden weiße metallene Knöpfe mit dem Bildniß Ludwigs 16. von Frankreich beprägt. An seiner in die Wand gemauerten eisernen Sonnenuhr, glaubte H. Reich bemerkt zu haben, daß die Sonne seit 25 Jahren, 6 Grade weit (wie er’s nannte,) von ihrem damaligen Aufgangsorte aufgienge, und wollte uns einbilden die Professoren in Göttingen u Erlangen stellten itzt Untersuchungen über diese Verrückung des Himmelsgebäudes an. Wenn die Verrückung aber nicht in seiner Sonnenuhr, oder in seinen Ideen liegt, so mag nur H. P. Bode diesem großen Entdecker weichen. Zuletzt zeigte er uns noch mit sonderbarer Prahlerey, mehrere Briefe großer Herren, z. B. des jetzigen Königs v. Preußen, des Generals Elliot, usw. worin sie ihm für Medaillen dankten. – Sein einer Sohn ist ein Gürtler, u macht schöne Vergoldungen von Spiegelrahmen, usw. – Der andre ist ein Kunstdrechsler, macht Fausses montres, u andre GallanterieWaaren, u hat vor 1 oder 2 Jahren eine Maschine erfunden, worauf er ein unbegreifliches Wunderwerk hervorbringt, deren / Zusammensetzung er aber geheim hält. Vor unsern Augen drehte er das Brustbild des jetzigen Königs, ein Sechspfennigstück groß, in einem runden Plättchen Elfenbein aus, welches noch nicht 5 Minuten währte! Die Maschine war verdeckt. Man sah nichts als daß er mit der rechten Hand ein Rad umdrehte, wodurch eine horizontale Spindel in Bewegung gesetzt ward, in welcher vorn das Plättchen Elfenbein befestigt war, worauf ein horizontaler, spitzer, festsitzender eiserner Griffel, grade zustieß, u die Figur bildete. Das Unbegreifliche der Maschinerie muß in jenem Cylinder, oder dahinter liegen. Der Griffel fieng in der Mitte des Plättchens an ein Löchelchen zu drehen, u drehte von da, in einer beständigen Spirallinie bis zum Umfange fort, das Gesicht heraus. Während des Drehens sah man nur Elfenbeinstaub in der gemachten Oeffnung sich herumkräuseln, ohne die Figur zu sehen. Wenn beym Herumgehen der Platte der Griffel an die erhabene Figur kam, (denn sie ward nicht vertieft, sondern en basrelief herausgedreht,) so ward langsam u sorgfältig gedreht. Nothwendig muß der Cylinder mit dem Plättchen, durch die Maschine, dem festsitzenden Griffel, im Drehen, so entgegengerichtet werden, daß dieser die / Figur von selber richtig hineinschneidet; wie dies aber geschieht, ist ein Räthsel. H. P. R. Weisser, der das Drechseln versteht, meynte einmal in einem Buche über die Drechselkunst, eine ähnliche Erfindung angezeigt gefunden zu haben, u glaubte, daß die Einrichtung doch einige Ähnlichkeit mit einem sogenannten Passigwerk habe. Von vielen vorräthigen kleinen Bildnissen des jetzigen u vorigen Königs v. Preußen kaufte ich eines der letztern für 12 Kreuzer. Machen Sie doch diese merkwürdige Erfindung bekannt, besonders Hn Rath Zöllner. Der Künstler, der ein sehr artiger, bescheidener Mann ist, könnte, wenn sie bekannter wäre als sie jetzt noch mit Unrecht ist, u wenn seine Waaren die er in so kurzer Zeit verfertigt, in Kunsthandlungen andrer Städte verschickt würden, vielleicht viel Geld verdienen. – – Von Erlangen ist Fürth fast ebenso weit als Nürnberg.
