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Wilhelm Heinrich Wackenroder to Christoph Benjamin Wackenroder, Christiane Dorothea Wackenroder TEI-Logo

Reise nach Anspach und Nürnberg.
Erlangen, den 4. Oktober
1793.
Theuerste Aeltern,
Neulich habe ich, weil meine Kollegia schon geschlossen waren, die letzte Excursion von Erlangen aus, gemacht. Ich fuhr nämlich am Mittwoch Mittag, den 25. Sept., mit H. v. Wechmar, H. v. Quilfeld, u Burgsdorff, nach Anspach, theils um dem Ball beyzuwohnen, der am Mittwoch Abend, dem Geburtstage des Königs zu Ehren in Anspach gehalten ward, theils um uns am andern Morgen von H. v. Wechmar, der der Sohn eines verstorbenen Ministers in Anspach ist, einige Merkwürdigkeiten der Stadt zeigen zu lassen. Der Geburtstag des Königs wird hier ungleich cerämonischer gefeyert als in u um Berlin: in Anspach, Baireuth, Erlangen, Hoff, u vielleicht noch an mehreren Orten sind große Bälle gegeben.
Wie fuhren die Hauptstraße, über Nürnberg, die durchaus Chaussee ist. Im Anspachschen ist die Chaussee besonders gut. Bis Anspach sind von Nürnberg 4 Meilen, also von Erl. 51/2. Auf 1 Meile fährt man auf Chausseen nicht viel mehr als 1 Stunde. In Nürnberg kauften wir uns Obst auf dem Obstmarkt, wo beständig eine große Menge aller Arten von Obst sehr gut zu haben ist. Nicht weit hinter Nürnb. kommt man durch das ansehnliche Dorf Schweinau, wo Dosen von Papier maché, u andre Sachen in Menge gemacht werden. Von den frischlackirten Dosen be/kommt das ganze Dorf einen starken Firnißgeruch. – Auf dem Wege zwischen Nürnberg und Anspach, kommt man wohl durch 8 Dörfer, und durch das Städtchen Heilsbronn, das ehemals ein Kloster hatte, und noch jetzt schlechtweg, Kloster genannt wird. Das Anspachsche Gebiet geht bald hinter Nürnb. an. Die Dörfer liegen artig mitten im Grünen, und sind gutgebaut, theils ganz von röthlichen Sandsteinen, theils weiß mit rothangestrichenem Holzwerk. Man fährt fast immer über freye, ebene, nur durch geringe Anhöhen unterbrochene Felder, u nur eine kleine Strecke durch ein Tannenwäldchen. Der Boden ist fruchtbarer Lehmboden. Die Aussichten gehen zuweilen weit; sind aber, einige grüne Wiesen u andre kleine Parthien abgerechnet, gar nicht interressant. Auf dem Felde sahen wir zu unsrer Verwunderung, gar nicht weit von uns, 8 Hirsche auf einem Haufen, die eine Zeitlang Stillständen, u uns ansahen. Es giebt noch viel Wild hier, da der Markgraf die Jagd sehr geliebt hat. An der Chaussee sind statt der Meilenzeiger simple kleine steinerne Banken angebracht, worauf die Entfernungen stehen. Vor Anspach ist die Chaussee mit Bäumen besetzt.
Anspach liegt im Grunde, von Wiesen, und in einer kleinen Entfernung von sanften, beackerten Anhöhen umgeben. Die Lage hat daher Aehnlichkeit mit / der von Baireuth; nur sind die Aussichten um Baireuth weit größer und reicher. Anspach an sich, die eigentliche Stadt nämlich ist alt u winklig, hat aber feste Häuser. Die großen Vorstädte aber haben schnurgerade, breite, wohlgepflasterte Straßen, und zierliche, weiße Häuser, die ein heitereres Ansehen geben, als die beßten Straßen in Baireuth. Die Stadt ist sehr gut erleuchtet; die Laternen hängen, (wie in Paris,) an Seilen die zwischen gegenüberstehenden Häusern, oder, auf großen Plätzen, zwischen Pfählen, in gehöriger Höhe aufgehängt sind. Erlangen hat auch ein Paar solcher Laternen, ist aber übrigens ganz unerleuchtet; auch Nürnberg hat gar keine Laternen, u wegen der vielen engen Gassen u hohen Häuser ist es dort im Dunkeln sehr unangenehm zu gehen.