In den folgenden Paar Tagen zeigten wir dem Herrn P. R. Weisser die Höhlen bey Muggendorf, die er der Baumannshöhle in der Schönheit weit vorzieht, weil diese zwar weitere Säle habe, aber weit dunkler, schwärzer, u uninteressanter sey. Die Rosenmüllersche Höhle gleicht einem hohen, gothischen Kirchengewölbe, das sich oben eng zusammenzieht, und nur durch die lange, schmale Felsenspalte, durch die man oben sich so eben hindurchschieben / kann, um die Leiter hinabzusteigen, ein dämmerndes Tageslicht erhält. Diesen Eingang würde keiner von selber finden: er scheint eine Ritze im Felsen, die gar nicht tief geht. Der Boden der Höhle geht von vorn nach hinten zu, wie ein kleines Gebürge von rundlichen Tropfsteinstücken, in die Höhe, und kommt hinten der Decke so nah, daß man nur mit Mühe zwischen den Zapfen u Säulen hindurch, zu den letzten Winkeln hinschlüpfen kann, wo der größte Reichthum dieser Zapfen u Säulen von der Decke hängt, u auf dem Boden steht. Sie sind von 1 bis etwa 6 Zoll Dicke, u von 1, 2 bis 3 Fuß Länge. An einem Orte hängt ein breiter, dünner Stalaktit, wie eine Fahne herab. – Wir zeigten noch dem Hn. Weisser einige nahe schöne Gegenden von Baireuth, u nahmen in Bamberg von ihm Abschied, von wo wir zurückreisten. Jene Gegenden kennen Sie schon von meiner Pfingsten Reise her. –
Seitdem Burgsdorf hier ist, essen wir bey Toussaint im Wallfisch, dem beßten Gasthofe, für 2 fl. die Woche. Man speist gewöhnlich: eine Suppe, oft Nudelsuppe; dann allemal Rindfleisch, mit Senf, Gurkensallat, u Rettigen, die hier häufig gegessen werden, aber hart wie Holz u ohne Saft sind; / dann Gemüse; dann Braten; u endlich Butter oder auch Kuchen. Zuweilen werden zwischen 2 Gerichten, oder auch zum Gemüse, kleine Kuchen herumgegeben, was hier nicht ungebräuchlich ist. Die Gemüse kocht man hier sehr dünne, u für mich lange nicht so gut, als in Berlin. Bohnen u Schoten ißt man in diesen Gegenden sehr selten; dagegen mehrere Kohlarten; Kohlrabi; u Laktuk mit weißen Wurzeln, ein hier häufiges, aber sehr nüchternes Essen. Ueberhaupt ißt man mehr Fleisch als Gemüse. Die Zubereitung ist bey Toussaint sehr gut. Es speisen hier mehrere Studenten, 2 Emigranten, u Fremde. – An mehreren Gerichten thut man in diesen Gegenden eine Menge Saffran, der für mich das Widrigste ist was ich kenne. Alle Speisen, auch Butter, sind fast ganz ungesalzen. Das Wasser ist in ganz Erl. weich u sehr mittelmäßig, weil der Boden so sandig u so niedrig ist, daß man beym Graben sogleich auf Wasser stößt. – Diese Nachrichten vom Essen, sind für Mama.
Bald schreibe ich wieder. Ich wünschte die beßte Gesundheit, u immer frohe Tage, u bleibe
Ihr
gehorsamer Sohn
W. H. Wackenroder.
Theuerste Aeltern,
Am Montage vor 8 Tagen, früh Morgens, trat H. P. R. Weisser zu meiner Freude in die Thür, und wir hießen ihn willkommen, waren sehr vergnügt mit ihm, und hatten genug miteinander zu schwatzen. Wir, Burgsdorf, Tieck und ich, reisten gleich mit ihm nach Tische nach Nürnberg, u von da am folgenden Vormittage nach Fürth, von wo wir Dienstag Nachmittag, gegen Abend, zurückfuhren. Von Nürnberg muß ich Ihnen doch noch einiges erzählen. Wir besahen die St. Sebalds u die St. Lorenzkirche, welche die beyden Hauptkirchen sind, u jede 2 hohe Thürme haben, noch am Montag Nachmittag. Von den alten Gemählden, u Kunstwerken in Stein, Holz u Erz, die man in den vielen Kirchen Nürnbergs, von den Merkwürdigkeiten der Privatkunstkabinette, u besonders v. d. Reichsinsignien, findet man gar weitläuftige Beschreibung in: v. Murrs Merkwürdigkeiten v. Nürnberg; aber auch blos von diesen Sachen. Und selbst hier fehlt manches, wenn von andern Dingen zu weitläuftig geredet ist. Mehrere ganz vorzügliche Porträtgemählde von dem ersten deutschen Porträtmahler Kupetzky, einige Antiquitäten auf der Burg, mehrere / merkwürdige alte Gemählde u Basreliefs auswendig an Privathäusem, usw., sind ganz übergangen, ich weiß nicht woher. – Die meisten Kirchen in N. sind um den Anfang des 14. Jahrhunderts gebaut, u die meisten Kunstwerke in denselben rühren vom 15. u 16. Jahrhd. her, und sind die redendsten Beweise, von dem damals beyspiellosen Flor der Künste in dieser Stadt. Aber alle diese Denkmähler, die nichts weniger als blos wegen ihres Alterthums ehrwürdig sind, sondern zum großen Theil auch ächten innern Werth haben, sind leider zugleich die Grabmähler der verlohrenen Kunst. Denn sie schränkt sich itzt hier fast nur auf mittelmäßige Kupferstecher ein. Albrecht Dürer, Sandrart, Hans Sachs, u andre ruhen auf einem schönen, ganz offenen Kirchhofe außerhalb der Mauern, unter einer bunten Decke mannigfaltiger Blumen: der schönste Kirchhoff, den ich bis itzt gesehen habe, u interressanter als jeder andre durch die Gebeine der für ihre Zeiten wenigstens durchgängig großen Künstler, deren Vaterland Nürnberg war.