Als wir Abends, gegen 9 Uhr, in Anspach hineinfuhren, sahen wir das Schützenhaus, zur Ehre des Königs illuminirt. Wir traten im goldenen Stern, einem schönen Gasthofe in der Vorstadt, ab. Hier sah ich unten in dem Speisezimmer den schönsten Ofen den ich fast jemals gesehen habe: er hatte die Form eines Schrankes, war ganz von braunen Kacheln, u mit vergoldeten Ringen geziert, die / die Handgriffe an den Schubladen vorstellten.
Da wir hörten, daß der Ball zugleich eine Redoute sey, so nahmen wir Masken u Domino’s, u giengen bald nach dem Komödienhause, wo die Redoute gegeben ward. Sie war für Anspach wirklich brillant genug. Einige Mannspersonen waren als Türken, Ritter, Priester, u Amerikaner verkleidet. Man tanzte eifrig, u bey guter Musik. Die Logenreihe war voller Zuschauer. Auf der Bühne saß die Noblesse, u sah zu. Ich blieb nicht sehr lange dort.
Am folgenden Vormittage besahen wir zuerst das Schloß, welches in der Vorstadt vor einem freyen Platz liegt, u 3 Stockwerke hat. Die breite Façade hat von Anfang bis zu Ende, Pilaster, aber auch nicht den geringsten Vorsprung in der Mitte, auch viele schlechte Verzierungen, und statt eines in die Augen fallenden Portals, einen ganz gewöhnlichen niedrigen Thorweg. Daher fehlt dem Gebäude das edle u einnehmende Ansehen. Von Farbe ist es weiß. Es hat eine ansehnliche Größe, und wir liefen eine Menge Zimmer durch. Einige haben Hautelice Tapeten; andre sind getäfelt; 2 sind ganz mit kleinen, weißen, auf Chinesisch blau bemahlten Kacheln ausgelegt; andre sind mit Porcellan Figuren, marmornen Tischen, usw. ausgeschmückt. In einem sind einige Schüsseln u Kelche / von Elfenbein, ganz mit elfenbeinernen Figuren, en hautrelief aufs allerfeinste geschnitzt, überzogen; – in einem andern sah ich die Vorstellung eines Säulenganges, in einem Rahm gefaßt, und zwar von buntem Gipsmarmor. In einigen Zimmern hängen Gemählde u Familienbildnisse. In dem Saale, der eigentlich die Gemähldegallerie genannt wird, einige Köpfe von Naumann, einen schönen Kopf eines Italiän. Bildhauers von van Dyk, u vornehmlich folgende Stücke von Kupetzky: seine Familie, der barmherzige Samariter, der heil. Franciscus 2 mal, u 3 Einsiedler. – Noch sahen wir im Schloß ein Zimmer, wo der Anspachische Hoffmahler, H. Naumann, arbeitet, u wo ich mehrere von seinen Gemählden sah. Er scheint mir ein höchst mittelmäßiger Künstler, ob er gleich in der Gegend seines Auffenthalts, wie gewöhnlich, einen Ruf hat. Ich sah von ihm in jenem Zimmer, folgendes: Ein großes historisches Stück, das die Cornelia vorstellte, wie man ihr den Tod des Pompejus ankündigt; Raphaels Bildniß, eine Kopie nach einem herrlichen Gemählde von Raphael selbst; einige andre Kopieen; einige Porträts; u endlich mehrere gezeichnete Köpfe, nach sehr schönen alten Gemählden von Wohlgemuth u Dürer in der Kirche von Schwabach, und nach andern von Wohlgemuth und Schäufelein in der Kirche des / erwähnten Städtchens Heilsbronn. – Der Schloßgarten in Anspach hat keine Umzäunung. Das große Orangeriehaus, die Hecken, u die schönen Alleen abgerechnet, ist er ein bloßer Gemüsegarten.
Wir besuchten am Vormittage auch noch 2 Musici von der Anspachschen Kapelle, die sehr gut ist, den H. Schwarz, der uns auf dem Fagott, und den H. Jäger, der uns mit seinem Sohn auf dem Violoncell, etwas vorspielte. Ich kann nicht beurtheilen, ob sie hier in der Gegend nicht, wie gewöhnlich alles in kleinen Städten, in einem allzu großen Rufe stehen; fast möchte ich es glauben. Beyde werden mit ihren Söhnen, sehr bald auf 1 Jahr, nach England oder Rußland eine Reise machen. – Unser letzter Besuch bey dem interressantesten Mann in Anspach, dem Dichter Uz, hat mir demungeachtet wenig mehr Vortheil gebracht, als daß ich ihn – gesehen habe. Leider nutzen so kurze Besuche bey Gelehrten selten mehr; man müßte denn mit ihnen ganz allein seyn, sie grade in guter Laune antreffen, ziemlich vorbereitet seyn, das heißt, sie im voraus etwas kennen, und sie dann versteckt über interessante Punkte ihrer Geschichte ausfragen. Und bey dem allen würde man von vielen dennoch sehr unbefriedigt weggehen. Daher muß man / sich schon begnügen, in sprechenden Gesichtszügen, u allenfalls in mündlichen Aeußerungen, einen Theil des Geistes solcher Männer aufzuspüren, den man in ihren Schriften bewundert. – Uz ist ein mehr als 72jähriger, aber munterer, gutherziger, u sehr freundlicher Greis, der sich schon lange nicht mehr mit der Poesie abgiebt, aber sich noch immer als Direktor des Landgerichts, als ein arbeitsamer u sehr erfahrener Mann zeigt. Seine Gedichte hat er in Anspach, seinem Geburtsorte, in ziemlicher Obscurität geschrieben. Als ich ihm eine Empfehlung von Hn Prof. Ramler brachte, freute er sich sehr, daß dieser noch an ihn dächte. Er wohnt versteckt in einem kleinen Hause.