In der Sebaldskirche ist das merkwürdige Grabmal St. Sebalds, 1519 von Peter Vischer aus Erz ge/goßen. Es steht frey, u ist ohngefähr 5 Fuß lang, 2 Fuß breit, u 6 Fuß hoch. Rund herum sind Figuren von 1 bis 1/2 Fuß, u Säulen, u Laubwerk, alles im höchsten Grade fein u scharf gegossen, u von schöner Zeichnung. Die Farbe ist schwarz. – Auswendig an derselben Kirche ist ein großes Basrelief in Stein, das Begräbniß Christi, von Adam Kraft, 1492 gemacht, worauf ein Paar Köpfe den vollendetsten Ausdruck haben. Dergleichen große Basreliefs, die auswendig an Kirchen, in einer Vertiefung, hinter einem Gitter angebracht sind, findet man fast an allen alten katholischen Kirchen, auch in Bamberg, usw. Mehrere stellen Christum auf dem Oehlberge, mit dem Kopf Gottes des Vaters der oben aus der Wand hervorsteht, vor. Mehrere sind sehr schlecht u grob, haben bemahlte Figuren, (die auch öfters ganz frey stehen,) u einen auf der Wand blos gemahlten Hintergrund. – Die Lorenzkirche ist inwendig die ehrwürdigste, antikeste u abentheuerlichste Kirche die ich kenne. Das mittlere Schiff ist eng u hoch, u hat, wie alle alte Kirchen, gar keine Chöre. Da die Gothischen Bogen zwischen den Pfeilern die das Schiff begränzen, fast nur bis zur Hälfte der ganzen Höhe gehen, u drüber alles Mauerwerk ist, und da alle Fenster ganz oder zum Theil bemahlt sind, so erhält das Innere / nur ein dämmerndes Licht, das durch die dunkelgraue Steinfarbe noch dunkler wird. Auf den Fenstern sind Wappen, biblische Geschichten, usw. mit Farben gemahlt, die alle zu brennen scheinen u itzt gewiß unansehnlich sind. Das Roth, Grün, Blau, Gelb, Violett ist von der frischesten Lebhaftigkeit. Alle Figuren u ihre Theile sind auf einzelne Glasstückchen gemahlt, die mit Bleystreifen verbunden, u so zusammengesetzt sind. Daher sieht man von außen den ganzen Contour der Figuren von Bleystreifen. In der Lorenzkirche finden sich auch mehrere sehr alte Gemählde, auf goldenem Grunde. – Montag Abend sahen wir in der Komödie: Hans Dollinger, ein altdeutsches Stück, v. Schikaneder. Das Komödienhaus ist klein u niedrig, vorn mit gemahlten Säulen, u auf der Seite, wo es gegen eine enge Gasse stößt, von plumpen Feldsteinen gebaut.
Dienstag früh giengen wir zu Hn Beringer, der an Hn P. Bode in wenigen Tagen die ersten Globen schicken wird. Sie sind schon fein illuminirt u überfirnißt. Er bringt manche kleine Verbesserungen an. Der messingene Meridian ist nicht so rund gegossen, sondern geschlagen, oder gehämmert. Darauf besahen wir das Rathhaus u die Burg. Für jedes zahlt man 1 fl. (denn die Preise für dergl. / sind hier bestimmt.) Beydes ist sehr interressant zu sehen, besonders wegen der vielen alten Gemählde, deutscher, besonders Nürnbergischer Mahler. Das Rathhaus hat eine Italiän. Façade, die, wenn sie auch nicht die Kritik aushält, doch viel Frappantes hat. Nach den innern Höfen zu sind offene Gallerien mit Arkaden. Hier wimmelt es von Menschen. Oben, als wir die breiten steinernen Treppen hinaufgegangen waren, traten wir gleich in den herrlichen großen Vorsaal, den Sie in Ihrer Sammlung Nürnbergischer Prospekte abgebildet haben. Er macht einen großen Eindruck, vornehmlich durch das hohe hölzerne Gewölbe, das die Krümmung eines Halbzirkels hat. Hier sah ich nun auch einige Rathsherren in ihrer schwarzen altdeutschen oder spanischen Tracht, mit weiten, faltigen, kurzen Röcken, großen Perücken, u Degen, wie Sie sie auf jenem Kupferblatte sehen; ein auffallender Anblick. In die Rathstube konnten wir nicht kommen. Vor den Thüren stehen reichsstädtische Bürger, mit rostigen Hellebarden. Wir sahen nun einige Säle u Zimmer voll Gemählde, worin sich zuweilen der äußere Rath versammelt, der aus Bürgern besteht, die in Mänteln gehen. Der innere besteht aus 32 Patriciern. Die Gemählde die wir sahen, sind von Albrecht Dürer, San/drart, Michael Herr, Kupetzky, Daniel Preisler, Juvenell, Georg Pens, Franz Floris, u.s.w. Zwey Apostelfiguren, von A. Dürer gehören zu den schönsten Gemählden die ich kenne, und haben mich belehrt, welchen gegründeten Anspruch er auf den Titel eines Genies, und auf den Namen eines deutschen Raphael, die man ihm giebt, Anspruch hat. So viel mein ungeübtes Auge sehen konnte, sah ich hier wirklich herrlich gezeichnete Köpfe voll Ausdruck, u Gewänder mit geschmackvollen großen Falten, alles ganz nach dem Vorbild der Italiän. Schule; und besonders eine Einfachheit im Ganzen, u eine Entfernung aller blendenden Farben, die der Charakter Raphaels ist. – Ein großes Zimmer, war das Zimmer der Fränk. Kreisversammlung. – Die Fensterscheiben des Rathhauses sind klein, rund, in der Mitte vertieft, und um die Mitte herum, erhoben. Am Plafond eines Corridors ist ein in Nürnberg gehaltenes Thurnier in einem weißen Basrelief abgebildet; die Wappen nur sind ausgemahlt.
Auf der Burg sahen wir eigentlich nur das Gebäude, worin fast alle ältere deutsche Kaiser, eine Zeitlang gewohnt haben, als noch ihr Wohnsitz unstät war. Die Thürme u Gebäude der Burggrafen von Nürnberg sahen wir nicht; sie sind auch nicht sehenswerth. Im Hofe der Kaiserburg steht / eine starke, schöne Linde, die die Kaiserinn Kunegunde, Heinrichs 2. Gemahlinn, gepflanzt haben soll. Im Vorzimmer steht eine weiße Rüstung, die dem Gefährten Götz von Berlichingens, Franz von Sickingen, gehört haben soll. Im ersten Saale sah ich alte Fahnen, eine große Schildkrötenschaale die als Schild gebraucht worden war, ein feines Basrelief in Holz, ein altdeutsches, ungemein feines Gemählde, usw. In der kleinen Kapelle ist alte, bemahlte BildschnitzerArbeit am Altar. In den übrigen Zimmern u Sälen hängen Gemählde, (s. v. Murr) unter andern auch die Bildnisse Luthers u Melanchthons von Lukas Kranach. In einem Gange hängt ein gewaltig großes Blatt, worauf ein 1536 von Karl 5. angestelltes Turnier zu Augsburg, in Holzschnitten abgebildet ist; alles ohne Perspektive, denn die Figuren stehn alle