Nach Tische fuhren wir von Anspach weg. Die Vorstadt hat wegen ihrer Regelmäßigkeit, der guten Häuser, der mit Bäumen besetzten Spaziergänge, u des Schloßes, einige Aehnlichkeit mit Schwedt. Doch sind Schloß u Spaziergänge in Schwedt bey weitem schöner. – In Ansp. liegen jetzt Preuß. gelbe Husaren.
Auf dem Rückwege besah ich die Kirche in Heilsbronn, die sonst die Klosterkirche gewesen ist. Sie ist inwendig weiß, groß, u hat mehrere Nebenkapellen. Die vielen uralten Gemählde von den Vätern der deutschen Mahlerey, die zum Theil zwar fehlerhafter, steifer u geschmackloser sind als die Versuche eines Schülers, zum Theil aber mit einer simpeln, anspruchlosen Erhabenheit, durch den reinen Ausdruck der Natur in Gesicht u Stellung, ohne Künsteleyen, u durch den / edeln Faltenwurf in den Gewändern, das Auge einnehmen, machen diese Kirche sehr sehenswerth. Eine betende weibl. Figur an einem Altar reizte mich am meisten. Außerdem hat die Kirche noch 24 Begräbniße von Anspachischen Markgrafen, wovon einige mit steinernen und schönen bronzenen Figuren u Zierrathen ausgeschmückt sind; das gemahlte Bildniß eines Markgrafen mit seinen 2 Gemahlinnen in Lebensgröße, mit vielen Zierrathen umher; viele alte Basreliefs in Stein, worunter einige den ersten Anfang der Kunst verrathen; viele Heiligenbilder von Holz; usw. Dieses Reichthums an Antiquitäten wegen ist die Kirche sehr merkwürdig.
Am Abend kamen wir in Nürnberg an, wo ich am Freytage, so viel ich in der kurzen Zeit konnte, noch eine kleine Nachlese von allem dem hielt, was ich dort noch sehen u ausrichten wollte, weil ich nicht wieder dahinzukommen hoffen konnte. Meine Begleiter kauften sich unterdessen allerley Sachen ein; denn alle Arten von Zeugen, Galanteriewaaren, und andern Kleinigkeiten kauft man in N. gut u wohlfeil; wohlfeiler als in Leipzig. (Z. B. eine starke, simple goldene Uhrkette kostet 24 fl., eine geschmackvolle, schwarze Englische Theekanne von Wedgwood, 11/2 fl., usw.) Am Freytag Abend waren wir in Erl.