übereinander. Bey jedem Paar von Kämpfern sind einige Zeilen zur Erklärung der Personen beygedruckt; u unten ist auch noch eine lange Beschreibung. In andern Gängen u Zimmern hängen sehr große Grundrisse von Rom, Wien, usw. In dem eigentlichen Wohnzimmer einiger Kaiser, worin die lebensgroßen Bildniße der 9 letzten Kaiser, den jetzigen ausgenommen, hängen, und eine Inschrift zum Andenken der Anwesenheit Josephs 2. in Nürnberg, steht, hat man, wie auch in / andern Zimmern, eine weite Aussicht, die aber doch zeigt, daß Nürnberg in einer etwas leeren u uninterressanten Ebene liegt. Man sieht hier die Anspachische Festung Wülzburg, die 61/2 Meilen entfernt liegt. In dem Saale, der ehemals die kaiserliche Kanzeley gewesen, sind Schränke mit alten, künstlich ausgeschmückten Gläsern, u andre Kunstsachen, unter andern ein kleines feines Gemählde, das blos aus gezupfter Seide, d. i. aus aufgeklebten kleinen Seidenfädchen von verschiedener Farbe, auf das sauberste zusammengesetzt ist. Mehrere der Zimmer sind von Meublen ganz leer. – Im Hofe ist ein 56 Klafter tiefer Brunnen, der durch den Felsen geht, und ein Wasser von auffallender Reinheit und Kühle hat. Wir kosteten davon, goßen auch Wasser hinunter, und hörten es erst nach 7 Sekunden in den Brunnen hineinplätschern.
Am Morgen hatten wir den Markt besucht, der sehr lebendig war. Die altdeutsche Tracht der Nürnberger Bäuerinnen kennen Sie schon. Sie haben dabey schwarze oder grüne Strümpfe. Die Milch bringen sie in kupfernen Gefäßen von dieser Form:
[...]
welche sie in solchen geflochtenen Körben:
[...]
tragen, die unten in ein viereckiges Brett zusammenlaufen. Wie Sie sehen, sind beyde Arten von Gefässen, von einer schönen / Form, die ganz die Simplicität, und die schön gekrümmten Linien antiker Gefäße hat. In dergleichen Sachen ist hier überhaupt Geschmack. In Nürnberg, Erlangen usw. tragen die Weiber das Wasser in solchen langen, u ovalen oder etwas platt gedrückten hölzernen Gefäßen:
[...]
und um Bamberg u Kulmbach trägt man die grünen Sachen vom Felde in solchen, offnen, breitgeflochtenen Körben:
[...]
In Nürnberg ist alles an den Häusern zierlich ausgeschmückt. Selbst der Drath der Klingeln, die an allen Häusern sind, hat bald die Form einer Kette, bald einer BlumenGirlande, bald schlangenförmige Windungen. Alle Hausthüren, die schlechteste nicht ausgenommen, haben oben einen Bogen, nie einen graden Sims. Die großen sind mit alter Bildschnitzerey, glänzenden messingenen Drückern, u gewaltigen alten Schlössern versehen. Viele Häuser sind mit Oehlfarbe bestrichen. 2 Brücken sind itzt ganz mit kleinen schlechten Häusern bebaut, und nicht mehr zum Passiren. Die breite Fleischbrücke hat nur Einen, großen, flachen Bogen, und gleicht ohngefähr der Ponto rialto in Venedig. – Das Haus woran die Riesen abgebildet stehn, ist ein Eckhaus. Auf der langen Seite sind die Figuren des Simson, David, Goliath u des starken Eck, ganz zu / sehen, von den übrigen 7 sieht man blos die Brustbilder über Thüren und Fenstern, und ihre Namen sind, außer denen des Riesen Siegenot, und des Kaisers Otto des Großen, ganz unleserlich: ich habe sie lange betrachtet und durchaus nichts entdecken können, außer daß ich bey einem, Hug Dieterich zu lesen glaubte, aber sehr ungewiß. Auf der andern Seite des Hauses sind auch noch 4 Brustbilder, (in allem also 15 Figuren,) deren Namen ebenfalls verwischt sind. Alle sind in Ritterkleidung u die meisten gerüstet, vorgestellt. – Die Vertheilung der Fenster an den Häusern in N. ist oft ganz unsymmetrisch; sie passen öfters gar nicht aufeinander; u in der untern Etage sind sie fast allemal sparsam, oder zu hoch, zu niedrig, zu klein, und unordentlich vertheilt.
Man sieht in N. sonderbare Moden u Gebräuche. Unter den alten Leuten sind, (wie in Bamberg,) arge Karrikaturen, in Kleidung wie in Gestalt. Bey Nürnberg sah ich eine Dame fahren, die einen Sonnenschirm mit goldnen Franzen trug. Vor einem Herrn u einer geputzten Dame zu Pferde sah ich einen Läufer laufen, u hinten ritt ein äußerst schmutziger Bedienter, der so schwarz als sein Pferd aussah. – Ein andermal aber sah ich in N., als ich zufällig in ein enges Gäßchen kam, einen höchst sonderbaren, alten Gebrauch. Es war grade Kirchweih oder Markt. Die Gasse war voller / Menschen. An einem über die Straße gespannten Seile, hieng ein Kübel mit Blut gefüllt. Ein Junge der eine Perücke mit bunten Schleifen u eine Maske trug, mußte darunter gehen, und sich das Blut auf den Kopf stürzen lassen. Dann ward er auf einen kleinen Schlitten gesetzt, u ganz roth von Blut, von andern Jungen, unter dem Frohlocken des Volks, einige Straßen durchgezogen. Nachher gieng er mit einer Büchse herum, u sammelte Geld ein. Dies ward öfters wiederhohlt. Ich sah mit Verwunderung zu. „Es wird der blutige Mann gemacht“, sagten die Leute die ich befragte. Der Gebrauch muß sehr alt, u allgemein gewesen seyn, denn in England fand zu Shakespears Zeiten ein ähnlicher statt. (Er spielt in: Viel Lärmen um nichts, Akt 1. Scene 4. darauf an.) Statt des Bluts war aber eine Menge Ruß, u eine Katze in dem Gefäß; und wer, indem er darunter weg rannte u den Boden des Gefäßes mit einer Lanze einstieß, behende genug durchschlüpfte, ohne etwas auf den Kopf zu bekommen, ward als der Held der Feyerlichkeit angesehen. – Noch will ich anmerken, daß es in N. selbst privilegirte Bettler giebt, und daß Betteljungen, mit blechernen Büchsen, Fremden ganze Straßen durch nachlaufen. –
Der Weg von N. nach Fürth, das nur 1/2 Meile entfernt liegt, ist sehr sandig, u öde. Fürth ist / eine von Handwerkern u Juden wimmelnde Stadt. Alles ist thätig u hat ein Gewerbe. Juden bieten in Menge allerhand Sachen zum Verkauf an. Die Stadt ist offener als ein Dorf: die Straßen laufen gradezu auf Wiesen u Felder hinaus, u es ist nicht das geringste von Umzäunung zu sehen. Wir aßen Mittag im Prinzen von Preußen. Gegenüber ist das Brandenburgische Haus, (ein Name, den in mehreren Fränkischen Städten, Wirthshäuser führen,) einer der größten Gasthöfe den ich je gesehen habe, und den man in diesem Städtchen nicht suchen sollte. Nach Tische sahen wir in kurzer Zeit sehr viel. Wir besuchten die SpiegelschleifMühle, u sahen wie die Spiegel, (die aus Böhmen roh kommen,) geschliffen, polirt und, (was besonders interressant ist,) mit Quecksilber versehen werden. Auch die PolirMaschine ist sehr sinnvoll. In Technolog. Werken wird das alles genau beschrieben seyn, nur Schade daß ich dergleichen hier nicht haben kann! Doch habe ich ziemlich deutliche Ideen bekommen, u alles mit Aufmerksamkeit u Vergnügen besehen. In der Bleystiftfabrik sahen wir die ganze Fabrikation des Bleystifts. Auch sahen wir eine Fabrik von metallenen Knöpfen (von Zinn u Glockenguß componirt,) und eine Goldschlägerey. In dieser fand ich eine Menge alter pergamentener französischer Urkunden u Choralbücher, die man aus Frankreich gekauft hatte; denn die Goldplättchen werden zwischen / Pergament geschlagen. Man überließ mir einige Blätter zur Kuriosität. – Außerdem besuchten wir noch den Hn Hoffmedailleur Reich, u seine 2 Söhne. Der Vater ist ein mechanisches Genie, aber von niedrigerer Art, ohne Geschmack u große Kenntniß, u ein wenig schwärmend. Ursprünglich war er Orgelmacher. Wir sahen bey ihm folgendes. Eine große Wanduhr, worin ein kleines Positiv, und oben ein Paar geschmack- u kunstlose Spielwerke, nämlich ein im Wasser herumgehendes Schiff, u eine sich bewegende Windmühle, angebracht waren. Mehrere von ihm geschnittene, ziemlich schlechte Medaillen. Eine Luftpumpe u eine ElektrisirMaschine von ihm; denn er macht auch physikal. u mathematische Instrumente. Ein Perpetuum mobile, das aber noch nicht recht im Gange war, von dieser Form:
[...]