Zuerst besuchte ich in Nürnb. den Hn v. Murr, u brachte ihm die Abschrift der Diss. de Jordano Bruno. Er dankte dafür mit der verbindlichsten Freundschaftlich/keit, und schenkte mir sogleich mit großer Gefälligkeit, seine Beschreibung der Reichskleinodien, seine Beschreib. des Rathhauses in Nürnb., u ein Supplement eines Französ. Bücherkatalogs mit Auszügen aus alten Französ. Handschriften. Auch wünschte er, daß sich H. G. R. Oelrichs einiges aus dem ihm mitgetheilten Bücherkatalog aussuchte, womit er ihm dann sehr gern ein Geschenk machen wolle. Das kleine, winklige Haus des Hn v. Murr ist voll Bücher. In seinem Studierzimmer hängen die Bildnisse v. Friedrich 2, Leibnitz, Kant, Spinoza u Rousseau um ihn herum. – Ich nahm hierauf von Hn. Häßlein u Hn Frauenholz Abschied. Ersterer ist an der Gelbsucht krank gewesen, u hat deswegen nicht an Hn Pred. Koch schreiben können. Er ist ein sehr schwächlicher Mann. – Endlich besuchte ich den Hn Kaufmann Matti, der ein gebohrner Italiäner ist. Er bat um Verzeihung, daß er mich nicht zu Mittag bitten könne, weil er am Freytage, als Katholik, nur Fastenspeise auf dem Tische habe. Er setzte mir aber Chokolade vor, erzählte mir manches vom Nürnbergischen Handel, und ließ mich durch seinen Sohn bey einigen Handwerkern herumführen. – Große Zeug- u andre Fabriken giebt es in Nürnb. fast gar nicht. Die Waaren, besonders die kurzen Waaren, worin die hiesigen Arbeiter so berühmt sind, werden von einzelnen Handwerkern gemacht, die wenig oder keine Gesellen haben, u dann den großen / Kaufleuten, (wozu auch H. Matti gehört,) für einen seit jeher bestimmten, zum Ruin der armen Handwerker übertrieben wohlfeilen Preis, geliefert. Die Kaufleute schicken sie dann in großen Quantitäten, durch ganz Europa; und wegen dieser Versorgung eines ganzen Welttheils mit allerhand kleinen Bedürfnissen, hat Nürnb. in der That einen besondern Rang unter allen Gewerb- u HandelsStädten. – Wir besuchten zuerst einen Dosenmacher. Die Dosen von Papier maché, werden aus Pappe zusammengesetzt, in einem Ofen hart gebacken, u mit Lack überstrichen, auch vergoldet und bemahlt. Durch ein Passigwerk von Stahl, (das was ich sah, war in Paris für 700 fl. gemacht,) werden allerhand reguläre Zeichnungen u Linien auf die Dosen gegraben. Es ist eine sinnreiche Maschine. – Bey einem Beindrechsler sah ich Stockknöpfe, Etuis, Bilboquets, u andre Kleinigkeiten, aus Elfenbein u Rinderknochen gedreht. Dieser Mann bereitet auch die meerschaumenen Pfeifenköpfe, die, aus einer weichen u weißen TalkErde geformt, in großer, dicker Gestalt, aus der Türkey kommen; hier in Nürnb. aber klein u zierlich geschnitten, u in Wachs 3 mal, gelb gesotten, und endlich polirt werden. – Bey einem Holzdrechsler sah ich hölzerne Puppen u Spielsachen, wie sie auch in Fürth, Erlangen, u einigen andern Orten im Reich, gemacht werden. Sie werden aus freyer / Hand geschnitten. Die Gesichter, Hände, Füße, andre feine Theile, auch zuweilen fast ganze Figuren, werden aus einer braunen, sich erhärtenden Komposition von Mehl u Gips, geformt. Auch die fast ganz aus Holz geschnittenen Figuren, bestehen nicht aus einem einzigen Stück, sondern aus mehrem die zusammengeleimt sind. – H. Matti führte mich noch in eine große Nadelfabrik, eine der wenigen Fabriken in Nürnb., u der einzige Ort, wo hier Nadeln gemacht werden. Allein, ohngeachtet wir eine Maschine im Gange sahen, u ein Arbeiter, den wir gefragt, uns versichert hatte, daß heute gearbeitet würde, so war doch der Herr der Fabrik so unverschämt, uns vom Gegentheil zu versichern. Ein Beyspiel von dem Eigensinn eines Fabrikherrn, oder der sonderbaren Geheimhaltung mancher Fabrikationen. Die Mühlen worauf die Rothgießer oder Rothschmiede allerhand Messingwaaren drechseln, (eine besondere Procedur, wie sie an wenigen Orten ist,) bekommt auch kein Fremder zu sehen, aber auf ausdrückliches Gebot des Raths, welches diese Zunft beschwören muß. Ich wußte dies schon; H. Matti, der mir jene Mühlen zu zeigen wünschte, ließ es sich erst von einem Handwerker, den er darum fragte, sagen; ein Beweis, wie ein Fremder, der sich um die Merkwürdigkeiten eines Orts bekümmert, oft mehr weiß, als der Einwohner. /