Der blecherne Teller a, wiegte sich auf der festruhenden Axe bb hin und her, wodurch eine in der Rinne um den Umfang des Tellers liegende Kugel, in beständigem Herumlaufen blieb. Zum Gleichgewicht u zum Schwunge war unten ein Gewicht c, u oben eine hin u her schwankende Stahlfeder d auch mit einem kleinen Gewichte, an der durch den Teller durchgehenden Stange befestigt. In der / Werkstätte sahen wir metallene Spielmarken mit einer Prägmaschine, beprägen. Auf ähnliche Art wurden weiße metallene Knöpfe mit dem Bildniß Ludwigs 16. von Frankreich beprägt. An seiner in die Wand gemauerten eisernen Sonnenuhr, glaubte H. Reich bemerkt zu haben, daß die Sonne seit 25 Jahren, 6 Grade weit (wie er’s nannte,) von ihrem damaligen Aufgangsorte aufgienge, und wollte uns einbilden die Professoren in Göttingen u Erlangen stellten itzt Untersuchungen über diese Verrückung des Himmelsgebäudes an. Wenn die Verrückung aber nicht in seiner Sonnenuhr, oder in seinen Ideen liegt, so mag nur H. P. Bode diesem großen Entdecker weichen. Zuletzt zeigte er uns noch mit sonderbarer Prahlerey, mehrere Briefe großer Herren, z. B. des jetzigen Königs v. Preußen, des Generals Elliot, usw. worin sie ihm für Medaillen dankten. – Sein einer Sohn ist ein Gürtler, u macht schöne Vergoldungen von Spiegelrahmen, usw. – Der andre ist ein Kunstdrechsler, macht Fausses montres, u andre GallanterieWaaren, u hat vor 1 oder 2 Jahren eine Maschine erfunden, worauf er ein unbegreifliches Wunderwerk hervorbringt, deren / Zusammensetzung er aber geheim hält. Vor unsern Augen drehte er das Brustbild des jetzigen Königs, ein Sechspfennigstück groß, in einem runden Plättchen Elfenbein aus, welches noch nicht 5 Minuten währte! Die Maschine war verdeckt. Man sah nichts als daß er mit der rechten Hand ein Rad umdrehte, wodurch eine horizontale Spindel in Bewegung gesetzt ward, in welcher vorn das Plättchen Elfenbein befestigt war, worauf ein horizontaler, spitzer, festsitzender eiserner Griffel, grade zustieß, u die Figur bildete. Das Unbegreifliche der Maschinerie muß in jenem Cylinder, oder dahinter liegen. Der Griffel fieng in der Mitte des Plättchens an ein Löchelchen zu drehen, u drehte von da, in einer beständigen Spirallinie bis zum Umfange fort, das Gesicht heraus. Während des Drehens sah man nur Elfenbeinstaub in der gemachten Oeffnung sich herumkräuseln, ohne die Figur zu sehen. Wenn beym Herumgehen der Platte der Griffel an die erhabene Figur kam, (denn sie ward nicht vertieft, sondern en basrelief herausgedreht,) so ward langsam u sorgfältig gedreht. Nothwendig muß der Cylinder mit dem Plättchen, durch die Maschine, dem festsitzenden Griffel, im Drehen, so entgegengerichtet werden, daß dieser die / Figur von selber richtig hineinschneidet; wie dies aber geschieht, ist ein Räthsel. H. P. R. Weisser, der das Drechseln versteht, meynte einmal in einem Buche über die Drechselkunst, eine ähnliche Erfindung angezeigt gefunden zu haben, u glaubte, daß die Einrichtung doch einige Ähnlichkeit mit einem sogenannten Passigwerk habe. Von vielen vorräthigen kleinen Bildnissen des jetzigen u vorigen Königs v. Preußen kaufte ich eines der letztern für 12 Kreuzer. Machen Sie doch diese merkwürdige Erfindung bekannt, besonders Hn Rath Zöllner. Der Künstler, der ein sehr artiger, bescheidener Mann ist, könnte, wenn sie bekannter wäre als sie jetzt noch mit Unrecht ist, u wenn seine Waaren die er in so kurzer Zeit verfertigt, in Kunsthandlungen andrer Städte verschickt würden, vielleicht viel Geld verdienen. – – Von Erlangen ist Fürth fast ebenso weit als Nürnberg.
In den folgenden Paar Tagen zeigten wir dem Herrn P. R. Weisser die Höhlen bey Muggendorf, die er der Baumannshöhle in der Schönheit weit vorzieht, weil diese zwar weitere Säle habe, aber weit dunkler, schwärzer, u uninteressanter sey. Die Rosenmüllersche Höhle gleicht einem hohen, gothischen Kirchengewölbe, das sich oben eng zusammenzieht, und nur durch die lange, schmale Felsenspalte, durch die man oben sich so eben hindurchschieben / kann, um die Leiter hinabzusteigen, ein dämmerndes Tageslicht erhält. Diesen Eingang würde keiner von selber finden: er scheint eine Ritze im Felsen, die gar nicht tief geht. Der Boden der Höhle geht von vorn nach hinten zu, wie ein kleines Gebürge von rundlichen Tropfsteinstücken, in die Höhe, und kommt hinten der Decke so nah, daß man nur mit Mühe zwischen den Zapfen u Säulen hindurch, zu den letzten Winkeln hinschlüpfen kann, wo der größte Reichthum dieser Zapfen u Säulen von der Decke hängt, u auf dem Boden steht. Sie sind von 1 bis etwa 6 Zoll Dicke, u von 1, 2 bis 3 Fuß Länge. An einem Orte hängt ein breiter, dünner Stalaktit, wie eine Fahne herab. – Wir zeigten noch dem Hn. Weisser einige nahe schöne Gegenden von Baireuth, u nahmen in Bamberg von ihm Abschied, von wo wir zurückreisten. Jene Gegenden kennen Sie schon von meiner Pfingsten Reise her. –
Seitdem Burgsdorf hier ist, essen wir bey Toussaint im Wallfisch, dem beßten Gasthofe, für 2 fl. die Woche. Man speist gewöhnlich: eine Suppe, oft Nudelsuppe; dann allemal Rindfleisch, mit Senf, Gurkensallat, u Rettigen, die hier häufig gegessen werden, aber hart wie Holz u ohne Saft sind; / dann Gemüse; dann Braten; u endlich Butter oder auch Kuchen. Zuweilen werden zwischen 2 Gerichten, oder auch zum Gemüse, kleine Kuchen herumgegeben, was hier nicht ungebräuchlich ist. Die Gemüse kocht man hier sehr dünne, u für mich lange nicht so gut, als in Berlin. Bohnen u Schoten ißt man in diesen Gegenden sehr selten; dagegen mehrere Kohlarten; Kohlrabi; u Laktuk mit weißen Wurzeln, ein hier häufiges, aber sehr nüchternes Essen. Ueberhaupt ißt man mehr Fleisch als Gemüse. Die Zubereitung ist bey Toussaint sehr gut. Es speisen hier mehrere Studenten, 2 Emigranten, u Fremde. – An mehreren Gerichten thut man in diesen Gegenden eine Menge Saffran, der für mich das Widrigste ist was ich kenne. Alle Speisen, auch Butter, sind fast ganz ungesalzen. Das Wasser ist in ganz Erl. weich u sehr mittelmäßig, weil der Boden so sandig u so niedrig ist, daß man beym Graben sogleich auf Wasser stößt. – Diese Nachrichten vom Essen, sind für Mama.
Bald schreibe ich wieder. Ich wünschte die beßte Gesundheit, u immer frohe Tage, u bleibe
Ihr
gehorsamer Sohn
W. H. Wackenroder.