Ich besah in Nürnb. auch noch 2 Kirchen. Die Marienkirche, am Markt, ist alt u schwarz. An den Flügelthüren des Altars, davon 2 oder 3 über einander sind, sind alte Gemählde, worunter einige schöne Figuren. An der Seite des Altars hängt eine Mater dolorosa, ein altes Gemählde, das leider durch Auffrischung verdorben ist. An Wänden u Pfeilern sind eine Menge feiner Figuren aus Holz geschnitzt, theils vergoldet, theils auf goldenem Grunde. Der Boden der Kirche heißt der Kupferboden, weil ehemals die sonderbare Gewohnheit war, daß keiner auf denselben kommen durfte, ohne einen Kupferstich an den Wänden anzukleben. Zwey hölzerne Täfelchen, mit Versen beschrieben, laden, Eine die Mannspersonen, die andre die Frauenzimmer zu fleißigen Beyträgen ein. Viele von den Kupferstichen, womit sonst die Wände des Bodens bekleidet waren, sind schon wieder abgerissen. In einem Schrank auf diesem Boden sah ich auch die angemahlten Figuren der 7 Kurfürsten, von Kupferblech, die an hohen Festtagen, auf die Stifte eines Gestelles gesteckt, u auf einer runden Platte, um das Bild des Kaisers durch ein Uhrwerk herumgetrieben werden. Der vordere Theil der Platte steht an der Façade der Kirche nach dem Markt zu, heraus. – Die Aegidienkirche ist die neuste in Nürnb. Inwendig ist sie groß, / frey, regelmäßig hellweiß, und auf dem Plafond mit einem Reichthum von StukkaturArbeit, und einem großen Deckengemählde verziert. Am Altar, grade zu, ist ein Gemählde von van Dyk: Christi Leichnam mit 3 Figuren: schön komponirt, u voller Ausdruck. Auf diesem Altar stehen 2 große messingene Leuchter, mit künstlichem Laubwerk u Zierrathen, von einem hiesigen Rothschmiede gestiftet. Die Rothschmiede machen auch die großen prächtigen Altarleuchter, die in die Russischen Kirchen kommen. – – Der Johanniskirchhoff vor der Stadt, hat eine unzählige Menge Grabsteine, zwischen welchen viele Sonnenblumen prangen. Jeder Grabstein hat oben ein Schild mit einer Grabschrift, oder ein Wappen, oder erhobene Figuren, usw. von Bronze. Diese Verzierungen sind sehr mannigfaltig, und zum Theil, besonders die älteren, aufs allerfeinste gegoßen.
Die schönen Gemählde im Rathhause besah ich auch noch einmal. Im sogenannten schönen Saale hängen folgende, in Colorit u Wahrheit der Vorstellung sich auszeichnende Stücke von Kupetzky, die in Murrs Beschreib. v. Nürnb., nicht angeführt stehen: Bildniß Peters des Großen; ein Kaufmann in Nümb., Namens Huth, mit seiner Frau; derselbe bey der Arbeit; derselbe bey Licht; Kupetzky selbst; Kupetzky selbst mit seinem Sohne; Kupetzkys Farbenjunge; Kupetzkys / Frau; ein Alter mit einem Weinglas; ein alter mit einer Tabackspfeife; eine Mannsfigur; noch eine; ein kleines holländisches Bauernstück; und noch eines. Die 2 letztern Stücke sind ganze Figuren. Die 12 übrigen sind halbe Figuren, in Lebensgröße. Es hängen in diesem Saale auch mehrere Probe- u Meisterstücke alter Nürnbergischer Mahler, die ehemals hier eine ordentliche Zunft ausmachten. –
Aus Mangel an Zeit schließe ich. – Morgen reisen wir von Erl. ab, u etwa in 10 Tagen sind wir in Gött.. Ich wünsche Ihnen die beste Gesundheit.
W. H. Wackenroder.
Ich habe von allen meinen hiesigen Bekannten, besonders Professoren, Abschied genommen. H. H. Harleß läßt Sie grüßen, auch H. P. Haselberg. Wir reisen über Würzburg. Ich freue mich auf Göttingen, ohne je an meinen Auffenthalt in Erl. anders als mit dem größten Vergnügen zu denken. Verzeihen Sie meiner Eile. Wir sind im Einpacken, Bezahlen v. Rechnungen, Abschied nehmen, Anordnen der Reise, etc. begriffen. – Schon deswegen ist es gewiß nützl. die Univers. zu besuchen, um so manche Erfahrungen zu machen, u sich in der Welt finden zu lernen.
Metadata Concerning Header
  • Date: Freitag, 4. Oktober 1793
  • Sender: Wilhelm Heinrich Wackenroder ·
  • Recipient: Christoph Benjamin Wackenroder · , Christiane Dorothea Wackenroder
  • Place of Dispatch: Erlangen · ·
  • Place of Destination: Berlin · ·
Printed Text
  • Bibliography: Wackenroder, Wilhelm Heinrich: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 2: Briefwechsel, Reiseberichte. Hg. v. Richard Littlejohns u. Silvio Vietta. Heidelberg 1991, S. 229‒236.
Manuscript
  • Provider: Biblioteka Jagiellońska

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